Kosten- und Gebührenrecht

Unzulässige Klage mangels Vorverfahrens

Aktenzeichen  S 4 AS 257/17

Datum:
28.7.2017
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 142451
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB II § 31b, § 32
SGG § 192 Abs. 1 Nr. 2
GG Art. 1 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1

 

Leitsatz

Sanktionen verstoßen nicht gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums, auch wenn sie zu einem völligen Wegfall des Arbeitslosengeld II führen. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage gegen den Bescheid vom 08.05.2017 wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Klägerin zu 1 und der Kläger zu und 2 haben Gerichtskosten in Höhe von jeweils 150,00 € zu tragen.

Gründe

Nach § 105 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, wenn die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (Satz 1). Die Beteiligten sind vorher zu hören (Satz 2).
Ein Sachverhalt ohne besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art liegt vor, da der entscheidungsrelevante Sachverhalt ohne Beweisaufnahme geklärt ist. Die Beteiligten haben der Vorgehensweise auch nicht widersprochen.
Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid des Beklagten vom 08.05.2017, mit dem der Regelbedarf um monatlich 10% für den Meldeverstoß am 13.04.2017 gemindert wurde. Nicht Gegenstand des Verfahrens ist der weitere Bescheid vom 08.05.2017 wegen der Vorsprache am 27.04.2017, wie sich aus der Klagebegründung zur Niederschrift des Sozialgerichts vom 15.05.2017 ergibt.
Der Bescheid ist einer sachlichen Überprüfung nicht zugänglich, da die Klage unzulässig ist.
Die Klage des Klägers zu 2 ist mangels Klagebefugnis unzulässig. Diese formelle Beschwer setzt die Behauptung des Klägers voraus, der Verwaltungsakt sei rechtswidrig und er sei durch diesen in seinen rechtlichen geschützten Interessen verletzt (Keller in: Meyer-Ladewig, SGG, 12. Auflage 2017 § 54 Rn. 10).
Der Kläger zu 2 hat aber weder eine eigene Rechtsverletzung vorgetragen noch ist eine solche plausibel, da die Minderung gegenüber der Klägerin zu 1 ergangen ist.
Die Klage der Klägerin zu 1 ist mangels ordnungsgemäßen Vorverfahren (§ 78 Abs. 1 Satz 1 SGG) unzulässig. Grundsätzlich ist dem Kläger die Möglichkeit zu geben, das Verfahren nachzuholen. Trotz der Aufforderung am 12.06.2017 hat die Klägerin zu 1 dies aber unterlassen. Im Hinblick auf die Funktion des Vorverfahrens als verwaltungsinterne Kontrolle kann das Gericht in der Klageschrift vom 15.05.2017 auch keine Widerspruchseinlegung erkennen (vgl. Bayerisches Landessozialgericht Urteil vom 18.03.2013 – L 7 AS 142/12). Eine ordnungsgemäße Rechtsbehelfsbelehrung:liegt vor.
Ergänzend ist anzumerken: Die Klage wäre auch unbegründet. Der Bescheid vom 08.05.2017 ist rechtmäßig. Er ist formell rechtmäßig, da die Antragstellerin zum Eintritt einer Sanktion angehört worden ist. Rechtsgrundlage für die Feststellung einer Minderung des Arbeitslosengeld II im Fall eines Meldeversäumnisses ist § 32 SGB II in Verbindung mit § 31b SGB II.
Die Klägerin zu 1 hat eine ordnungsgemäße Meldeaufforderung erhalten, deren Zugang sie vereitelt hat. Die erkennende Kammer verweist auf den Beschluss der 17. Kammer vom 25.04.2017 und macht sich die Begründung zu Eigen.
Auch die Einwände der Kläger vom 20.07.2017 würden die Klage nicht tragen, da durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken gegen eine Minderung des Arbeitslosengeld II-Anspruchs nicht bestehen (Bundessozialgericht – BSG Urteil vom 29.04.2015 – B 14 AS 19/14 – Rn. 50). Eine Rüge verletzter Grundrechte ist nicht erfolgreich. Insbesondere verstoßen Sanktionen – auch wenn sie zu einem völligen Wegfall des Arbeitslosengeld II führen – nicht gegen das durch Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) begründete und nach dem Sozialstaatsgebot des Art. 20 Abs. 1 GG auf Konkretisierung durch den Gesetzgeber angelegte Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (BSG a. a. O. Rn. 51 unter Hinweis auf das von den Klägern zitierte Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 09.02.2010).
Die Kostenentscheidung hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten beruht auf § 193 SGG. Die Entscheidung über die Gerichtskosten folgt aus § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGG; die Kläger haben Gerichtskosten in Höhe von jeweils 150,00 € zu tragen.
Trotz der Eindeutigkeit der Sach- und Rechtslage haben sich die Kläger nicht entschließen können, das Verfahren durch Klagerücknahme zu beenden. Im Hinblick auf dieses Verhalten hat es das Gericht nach entsprechender Belehrung für erforderlich angesehen, den Klägern Verschuldenskosten gemäß § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGG aufzuerlegen. Hiernach kann das Gericht einem Beteiligten Kosten auferlegen, die unter anderem dadurch verursacht werden, dass Beteiligte den Rechtsstreit fortführt, obwohl ihnen vom Vorsitzenden die Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung oder Verteidigung dargelegt wurden und sie auf die Möglichkeit der Kostenauferlegung bei Fortführung des Rechtsstreits hingewiesen worden sind.
Missbräuchlichkeit kann insbesondere Vorliegen bei der Weiterverfolgung des Verfahrens trotz offensichtlicher Aussichtslosigkeit. Aussichtslosigkeit allein genügt jedoch nicht, es müssen besondere Umstände hinzukommen. Rechtsmissbräuchlichkeit liegt vor allem dann vor, wenn Beteiligte den Prozess weiter betreiben, obwohl sie subjektiv wissen, dass die Rechtsverfolgung objektiv aussichtslos ist und wenn sie entgegen besserer Einsicht von einer weiteren Prozessführung nicht Abstand nehmen (vgl. Leitherer in: Meyer/Ladewig SGG § 192 Rn. 9 ff. m. w. N.). Nicht ausreichend ist hingegen das Weiterprozessieren, wenn Beteiligte die Hoffnung auf einen günstigen Ausgang noch nicht aufgegeben haben, auch wenn sie unbelehrbar und uneinsichtig sind, sofern seine Uneinsichtigkeit nicht ein besonders hohes Maß erreicht.
Die Annahme von Mutwillen verlangt somit objektiv die Aussichtslosigkeit der Rechtsverfolgung und subjektiv die Kenntnis des Fehlens der Erfolgsaussicht. An das subjektive Tatbestandsmerkmal dürfen allerdings nicht zu hohe Anforderungen gestellt werden. Es genügt, wenn das Gericht aufgrund der Gesamtumstände zu der Überzeugung gelangt, dass Beteiligte oder deren Prozessbevollmächtigter die Aussichtslosigkeit der Rechtsverfolgung kennt und trotzdem den Prozess fortführt (vgl. etwa BayLSG, Urt. v. 29.11.2001 – L 15 BL 10/00).
Das Gericht ist aufgrund der Gesamtumstände zu der Überzeugung gelangt, dass die Kläger die Aussichtslosigkeit des Rechtsstreits kennen und diesen trotzdem fortführen. Zulasten des Klägers zu 2 ist dabei zu werten, dass eine Betroffenheit durch die gegenüber seiner Frau verfügte Sanktion (Bescheid vom 08.05.2017) offensichtlich erkennbar nicht besteht. Außerdem sind die Kläger außerordentlich gerichtserfahren.
Das Gericht wird den Klägern Missbräuchlichkeitskosten in Höhe von jeweils 150,00 € auferlegen. Der festzusetzende Betrag von 150,00 € je Kläger erscheint in Ansehung aller „Systemkosten“, die mit diesem Verfahren, insbesondere mit der Sachverhaltsermittlung und der Absetzung eines Gerichtsbescheides in Zusammenhang stehen, als angemessen. Hinsichtlich der Höhe der Kosten hat das Gericht den Mindestbetrag nach §§ 192 Abs. 1 Satz 3, 184 Abs. 2 SGG für angemessen gehalten, um den Aufwand abzubilden.


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