Kosten- und Gebührenrecht

Streitwert für die Erteilung von Aufenthaltstiteln für mehrere Familienangehörige

Aktenzeichen  10 C 17.1637, 10 C 17.1639

Datum:
8.2.2019
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 2226
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GKG § 52 Abs. 1, Abs. 2, § 68 Abs. 1
AufenthG § 25 Abs. 3, § 81 Abs. 1, Abs. 5

 

Leitsatz

1 Die Ausstellung einer Fiktionsbescheinigung hat gegenüber der Erteilung eines Aufenthaltstitels iSv § 52 Abs. 1 GKG keine eigenständige Bedeutung mehr. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
2 Begehren sieben Kläger je eine (eigene) Aufenthaltserlaubnis, liegen sieben selbstständige Streitgegenstände vor; das Aufenthaltsrecht ist personen- und nicht familienbezogen, jede Person benötigt für sich einen eigenen Aufenthaltstitel. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
3 Die frühere Rechtsprechung zur gelegentlichen Anwendung eines “Familienabschlags” bei einem gemeinsamen Rechtsschutzinteresse mehrerer Familienangehöriger wurde aufgegeben. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
4 Liegen sieben verschiedene Streitgegenstände vor, sind deren Werte für die abschließende Streitwertfestsetzung zu addieren; für zusätzliche erhobene Eilverfahren ist vom halben Auffangstreitwert für jeden Antragsteller auszugehen. (Rn. 10 – 11) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 24 E 17.643, M 24 K 17.642 2017-04-12 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Verfahren 10 C 17.1637 und 10 C 17.1639 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
II. Die Beschwerden werden zurückgewiesen.

Gründe

Mit ihren Beschwerden wenden sich die Kläger und Antragsteller gegen die Streitwertfestsetzungen jeweils in Nr. III der Beschlüsse des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 12. April 2017 in den Verfahren M 24 K 17.642 und M 24 E 17.643. Sie sind der Meinung, die festgesetzten Streitwerte von 35.000,- Euro bzw. 17.500,- Euro seien überhöht, und beantragen die Festsetzung auf 5.000,- Euro bzw. 2.500,- Euro.
Über die gemäß § 93 Satz 1 VwGO zu gemeinsamen Entscheidung verbundenen Beschwerden entscheidet gemäß § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 6 Satz 1 Halbs. 2 GKG der Berichterstatter als Einzelrichter, da die angefochtenen Beschlüsse jeweils vom Einzelrichter (§ 6 VwGO) erlassen wurden.
Die Streitwertbeschwerden sind nach § 68 Abs. 1 Satz 1 und 3 GKG zulässig, jedoch nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat in beiden Fällen den Streitwert richtig festgesetzt.
In verwaltungsgerichtlichen Streitsachen ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen (§ 52 Abs. 1 GKG). Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist gemäß § 52 Abs. 2 GKG ein Streitwert von 5000,- Euro anzunehmen (sog. Auffangwert).
a) Die von den Klägern am 16. Februar 2017 erhobene Klage (M 24 K 17.642) richtete sich nach dem Klageantrag darauf, den Beklagten zu verpflichten den Klägern – erstens – eine „Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 1 AufenthG“ und – zweitens – einen „Ausweis nach § 25 Abs. 3 AufenthG“ auszustellen. Der Klagebegründung ist zu entnehmen (§ 88 VwGO), dass sie die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen nach § 25 Abs. 3 AufenthG erreichen wollten.
Ist Klagegegenstand die Erteilung eines Aufenthaltstitels, wird in ständiger Rechtsprechung entsprechend der Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung der am 31. Mai/1. Juni 2012 und am 18. Juli 2013 beschlossenen Änderungen (Streitwertkatalog) als Streitwert der Auffangwert von 5.000,- Euro festgesetzt (vgl. Nr. 8.1 des Streitwertkatalogs). Die Ausstellung einer Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 5 (nicht Abs. 1) AufenthG hat gegenüber der Erteilung eines Aufenthaltstitels im Sinn des § 52 Abs. 1 GKG keine eigenständige Bedeutung mehr. Das Verwaltungsgericht ist daher zu Recht von einem Streitwert von 5.000,- Euro je Kläger ausgegangen.
Ebenso zu Recht hat das Verwaltungsgericht diesen Streitwert für jeden der sieben Kläger angenommen und die Beträge zusammengerechnet. Denn nach § 39 Abs. 1 GKG werden in demselben Verfahren und in demselben Rechtszug die Werte mehrerer Streitgegenstände zusammengerechnet, wenn nichts anderes bestimmt ist. Da im Gerichtskostengesetz hinsichtlich des vorliegenden Falls keine anderweitige Bestimmung enthalten ist, sieht Nr. 1.1.3 des Streitwertkatalogs vor, dass bei gemeinschaftlichen Klagen mehrerer Kläger die Werte der einzelnen Klagen zu addieren sind, es sei denn sie begehren oder bekämpfen eine Maßnahme als Rechtsgemeinschaft, denn dann sind die Streitgegenstände wirtschaftlich identisch (BVerwG, B.v. 28.1.1991 – 1 B 95.90 – juris Rn. 12; BayVGH, U.v. 7.3.2017 – 10 B 16.992 – juris Rn. 49). Eine solche Rechtsgemeinschaft liegt hier jedoch nicht vor; denn eine Aufenthaltserlaubnis für mehrere Personen, sei es auch eine Familie, existiert nach der Systematik des Aufenthaltsgesetzes nicht. Ein Aufenthaltsrecht nach dem Aufenthaltsgesetz ist personen- und nicht familienbezogen; jede Person benötigt für sich einen eigenen Aufenthaltstitel (BayVGH, B.v. 8.11.2010 – 19 C 10.2000 – juris Rn 9; BayVGH, B.v. 2.1.2018 – 10 C 17.2372 – juris Rn. 11; OVG NW, B.v. 16.5.2018 – 18 E 383/18 – juris Rn. 4 ff.). Die Klage der Kläger konnte vorliegend daher nur darauf gerichtet sein, jedem der Kläger eine (eigene) Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG zu erteilen. Somit lagen bei sieben Klägern sieben selbständige Streitgegenstände vor, deren Werte für die abschließende Streitwertfestsetzung (§ 63 Abs. 2 Satz 1 GKG) zu addieren waren.
Für die in der früheren Rechtsprechung gelegentlich erfolgte Anwendung eines „Familienabschlags“ bei einem übereinstimmenden gemeinsamen, nicht in verschiedene Eigeninteressen aufspaltbaren Rechtsschutzinteresse mehrerer Familienangehöriger findet sich im Ausländerrecht kein Anhalt (BVerwG, B.v. 28.7.1993 – 1 C 15.93 – juris Rn. 2; BVerwG, B.v. 11.12.2003 – 1 B 272/03 – juris Rn. 3); die frühere dahingehende Rechtsprechung wurde aufgegeben (siehe BayVGH, B.v. 30.1.2006 – 10 C 03.2395 – juris Rn. 2; BayVGH, B.v. 28.4.1993 – 10 C 03.945 – juris Rn.2; OVG LSA, B.v. 13.5.2009 – 2 O 34/09 – juris Rn. 3; NdsOVG, B.v. 5.10.2004 – 11 ME 245/04 – juris Rn.6; jew. m.w.N.).
b) Der Antrag in dem Verfahren nach § 123 VwGO (M 24 E 17.643) war darauf gerichtet, hinsichtlich der Streitgegenstände der gleichzeitig erhobenen Klage eine einstweilige Anordnung zu erlassen.
Nach der in ständiger Rechtsprechung angewandten Empfehlung in Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs beträgt der Streitwert in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes in der Regel die Hälfte, in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO und bei sonstigen auf bezifferbare Geldleistungen gerichteten Verwaltungsakten ein Viertel des für das Hauptsacheverfahren anzunehmenden Streitwerts; in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, die die Entscheidung in der Sache ganz oder zum Teil vorwegnehmen, kann der Streitwert bis zur Höhe des für das Hauptsacheverfahren anzunehmenden Streitwerts angehoben werden. Das Verwaltungsgericht ist somit zutreffend von dem halben Auffangwert (2.500,- Euro) für jeden der Antragsteller ausgegangen.
Auch hier lagen bei den sieben Antragstellern sieben verschiedene Streitgegenstände vor, deren Werte für die abschließende Streitwertfestsetzung zu addieren waren.
Kostenentscheidungen und Streitwertfestsetzungen für die Beschwerdeverfahren sind nicht veranlasst. Das Beschwerdeverfahren ist nach § 68 Abs. 3 Satz 1 GKG gebührenfrei; Kosten werden gemäß § 68 Abs. 3 Satz 2 GKG nicht erstattet.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG, § 152 Abs. 1 VwGO).

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