Kosten- und Gebührenrecht

Gebührenrechtliche Identität bei entgegengesetzter Klage und Widerklage im Zusammenhang mit einem Leasingvertrag

Aktenzeichen  32 W 693/21

Datum:
12.5.2021
Fundstelle:
JurBüro – 2021, 481
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
GVG § 45 Abs. 1 S. 3

 

Leitsatz

1. Bei dem Begriff des Gegenstands in § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG handelt es sich um einen selbstständigen kostenrechtlichen Begriff, der eine wirtschaftliche Betrachtung erfordert. Eine Zusammenrechnung hat dort zu erfolgen, wo eine wirtschaftliche Werthäufung entsteht und nicht ein wirtschaftlich identisches Interesse betroffen ist. Wirtschaftliche Identität liegt vor, wenn die in der Klage und in der Widerklage gestellten Ansprüche nicht in der Weise nebeneinander bestehen können, dass allen stattgegeben werden könnte, sondern dass die Verurteilung gemäß dem einen Antrag notwendigerweise die Abweisung des anderen Antrags nach sich zöge. Es besteht der allgemeine Grundsatz, dass Nämlichkeit des Streitgegenstands anzunehmen ist, wenn eine Klage auf vertragliche Leistung mit einer Widerklage zusammentrifft, mit der diese vertragliche Verpflichtung geleugnet werden soll. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Identitätsgrundsatz greift jedoch dann nicht ein, wenn mit Klage und Widerklage lediglich Teilansprüche aus demselben Rechtsverhältnis hergeleitet werden, die sich rechtlich zwar wechselseitig ausschließen, wirtschaftlich aber nicht überschneiden, sondern unterschiedliche Vermögenspositionen betreffen. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

28 O 5986/20 2021-01-12 Bes LGMUENCHENI LG München I

Tenor

1. Die Sache wird gemäß § 568 Satz 2 Nr. 2 ZPO dem Senat zur Entscheidung übertragen.
2. Die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den Beschluss des Landgerichts München I vom 12.01.2021, Az. 28 O 5986/20, wird zurückgewiesen.

Gründe

I.
Der Bevollmächtigte des Beklagten hat in eigenem Namen Beschwerde gegen die Festsetzung des Streitwerts durch das Landgericht eingelegt.
Die Klägerin ist die Rechtsnachfolgerin der Fa. … GmbH, die mit dem Beklagten am 18./19.04.2017 einen Leasingvertrag über ein Hochregallager und einen Schubmaststapler zur betrieblichen Nutzung geschlossen hatte.
Mit der Klage verlangte die Klägerin die Herausgabe der Leasinggegenstände. Den Zeitwert der Leasinggegenstände gab sie mit € 6.000,00 an. Der Beklagte erhob Widerklage mit dem Antrag, die Leasinggegenstände an ihn zu übereignen. Hilfsweise verlangte er die Rückzahlung der Leasingraten. Aus dem als Leasingvertrag bezeichneten Vertrag ergebe sich aus einer mündlichen Nebenabrede ein Anspruch des verklagten Leasingnehmers auf Übereignung der Leasinggegenstände nach Ablauf der Leasingzeit und Bezahlung aller Leasingraten.
Das Landgericht hat mit Endurteil vom 12.01.2021 die Klage abgewiesen und die Klägerin auf die Widerklage hin zur Übereignung der Leasinggegenstände verurteilt. Zugleich hat es durch Beschluss unter Verweis auf § 45 Abs. 1 S. 3 GKG den Streitwert auf € 6.000,00 festgesetzt.
Der Bevollmächtigte des Beklagten hat mit Schriftsatz vom 10.02.2021 Beschwerde gegen den Streitwertbeschluss eingelegt und beantragt, den Streitwert auf € 12.000,00 festzusetzen. Unter Berufung auf die Rechtsprechung des Senates vertritt er die Auffassung, dass sich die mit Klage und Widerklage geltend gemachten Ansprüche rechtlich zwar wechselseitig ausschließen, wirtschaftlich aber nicht überschneiden. Das Interesse der einen Seite, den Leasinggegenstand zurückzuerhalten, sei ein anderes wirtschaftliches Interesse als das Interesse der anderen Seite, das Eigentum an dem Leasinggegenstand übertragen zu erhalten.
Nach Anhörung der Gegenseite hat das Landgericht der Beschwerde in dem Beschluss vom 30.04.2021 nicht abgeholfen. Es gehe letztendlich bei Klage und Widerklage um dieselbe Frage, nämlich die, wem Das Eigentum an den Leasinggegenständen zusteht.
II.
1. Die befristete Beschwerde gegen den Streitwertbeschluss ist zulässig. Nach § 32 Abs. 2 Satz 1 RVG kann der Rechtsanwalt aus eigenem Recht gegen die Festsetzung des für die Gerichtsgebühren maßgebenden Werts Rechtsmittel einlegen. Statthaftes Rechtsmittel ist die Beschwerde, § 32 Abs. 2 RVG iVm § 68 Abs. 1, 66 Abs. 2 bis 6 GKG (BeckOK RVG/ Sommerfeldt, 1.3.2021, § 32 RVG Rn. 20).
2. Die Beschwerde hat aber in der Sache keinen Erfolg. Die Klage auf Herausgabe des Leasinggegenstands und die Widerklage auf Übereignung desselben betreffen gebührenrechtlich denselben Gegenstand im Sinne von § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG. Der Gebührenstreitwert ist deshalb nur nach dem Wert der Leasinggegenstände zum Zeitpunkt der Erhebung der Klage zu bemessen.
a) Nach § 45 Abs. 1 Satz 1 GKG sind bei der Bemessung des Gebührenstreitwerts die in einer Klage und in einer Widerklage geltend gemachten Ansprüche, die nicht in getrennten Prozessen verhandelt werden, zusammenzurechnen. Davon ist nach § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG eine Ausnahme zu machen, wenn die in der Klage und der Widerklage geltend gemachten Ansprüche denselben Gegenstand betreffen. In diesem Fall ist nur der Wert des höheren Anspruchs maßgebend. Es soll den Prozessparteien gebührenrechtlich zugutekommen, dass das Gericht zwar über mehrere Anträge entscheiden muss, sich dafür aber im Wesentlichen auf die Beurteilung des gleichen Streitstoffs beschränken kann und dadurch Arbeitsaufwand erspart wird (BGH, Beschluss vom 02. November 2005 – XII ZR 137/05, NZM 2006, 138; BGH, Beschluss vom 06. Oktober 2004 – IV ZR 287/03, NJW-RR 2005, 506).
Bei dem Begriff des Gegenstands in § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG handelt es sich um einen selbstständigen kostenrechtlichen Begriff, der eine wirtschaftliche Betrachtung erfordert (BGH Beschluss vom 06. Juni 2013 – I ZR 190/11, juris; BGH, Beschluss vom 06. Oktober 2004 – IV ZR 287/03, NJW-RR 2005, 506; BeckOK KostR/Schindler, 32. Ed. 1.1.2021, § 45 GKG Rn. 12; Toussaint/Elzer, 51. Aufl. 2021, § 45 GKG Rn. 13). Eine Zusammenrechnung hat dort zu erfolgen, wo eine wirtschaftliche Werthäufung entsteht und nicht ein wirtschaftlich identisches Interesse betroffen ist. Wirtschaftliche Identität liegt vor, wenn die in der Klage und in der Widerklage gestellten Ansprüche nicht in der Weise nebeneinander bestehen können, dass allen stattgegeben werden könnte, sondern dass die Verurteilung gemäß dem einen Antrag notwendigerweise die Abweisung des anderen Antrags nach sich zöge (BGH, Urteil vom 8.8.2017 – X ZR 101/16, NJW-RR 2017, 1453; BGH, Beschluss vom 11. März 2014 – VIII ZR 261/12 -, juris; BGH, Beschluss vom 12. September 2013 – I ZR 58/11 -, juris; BGH, Beschluss vom 06. Oktober 2004 – IV ZR 287/03, NJW-RR 2005, 506). Es besteht der allgemeine Grundsatz, dass Nämlichkeit des Streitgegenstands anzunehmen ist, wenn eine Klage auf vertragliche Leistung mit einer Widerklage zusammentrifft, mit der diese vertragliche Verpflichtung geleugnet werden soll (BGH, Beschluss vom 2. November 2005 – XII ZR 137/05, NZM 2006, 138). So werden die Werte von Klage und Widerklage nicht zusammengerechnet, wenn der Mieter gegen eine Kündigung Klage auf Feststellung von deren Unwirksamkeit erhebt und der Vermieter widerklagend Räumung verlangt (OLG München, Beschluss vom 18. 5. 2010 – 32 W 1288/10, NZM 2011, 175).
Der Identitätsgrundsatz greift jedoch dann nicht ein, wenn mit Klage und Widerklage lediglich Teilansprüche aus demselben Rechtsverhältnis hergeleitet werden, die sich rechtlich zwar wechselseitig ausschließen, wirtschaftlich aber nicht überschneiden, sondern unterschiedliche Vermögenspositionen betreffen (BGH, Beschluss vom 11. März 2014 – VIII ZR 261/12, juris; BeckOK KostR/Schindler, 32. Ed. 1.1.2021, § 45 GKG Rn. 15; Toussaint/Elzer, 51. Aufl. 2021, § 45 GKG Rn. 16). Dies gilt bspw. für den auf einen Wegfall der Geschäftsgrundlage des Leasingvertrages gestützten Anspruch der einen Partei auf Rückerstattung der gezahlten Leasingraten und die für die anschließende Vertragslaufzeit widerklagend geltend gemachten Ansprüche auf Zahlung rückständiger Leasingraten und auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung hinsichtlich der nach verzugsbedingter Kündigung des Leasingvertrages noch ausstehenden Leasingraten (BGH, Beschluss vom 11. März 2014 – VIII ZR 261/12, juris). Zwar werde auch in diesen Fällen die Arbeit des Gerichts erleichtert, da sich die Ansprüche ausschließen. Maßgeblicher Gesichtspunkt sei aber die wirtschaftliche Werthäufung (BeckOK KostR/Schindler, 32. Ed. 1.1.2021, § 45 GKG Rn. 15).
b) Gemessen an diesen Grundsätzen betreffen die Klage auf Herausgabe des Leasinggegenstands und die Widerklage auf Übereignung desselben gebührenrechtlich denselben Gegenstand im Sinne von § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG. Die nach dem Verkaufswert des Gegenstandes bemessenen Streitwerte sind nicht nach § 45 Abs. 1 Satz 1 GKG zusammenzurechnen. Soweit der Senat bisher eine andere Auffassung vertreten hat, wird daran nicht festgehalten.
Die Klage auf Herausgabe eines Leasinggegenstandes und die Widerklage auf Übereignung desselben bzw. bei Leasingfahrzeugen auf Herausgabe des Fahrzeugbriefes betreffen nach der überwiegenden Meinung in Literatur und Rechtsprechung gebührenrechtlich denselben Gegenstand (OLG Nürnberg, Beschluss vom 27. August 2019 – 13 W 2775/19, MDR 2020, 126; Toussaint/Elzer, 51. Aufl. 2021, § 45 GKG Rn. 15 jew.m.weit.Nachw.). Dies ist zutreffend. Anders als bei den Fällen, bei denen unterschiedliche Teilansprüche geltend gemacht werden, betreffen im vorliegenden Fall sowohl die Klage als auch die Widerklage die Frage, ob der Leasingnehmer auf Grund der behaupteten mündlichen Nebenabreden einen Anspruch auf Übereignung der Leasinggegenstände erworben hat. Es ist nicht streitig, dass die Klägerin noch Eigentümerin der Leasinggegenstände ist. Auf der einen Seite steht der Anspruch der Eigentümerin auf Herausgabe und auf der anderen Seite der Anspruch des Besitzers auf Übereignung. Es trifft damit eine Klage auf Leistung mit einer Widerklage, mit der diese Verpflichtung gerade geleugnet werden soll, zusammen. Auch wenn die Widerklage nicht nur die Verpflichtung des Beklagten zur Herausgabe dem Grunde nach bekämpft, sondern ihm darüber hinaus eine wirtschaftlich bessere Position verschaffen soll, liegt darin im Ergebnis keine wirtschaftliche Werthäufung.
Beide Parteien streiten um das Bestehen eines Anspruchs des Beklagten auf Übereignung. Es liegt nahe, dass der bloße Besitz einer Sache auch bei wirtschaftlicher Betrachtung einen anderen Wert darstellt als das Eigentum an der Sache. Eigentum und Besitz an derselben Sache können als unterschiedliche Teilansprüche der aus dem Eigentum folgenden umfassenden Sachbefugnis des Eigentümers nach § 903 BGB angesehen werden. Wirtschaftlich stellen ein besitzloses Eigentum und ein eigentumsloser Besitz jeweils nur einen Teilwert des Marktwertes dar. Der Marktwert wird danach geschätzt, welchen Preis der Gegenstand bei Veräußerung erzielen würde. Bei dieser Schätzung wird ein Verkauf, der sowohl zur Eigentumsverschaffung als auch zur Besitzübergabe verpflichtet, zugrunde gelegt. Die bloße Übereignung ohne Möglichkeit der Besitzverschaffung oder die bloße Besitzübertragung wären wirtschaftlich anders und sehr viel geringer zu bemessen. Der von dem Landgericht für die Bemessung des Streitwertes zugrunde gelegte Marktwert umfasst daher die mit Klage und Widerklage geltend gemachten Teilansprüche.
3. Wegen der Zulässigkeit der Beschwerde sind im Beschwerdeverfahren keine Gebühren entstanden; eine Kostenerstattung für Auslagen findet nicht statt (§ 68 Abs. 3 Satz 1 und 2 GKG).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben