Kosten- und Gebührenrecht

Kostenerstattung – Rechtsanwalt am dritten Ort

Aktenzeichen  11 W 1187/20

Datum:
9.11.2020
Fundstelle:
AnwBl – 2021, 110
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 91

 

Leitsatz

1. Eine Partei, die eine Vielzahl von gleichgelagerten Prozessen im gesamten Bundesgebiet führt, ist nicht gehalten, jeweils erneut einen Prozessbevollmächtigten am Prozessort zu suchen und diesen neu zu instruieren; sie kann die Führung der Prozesse einem Rechtsanwalt überlassen, ohne kostenrechtliche Nachteile zu erleiden. (Rn. 18 – 20) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Partei ist allerdings kostenrechtlich gehalten, vor Einleitung der Prozesse nach einem geeigneten Rechtsanwalt an ihrem Sitz zu suchen; ist ein solcher vorhanden, sind Mehrkosten, die durch die Beauftragung eines Rechtsanwalts am dritten Ort entstehen, nicht erstattungsfähig.  (Rn. 21 – 25) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

41 O 9718/19 2020-01-17 Endurteil LGMUENCHENI LG München I

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
3. Der Wert der Beschwerde beträgt 244,79 €.
4. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

I.
Der in … ansässige Kläger machte mit seiner vor dem Landgericht München I erhobenen Klage Ansprüche auf Rückabwicklung eines Leasingvertrages aufgrund eines von ihm als Verbraucher erklärten Widerrufs geltend.
Bei der Beklagten handelt es sich um eine mit einem bayerischen Automobilkonzern in Verbindung stehende und bundesweit tätige Bank mit Geschäftssitz in München, mit der Durchführung des Rechtsstreits beauftragte sie Prozessbevollmächtigte aus Koln, die sie auch in anderen Fällen mandatiert.
Das Landgericht wies die Klage mit Endurteil vom 17.01.2020 ab (Bl. 63/72 d.A.) und legte die Kosten des Rechtsstreits dem Kläger auf; die Berufung blieb ohne Erfolg.
Mit Kostenfestsetzungsantrag betreffend die erste Instanz vom 21.01.2020 (Bl. 73/74 d.A.) machte die Beklagte für die Wahrnehmung des Gerichtstermins am 14.01.2020 in München auch die Fahrtkosten ihrer aus Köln angereisten Anwältin in Höhe von 289,59 € geltend.
Der Kläger trat dem unter Verweis darauf entgegen, die Beklagte habe ihren Sitz am Ort des Prozessgerichts, beides in München; die Beauftragung einer Kanzlei aus Köln sei nicht notwendig gewesen, da auch in Munchen ausreichend qualifizierte Rechtsanwälte vorhanden seien.
Demgegenüber beruft die Beklagte sich darauf, sie führe bundesweit gerichtliche Verfahren und bediene sich hierzu seit vielen Jahren ihrer auf Leasingfragen spezialisierter Prozessbevollmächtigten; diese verfügten über einen profunden Einblick in Struktur, Organisation und Vertragsabläufe bei der Klägerin und seien daher als ihre „Hausanwälte“ anzusehen. Es bestehe ein tiefes Vertrauensverhältnis, welches bei Beauftragung von Rechtsanwälten jeweils vor Ort nicht gegeben wäre. Dieses Vertrauensverhältnis und die Organisationsstruktur seien nach höchstrichterlicher Rechtsprechung auch kostenrechtlich zu respektieren. Die Prozessbevollmächtigten der Beklagten seien damit in der Lage, die übergebenen Fälle ohne bzw. mit nur einer kurzen Besprechung bei der Klägerin telefonisch umfassend und sachgerecht zu bearbeiten. Andernfalls musse die Beklagte einzig zur Instruktion der jeweiligen Rechtsanwälte weitere Mitarbeiter vorhalten, was nicht gefordert werden könne.
Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 07.07.2020 (Bl. 128/129 d.A.) setzte das Landgericht die vom Kläger an die Beklagte zu erstattenden Kosten der I. und II. Instanz fest; als Reisekosten berücksichtigte die Rechtspflegerin dabei nur die fiktiven Kosten eines Anwaltes von einem am weitesten vom Gerichtsgebäude entfernt liegenden Ort innerhalb des Gerichtsbezirks, mithin Fahrtkosten in Hohe von 19,80 € und eine Abwesenheitspauschale in Höhe von 25,00 €. Zur Begründung verwies sie im Wesentlichen auf die Entscheidung des OLG München vom 04.02.2020 – 11 W 1542/19, JurBüro 20,134, die gleichfalls zu anwaltlichen Reisekosten der hiesigen Beklagten ergangen war
In ihrer dagegen gerichteten sofortigen Beschwerde macht diese geltend, nach den von der Rechtsprechung erarbeiteten Grundsätzen zum sog. „Hausanwalt“ seien hier auch die höheren Reisekosten des „Rechtsanwalts am dritten Ort“ zur Terminswahrnehmung erstattungsfähig: Zwar mögen am Geschäftssitz der Beklagten weitere Kanzleien mit Spezialisierung auf das Bank- und Kapitalmarktrecht ansässig sein; die Kanzlei in Köln werde jedoch nicht nur aufgrund ihrer speziellen Ausrichtung auf das Leasingrecht (einer Untergruppe des Bank- und Kapitalmarktrechts, die auch nicht von allen Fachanwälten für Bank- und Kapitalmarktrecht abgedeckt werde) beauftragt, sondern auch weil sie über die Zertifizierung „ISO/IEC 27001:2013“ verfüge; sie sei mit der Beklagten und umgekehrt bezüglich des Daten- und Informationsaustausches systemmäßig vernetzt und hier müssten „extrem hohe“ Anforderungen an die Datensicherheit erfüllt sein. Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens, insbesondere zu der digitalen Vernetzung zwischen Anwalt und Mandant, wird auf den Inhalt des Schriftsatzes vom 21.07.2020 Bezug genommen.
In ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 21.09.2020 (vgl. Bl. 151/158 d.A.) bringt die Beklagte überdies auch verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Nichtberücksichtigung der Reisekosten vor Durch die Begrenzung von deren Erstattung werde die Postulationsfähigkeit ihrer Prozessbevollmächtigten eingeschränkt, was im Widerspruch zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 13.12.2000 – 1 BvR 335/97 stehe; dieses habe die in § 25 BRAO a.F. angeordnete Singularzulassung als mit Art. 12 Abs. 1 GG unvereinbar erklärt. Aufgrund der Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und Patentanwälte vom 17.12.1999 könnten Rechtsanwälte an jedem Amts- und Landgericht und mittlerweile auch an jedem Oberlandesgericht in Deutschland auftreten. Der Änderung des Lokalisationsprinzips und der fortschreitenden Technisierung trage ferner der 2013 neu geschaffene § 128 a ZPO Rechnung. Die freie Berufsausübung der Rechtsanwälte würde eingeschränkt, wenn diese Mandate – allein aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten – abgelehnt werden müssten, weil die Reisekosten nicht, womöglich auch nicht gegen die eigene Partei gemäß § 11 RVG, festgesetzt würden. Im Hinblick auf die freie Mandatswahl würde somit auch die in Art. 2 Abs. 1 GG gewährte Privatautonomie in unzulässig eingeschränkt
II.
Die sofortige Beschwerde ist zulässig (§§ 104 Abs. 3, 567, 569 ZPO)
Das Rechtsmittel bleibt jedoch in der Sache ohne Erfolg. Zu Recht hat das Landgericht die beantragten Reisekosten der Prozessbevollmächtigten der Beklagten nur im Sinne des BGH-Beschlusses vom 09.05.2018 – I ZB 62/17, begrenzt auf die Höhe der fiktiven Reisekosten eines Anwaltes an dem am weitesten vom Gerichtsort entfernt gelegenen Ort innerhalb des Gerichtsbezirks zuerkannt.
1. Die Auslagen und Reisekosten eines im Gerichtsbezirk ansässigen Prozessbevollmächtigten sind gemäß § 91 Abs. 2, S. 1, 1. Hs ZPO stets und ohne weitere Prüfung in vollem Umfang erstattungsfähig.
2. Nach § 91 Abs. 2, S. 1, 2. Hs ZPO hat die unterliegende Partei auch die dem Gegner erwachsenen Reisekosten für einen nicht im Gerichtsbezirk des Prozessgerichts niedergelassenen Rechtsanwaltes zu erstatten, soweit die Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig war. Nach ständiger Rechtsprechung sind dabei grundsätzlich auch die Fahrtkosten eines Rechtsanwaltes am Wohn- oder Geschäftssitz der Partei als notwendig und damit erstattungsfähig anzusehen (Ausnahme: Ein eingehendes Mandantengespräch ist für die Prozessführung nicht erforderlich), vgl. zuletzt etwa BGH, Beschl. v. 27.02.2018 – II ZB 23/16 Tz 11 m.w.N.)
3. Hier hat die Beklagte eine weder am Gerichts – noch an ihrem Geschäftssitz ansässige Anwaltskanzlei gewählt, mithin einen „Rechtsanwalt am dritten Ort“.
Die damit verbundenen Mehraufwendungen sind nur in Ausnahme fällen erstattungsfähig, siehe z.B. BGH, Beschl. v. 27.02.2018 – II ZB 23/16 Tz 11 ff.; Beschl. v. 12.12.2012 – IV ZB 18/12 Tz 20; Beschl. v. 08.03.2012 – IX ZB 174/10 Tz 12; Beschl. v. 21.12.2011 – I ZB 47/09 Tz 9; Beschl. v. 20.12.2011 – XI ZB 13/11; zum Ganzen auch Gerold/Schmitt-Müller-Rabe, RVG, 24. Aufl., VV Nr. 7003-7006 Rn. 137 ff., 139 ff.).
a) Ein derartiger Ausnahmefall kann vorliegen, wenn eine Partei einen Spezialanwalt benötigt, an ihrem Sitz ein solcher jedoch nicht vorhanden ist, wenn die unternehmensinterne Bearbeitung an einem anderen Ort als dem Geschäftssitz erfolgt (BGH, Beschl. v. 07.06.2011 – VIII ZB 102/08) oder wenn – wirklich einmal – die Kriterien für die Annahme eines sog. „Hausanwaltes“ vorliegen sollten – vgl. die hierzu häufig bemühte Ausgangsentscheidung des BGH, Beschl. v. 28.06.2006 – IV ZB 44/05 und dazu Senat, Beschl. v 04.02.2020 – 11 W 1542/20, JurBüro 20,134 Es kommt dabei im Rahmen der Kostenerstattung auf die tatsächliche Organisation des Unternehmens der Partei und nicht darauf an, welche Organisation als zweckmäßiger anzusehen sein könnte; wenn etwa ein bundesweit tätiger Versicherer nach endgültiger Leistungsablehnung seine Akten einem Rechtsanwalt überlässt, der aufgrund ständiger Geschäftsbeziehungen derartige Verfahren weiter bearbeitet, hat der unterliegende Prozessgegner diese Betriebsorganisation hinzunehmen Hingegen rechtfertigt eine – hier zweifellos erfolgte – Vorbefassung, d.h. die Tatsache, dass der auswärtige Anwalt bereits vorprozessual in derselben Angelegenheit tätig war, eine Erstattungsfähigkeit der Mehrkosten nicht (BGH, Beschl. v. 12.12.2002 – I ZB 29/02; v 20.12.2011 – XI ZB 13/11), ebenso wenig ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen Anwalt und Mandant (BGH, Beschl. v. 21.12.2011 – I ZB 47/09 Tz 9; Beschl. v. 20.12.2011 – XI ZB 13/11 Tz 14).
b) Der Gesichtspunkt einer Spezialisierung trägt die Annahme eines Ausnahmefalles hier nicht: Die Beauftragung von Prozeßbevollmächtigten in Köln wäre notwendig, wenn ein vergleichbarer ortsansässiger Rechtsanwalt nicht beauftragt werden kann (BGH, Beschluss vom 20.12.2011 – XI ZB 13/11). Davon kann hier nicht ausgegangen werden: Gerichtsbekannt und von den Parteien auch unbestritten finden sich in München auf Bankenrecht spezialisierte Kanzleien. Die Beschwerdeführerin selbst räumt ein, sie beauftrage regelmäßig – wenngleich für Darlehensangelegenheiten – eine Rechtsanwaltskanzlei aus München als „Hausanwälte“. Nach seiner Kenntnis der Rechtsanwaltschaft im Raum München ist der Senat davon überzeugt, dass es hier auf das Bankenrecht spezialisierte und ausreichend qualifizierte Kanzleien gibt, die bei entsprechender Beauftragung durch eine häufiger mit Rechtsstreitigkeiten befasste Bank auch die erforderliche technische Infrastruktur, einschließlich der beschriebenen ISO-Zertifizierung, vorzuhalten in der Lage sind, entweder weil eine solche bereits vorhanden ist oder im Rahmen der Mandatsbeziehung entsprechend den Wünschen der Mandantin aufgebaut werden kann.
c) Ein Ausnahmefall im genannten Sinne kann ferner dann gegeben sein, wenn eine Partei, die eine Vielzahl von gleichgelagerten Prozessen im gesamten Bundesgebiet führt, die Wahrnehmung ihrer Belange in die Hände eines Rechtsanwaltes gibt (BGH, Beschluss vom 27.02.2018 – II ZB 23/16; Senat, Beschl. v 10.12.2015 – 11 W 2293/15; v. 07.08.2014 – 11 W 1308/14, so schon zutreffend KG Berlin, Beschl. v. 24.10.2007 – 2 W 114/07 Tz 9).
Davon ist hier auszugehen:
Die Beklagte ist in bei vorliegende Konstellation nicht gehalten, für die Vielzahl von im gesamten Bundesgebiet zu führenden ähnlich gelagerten Prozessen jeweils erneut einen Prozessbevollmächtigten am Prozessort zu suchen und diesen neu zu instruieren. Damit liegt ein Ausnahmefall vor, d.h. kostenrechtlich wird die Hinzuziehung eines weder am Gerichts – noch am Geschäftssitz ansässigen Anwaltes akzeptiert (was noch nicht heißt, dass jeder beliebige Ort einer solchen Kanzlei akzeptiert wird – dazu sogleich unter 4.) Die Beklagte mag sich eines Prozeßbevollmächtigten bedienen, der über einen Gesamtüberblick über sämtliche Verfahren bei unterschiedlichen Gerichten verfügt und beispielsweise auf neue Entwicklungen tatsächlicher oder rechtlicher Art reagieren kann (siehe BGH, Beschl. v. 27.02.2018 – II ZB 23/16 Tz 11 ff.; Müller-Rabe, a.a.O., VV Nr. 7003-7006 Rn. 143).
4. Soweit nach diesen Grundsätzen die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes am dritten Ort als notwendig und damit verbundene Mehrkosten als grundsätzlich erstattungsfähig anzusehen sind, stellt sich die Frage, ob die hierdurch ausgelösten Mehrkosten automatisch in voller Höhe erstattungsfähig sind (so z.B. Müller-Rabe, a.a.O., VV Nr. 7003-7006 Rn. 139).
a) Nach Ansicht des Senates geht dies zu weit:
Wenn am Geschäftssitz der Partei ebenfalls Rechtsanwälte vorhanden sind, die in der Lage wären, die Funktion als „Hausanwalt“ zu übernehmen, so sind erstattungsfähig nur die Reisekosten eines (fiktiven) Anwaltes, dessen – wiederum fiktiver – Kanzleisitz an dem vom Gerichtsgebäude am weitesten entfernten Ort innerhalb des Gerichtsbezirkes liegt.
Der BGH hat diese Frage offengelassen bzw. musste sie nicht beantworten (Beschl. v. 28.06.2006 – IV ZB 44/05 Tz 14; v. 27.02.2018 – II ZB 23/16 Tz 14); in Rechtsprechung und Schrifttum wird sie, soweit ersichtlich, kaum behandelt.
b) Der Senat folgt insoweit dem OLG Düsseldorf in dessen Beschluss vom 15.03.2007 – 10 W 145/06 (s. auch den bereits zitierten Senatsbeschluss vom 04.02.2020 – 11 W 1542/19, JurBüro 20, 134 ff.). Danach führt das Vorliegen der Voraussetzungen für die Annahme eines „Hausanwaltes“ nicht dazu, dass Mehrkosten, die daraus resultieren, dass dieser nicht am Ort des Geschäftssitzes der Partei ansässig ist, stets automatisch zu erstatten sind, sofern auch am Geschäftssitz der Partei ein gleichwertiger „Hausanwalt“ auffindbar ist. So liegt der Fall hier – diesbezüglich wird auf die obigen Ausführungen zu 3. b) Bezug genommen: Der Gedanke, wonach eine kostenorientierte Partei schon vorprozessual einen in ihrer Nähe befindlichen Rechtsanwalt einzuschalten hat, greift auch in vorliegender Konstellation (vgl. BGH, Beschl. v. 20.12.2011 – XI ZB 13/11 Tz 11). Selbstverständlich besteht insoweit keinerlei „Zwang“; eine Partei ist bei der Anwaltswahl völlig frei – es geht lediglich darum, ob ein erstattungspflichtiger Prozeßgegner aus der Wahl eines bestimmten Anwaltes resultierende Mehrkosten zu tragen oder die Partei hierfür selbst aufzukommen hat
5. Die von der Rechtspflegerin im Kostenfestsetzungsbeschluss in Ansatz gebrachten fiktiven Reisekosten in Höhe von 44,80 € für die Fahrtstrecke von Aying nach München (einfach 33 km) einschließlich einer Abwesenheitspauschale von 25,00 € sind demnach nicht zu beanstanden:
Nach BGH, Beschl. v. 09.05.2018 – I ZB 62/17, dessen Bewertung sich der Senat angeschlossen hat, sind die tatsächlich angefallenen Reisekosten des auswärtigen Rechtsanwalts dann, wenn die Hinzuziehung eines auswärtigen Rechtsanwalts zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nicht notwendig im Sinne von § 91 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 ZPO war, zumindest insoweit erstattungsfähig, als sie entstanden wären, wenn die obsiegende Partei einen Rechtsanwalt mit Niederlassung am vom Gericht am weitest entfernten Ort innerhalb des Gerichtsbezirks beauftragt hätte. Dieser Grundsatz muss auch in hiesiger Konstellation gelten.
6. Die von der Beschwerde aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen eine nur beschränkte Erstattungspflicht der Reisekosten greifen vorliegend nicht durch: Es ist bereits unzutreffend, dass der mandatierte Rechtsanwalt selbst finanzielle Nachteile durch die nur beschränkte Erstattungspflicht erleide. Zu trennen ist nämlich zwischen dem Anfall der Kosten bzw Auslagen im Verhältnis Anwalt/Mandant (Frage des RVG) und der Erstattungsfähigkeit dieser Kosten gegenüber dem Prozessgegner im Kostenfestsetzungsverfahren gemäß §§ 91 ff ZPO. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin können die Reisekosten des Prozessbevollmächtigten, ordnungsgemäße Beauftragung vorausgesetzt, dem Mandanten nach dem RVG unbeschränkt in Rechnung gestellt und gegebenenfalls auch gemäß § 11 RVG gegen diesen festgesetzt werden. Letztlich ist es eine Entscheidung der Partei selbst, ob sie das Risiko eingehen will, durch die Beauftragung eines Rechtsanwaltes am dritten Ort dessen höhere Reisekosten tragen zu müssen. Gerade hier mag die Beklagte hierdurch auch Vorteile haben, etwa wenn sie einen Prozess in Hamburg führt. Die Reisekosten der Anwälte in Köln sind dann niedriger, als solche aus München es wären (was etwa zum Tragen kommt, wenn die Beklagte erstattungspflichtig ist).
Die Postulationsfähigkeit oder gar Berufsfreiheit des beauftragten Rechtsanwaltes sieht der Senat hierdurch nicht beeinträchtigt (vgl. bereits BGH, Beschluss vom 22.02.2007 – VII ZB 93/06 Tz. 12). Es bleibt einer Partei völlig unbenommen, jeden Rechtsanwalt im Bundesgebiet zu beauftragen; davon zu trennen ist indes die Frage, inwiefern die erstattungspflichtige Partei die entsprechenden Mehrkosten tragen sollte
7. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
8. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung des genauen Umfangs der Pflicht, die Reisekosten eines sog. „Rechtsanwaltes am dritten Ort“ zu erstatten, insbesondere bei Bejahung der Voraussetzungen etwa eines „Hausanwaltes“, war die Rechtsbeschwerde hier nach § 574 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3 ZPO antragsgemäß zuzulassen
Der Fall liegt besonders, weil hier einerseits die Voraussetzungen eines Ausnahmefalles vorliegen, in dem grundsätzlich ohne kostenrechtlichen Obliegenheitsverstoß ein Rechtsanwalt am dritten Ort beauftragt werden durfte; nachdem sich andererseits der Geschäftssitz der Beklagten in München befindet, ist nicht einzusehen, warum der Kläger die Reisekosten erstatten soll, die daraus resultieren, dass die Beklagte ihren „Hausanwalt“ nicht ebenfalls an ihrem Sitz hat. Es liegt auch kein Widerspruch insofern vor, als hier ein „Hausanwalt“ erstattungsrechtlich dem Grunde nach zugebilligt wird, dessen Mehrkosten im konkreten Fall aber doch nicht festsetzungsfähig sind: Die Beurteilung fiele nämlich wohl anders aus, wenn die Beklagte etwa in Landshut, Stuttgart, Dresden oder Bremen prozessieren würde: Im letzteren Fall würde sich eine erstattungspflichtige Partei dort bereits nicht dagegen wenden, dass die Prozeßbevollmächtigten der Beklagten aus Köln anreisen und nicht aus München.
Demnach führt eine auf den Einzelfall bezogene Erwägung (vgl. BGH, Beschl. v. 27.02.2018 – II ZB 23/16 Tz 11 a.E.) hier zu einer Zurückweisung des Rechtsmittels.
Die damit zusammenhängende Frage, ob – falls die Beauftragung eines Anwaltes am dritten Ort deshalb statthaft ist, weil am Sitz der Partei kein spezialisierter Rechtsanwalt vorhanden ist – jeder noch so weit entfernte im Bundesgebiet gewählt werden kann oder eine gewisse (nicht einfach zu definierende) Nähe zu berücksichtigen ist, stellt sich hier nicht.
Verfügung
1. Beschluss vom 09.11.2020 hinausgeben an:
Prozessbevollmächtigte des Beschwerdegegners …
formlos
Prozessbevollmächtigte der Beschwerdeführerin … rechtsanwaelte
formlos
2. Schlussbehandlung


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