Medizinrecht

Abschiebung, Asylantrag, Abschiebungsandrohung, Bescheid, Afghanistan, Aufenthaltserlaubnis, Asylverfahren, Iran, Erkrankung, Asyl, Einreise, Abschiebungsverbote, Migration, Aufenthaltsverbot, Bundesrepublik Deutschland, Anerkennung als Asylberechtigter, erniedrigende Behandlung

Aktenzeichen  B 8 K 19.30906

Datum:
30.9.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 55120
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

1.Die Klage wird abgewiesen.
2.Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
3.Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.  

Gründe

Die zulässige Klage, über die auch ohne einen Vertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO), hat keinen Erfolg.
1. Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist der Bescheid vom 03.07.2019, der nur noch die Entscheidung des Bundesamtes zu Abschiebungsverboten und zur Abschiebungsandrohung zum Gegenstand hat.
Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG) keinen Anspruch auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG. Auch die Abschiebungsandrohung begegnet keinen Bedenken.
1.1 Nationale Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 AufenthG oder § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG sind nicht gegeben (ebenso: BayVGH, B.v. 4.8.2017 – 13a ZB 17.30791 – juris; zu folgendem ausführlich: VGH BW, U.v. 11.4.2018 – A 11 S 924/17 – juris; U.v. 11.4.2018 – A 11 S 1729/17 – juris; jeweils mit Würdigung Stahlmann, Gutachten Afghanistan vom 28.3.2018 – 7 K 1757/16.WI.A; VGH BW, U.v. 9.11.2017 – A 11 S 789/17 – juris). Insoweit wird zunächst auf den streitgegenständlichen Bescheid Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG).
1.2 Die Abschiebung nach Afghanistan verstößt nicht gegen Art. 3 EMRK. Hiervon werden nur besondere Ausnahmefälle erfasst, in denen humanitäre Gründe zwingend gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechen; der Fall, dass bei einer Rückführung die Lage des Ausländers einschließlich seiner Lebenserwartung erheblich beeinträchtigt würde, ist an sich nicht ausreichend (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – BVerwGE 146, 12 ff. m.w.N.). Dies bedeutet, dass eine Abschiebung trotz schlechter humanitärer Verhältnisse nur in sehr außergewöhnlichen Einzelfällen als unmenschliche oder erniedrigende Behandlung bewertet werden kann und die Voraussetzung des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK erfüllt. Bei der Prüfung der Voraussetzungen des Art. 3 EMRK ist auf den gesamten Abschiebezielstaat abzustellen. Strikt von dieser mit hohen Hürden verbundenen rechtlichen Frage zu trennen ist die politisch-humanitäre Leitentscheidung des § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – BVerwGE 146, 12 ff.), etwa ob das gesellschaftliche System Afghanistans durch Rückkehrer (zumutbar) belastet wird bzw. ob durch die Rückkehrer eine weitere Destabilisierung des Landes erfolgt. Über diese Fragen zu entscheiden ist die oberste Landesbehörde, nicht aber das Gericht, das an das bestehende Recht gebunden ist, berufen.
Afghanische Rückkehrer teilen mit Millionen ihrer Landsleute Lebensbedingungen, die bis hin zum Überlebenskampf führen können (vgl. Stahlmann, Überleben in Afghanistan? Zur humanitären Lage von Rückkehrenden und ihren Chancen auf familiäre Unterstützung, Asylmagazin 3/2017, S. 73 ff. – allerdings fußt dieser Artikel zum Teil auch auf mittlerweile wohl überholtem und teilweise nicht nachprüfbarem Datenmaterial bzw. erschöpft sich stellenweise in bloßen Behauptungen), die in der bundesdeutschen Sozialstaatswirklichkeit keine Entsprechung finden (vgl. ausführliche Auseinandersetzung in NdsOVG, U.v. 29.1.2019 – 9 LB 93/18 – juris). Art. 3 EMRK verpflichtet die gebundenen Staaten im Übrigen gerade nicht, Fortschritte in der Medizin sowie Unterschiede in sozialen und wirtschaftlichen Standards durch freie und unbegrenzte Versorgung von Ausländern ohne Bleiberecht zu beseitigen (BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – BVerwGE 146, 12 ff. m.w.N.).
In Afghanistan ist die Gefahr, Opfer willkürlicher Gewalt zu werden, in keiner Provinz so groß (s.u.), dass es dem Kläger nicht zugemutet werden könnte, sich auch woanders niederzulassen. Auch gibt es in Afghanistan Distrikte, deren Sicherheitslage als stabil bezeichnet werden kann (vgl. Auswärtiges Amt Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der islamischen Republik Afghanistans vom 02.09.2019, Stand: Juli 2019, S. 5). Insoweit sind die Voraussetzungen des § 3e Abs. 1 Nr. 1 AsylG erfüllt.
Es ist davon auszugehen, dass alleinstehende, leistungsfähige junge Männer und verheiratete Paare im berufsfähigen Alter in der Lage sind, auch ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft in urbanen und semiurbanen Gegenden ihren Lebensunterhalt hinreichend zu sichern (vgl. UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.8.2018, S. 125 als deutsche Zusammenfassung der UNHCR Eligibility Guidelines for assessing the international protection needs of asylum-seekers from Afghanistan vom 30.8.2018, S. 110; statt vieler in ständiger Rechtsprechung zuletzt: BayVGH, U.v. 8.11.2018 – 13a B 17.31960; B.v. 4.8.2017 – 13a ZB 17.30791; B.v. 11.4.2017 – 13a ZB 17.30294; B.v. 10.4.2017 – 13a ZB 17.30266 – m.w.N.), auch wenn laut Auswärtigem Amt die tatsächlichen Ausweichmöglichkeiten maßgeblich vom Grad der sozialen Verwurzelung, der Ethnie und der finanziellen Lage des Betroffenen abhängen, sodass die sozialen Netzwerke vor Ort und deren Auffangmöglichkeiten eine zentrale Rolle für den Aufbau einer neuen Existenz am neuen Aufenthaltsort spielen (Auswärtiges Amt Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der islamischen Republik Afghanistans vom 02.09.2019, Stand: Juli 2019, S. 22).
Dem steht nicht entgegen, dass seitens des UNHCR die Stadt Kabul als mögliche zumutbare Flucht- oder Neuansiedlungsalternative als sehr kritisch bewertet wird (UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.8.2018, S. 129 als deutsche Zusammenfassung der UNHCR Eligibility Guidelines for assessing the international protection needs of asylum-seekers from Afghanistan vom 30.8.2018, S. 114), da im Übrigen weitere urbane und semiurbane Gegenden grundsätzlich als interne Fluchtalternative zur Verfügung stehen und in Afghanistan kein Einwohnermeldewesen besteht (Republik Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018, letzte Kurzinformation eingefügt am 26.03.2019, Nr. 19.1., S. 346 ff.). Im Übrigen ist nicht ersichtlich, dass der UNHCR in seinen Richtlinien die quantitative Gefahrendichte im Verhältnis zur Einwohnerzahl berücksichtigt (vgl. NdsOVG, B.v. 10.1.2019 – 9 LA 168/18 – juris).
Der Grad der wahllosen Gewalt, insbesondere in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif, ist nach der aktuellen Einschätzung von EASO (Country Guidance Afghanistan vom Juni 2019, S. 126 ff.) nicht so hoch, dass nachweislich erhebliche Gründe für die Annahme bestehen, dass ein Zivilist allein aufgrund seiner Anwesenheit einem echten Risiko eines ernsthaften Schadens ausgesetzt wäre. Die weiteren relevanten Umstände in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif (sichere Reise und Zugang, Wohnung, medizinische Grundversorgung, Nahrung und Wasser etc.), stehen der Angemessenheit einer Ansiedlung in den Städten grundsätzlich nicht entgegen. Die Fähigkeit einer Person, sich unter den oben genannten Umständen zurechtzufinden, hängt hauptsächlich vom Zugang zu einem Unterstützungs-Netzwerk oder von finanziellen Mitteln ab (vgl. a.a.O. S. 130 ff.).
Ebenso ist weder hinreichend substantiiert vorgetragen noch auf Grund der Erkenntnislage ersichtlich, dass die Erreichbarkeit anderer Landesteile nicht gegeben wäre. Auf die Erkenntnisse zur Infrastruktur Afghanistans in den Angaben der Republik Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018, letzte Kurzinformation eingefügt am 26.03.2019, Nr. 3.35, S. 253 ff.; vgl. auch EASO, Country of Origin Information Report, Afghanistan Networks, Februar 2018, S. 130 f.) wird Bezug genommen.
Auch nach obergerichtlicher Rechtsprechung (vgl. etwa BayVGH U.v. 8.11.2018 – 13a B 17.31960 – juris; B.v. 12.4.2018 – 13a ZB 18.30135 – juris; B.v. 4.1.2017 – 13a ZB 16.30600 – juris; VGH BW, U.v. 11.4.2018 – A 11 S 924/17 – juris; U.v. 17.1.2018 – A 11 S 241/17 – juris; U.v. 5.12.2017 – A 11 S 1144/17 – juris), der sich das Gericht anschließt, scheitert eine Rückkehr nach Afghanistan grundsätzlich nicht an einem langjährigen Aufenthalt in Europa oder Drittländern. Im Allgemeinen ist das Risiko der Verfolgung von Männern, die als „verwestlicht“ empfunden werden, minimal und hängt von den spezifischen individuellen Umständen ab (vgl. EASO, Country Guidance Afghanistan, Juni 2019, S. 65). Maßgeblich ist vielmehr, dass der Betroffene den größten Teil seines Lebens in einer islamisch geprägten Umgebung verbracht hat und eine der beiden Landessprachen spricht. Dies ist vorliegend der Fall.
Aus den verfügbaren Informationen geht zudem hervor, dass Personen, die im Iran oder in Pakistan geboren wurden und/oder lange Zeit dort gelebt haben, im Allgemeinen keine Verfolgungsgefahr droht. Dies gilt unbeschadet einzelner Fälle, in denen aufgrund zusätzlicher Umstände ein Zusammenhang hergestellt werden könnte (vgl. EASO, Country Guidance Afghanistan, Juni 2019, S. 75). Selbst wenn er wegen seines gesprochenen iranischen Farsi (und nicht des eng verwandten, westafghanischen Dari) einen als fremd empfundenen Akzent aufweist, und deswegen als „anders“ erkannt werden sollte, kann er auf die Unterstützung seiner Verwandten im Iran bauen, die ihm bei der Arbeits- und Wohnungssuche unterstützen können. Dabei besteht regelmäßig die Möglichkeit, zumindest finanzielle Unterstützung durch die eigenen Familienverbände, auch wenn diese sich im Iran befinden, zu erhalten und darüber auch das Überleben zu sichern (Stahlmann, Überleben in Afghanistan? Zur humanitären Lage von Rückkehrenden und ihren Chancen auf familiäre Unterstützung, Asylmagazin 3/2017, S. 73 ff) sowie der Inanspruchnahme von erheblichen Rückkehrhilfen bei einer freiwilligen Rückkehr, die nicht nur das Überleben in der Anfangszeit, sondern darüber hinaus auch die Schaffung einer eigenständigen Existenzgrundlage ermöglichen können.
Dass dies vorliegend nicht der Fall sein sollte, ist weder vorgetragen, noch ersichtlich. Der bisherige Vortrag im Asyl- und Gerichtsverfahren reicht nicht aus, um substantiiert darzulegen, dass der Kläger persönlich nicht in der Lage sein wird, in Afghanistan eine Existenzgrundlage sicherzustellen (vgl. zum Maßstab der Begründung BVerfG, Entscheidung vom 9.7.2018 – 2 BvQ 71/18). Dagegen spricht auch nicht die Entscheidung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofes, U.v. 23.08.2019 – 7 A 2750/15.A -, juris). Denn auch darin wird Folgendes festgestellt:
„Die aufgezeigten wirtschaftlichen und humanitären Verhältnisse stellen sich zwar gerade für Rückkehrer als besonders schwierig dar. Es kann jedoch nicht festgestellt werden, dass die humanitären Bedingungen in Kabul für Rückkehrer aus dem westlichen Ausland generell außerordentliche Umstände darstellen, die ein hohes Gefahrenniveau erwarten lassen und als Verletzung des Art. 3 EMRK auch ohne verantwortliche Akteure qualifiziert werden können.
Die Änderung der Rechtsprechung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofes betrifft nur einen Personenkreis, der weder über nennenswerte finanzielle Rücklagen verfügt noch Verwandte im westlichen Ausland oder in einem Nachbarland hat, die sie finanziell unterstützen können. Darunter fällt der Kläger jedoch aufgrund seiner Familie, die im Iran als Iraner leben, und seines in Deutschland wohnenden Onkels nicht.
Der Kläger ist arbeitsfähig, so dass davon auszugehen ist, dass er in der Lage sein wird, seinen Lebensunterhalt selbst (in zumutbarer Weise) sicherzustellen. Eine dieser Einschätzung entgegenstehende Erkrankung des Klägers ist nicht dargelegt (s.u.).
Aufgrund des klägerischen Vortrags ist die Schwelle für eine Verletzung der Werte des Art. 3 EMRK jedenfalls nicht erreicht. Die Wahrscheinlichkeit, Opfer der Auseinandersetzungen zu werden, bleibt in den einzelnen Provinzen deutlich unter der Schwelle des Art. 3 EMRK (siehe dazu Ausführungen im Urteil dieses Gerichts vom 30.09.2019 – B 8 K 17.30955 – und auch BayVGH, B.v. 5.8.2019 – 13a ZB 19.32217 -, juris)
1.3 Dem Kläger droht auch keine individuelle Gefahr für Leib oder Leben, die zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen würde. Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Dabei sind nach § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG Gefahren, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen. Beruft sich der Ausländer demzufolge auf allgemeine Gefahren, kann er Abschiebungsschutz regelmäßig nur durch einen generellen Abschiebestopp nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG erhalten. Allgemeine Gefahren in diesem Sinne sind alle Gefahren, die der Bevölkerung Afghanistans als solcher auf Grund der derzeit dort bestehenden Sicherheits- und Versorgungslage drohen. Dazu zählen neben der Gefahr, Opfer terroristischer Übergriffe zu werden und Gefahren durch die desolate Versorgungslage auch Gefahren krimineller Aktivitäten.
Dem Kläger droht insbesondere keine individuelle Gefahr für Leib oder Leben, die zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen würde. Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine (individuelle) Gefahr im Sinne dieser Vorschrift kann auch bestehen, wenn der Ausländer an einer Erkrankung leidet, die sich aufgrund der Verhältnisse im Abschiebezielstaat voraussichtlich erheblich verschlimmern wird. Eine (individuelle) Gefahr im Sinne dieser Vorschrift kann auch bestehen, wenn der Ausländer an einer Erkrankung leidet, die sich aufgrund der Verhältnisse im Abschiebezielstaat voraussichtlich verschlimmern wird. Erforderlich aber auch ausreichend ist insoweit, dass sich die vorhandene Erkrankung aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise zu verschlimmern droht, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib und Leben führt, d.h. eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht (vgl. BVerwG, Urteile vom 9.9.1997 – 9 C48.96 -, BVerwGE 105, 383 ff., und vom 17.10.2006 – 1 C 18.05 -, BVerwGE 127, 33 (36); Beschluss vom 17.08.2011 – 10 B 13.11 -, juris). Dies kann beispielsweise dann der Fall sein, wenn in dem Abschiebezielstaat dringend erforderliche Behandlungsmöglichkeiten fehlen oder wenn solche Behandlungsmöglichkeiten zwar vorhanden, für den betreffenden Ausländer aber aus finanziellen oder sonstigen persönlichen Gründen nicht erreichbar sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 29.10.2002 – 1 C 1.02 -, DVBl. 2003, 463). Allerdings muss sich der Ausländer grundsätzlich auf den im Zielstaat vorhandenen Versorgungsstand im Gesundheitswesen verweisen lassen. Denn § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG garantiert auch für chronisch Erkrankte keinen Anspruch auf „optimale Behandlung“ einer Erkrankung oder auf Teilhabe an dem medizinischen Standard in Deutschland. Der Abschiebungsschutz soll den Ausländer vielmehr vor einer gravierenden Beeinträchtigung seiner Rechtsgüter bewahren (vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 14.06.2005 – 11 A 4518/02.A -, juris, und vom 30.10.2006 – 13 A 2820/04.A -, juris). Um ein durch eine Erkrankung begründetes Abschiebungshindernis feststellen zu können, ist indes stets eine hinreichend konkrete Darlegung der gesundheitlichen Situation erforderlich, die in der Regel durch ein ärztliches Attest zu untermauern ist (vgl. dazu nur VG München, Urteil vom 24.2.2012 – M 22 K 10.30780 -, juris; VG Gelsenkirchen, Urteile vom 11. Februar 2014 – 6a K 2325/12.A – und vom 17.72012 – 6a K 4667/10.A -, jeweils juris; siehe auch OVG NRW, Beschluss vom 2.1.2012 – 13 A 2586/11.A -, juris; Bergmann, in: Renner, Ausländerrecht, Kommentar, 10. Aufl. 2013, § 74 AsylVfG Rdnr. 25 ff.).
Die vorgelegten Atteste vermögen es nicht, eine relevante psychische Erkrankung substantiiert darzulegen. (U.v. 11.09.2007, – 10 C 17/07 – juris). Sie erfüllen die Anforderungen, die das Bundesverwaltungsgericht an die Attestierung einer Posttraumatischen Belastungsstörung wegen der Unschärfen des Krankheitsbildes gestellt hat, nicht (BVerwG, B.v. 26.7.2012 – 10 B 21/12; U.v. 11.9.2007 – 10 C 8/07; U.v. 11.9.2007 – 10 C 17/07 – alle in juris). Entsprechendes gilt für die Diagnose einer Depression. Eine Sachverhaltsaufklärungspflicht des Gerichtes quasi „ins Blaue hinein“ ist in § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht vorgesehen.
Nach den oben genannten Entscheidungen muss sich aus einem Attest nachvollziehbar ergeben, auf welcher Grundlage der Facharzt seine Diagnose gestellt hat und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt. Auf Grund der Unschärfen des Krankheitsbildes einer posttraumatischen Belastungsstörung und seiner vielfältigen Symptomatik muss ein ärztliches Attest gewisse Mindestanforderungen erfüllen, um einen hinreichend substantiierten Sachvortrag begründen zu können bzw. eine taugliche ärztliche Bescheinigung darzustellen (vgl. BVerwG, U.v. 11.9.2007 – 10 C 17/07). Dazu gehören etwa Angaben darüber, seit wann und wie häufig sich der Patient in ärztlicher Behandlung befunden hat und ob die von ihm geschilderten Beschwerden durch die erhobenen Befunde bestätigt werden. Des Weiteren soll das Attest Aufschluss über die Schwere der Krankheit, deren Behandlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf (Medikation und Therapie) geben. Wird das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung auf traumatisierende Erlebnisse im Heimatland gestützt und werden die Symptome erst längere Zeit nach der Ausreise aus dem Heimatland vorgetragen, so ist in der Regel auch eine Begründung dafür erforderlich, warum die Erkrankung nicht früher geltend gemacht worden ist.
Entsprechendes gilt denknotwendig für die Diagnose einer schweren depressiven Episode, dessen Krankheitsbild gleichermaßen eine gewisse Unschärfe beinhaltet.
Aus den vorgelegten Attesten wird schon keine schlüssige Begründung dafür erkennbar, warum erstmalig im Attest vom 18.09.2019 die Diagnose der Posttraumatischen Belastungsstörung erfolgt ist, obwohl der Kläger bereits am 16.11.2015 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist. Darüber hinaus fehlt dem Attest vom 18.09.2019 die Benennung eines die Posttraumatische Belastungsstörung auslösenden Ereignisses. Eine solche ist nach ICD 10 F 43.1 jedoch erforderlich. Die Erkrankung ist dort wie folgt definiert:
„Diese entsteht als eine verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer, mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde. (…) Typische Merkmale sind das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (Nachhallerinnerungen, Flashbacks), Träumen oder Albträumen, die vor dem Hintergrund eines andauernden Gefühls von Betäubtsein und emotionaler Stumpfheit auftreten. (…) Der Beginn folgt dem Trauma mit einer Latenz, die wenige Wochen bis Monate dauern kann. Der Verlauf ist wechselhaft, in der Mehrzahl der Fälle kann jedoch eine Heilung erwartet werden. In wenigen Fällen nimmt die Störung über viele Jahre einen chronischen Verlauf und geht dann in eine andauernde Persönlichkeitsänderung (F62.0) über.“
Diese Voraussetzungen sind schon mangels eines auslösenden Ereignisses in keiner Weise erfüllt. Auch enthält das erstmalig nach der bislang einmaligen stationären Behandlung ausgestellte Attest vom 04.04.2019 keine derartige Diagnose.
Soweit im Attest vom 04.04.2019 eine „schwere depressive Episode …“ diagnostiziert wird, ist dies mit den Ausführungen im Text auf Seite 3 des Attestes nicht in Übereinstimmung zu bringen und damit nicht plausibel. Auf Seite 3 des Attestes heißt es unter „Psychologische Testungen: Befund Becks-Depressions-Inventar bei Klinikaufnahme“: „Dieser Befund spricht für eine mittelgradige depressive Symptomatik“. Wie die Diagnose einer schweren depressiven Episode zustande kommt, erschließt sich deshalb nicht.
Eine schwere depressive Episode mit psychotischen Symptomen ist nach ICD 10 F 32.3 wie folgt definiert:
„Eine schwere depressive Episode, wie unter F32.2 beschrieben, bei der aber Halluzinationen, Wahnideen, psychomotorische Hemmung oder ein Stupor so schwer ausgeprägt sind, dass alltägliche soziale Aktivitäten unmöglich sind und Lebensgefahr durch Suizid und mangelhafte Flüssigkeits- und Nahrungsaufnahme bestehen kann. Halluzinationen und Wahn können, müssen aber nicht, synthym sein.“
Dass dem Kläger alltägliche soziale Aktivitäten unmöglich sind, ergibt sich weder aus seinen eigenen Darstellungen beim Bundesamt oder in der mündlichen Verhandlung noch aus dem Attest. Im Attest ist dazu nichts ausgeführt. In den Stellungnahmen im Asylverfahren sind vielmehr umfangreiche soziale Tätigkeiten des Klägers in der Kirchengemeinde dargestellt (Hausbibelkreis des … in H**, Beteiligung an Gottesdiensten, Zugehörigkeit zum erweiterten Kirchenvorstand als Ersatzmann, Übersetzer für andere Asylbewerber). Eine psychomotorische Hemmung dergestalt, dass alltägliche soziale Aktivitäten nicht möglich sind, ist deshalb nicht dargelegt oder sonst erkennbar.
Auch die Voraussetzungen einer (nicht diagnostizierten) mittelgradigen depressiven Episode wären nicht gegeben. Eine solche ist nach ICD 10 F 32.1 wie folgt definiert:
„Gewöhnlich sind vier oder mehr der oben angegebenen Symptome vorhanden, und der betroffene Patient hat meist große Schwierigkeiten, alltägliche Aktivitäten fortzusetzen.“
Es fehlt hier ebenso angesichts der oben genannten Aktivitäten des Klägers im Alltag die Darlegung der großen Schwierigkeiten, alltägliche Aktivitäten fortzusetzen.
Sollte eine leichte depressive Episode nach ICD 10 F 32.0 vorliegen (eine solche ist nicht diagnostiziert), so würde eine solche die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbotes in aller Regel nicht erfüllen. Sie ist wie folgt definiert:
„Gewöhnlich sind mindestens zwei oder drei der oben angegebenen Symptome vorhanden. Der betroffene Patient ist im Allgemeinen davon beeinträchtigt, aber oft in der Lage, die meisten Aktivitäten fortzusetzen.“
Soweit hinsichtlich der diagnostizierten Depression als auch bei der beschriebenen Suizidgefahr auf eine befürchtete Beendigung des Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland abgestellt wird, beruht diese Gefahr den Angaben im Attest zufolge nicht auf einer Erkrankung, die „aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in Afghanistan in einer Weise zu verschlimmern droht und zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib und Leben führt, d.h. eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht.“ Diese Verknüpfung einer Depression sowie der Suizidgefahr mit einer drohenden Abschiebung besteht im Inland und ist dem ausschließlich zielstaatsbezogenen Asylrecht nicht zugänglich.
Soweit im Attest vom 04.04.2019 auf einen früheren Suizidversuch (offenbar im Jahr 2017) mit 6 Tabletten Ibuprofen hingewiesen wurde, so ist solches mangels einer damaligen ärztlichen Stellungnahme nicht nachprüfbar.
Es drängt sich im Übrigen angesichts der Ausführungen der Zusammenhänge mit der Abschiebungsangst im Attest ein Zusammenhang des stationären Aufenthalts vom 08.02. bis 13.03.2019 mit dem Auslaufen seiner Aufenthaltsgenehmigung am 25.03.2019 (vgl. Attest vom 04.04.2019 „Aktuelle Anamnese“), auf, was wiederum die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot (s.o.) nicht erfüllen würde.
Mangels hinreichend substantiierter Begründung (s.o.) ist dem Beweisantrag des Prozessbevollmächtigten des Klägers in der mündlichen Verhandlung bezüglich einer psychischen Erkrankung nicht nachzugehen (vgl. BayVGH, B.v. 17.1.2018 – 10 ZB 17.3072 und BayVGH, B.v. 26.10.2017 – 13a ZB 17.30985); hierin ist unter Berücksichtigung der vorgelegten ärztlichen Atteste vielmehr ein (unzulässiger) Ausforschungsbeweis zu sehen.
Im Übrigen stehen die im Attest genannten Medikamente in Afghanistan grundsätzlich zur Verfügung (vgl. hinsichtlich Mirtazipin: MedCOI, Country Fact Sheet, Access to Healthcare: Afghanistan, vom Mai 2019; hinsichtlich Citalopram: MedCOI, Anfragebeantwortung vom 07.03.2012, AF-2395- 2012; hinsichtlich Trimipramin: Botschaft der Bundesrepublik Deutschland Kabul, Auskunft an das Verwaltungsgericht Hamburg vom 31.08.2004).
Eine Behandlung wäre zwar schwer erreichbar, aber nicht unmöglich (MedCOI, Country Fact Sheet, Access to Healthcare: Afghanistan, von Mai 2019, S. 56 ff.; Accord vom 06.10.2015, Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Behandlungsmöglichkeiten für psychisch erkrankte/traumatisierte Personen in Kabul – a-9353-3 (9355)).
1.4 Es bestehen auch gegen die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung einschließlich der Zielstaatbestimmung im Hinblick auf § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG keine Bedenken.
1.5 Gründe, die gegen die Rechtmäßigkeit der von der Beklagten getroffenen Entscheidung bezüglich der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots sprechen, wurden nicht vorgebracht und sind auch nach den Erkenntnissen in der mündlichen Verhandlung nicht ersichtlich. Sie sind in Zusammenhang mit der abändernden Entscheidung des Bundesamtes im Bescheid vom 03.07.2019 zu sehen.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gem. § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert bestimmt sich nach § 30 RVG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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