Kosten- und Gebührenrecht

Nichtannahmebeschluss: Unzureichende Substantiierung (§§ 23 Abs 1 S 2, 92 BVerfGG) einer Urteilsverfassungsbeschwerde – hier: Festsetzung des Streitwerts in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren im Bereich der Telekommunikationsregulierung – Maßgeblichkeit der wirtschaftlichen Bedeutung der Sache in Verfahren wegen Erhöhung reziproker Entgelte bzw auf Genehmigung nicht reziproker Entgelte – Notwendigkeit der Festsetzung eines niedrigeren Streitwerts nicht dargelegt

Aktenzeichen  1 BvR 1393/10

Datum:
8.12.2011
Gerichtsart:
Dokumenttyp:
Nichtannahmebeschluss
ECLI:
ECLI:DE:BVerfG:2011:rk20111208.1bvr139310
Normen:
Art 19 Abs 4 GG
Art 20 Abs 3 GG
Art 2 Abs 1 GG
Art 3 Abs 1 GG
§ 23 Abs 1 S 2 BVerfGG
§ 92 BVerfGG
§ 52 Abs 1 GKG 2004
TKG 2004
Spruchkörper:
1. Senat 1. Kammer

Verfahrensgang

vorgehend VG Köln, 22. April 2010, Az: 1 K 8454/08, Beschluss

Gründe

I.
1
Die Beschwerdeführerin, ein Telekommunikationsunternehmen, wendet sich gegen die nach Rücknahme der Klage erfolgte Festsetzung
des Streitwerts auf 12.960.000 € in einem von ihr gegen die Bundesnetzagentur geführten verwaltungsgerichtlichen Verfahren.
Gegenstand des Verfahrens war das Begehren der Beschwerdeführerin auf Erhöhung von Terminierungsentgelten gegenüber einem
marktmächtigen Telekommunikationsunternehmen um einen Aufschlag für sogenannte Migrationskosten. Die Beschwerdeführerin macht
geltend, dass das Verwaltungsgericht bislang den Streitwert in vergleichbaren Streitigkeiten regelmäßig auf 50.000 € festgesetzt
habe. Dies sei auch in ihrem Fall durch vorläufige Festsetzung des Gerichts zunächst so geschehen. Der Anspruch auf Justizgewährung
aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG sowie auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG unter Berücksichtigung
der von Verfassungs wegen gebotenen Chancengleichheit der Marktteilnehmer im Telekommunikationssektor gebiete eine pauschalisierte,
schematisierte und vorhersehbare Streitwertfestsetzung im Sinne der bisherigen Praxis des Verwaltungsgerichts. Die überraschende
Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts sei hingegen weder vorhersehbar gewesen noch vertretbar, so dass auch Art. 3
Abs. 1 GG verletzt sei.

II.
2
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG
nicht vorliegen. Die Verfassungsbeschwerde ist mangels einer den Anforderungen von § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG genügenden
Begründung unzulässig.

3
1. Eine substantiierte Begründung im Sinne der § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG erfordert, dass die Beschwerdeführerin die
Möglichkeit einer Verletzung ihrer Grundrechte oder grundrechtsgleichen Rechte hinreichend deutlich aufzeigt (vgl. BVerfGE
6, 132 ; 20, 323 ; 28, 17 ; 89, 155 ; 98, 169 ). Dabei hat die Beschwerdeführerin auch darzulegen,
inwieweit das bezeichnete Grundrecht durch die angegriffene Maßnahme verletzt sein soll (vgl. BVerfGE 99, 84 ) und mit
welchen verfassungsrechtlichen Anforderungen die Maßnahme kollidiert (vgl. BVerfGE 108, 370 ).

4
2. a) Das Verwaltungsgericht hat den Streitwert im Einklang mit der gesetzlichen Regelung des § 52 Abs. 1 GKG nach dem von
dieser nicht in Abrede gestellten wirtschaftlichen Interesse der Beschwerdeführerin an der erhobenen Klage festgesetzt. Grundsätzlich
begegnet es keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn der Gesetzgeber den für die Bemessung der Gebühren maßgebenden Streitwert
anhand eines unbestimmten Rechtsbegriffs wie in § 52 Abs. 1 GKG an der Bedeutung der Streitsache und damit am Wert des geltend
gemachten prozessualen Anspruchs orientiert (vgl. BVerfGE 11, 139 ; 85, 337 ; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des
Ersten Senats vom 26. März 1999 – 1 BvR 1431/90 -, NVwZ 1999, S. 1104; BVerfGK 10, 148 ) und die Gerichte den Streitwert
dementsprechend bestimmen.

5
b) aa) Die Beschwerdeführerin hat nicht hinreichend dargetan, dass von Verfassungs wegen, insbesondere mit Rücksicht auf den
Anspruch auf Zugang zu den Gerichten und effektiven Rechtsschutz, in regulierungsrechtlichen Streitigkeiten nach dem Telekommunikationsgesetz
eine Anpassung, Pauschalierung oder Begrenzung der Streitwerte auf Beträge erforderlich ist, die wesentlich unterhalb der
wirtschaftlichen Bedeutung der Sache für die Kläger liegen. Insbesondere hat die Beschwerdeführerin nicht den Anforderungen
der § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG entsprechend dargelegt, dass Wettbewerber der marktbeherrschenden Unternehmen mangels
ausreichender Finanzkraft regelmäßig nicht in der Lage sind, die Gerichts- und gesetzlichen Anwaltsgebühren zu tragen, die
sich aus einer Bemessung des Streitwerts nach dem im Verfahren verfolgten wirtschaftlichen Ziel ergeben, oder dass solche
Wettbewerber durch eine entsprechende Streitwertfestsetzung abgeschreckt werden, ihre Ansprüche im Klagewege zu verfolgen.
Ebenso wenig hat die Beschwerdeführerin Anhaltspunkte dafür aufgezeigt, dass wirtschaftlich schwächere Unternehmen im Telekommunikationssektor
ihre Rechte nur dann wirksam vor Gericht verfolgen können, wenn der Streitwert regelmäßig auf einen bestimmten Höchstbetrag
begrenzt wird. Die Beschwerdeführerin hat auch in keiner Weise dargetan, nach ihren Vermögensverhältnissen nicht in der Lage
zu sein, bei einer Streitwertfestsetzung entsprechend ihrem wirtschaftlichen Interesse anfallende Kosten tragen zu können.
Ausführungen zur wirtschaftlichen Größe der aus mehreren lokalen Energieversorgungsunternehmen bestehenden Beschwerdeführerin
sind der Beschwerdebegründung nicht zu entnehmen.

6
bb) Mangels hinreichenden Vorbringens der Beschwerdeführerin kann auch nicht festgestellt werden, dass die in Ansehung des
§ 52 Abs. 1 GKG mindestens vertretbare Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts von dessen bisheriger oder einer allgemeinen
Praxis der Verwaltungsgerichte abweicht und aus diesem Grund für die Beschwerdeführerin in einer möglicherweise den allgemeinen
Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG oder den Anspruch der Beschwerdeführerin auf effektiven Rechtsschutz beeinträchtigenden
Weise (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 26. März 1999 – 1 BvR 1431/90 -, NVwZ 1999, S. 1104) nicht
vorhersehbar gewesen ist. In der Tat zwar sind die Gerichte nicht nur bei der Anwendung des materiellen Rechts sondern auch
bei der Streitwertfestsetzung zu einer sachlich begründeten, gleichförmigen Auslegung der maßgeblichen Bestimmungen verpflichtet.
Sie müssen so dafür Sorge tragen, dass der Streitwert nicht zu einem selbst von der Größenordnung her unvorhersehbaren Faktor
des Prozesskostenrisikos wird. Dass die angegriffenen Entscheidungen dem nicht genügen, hat die Beschwerdeführerin jedoch
nicht hinreichend substantiiert dargelegt. Anderes ergibt sich auch nicht aus der ausdrücklich nur “vorläufigen” und damit
offensichtlich nicht bindenden Streitwertfestsetzung durch den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 12. Januar 2008. Zwar
hat die Beschwerdeführerin sich auf Streitwertfestsetzungen des erkennenden Verwaltungsgerichts sowie anderer Verwaltungsgerichte
bezogen, mit denen der Streitwert vor allem in Verfahren nach § 35 TKG jeweils pauschal auf 50.000 € festgesetzt worden ist,
ohne eine etwaige Abweichung von der zwingenden Regelung des § 52 Abs. 1 GKG mit mehr als einem Hinweis auf die Festsetzung
“in vergleichbaren Verfahren” oder “in Verfahren auf Erteilung einer Entgeltgenehmigung nach der Rechtsprechung der Kammer”
zu begründen. Die Beschwerdeführerin hat jedoch nicht dargetan, dass diese Verfahren unter Berücksichtigung ihres Gegenstands
und des Interesses der dortigen Kläger mit der von ihr erhobenen Klage vergleichbar sind, mit der sie die Neubescheidung ihres
Antrags auf Anordnung eines nicht reziproken Entgelts zum Ausgleich von Migrationskostennachteilen begehrt hat. Insbesondere
hat die Beschwerdeführerin sich nicht damit auseinandergesetzt, dass sowohl das über die angegriffene Streitwertfestsetzung
entscheidende Verwaltungsgericht als auch andere Verwaltungsgerichte den Streitwert bei Anträgen auf Erhöhung reziproker Entgelte
sowie auf Genehmigung nicht reziproker Entgelte ebenfalls ausschließlich nach dem wirtschaftlichen Interesse des jeweiligen
Antragstellers bemessen haben (vgl. VG Köln, Beschluss vom 28. Januar 2004 – 1 L 3169/03 -, juris; OVG NRW, Beschlüsse vom
3. Juni 2004 – 13 B 351/04, 13 B 337/04 -, juris; ferner VG Köln, Beschluss vom 6. Januar 2010 – 1 L 1576/09 -, juris). Damit
ist eine verfassungsrechtlich erhebliche Abweichung von einer ihr günstigeren verwaltungsgerichtlichen Praxis nicht hinreichend
dargetan.

7
Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

8
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.


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