Medizinrecht

Ablehnung Nachbesetzungsverfahren für die Zulassung eines Vertragsarztes

Aktenzeichen  S 38 KA 162/18

Datum:
24.10.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 28931
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB V § 103 Abs. 3a S. 1, Abs. 4 S. 1

 

Leitsatz

1. Eine wiederholte Antragstellung für ein Nachbesetzungsverfahren ist zwar nicht ausgeschlossen, muss aber schutzwürdig und darf nicht willkürlich sein. Eine solche Schutzwürdigkeit ist dann nicht anzunehmen, wenn Ziel des Praxisabgebers mit einem weiteren, unmittelbar folgenden Nachfolgeverfahren ist, Einfluss auf die Nachbesetzung zu nehmen (Anschluss an BSG, Urteil vom 23.03.2016 – B 6 KA 9/15 R, BeckRS 2016, 71567). (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Perpetuierung des Nachfolgeverfahrens ist nicht schutzwürdig. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
3. Für die Prüfung, ob eine Praxis fortführungsfähig ist, iat auf den Zeitpunkt der Antragstellung auf Durchführung des Nachfolgeverfahrens abzustellen. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
4. Je länger eine Vertragsarztpraxis nicht betrieben wird, umso mehr spricht dafür, dass eine Fortführungsfähigkeit nicht mehr besteht. Einen festen Erfahrungssatz zu einer bestimmten Zeitspanne gibt es nicht. Allerdings kann auch die Kumulierung von Zeiträumen mit vorübergehendem Ruhen der vertragsärztlichen Tätigkeit zu einer Verneinung der Fortführungsfähigkeit führen. (Rn. 20 – 21) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

Die zum Sozialgericht München eingelegte Klage ist zulässig, erweist sich jedoch als unbegründet. Der angefochtene Bescheid des Zulassungsausschusses ist als rechtmäßig anzusehen.
Rechtsgrundlage für die Durchführung des Nachbesetzungsverfahrens ist § 103 Abs. 3a S. 1 in Verbindung mit Abs. 4 S. 1 SGB V. Danach haben die Vertragsärzte mit einem Sitz in einem für Zulassungen gesperrten Gebiet die Möglichkeit, bei Beendigung der Tätigkeit die Arztpraxis von einem Nachfolger fortführen zu lassen. Darüber, ob überhaupt ein Nachbesetzungsverfahren stattfindet, entscheidet der Zulassungsausschuss. Wird einem entsprechenden Antrag stattgegeben, so hat die Kassenärztliche Vereinigung den Vertragsarztsitz unverzüglich auszuschreiben und eine Liste der eingehenden Bewerbungen zu erstellen.
Im streitgegenständlichen Verfahren handelt es sich um eine erneute (zweite) Antragstellung auf Durchführung des Nachbesetzungsverfahrens, unmittelbar folgend der ersten Antragstellung. Das erste Antragsverfahren wurde mit der erfolglosen Ausschreibung des Vertragsarztsitzes durch die KVB beendet. Deshalb war -soll erneut ein Nachbesetzungsverfahren durchgeführt werden – ein neuer Antrag notwendig. Eine wiederholte Antragstellung ist zwar nicht ausgeschlossen, muss jedoch schutzwürdig und darf nicht willkürlich sein. Eine solche Schutzwürdigkeit ist dann nicht anzunehmen, wenn Ziel des Praxisabgebers im Zusammenhang mit einem weiteren unmittelbar folgenden Nachfolgeverfahren ist, Einfluss auf die Nachbesetzung zu nehmen (vgl. BSG, Urteil vom 23.03.2016, B 6 KA 9/15 R). Die Klägerseite hat hier finanzielle Interessen geltend gemacht. Es handelt sich dabei grundsätzlich um ein berechtigtes Interesse für die Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens. Nachvollziehbar ist auch, dass, nachdem es zu keinem Übereinkommen mit der offenbar einzigen Bewerberin im ersten Nachbesetzungsverfahren kam, die Klägerin nunmehr erneut versucht, im Wege eines weiteren Nachbesetzungsverfahrens die Praxis an einen Bewerber abgeben zu können.
Jedenfalls wäre es willkürlich, nicht schutzwürdig und mit dem Sinn und Zweck von § 103 Abs. 3a S. 1 in Verbindung mit Abs. 4 S. 1 SGB V nicht zu vereinbaren, in dem Fall, dass sich zunächst kein Bewerber findet, mehrfach hintereinander Anträge auf Durchführung eines Nachfolgeverfahrens solange zu stellen, bis es zu einer Nachfolge kommt. Letztendlich hat der Vertragsarzt das Risiko der Möglichkeit für die Veräußerung seiner Praxis zu tragen. Eine solche Perpetuierung des Nachfolgeverfahrens ist nicht schutzwürdig und daher ausgeschlossen. Wann dies der Fall ist, d.h., bei wie vielen Anträgen auf Durchführung des Nachfolgeverfahrens hintereinander von einer solchen Perpetuierung auszugehen ist, entzieht sich einer genauen Festlegung und ist vom jeweiligen Einzelfall abhängig. Jedenfalls ist eine zweite Antragstellung auf Durchführung des Nachbesetzungsverfahrens grundsätzlich nicht ausgeschlossen.
Im streitgegenständlichen Verfahren ist aber unter Umständen zu berücksichtigen, dass die Klägerin weiterhin privatärztlich in Gemeinschaftspraxis mit ihrem Ehemann tätig sein möchte und sich daher die beabsichtigte Praxisabgabe de facto auf den vertragsärztlichen Teil reduziert. Dies könnte negativen Einfluss auf die Bewerbersituation haben in dem Sinne, dass damit automatisch die Zahl der potentiellen Bewerber reduziert ist, wenn nicht gar eine Praxisabgabe nahezu ausgeschlossen ist.
Ob bei dieser Konstellation ein berechtigtes, schützenswertes Interesse an der Durchführung des Nachbesetzungsverfahrens besteht, ist zweifelhaft, kann aber letztendlich dahinstehen, da keine Fortführungsfähigkeit der Praxis mehr besteht.
Maßgeblich dafür, ob eine Praxis fortführungsfähig war, war nach der bis 31.12.2012 geltenden Rechtslage grundsätzlich der Zeitpunkt der Antragstellung auf Ausschreibung des Sitzes durch die KVB (BSG, Urteil vom 23.03.2006, Az. B 6 KA 9/15 R). Da nunmehr nach neuem Recht der Zulassungsausschuss darüber entscheidet, ob überhaupt ein Verfahren auf Durchführung der Nachbesetzung stattfinden soll (§ 103 Abs. 3a S. 1 SGB V), kommt es jetzt auf den Zeitpunkt der Antragstellung auf Durchführung des Nachbesetzungsverfahrens an. Die Situation ist durchaus anders als bei der ersten Antragstellung auf Durchführung des Nachbesetzungsverfahrens. Unbestritten ist, dass die Zulassung der Klägerin in den Jahren 2011-2013 ruhte. Danach war die Klägerin längere Zeit vertragsärztlich tätig (Zeitintervall von 2,5 Jahren), so dass der erste Ruhenszeitraum für die Beurteilung der Frage, ob eine Fortführungsfähigkeit der Praxis besteht oder nicht, keine Rolle spielen kann. Fakt ist jedoch auch, dass die vertragsärztliche Zulassung der Klägerin im Zeitraum vom 01.01.2016 bis 31.12.2016 hälftig ruhte, im Anschluss daran eine vertragsärztliche Tätigkeit der Klägerin, allerdings mit einer geringen Fallzahl stattfand und im Zeitraum vom 15.05.2017 bis 14.05.2018 die vertragsärztliche Tätigkeit der Klägerin abermals, diesmal völlig ruhte. Zum Zeitpunkt der ersten Antragstellung auf Durchführung des Nachbesetzungsverfahrens (Ende 2018) ruhte die vertragsarztärztliche vollständig erst ein halbes Jahr. Insofern liegt der Beurteilung der Sach- und Rechtslage durch den Zulassungsausschuss bei der zweiten Antragstellung eine anderere, von der ersten Antragstellung abweichende Ausgangsbasis zu Grunde. Es kann daher nicht eingewandt werden, es sei nicht nachvollziehbar, dass zunächst dem Antrag auf Durchführung des Nachbesetzungsverfahrens vom Zulassungsausschuss stattgegeben wurde, später aber ein solcher Antrag abgewiesen wurde.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (aaO) gibt es keinen Erfahrungssatz des Inhalts, dass eine Fortführungsfähigkeit nach einem bestimmten Zeitraum nicht mehr besteht. Allerdings ist davon auszugehen, dass, je länger eine Vertragsarztpraxis nicht betrieben wird, umso mehr dafür spricht, dass eine Fortführungsfähigkeit nicht mehr besteht. In jedem Fall handelt es sich jedoch um eine Einzelfallentscheidung. Die Rechtsprechung der Sozialgerichte hat sich wiederholt mit der Frage befasst, ab welchem Zeitraum von einer Fortführungsfähigkeit einer Arztpraxis nicht mehr auszugehen ist. Konsens dürfte darüber bestehen, dass jedenfalls sieben Jahre nach Aufgabe der vertragsärztlichen Tätigkeit von keiner Fortführungsfähigkeit einer Vertragsarztpraxis mehr auszugehen ist (BSG, Urteil vom 28.11.2007, Az. B 6 KA 26/07 R). Für den Zeitraum dazwischen (beginnend mit einem halben Jahr, einem Dreivierteljahr, einem Jahr, zweieinhalb Jahre Fehlen der vertragsärztlichen Tätigkeit; vgl. BayLSG, Urteil vom 09.07.2014, Az. L 12 KA 57/13; Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 15.10.2014, Az. L 5 KA 2008/12; Bundessozialgericht, Beschluss vom 05.06.2013, Az. B 6 KA 2/13 B; BayLSG, Urteil vom 16.1.2013, Az. L 12 KA 3/12) gibt es unterschiedliche Entscheidungen der Obergerichte.
Im streitgegenständlichen Fall führt die Kumulierung von Zeiträumen, in denen die Zulassung hälftig (vom 01.01.2016 – 31.12.2016) bzw. vollständig (vom 15.05.2017- 14.05.2018) ruhte und einem dazwischen liegenden Zeitraum, in denen die vertragsärztliche Tätigkeit zumindest nicht entsprechend dem vollen Versorgungsauftrag ausgeübt wurde, dazu, dass eine Fortführungsfähigkeit der Praxis der Klägerin zu verneinen ist. Es ist nicht erkennbar, dass der Zulassungsausschuss die Grenzen seines ihm zustehenden Beurteilungsspielraums überschritten hat. An diesem Ergebnis ändert sich auch nichts, dass nach den Angaben der Klägerseite die Praxisräumlichkeiten, die Ausstattung und das Internet noch vorhanden sind. Diese werden offensichtlich im Zusammenhang mit der privatärztlichen Tätigkeit der Klägerin benutzt. Voraussetzung ist aber, dass ein Bezug zur tatsächlichen vertragsärztlichen Tätigkeit besteht, der nicht ersichtlich ist. Abgesehen davon gehört zum Vorhandensein eines ausreichenden Praxissubstrats unverzichtbar ein Patientenstamm, bestehend aus GKV-Patienten, die in Behandlung standen und bei denen die ärztlichen Leistungen über die KVB abgerechnet wurden. GKV-Patienten, die als Selbstzahler behandelt werden, zählen nicht zu diesem Patientenstamm. Hinzu kommt, dass die Klägerseite zwar die Behauptung aufstellt, die Klägerin behandle mehrere 100 GKV-Patienten pro Quartal als Selbstzahlerobwohl die Klägerin nach wie vor vertragsärztlich zugelassen ist und verpflichtet wäre, GKV-Patienten zu behandeln -, belegt dies aber nicht näher, was zu ihren Lasten gehen muss. Insofern sind die Angaben hierzu auch nicht verifizierbar.
Aus den genannten Gründen wurde der Antrag auf Durchführung des Nachbesetzungsverfahrens nach § 103 Abs. 3a S. 1 in Verbindung mit Abs. 4 S. 1 SGB V zu Recht vom Zulassungsausschuss abgewiesen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 VwGO.


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