Kosten- und Gebührenrecht

Geltung der sozialrechtlichen Wertgrenze für Auskunftsansprüche gegen Rentenversicherungsträger

Aktenzeichen  1 M 717/19

Datum:
22.7.2019
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 20794
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
Lichtenfels
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 766 Abs. 1, § 802l Abs. 1
SGB X § 74a Abs. 2 S. 1

 

Leitsatz

1. Eine Auslegung des fehlerhaft bezeichneten als den richtigen Rechtsbehelf kann auch bei einer anwaltlich vertretenen Partei vorgenommen werden. (Rn. 5)
2. Die vom Gesetzgeber vorgenommene Abschaffung der Wertgrenze von 500 Euro für Drittauskünfte in der Zivilprozessordnung hatte nicht zur Folge, dass die in anderen Gesetzen weiterhin bestehende Grenzen als gesetzgeberisches Versehen zu betrachten sind. (Rn. 6 – 9)

Tenor

Die Erinnerung der Gläubigerin wird zurückgewiesen.

Gründe

I.
Die Gläubigerin betreibt die Zwangsvollstreckung gegen den im hiesigen Gerichtsbezirk wohnhaften Schuldner aus einer Forderung, die unstreitig weniger als 500 Euro beträgt. Im Rahmen der Zwangsvollstreckung erteilte die Gläubigerin der zuständigen Obergerichtsvollzieherin den Auftrag, eine Drittauskunft bei der gesetzlichen Rentenversicherung einzuholen. Die Obergerichtsvollzieherin kam dem nicht nach, sondern wies den Auftrag mit der Begründung zurück, dass die Deutsche Rentenversicherung Bund Auskünfte erst ab einer Mindesthöhe der zu vollstreckenden Ansprüche von 500 Euro erteile.
Die Gläubigerin legte durch Ihren Prozessbevollmächtigten mit Schreiben vom 08.07.2019, eingegangen bei Gericht am 09.07.2019, sofortige Beschwerde ein und begründete dies damit, dass nach der Neuregelung des § 802l Abs. 1 ZPO die Wertgrenze von 500 Euro abgeschafft sei und für sämtliche Drittauskunftsverlangen gegenüber allen Stellen nicht mehr gelte.
Die Obergerichtsvollzieherin hat im Erinnerungsverfahren ihre bisherige Rechtsansicht wiederholt.
II.
Die Erinnerung hat keinen Erfolg. Sie ist zulässig, aber nicht begründet, da die Art und Weise der Zwangsvollstreckung durch die Obergerichtsvollzieherin rechtmäßig erfolgt.
1. Die Erinnerung ist zulässig. Sie ist trotz der Bezeichnung als sofortige Beschwerde als Erinnerung statthaft, da dies der zulässige Rechtsbehelf gegen Entscheidungen, welche die Art und Weise der Zwangsvollstreckung betreffen, ist, § 766 Abs. 1 ZPO. Bei der Drittauskunft, § 802l ZPO, handelt es sich um eine Maßnahme der Zwangsvollstreckung, deren Nichtausführung nur mit der Erinnerung angegriffen werden kann (Thomas/Putzo, ZPO, § 802l, Rn. 13). Eine Auslegung des fehlerhaft bezeichneten als den richtigen Rechtsbehelf kann auch bei einer anwaltlich vertretenen Partei vorgenommen werden.
2. Die zulässige Erinnerung ist nicht begründet. Die Obergerichtsvollzieherin hat die Vollstreckungsmaßnahme zu Recht nicht vorgenommen. Der zivilprozessual ohne Mindesthöhe zulässigen Drittauskunft, § 802l Abs. 1 ZPO in der Fassung des Gesetzes zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 655/2014 sowie zur Änderung sonstiger zivilprozessualer, grundbuchrechtlicher und vermögensrechtlicher Vorschriften und zur Änderung der Justizbeitreibungsordnung vom 25.11.2016, steht die sozialrechtlich festgeschriebene und für privatrechtliche Forderungen geltende Mindesthöhe von 500 Euro, § 74a Abs. 2 S. 1 SGB X, entgegen.
Das Festhalten an der Wertgrenze bedeutet keine Wiedereinführung der gesetzgeberisch abgeschafften Wertgrenze durch die Rechtsprechung, sondern beachtet den weiterhin bestehenden gesetzgeberischen Willen, wonach gegenüber den Trägern der gesetzlichen Rentenversicherung als zur Drittauskunft verpflichteten erhöhte Anforderungen gelten.
Die sozialrechtliche Wertgrenze ist nicht obsolet. Sie ist gesetzlich normiert und von der zuständigen Obergerichtsvollzieherin zu beachten (AG Gardelegen, Beschluss vom 11.02.2019, Az. 31 M 1/19). Eine von Anfang an nicht erfolgversprechende Handlung, wie hier die Einholung der erwartbar verweigert werdenden Drittauskunft, muss die Obergerichtsvollzieherin jedoch nicht vornehmen (AG Neuss, Beschluss vom 30.10.2017, Az. 63 M 667/17).
Die vom Gesetzgeber vorgenommene Abschaffung der Wertgrenze von 500 Euro in der Zivilprozessordnung hatte nicht zur Folge, dass die in anderen Gesetzen weiterhin bestehende Grenzen als nicht gewolltes gesetzgeberisches Versehen zu betrachten sind und letztlich außer Acht bleiben müssen (insoweit unzutreffend LG Bonn, Beschluss vom 31.08.2017, Az. 4 T 309/17). Eine unbewusste Nichtregelung besteht nicht. Der Gesetzgeber hat die Diskrepanz gesehen, sich jedoch gegen eine gleichzeitige Änderung der Zivilprozessordnung und des Sozialgesetzbuches entscheiden und die Änderungen einem späteren Gesetzgebungsvorhaben vorbehalten (BT-Drs. 18/12125, S. 8; so zutreffend LG Verden, Beschluss vom 27.07.2018, Az. 6 T 37/18). Trotz der offensichtlich bestehenden und thematisierten Problematik (BeckOK-ZPO/Fleck, § 802l, Rn. 5) wurde die Regelung im Sozialgesetzbuch weder durch das Gesetz zur Änderung des Bundesversorgungsgesetzes und anderer Vorschriften vom 24.07.2017, noch in der Folge geändert; über den Entwurf eines Gesetzes zur Ausweitung der Auskunftsrechte der Gerichtsvollzieher (BR-Drs. 94/19) wird bislang noch beraten (BR-Drs. 94/1/19).
III.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Gerichtskosten werden für das gegenständliche Verfahren nicht erhoben. Notwendige Auslagen des Schuldners sind mangels eines streitigen Verfahrens nicht angefallen; die notwendigen Auslagen der Obergerichtsvollzieherin können der Gläubigerin nicht auferlegt werden.


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