Kosten- und Gebührenrecht

Widerspruchsverfahren bei tierschutzrechtlichen Anordnungen

Aktenzeichen  9 BV 15.1070, 9 BV 15.1071

Datum:
2.8.2016
Fundstelle:
BayVBl – 2017, 174
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayAGVwGO BayAGVwGO Art. 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2
BayVwZVG BayVwZVG Art. 38 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Der landwirtschaftsbezogene Tierschutz gehört zum Bereich des Landwirtschaftsrechts i. S. d. Art. 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AGVwGO. (amtlicher Leitsatz)
2. Auch wenn das Tierschutzrecht in der beispielhaften Benennung der Rechtsgrundlagen des Landwirtschaftsrechts im Rahmen der Gesetzesbegründung zu § 15 Abs. 1 Nr. 2 BayAGVwGO nicht ausdrücklich aufgezählt wird, lässt sich bei einer Gesamtschau der Gesetzesbegründung aber eindeutig das Ziel einer umfassenden Privilegierung landwirtschaftlicher Tätigkeit in Form der Beibehaltung des Widerspruchsverfahrens als fakultatives Verfahren für den Bereich der Landwirtschaft entnehmen. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RN 4 K 14.1685 2015-03-10 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I.
Die Verfahren 9 BV 15.1070 und 9 BV 15.1071 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
II.
Die Urteile des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 10. März 2015 (Az. RN 4 K 14.1685 und RN 4 K 14.1686) werden abgeändert und die Klagen abgewiesen.
III.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
IV.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Kostengläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
V.
Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässigen Berufungen des Beklagten, die der Senat zu gemeinsamen Entscheidung verbindet (§ 93 Satz 1 VwGO), haben Erfolg.
1. Über die Berufung konnte trotz Ausbleiben des Klägers und seines Bevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung vom 1. August 2016 entschieden werden, weil der Bevollmächtigte des Klägers ausweislich des Empfangsbekenntnisses vom 18. Mai 2016 fristgerecht und auch sonst ordnungsgemäß geladen wurde (§ 102 Abs. 1 Satz 2 VwGO). Die Ladung enthielt den Hinweis, dass beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO).
Dabei kann offen bleiben, ob sich die in den Berufungsverfahren des Klägers (Az. 9 BV 15.1032 und 9 BV 15.1034) mitgeteilte Beendigung des Mandatsverhältnisses zwischen dem Kläger und seinen Prozessbevollmächtigten – ohne ausdrückliche Erklärung – auch auf die hier vorliegenden Berufungsverfahren des Beklagten erstreckt. Denn eine Entscheidung des Gerichts wäre auch trotz Kündigung des Prozessvertretungsvertrags zwischen dem Kläger und seinem Bevollmächtigten während des Berufungsverfahrens möglich. Die Mandatsbeendigung wird im Anwaltsprozess vor dem Verwaltungsgerichtshof (§ 67 Abs. 4 VwGO) gemäß § 173 VwGO i. V. m. § 87b Abs. 1 Halbsatz 2 ZPO gegenüber dem Gericht und dem Prozessgegner erst dann rechtlich wirksam, wenn die Bestellung einer anderen zur Prozessvertretung befugten Person angezeigt wird (BVerwG, B. v. 20.11.2012 – 4 AV 2.12 – juris Rn. 9). Dies ist hier trotz Aufforderung gegenüber dem Kläger in seinen Berufungsverfahren nicht erfolgt, so dass dieser nach wie vor durch seine bisherigen Bevollmächtigten vertreten wird.
2. Die Entscheidungen des Verwaltungsgerichts sind hinsichtlich der Aufhebung der Kostenentscheidung und Gebührenfestsetzung (Nrn. 2 und 3) in den Widerspruchsbescheiden vom 10. September 2014 fehlerhaft und dementsprechend abzuändern. Da die Kostenentscheidung und Gebührenfestsetzung in den Widerspruchsbescheiden zu Recht erfolgt ist, waren die Klagen des Klägers insgesamt abzuweisen.
Das Verwaltungsgericht hat die Kostenentscheidung und Gebührenfestsetzung jeweils aufgehoben, weil es davon ausgegangen ist, dass das vom Beklagten durchgeführte Widerspruchsverfahren nicht statthaft war und dem Kläger zu Unrecht die Kosten des Widerspruchsverfahrens aufgebürdet wurden. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts stellt der landwirtschaftsbezogene Tierschutz aber einen Teil des Landwirtschaftsrechts i. S. d. Art. 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AGVwGO dar, für den der Gesetzgeber eine fakultative, also wahlweise Beibehaltung eines Widerspruchsverfahrens für den Betroffenen vorsieht. Die Regierung … hat die Kostenentscheidung und Gebührenerhebung in den Nrn. 2 und 3 der Widerspruchsbescheide vom 10. September 2014 deshalb zu Recht zulasten des Klägers getroffen (§ 80 Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 1 BayVwVfG; Art. 9 KG). Die Unbegründetheit der Widersprüche des Klägers ergibt sich aus den mit Urteil vom 2. August 2016 zurückgewiesenen Berufungsverfahren des Klägers (Az. 9 BV 15.1032 und 9 BV 15.1034), auf deren Inhalt insoweit Bezug genommen wird.
a) Gegen den Bescheid vom 30. Juni 2010, der die tierschutzrechtlichen Anordnungen vom 28. Juni 2010 schriftlich bestätigt (Art. 37 Abs. 2 Satz 2 BayVwVfG), war das fakultative Widerspruchsverfahren statthaft. Der landwirtschaftsbezogene Tierschutz gehört zum Bereich des Landwirtschaftsrechts i. S. d. Art. 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AGVwGO.
Nach Art. 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AGVwGO findet ein fakultatives Widerspruchsverfahren im Bereich des Landwirtschaftsrechts einschließlich des Rechts landwirtschaftlicher Subventionen sowie im Bereich des Rechts forstlicher Subventionen und jagdrechtlicher Abschussplanverfahren statt. Der Begriff des Landwirtschaftsrechts ist dabei nicht legal definiert, so dass die Bestimmung des Art. 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AGVwGO mit Hilfe der üblichen Methoden auszulegen ist.
Der Wortlaut dieser Vorschrift steht der Einbeziehung des landwirtschaftsbezogenen Tierschutzes in den Begriff des Landwirtschaftsrechts nicht entgegen. Vielmehr ergibt sich aus der Gesetzesbegründung, dass der Begriff des Landwirtschaftsrechts aus der Sicht des Gesetzgebers weit zu verstehen ist (LT-Drs. 15/7252 C § 1 Zu Nr. 2 1. Buchst. b, S. 11). Der Gesetzgeber hat die Tierhaltung in der Gesetzesbegründung ausdrücklich der Landwirtschaft zugeordnet und das hieran anknüpfende Landwirtschaftsrecht dahin gehend beschrieben, dass es die Gesamtheit aller Rechtsnormen, welche die Landwirtschaft zum Gegenstand haben oder zu dieser in einem besonderen Sachzusammenhang stehen, erfasst (vgl. LT-Drs. 15/7252 C § 1 Zu Nr. 2 1. Buchst. b, S. 11). Nach der weiteren Begründung erstreckt sich der Tatbestand gemäß Art. 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AGVwGO u. a. gerade auch auf den landwirtschaftsbezogenen T i e r – und Pflanzen s c h u t z (vgl. LT-Drs. 15/7252 a. a. O.). Auch wenn das Tierschutzrecht in der beispielhaften Benennung der Rechtsgrundlagen des Landwirtschaftsrechts im Rahmen der Gesetzesbegründung nicht ausdrücklich aufgezählt wird, lässt sich bei einer Gesamtschau der Gesetzesbegründung aber eindeutig das Ziel einer umfassenden Privilegierung landwirtschaftlicher Tätigkeit in Form der Beibehaltung des Widerspruchsverfahrens als fakultatives Verfahren für den Bereich der Landwirtschaft entnehmen. Damit spricht auch Sinn und Zweck der vom Gesetzgeber getroffenen Regelung dafür, den landwirtschaftsbezogenen Tierschutz dem Landwirtschaftsrecht i. S. d. Art. 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AGVwGO zuzuordnen.
Daran ändert nichts, dass daneben fraglich erscheint, ob die Überlegungen des Gesetzgebers zur Beibehaltung des (fakultativen) Widerspruchsverfahrens im Landwirtschaftsrecht – namentlich die besondere Anfälligkeit für Fehler, die überwiegend komplexen, häufig EU-rechtlich geprägten Rechts- und Fördergebiete unter Bezugnahme gerade auf die landwirtschaftlichen Subventionen sowie das fehlende juristisch ausgebildete Personal der Ausgangsbehörden im Bereich der Landwirtschaft (vgl. LT-Drs. 15/7252 A II. 2. und A II. 2. Buchst. b, S. 7) – auch für den Bereich des landwirtschaftsbezogenen Tierschutzes zutreffen. Der Gesetzgeber stellt auch nicht darauf ab, dass der Zweck des bundesrechtlichen Tierschutzgesetzes die Bekämpfung jeglicher Verstöße gegen Tierschutzvorschriften ist – unabhängig davon, wer Halter des Tieres oder Adressat der Anordnung ist – und dass das Tierschutzgesetz nicht nach der Art der Tierhaltung differenziert. Vielmehr treffen diese Aspekte teilweise auch auf andere Rechtsmaterien zu, die der Gesetzgeber der weit zu verstehenden Begrifflichkeit des Landwirtschaftsrechts zuordnet und im Katalog der Gesetzesbegründung benennt. Soweit sich der Wille des Gesetzgebers aber aus dem Gesetzgebungsverfahren sowie nach Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung im Wege der Auslegung ermitteln lässt, ist es nicht Aufgabe des Gerichts, zu prüfen, ob diese Zuordnung sinnvoll erscheint oder ob dadurch Abgrenzungs- und Vollzugsschwierigkeiten in der Verwaltungspraxis entstehen können.
b) Das fakultative Widerspruchsverfahren war auch für die isolierte Zwangsgeldandrohung und die Kostenentscheidung im Bescheid vom 6. Juli 2010 statthaft.
aa) Nach Art. 38 Abs. 1 Satz 1 VwZVG sind gegen die Androhung des Zwangsmittels die förmlichen Rechtsbehelfe gegeben, die gegen den Verwaltungsakt zulässig sind, dessen Durchsetzung erzwungen werden soll. Dies gilt aufgrund des unmittelbaren Sachzusammenhangs auch im Falle einer isolierten Zwangsmittelandrohung nach Art. 38 Abs. 1 Satz 3 VwZVG (vgl. Linhart, Schreiben, Bescheide und Vorschriften in der Verwaltung, Stand Dez. 2015, § 20 Rn. 3k). Dementsprechend war auch gegen die isolierte Zwangsgeldandrohung im Bescheid vom 6. Juli 2010 der Widerspruch (fakultativ) statthaft.
bb) Gleiches gilt für die Kostenentscheidung in Form der Kostentragungsregelung und Gebührenfestsetzung im Bescheid vom 6. Juli 2010 (vgl. Linhart, a. a. O., § 20 Rn. 3j; Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums des Innern vom 13.8.2007, Az. IA3-1041.2-20 zum Vollzug des Art. 15 AGVwGO, AllMBl Nr. 10/2007, 425). Zwar regelt Art. 12 Abs. 3 KG – anders als Art. 38 Abs. 1 Satz 1 VwZVG – nur, dass die Kostenentscheidung zusammen mit dem Verwaltungsakt oder selbstständig nach Maßgabe der Vorschriften über die Verwaltungsgerichtsbarkeit angefochten werden kann. Die Kostenentscheidung steht aber – auch bei isolierter Anordnung – in unmittelbarem Zusammenhang und in Akzessorietät zur Hauptsacheentscheidung, so dass auch insoweit von der Statthaftigkeit eines fakultativen Widerspruchsverfahrens auszugehen ist.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO, §§ 708 ff. ZPO.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 132 Abs. 2 VwGO).
Rechtsmittelbelehrung:
Nach § 133 VwGO kann die Nichtzulassung der Revision durch Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig angefochten werden. Die Beschwerde ist beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (in München Hausanschrift: Ludwigstraße 23, 80539 München; Postfachanschrift: Postfach 34 01 48, 80098 München; in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach) innerhalb eines Monats nach Zustellung dieser Entscheidung einzulegen und innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieser Entscheidung zu begründen. Die Beschwerde muss die angefochtene Entscheidung bezeichnen. In der Beschwerdebegründung muss die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts, von der die Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.
Vor dem Bundesverwaltungsgericht müssen sich die Beteiligten, außer in Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und Rechtslehrern an den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Hochschulen mit Befähigung zum Richteramt nur die in § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO und in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen. Für die in § 67 Abs. 4 Satz 5 VwGO genannten Angelegenheiten (u. a. Verfahren mit Bezügen zu Dienst- und Arbeitsverhältnissen) sind auch die dort bezeichneten Organisationen und juristischen Personen als Bevollmächtigte zugelassen. Sie müssen in Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht durch Personen mit der Befähigung zum Richteramt handeln.
Beschluss:
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren bis zur Verbindung auf jeweils 33,– Euro, danach auf insgesamt 66,– Euro festgesetzt.
Gründe:
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 52 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 und 8 GKG.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben