Kosten- und Gebührenrecht

IX ZR 270/19

Aktenzeichen  IX ZR 270/19

Datum:
27.1.2021
Gerichtsart:
BGH
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2021:270121BIXZR270.19.0
Normen:
§ 269 Abs 3 S 1 ZPO
§ 516 Abs 3 S 2 ZPO
§ 525 ZPO
Spruchkörper:
9. Zivilsenat

Verfahrensgang

vorgehend OLG Hamm, 22. Oktober 2019, Az: I-25 U 42/15vorgehend LG Detmold, 28. April 2015, Az: 1 O 64/12

Tenor

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens; Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Der Streitwert für das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde wird auf 67.946,76 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Beklagte hatte gegen das von der Klägerin erwirkte Vollstreckungsabwehrurteil Berufung eingelegt. Am 22. Oktober 2019 ging bei dem Berufungsgericht um 9:40 Uhr die Erklärung der Rücknahme der Berufung ein. Um 11:00 Uhr verkündete das Gericht ein Urteil, mit dem die Berufung zurückgewiesen und auf die Anschlussberufung der Klägerin die Zwangsvollstreckung in weitergehendem Umfang für unzulässig erklärt wurde. Nachdem das Oberlandesgericht den Fehler bemerkt hatte, kündigte es den Parteien an, die Wirkungslosigkeit des Urteils durch Beschluss festzustellen. In der Folge hat die Beklagte Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Urteil eingelegt. Mit Beschluss vom 26. November 2019 hat das Berufungsgericht die Wirkungslosigkeit des Urteils festgestellt. Daraufhin hat die Beklagte die Nichtzulassungsbeschwerde für erledigt erklärt. Die Erklärung ist den Prozessbevollmächtigten der Klägerin aus zweiter Instanz nebst Hinweis gemäß § 91a Abs. 1 Satz 2 ZPO zugestellt worden. Die Klägerin hat sich nicht geäußert.
II.
2
1. Gegenstand der Erledigungserklärung der Beklagten ist die Nichtzulassungsbeschwerde, weil es der Beklagten darum geht, nach der prozessualen Überholung des Rechtsmittels eine ihr günstige Kostenentscheidung herbeizuführen. Da die Klägerin nicht widersprochen hat, ist die Nichtzulassungsbeschwerde übereinstimmend für erledigt erklärt und über ihre Kosten unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands nach billigem Ermessen analog § 91a Abs. 1 Satz 1 ZPO zu entscheiden. Dies führt dazu, dass die Beklagte die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde zu tragen hat.
3
a) Bei summarischer Prüfung erscheint zweifelhaft, ob die Nichtzulassungsbeschwerde ursprünglich zulässig war.
4
aa) Allerdings war die Nichtzulassungsbeschwerde statthaft. Das nach wirksamer Rücknahme des Rechtsmittels gleichwohl ergangene Urteil war zwar wirkungslos (Stein/Jonas/Althammer, ZPO, 23. Aufl., vor § 578 Rn. 15). Ein solches Urteil entfaltet keine materielle Rechtskraft, kann aber, wenn es nicht angefochten wird, formelle Rechtskraft erlangen. Daher kann ein wirkungsloses Urteil mit dem Rechtsmittel angefochten werden, das gegen ein rechtsfehlerfreies Urteil gleichen Inhalts gegeben wäre (BGH, Beschluss vom 5. Dezember 2005 – II ZB 2/05, WM 2006, 932 Rn. 12 mwN).
5
bb) Für die Anfechtung wirkungsloser Urteile kann demgemäß auch ein Rechtsschutzinteresse anzuerkennen sein (vgl. BGH, Urteil vom 4. Februar 1999 – IX ZR 7/98, ZIP 1999, 499 Rn. 5). Im Fall der Klage- oder Rechtsmittelrücknahme sieht die Zivilprozessordnung allerdings eine Feststellung der verfahrens- und kostenrechtlichen Folgen der Rücknahme in der jeweiligen Instanz vor. Sie sind bei der Berufungsrücknahme von Amts wegen auszusprechen (§ 516 Abs. 3 Satz 2 ZPO). Auch die Wirkungslosigkeit eines trotz wirksamer Berufungsrücknahme ergangenen Urteils ist der Klarstellung durch einen deklaratorischen Beschluss des Berufungsgerichts zugänglich (§ 525, § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO; vgl. Stein/Jonas/Roth, aaO, § 269 Rn. 44; Zöller/Greger, ZPO, 33. Aufl., § 269 Rn. 17).
6
In Anbetracht der im Streitfall bereits eingeleiteten Fehlerkorrektur in der Berufungsinstanz war ein Rechtsschutzbedürfnis für ein Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren nicht ohne weiteres anzunehmen. Denn die Feststellung der Wirkungslosigkeit des Urteils durch das Berufungsgericht stellt gegenüber einer mit gleichem Ziel eingelegten Nichtzulassungsbeschwerde die einfachere und schnellere Rechtsschutzmöglichkeit dar, die nicht mit zusätzlichen Kosten verbunden ist. Anders liegt es, wenn über die Wirksamkeit der Berufungsrücknahme Streit besteht (vgl. BGH, Urteil vom 12. Mai 1998 – XI ZR 219/97, NJW 1998, 2453, 2454) oder das Berufungsgericht von der Wirksamkeit des Urteils ausgeht oder einen klarstellenden Beschluss aus sonstigen Gründen nicht für veranlasst hält. Solches war hier nicht der Fall.
7
b) Vor diesem Hintergrund lässt die Nichtzulassungsbeschwerde auch einen Zulassungsgrund (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO) nicht erkennen. Zwar verletzt die Entscheidung über eine Berufung trotz wirksam erfolgter Rücknahme des Rechtsmittels das rechtliche Gehör des Rechtsmittelführers (vgl. BGH, Beschluss vom 13. September 2016 – VII ZR 17/14, NJW 2017, 1180 Rn. 13). Indes war ein Bedürfnis für die Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung durch das Revisionsgericht nicht ersichtlich, da das Berufungsgericht nach Bekanntwerden des Fehlers den gesetzlich möglichen Weg zu seiner Beseitigung eingeschlagen hat.
8
Soweit für die Berufung gegen ein Scheinurteil angenommen worden ist, eine Entscheidung des Rechtsmittelgerichts, mit der nur der Rechtsschein einer Entscheidung zu beseitigen ist, hänge nicht vom Vorliegen der Zulässigkeitsvoraussetzungen eines echten Rechtsmittelverfahrens ab (BGH, Beschluss vom 3. November 1994 – LwZB 5/94, NJW 1995, 404; LG Köln NJW-RR 2014, 182; aA MünchKomm-ZPO/Rimmelspacher, 6. Aufl., § 511 Rn. 13), kann dies auf das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren und das Erfordernis eines Revisionszulassungsgrundes nicht übertragen werden (vgl. BGH, Beschluss vom 14. April 2020, VI ZB 64/19, MDR 2020, 877 für das Rechtsbeschwerdeverfahren). Eine zulassungsfreie Revision gegen Schein- und wirkungslose Urteile sieht das Gesetz nicht vor.
9
c) Eine Belastung der Klägerin mit Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens entspricht nach dem Grundgedanken des § 93 ZPO auch deshalb nicht billigem Ermessen, weil sie das Verfahren nicht veranlasst hat. Die infolge der – kurzfristig vor dem Verkündungstermin erklärten – Rücknahme des Rechtsmittels eingetretenen Wirkungen hat die Klägerin nicht in Abrede gestellt. Hatte das Berufungsgericht die Parteien auf die beabsichtigte Feststellung der Wirkungslosigkeit des Urteils hingewiesen, konnte die Klägerin davon ausgehen, dass der Schein des Urteils alsbald beseitigt wird und der Beklagten aus ihm keine Nachteile entstehen, ohne dass sie zur Vermeidung eines Rechtsmittelverfahrens selbst tätig werden musste.
10
2. Die Entscheidung über die Gerichtskosten folgt aus § 21 Abs. 1 Satz 1 GKG.
Grupp     
        
Möhring     
        
Schultz
        
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Harms     
        


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