Aktenzeichen 10 ZB 18.354
Leitsatz
1. Ein Rechtsmittelführer, der innerhalb der Rechtsmittelfrist die Bewilligung von Prozesskostenhilfe formgerecht beantragt hat, ist so lange als ohne Verschulden an der formgerechten Einlegung des Rechtsmittels durch einen Prozessbevollmächtigten verhindert anzusehen, bis über seinen Antrag entschieden worden ist. (Rn. 2) (redaktioneller Leitsatz)
2. Von einem anwaltlich nicht vertretenen Beteiligten, der einen Antrag auf Prozesskostenhilfe stellt, kann grundsätzlich nicht verlangt werden, dass er bereits selbst das ausführt, was gem. § 124a Abs. 4 S. 4 VwGO für die Begründung des Zulassungsantrags notwendig wäre. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
3. Prinzipiell ist ein Verstoß gegen das rechtliche Gehör denkbar, wenn Prozesskostenhilfe rechtswidrig vorenthalten und der Kläger damit um die Möglichkeit anwaltlicher Vertretung in der mündlichen Verhandlung gebracht worden ist. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
4. Ein Verstoß gegen das rechtliche Gehör liegt nicht vor, wenn der Kläger selbst nicht das ihm Obliegende getan hat, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen. Dies ist etwa der Fall, wenn er in der mündlichen Verhandlung nicht zum Ausdruck bringt, dass er ohne Vertretung durch einen Rechtsanwalt seine Belange nicht in ausreichender Weise vorbringen könne. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
M 25 K 17.4933 2018-01-24 Urt VGMUENCHEN VG München
Tenor
Der Antrag des Klägers auf Gewährung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Bevollmächtigten für den Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
Gründe
Der Antrag des Klägers, ihm für seinen bereits ohne Bevollmächtigten gestellten Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 24. Januar 2018 Prozesskostenhilfe zu gewähren und einen Rechtsanwalt als Bevollmächtigten beizuordnen, ist abzulehnen, da der Antrag auf Zulassung der Berufung keine hinreichenden Erfolgsaussichten bietet (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1, § 121 Abs. 1 ZPO). Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist vielmehr voraussichtlich abzulehnen.
Dem Kläger könnte bei Gewährung von Prozesskostenhilfe zwar grundsätzlich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 60 Abs. 1 VwGO in die Rechtsmittelfrist des § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO gewährt werden. Denn ein Rechtsmittelführer, der – wie hier – innerhalb der Rechtsmittelfrist die Bewilligung von Prozesskostenhilfe formgerecht beantragt hat, ist so lange als ohne Verschulden an der formgerechten Einlegung des Rechtsmittels durch einen Prozessbevollmächtigten verhindert anzusehen, bis über seinen Antrag entschieden worden ist.
Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 60 Abs. 1 VwGO würde auch nicht daran scheitern, dass der Kläger nicht innerhalb der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO die Gründe dargelegt hat, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Von einem anwaltlich nicht vertretenen Beteiligten, der einen Antrag auf Prozesskostenhilfe stellt, kann grundsätzlich nicht verlangt werden, dass er bereits selbst das ausführt, was gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO für die Begründung des Zulassungsantrags notwendig wäre. Die in Literatur und Rechtsprechung umstrittene Frage, ob die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für ein noch einzuleitendes Berufungszulassungsverfahren auch bei einem nicht anwaltlich vertretenen Kläger zumindest die Darlegung eines Zulassungsgrundes in groben Zügen verlangt (vgl. zuletzt BVerwG, B.v. 10.1.2018 – 5 PKH 8.17 D), oder ob von einem anwaltlich nicht vertretenen Beteiligten grundsätzlich keine Begründung für den Antrag der Zulassung der Berufung erwartet werden kann, sondern die Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung vielmehr von Amts wegen zu prüfen sind (siehe hierzu BayVGH, B.v. 27.3.2015 – 10 ZB 15.380 – juris Rn. 3 m.w.N.), braucht vorliegend nicht abschließend entschieden zu werden. Zum einen hat der Kläger Gesichtspunkte vorgetragen, aus denen sich ergibt, was er als Gründe für seinen Antrag auf Zulassung der Berufung vortragen möchte, zum anderen liegen nach Auffassung des Senats auch bei einer Prüfung von Amts wegen Zulassungsgründe nach § 124 Abs. 2 VwGO nicht vor.
Der Kläger macht als Verfahrensfehler (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) geltend, er habe im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht „keinen Anwalt gehabt“. Tatsächlich hat das Verwaltungsgericht den am 9. März 2015 gestellten und am 15. Juni 2016 vollständig vorliegenden Antrag auf Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts als Bevollmächtigten nicht verbeschieden. Insoweit ist prinzipiell ein Verstoß gegen das rechtliche Gehör denkbar, wenn Prozesskostenhilfe rechtswidrig vorenthalten und der Kläger damit um die Möglichkeit anwaltlicher Vertretung in der mündlichen Verhandlung gebracht worden ist (BVerwG, B.v. 9.6.2008 – 5 B 204/07 – juris Rn. 5). Allerdings hätte im vorliegenden Fall das Verwaltungsgericht mangels hinreichender Erfolgsaussichten den Antrag auf Prozesskostenhilfe nur ablehnen können, die Versagung der Beiordnung eines Rechtsanwalts war also nicht rechtswidrig, und das Urteil konnte nicht im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO auf diesem Verfahrensmangel beruhen. Denn die Erwägungen, die dann auch zur Klageabweisung im Urteil vom 24. Januar 2018 geführt haben, galten bereits für die Beurteilung der Erfolgsaussichten zum maßgeblichen Zeitpunkt im Juni 2016. Darüber hinaus kann ein Verstoß gegen das rechtliche Gehör auch deswegen nicht vorliegen, weil der Kläger selbst nicht das ihm obliegende getan hat, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen; er hat ausweislich der Niederschrift in der mündlichen Verhandlung in keiner Weise zum Ausdruck gebracht, dass er ohne Vertretung durch einen Rechtsanwalt seine Belange nicht in ausreichender Weise vorbringen könne (vgl. BVerwG, B.v. 1.11.1991 – 6 B 14/91 – juris Rn. 4).
Auch soweit der Kläger rügt, der Vorsitzende habe in der mündlichen Verhandlung auch über seine Vorstrafen in Ungarn gesprochen und sei deshalb voreingenommen gewesen, lässt dies keinen Verfahrensfehler, auf dem das Urteil beruhen könnte, erkennen. Zwar ist der Niederschrift über die mündliche Verhandlung zu entnehmen, dass der Vertreter der Beklagten u.a. einen Auszug aus dem ungarischen Strafregister übergeben hat, jedoch sind etwaige Vorstrafen des Klägers in Ungarn in den Entscheidungsgründen des Urteils nicht einmal erwähnt.
Auch ergeben sich weder aus dem Vortrag des Klägers noch nach einer Überprüfung des Urteils durch den Senat ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Das Verwaltungsgericht hat aus den gemäß § 6 Abs. 2 FreizügG/EU verwertbaren strafrechtlichen Verurteilungen des Klägers im Bundesgebiet Umstände abgeleitet, die ein persönliches Verhalten des Klägers erkennen lassen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt, und eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, festgestellt. Weiter hat es die Ermessensentscheidung der Beklagten als rechtmäßig bestätigt und dabei unter anderem darauf hingewiesen, dass der Kläger seit seiner Einreise mehrere Jahre in Haft verbracht, hier nie gearbeitet und überwiegend „auf der Straße“ gelebt sowie keine näheren familiären oder sonstigen Bindungen im Bundesgebiet (mehr) hat. Auf die zutreffenden Ausführungen in dem Urteil des Verwaltungsgerichts wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen.
Zulassungsgründe nach § 124 Abs. 2 Nr. 2, 3 oder 4 VwGO sind ebenfalls nicht erkennbar.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
Über den gestellten Antrag auf Zulassung der Berufung wird gesondert entschieden.