Medizinrecht

Abschiebungsverbot, Subsidiärer Schutz, Flüchtlingseigenschaft, Offensichtlich unbegründet, Maßgeblicher Zeitpunkt, Asylberechtigte, Asylantrag, Abschiebungshindernis, Abschiebungsandrohung, Überstellung nach Griechenland, Ärztliches Attest, Verwaltungsgerichte, mündlich Verhandlung, Kostenentscheidung, Vorverfolgung, Terminsverlegung, Rechtsmittelbelehrung, Gerichtskosten, medizinische Versorgung, Klageabweisung

Aktenzeichen  W 6 K 20.30311

Datum:
3.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 6970
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 3
AsylG § 4
AsylG § 30
AufenthG § 60 Abs. 5
AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen, gegen die Entscheidung über den Asylantrag als offensichtlich unbegründet.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Über die Klage konnte entschieden werden obwohl keiner der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung erschienen war, § 102 Abs. 2 VwGO. Die Beteiligten wurden ordnungsgemäß und rechtzeitig zur mündlichen Verhandlung geladen. Bei der Ladung wurde darauf hingewiesen, dass bei Ausbleiben eines der Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann.
Die zulässige Klage ist hinsichtlich des Asylantrags offensichtlich unbegründet, im Übrigen unbegründet. Der Bescheid vom 21. Februar 2020 ist dahingehend rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO), denn der Klägerin steht zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) offensichtlich kein Aufenthalts- bzw. Bleiberecht zu (vgl. § 30 AsylG). Ebenso liegen keine Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor.
1. Die Abweisung einer Klage als offensichtlich unbegründet mit der Folge der Unanfechtbarkeit der Entscheidung setzt voraus, dass im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise keine Zweifel bestehen und sich bei diesem Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsaufassung die Abweisung der Klage für das Verwaltungsgericht geradezu aufdrängt (BVerfG, B.v. 12.7.1983 – 1 BvR 1470/82 – BVerfGE 65, 76/95 ff.; U.v. 11.12.1985 – 2 BvR 361/83 – BVerfGE 71, 276/293 ff.). Diese Grundsätze gelten nicht nur für das in Art. 16a Abs. 1 GG verankerte Asylgrundrecht und für Verfahren, die auf internationalen Schutz nach § 3 AsylG und § 4 AsylG gerichtet sind (zur Vorgängervorschrift des § 60 Abs. 1 AufenthG vgl. BVerfG, B.v. 20.9.2001 – 2 BvR 1392/00 – InfAuslR 2002, 146/148), sondern auch für Klagen, soweit sie die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG zum Gegenstand haben (BVerfG, B.v. 20.12.2006 – 2 BvR 2063/06 – NVwZ 2007, 1046).
Ein Asylantrag ist offensichtlich unbegründet, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter und die Voraussetzungen für internationalen Schutz offensichtlich nicht vorliegen (vgl. § 30 Abs. 1 AsylG). Aus den Gründen muss sich klar ergeben, weshalb dieser Ausspruch in Betracht kommt, insbesondere, warum der Asylantrag nicht nur als schlicht unbegründet, sondern als offensichtlich unbegründet abgewiesen worden ist (vgl. grundlegend BVerfG, B.v. 3.9.1996 – 2 BvR 2353/95 – BayVBl 1997, 15; BVerfG, B.v. 2.5.1984 – 2 BvR 1413/83 – juris Rn. 27).
Gemessen an diesen Maßstäben ist die Klage in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang als offensichtlich unbegründet abzuweisen. Der Vortrag der Klägerin im Verwaltungs- als auch im gerichtlichen Verfahren rechtfertigt unter keinem rechtlichen und sachlichen Gesichtspunkt die Anerkennung als Asylberechtigte oder die Zuerkennung internationalen Schutzes im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG. Die Voraussetzungen der Zuerkennung der Eigenschaft eines Flüchtlings i.S.v. § 3 AsylG und § 60 Abs. 1 AufenthG oder Anerkennung als Asylberechtigte liegen bei der Klägerin offensichtlich nicht vor. Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer, der Flüchtling nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Ein Ausländer ist nach § 3 Abs. 1 AsylG Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560 – Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb seines Herkunftslandes befindet. Eine Verfolgung i. S. des § 3 AsylG kann nach § 3c Nr. 3 AsylG auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern der Staat oder ihn beherrschende Parteien oder Organisationen einschließlich internationale Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten.
Die Klägerin hat im Verwaltungs- und gerichtlichen Verfahren als Ausreisegrund (nur) angegeben, dass sie an einer schweren Krebserkrankung leide, wegen derer sie sich bereits in Armenien in Behandlung befand. Sonstige Gründe wurden nicht vorgetragen. Damit hat die Klägerin ihr Heimatland nicht aus begründeter Furcht vor Verfolgung verlassen, geschweige denn aus politisch motivierter Verfolgung. An diesem Vorbringen bestehen aus Sicht des Gerichts keinerlei Zweifel, sodass sich die Abweisung geradezu aufdrängt. Im Hinblick auf Gewähr von subsidiärem Schutz (§ 4 AsylG) ergibt sich nichts anderes, denn die Klägerin hat auch offensichtlich keinen Anspruch auf Gewährung subsidiären Schutzes im Sinne von § 4 Abs. 1 AsylG. Es wurden keinerlei Gründe vorgebracht, dass ihr bei einer Abschiebung nach Armenien ein ernsthafter Schaden drohen könnte.
Es wird im Übrigen Bezug genommen auf die Gründe des angefochtenen Bescheids (§ 77 Abs. 2 AsylG) sowie den Beschluss im Verfahren W 8 S 20.30312.
2. Der streitgegenständliche Bescheid ist auch insoweit rechtmäßig, soweit das Nichtvorliegen von (zielstaatsbezogenen) Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG festgestellt wurde (Nr. 4 des Bescheids).
Soweit vorgetragen wird, dass die Klägerin aufgrund ihrer Erkrankungen behandelt werden muss, führt dies nicht zu einer konkreten individuellen extremen Gefahr für Leib und Leben im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
Eine solche Gefahr kann zwar bei einer lebensbedrohlichen Krankheit vorliegen, die sich alsbald nach der Rückführung erheblich verschlimmern und zum Tode führen würde (BVerwG, B.v. 24.5.2006 – 1 B 118.05, NVwZ 2007, 345/346 a.E.). Ob eine erhebliche konkrete Gefahr besteht, muss anhand des gleichen Wahrscheinlichkeitsmaßstabs wie im Asylrecht, nämlich demjenigen der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“, beurteilt werden (vgl. BVerwG, U.v. 17.10.1995 – BVerwG 9 C 9.95 – BVerwGE 99, S. 324/330). Eine krankheitsbedingte zielstaatsbezogene Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 7 AufenthG kann sich im Einzelfall auch daraus ergeben, dass der erkrankte Ausländer eine an sich im Zielstaat verfügbare medizinische Behandlung tatsächlich nicht erlangen kann. Dies kann zum einen der Fall sein, wenn im Herkunftsstaat des Ausländers eine notwendige ärztliche Behandlung oder Medikation für die betreffende Krankheit wegen des geringeren Versorgungsstandards generell nicht verfügbar ist. Zum anderen kann sich ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis darüber hinaus trotz an sich verfügbarer medikamentöser und ärztlicher Behandlung auch aus sonstigen Umständen im Zielstaat ergeben, die dazu führen, dass der betroffene Ausländer diese medizinische Versorgung tatsächlich nicht erlangen kann, z. B. wenn eine notwendige Behandlung oder Medikation zwar allgemein zur Verfügung steht, dem betroffenen Ausländer individuell jedoch aus finanziellen oder sonstigen Gründen nicht zugänglich ist (vgl. BVerwG, U. v. 29.10. 2002 – 1 C 1/02 -, DVBl 2003, S. 463). Konkret ist die durch eine Krankheit verursachte Gefahr, wenn die Verschlechterung des Gesundheitszustandes alsbald nach der Rückkehr in das Heimatland eintreten würde, weil eine adäquate Behandlung dort nicht möglich ist (BVerwGE 127, 33 Rn. 15 m.w.N.). Es ist aber nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist, § 60 Abs. 7 S. 3 (vgl. dazu Thym NVwZ 2016, 409 (412), der auf BVerfGE 54, 341 (357) verweist).
An diesen Maßstäben ist das Vorbringen der Klägerin zu messen. Die Klägerin hat zu ihren Erkrankungen (u.a. schwere depressive Episode, Hypertonie, abdominelle Schmerzzustände nach Hemicolektomie) diverse ärztliche Atteste vorgelegt. Eine schwerwiegende oder lebensbedrohliche Erkrankung im Sinn des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG lässt sich damit den vorgelegten ärztlichen Attesten nicht entnehmen. Nach den vorliegenden Erkenntnissen sowie aus den ärztlichen Attesten ist nicht ersichtlich, dass die Erkrankungen der Klägerin nicht auch wie schon bisher in Armenien behandelt bzw. weiter behandelt werden könnten. Insbesondere lässt sich den vorgelegten Unterlagen nicht entnehmen, dass eine Rückkehr nach Armenien aus medizinischen Gründen unzumutbar wäre, weil sich etwaige lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankungen durch die Abschiebung unmittelbar verschlechtern würden. Darüber hinaus fehlt es an einer erheblichen konkreten Gefahr, dass eine gravierende Verschlechterung des Gesundheitszustandes alsbald nach Abschiebung in den Zielstaat eintreten würde. Dies gilt umso mehr für den Fall, dass sich die Klägerin den Möglichkeiten des armenischen Gesundheitssystems unterwirft.
Die gesundheitliche Situation und die Möglichkeiten der medizinischen Versorgung der Klägerin stellen sich bei der Rückkehr nach Armenien nicht anders dar als vor ihrer Ausreise und wie bei zahlreichen anderen Landsleuten in vergleichbarer Lage. Die Klägerin muss sich grundsätzlich auf den in ihrem Heimatstaat vorhandenen Versorgungsstandort im Gesundheitswesen verweisen lassen. Erkrankte haben keinen Anspruch auf eine optimale Behandlung ihrer Erkrankung, was insbesondere auch für eine etwaige Behandlung von bereits bestehenden oder Folgeerkrankungen gilt. Es ist darüber hinaus nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist, § 60 Abs. 7 Satz 4 AufenthG.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen


Nach oben