Medizinrecht

Anforderung eine Gutachtens – Umfang der Pflichten des Betroffenen

Aktenzeichen  11 CS 18.2400

Datum:
3.4.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 7153
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5, § 146
FeV § 11 Abs. 2, Abs. 8
Anlage 4 zur FeV Nr. 7

 

Leitsatz

1 Kann ein Kfz-Fahrer die Beweislage nicht mehr einsehen und keine genaueren Angaben zu Zeit und Menge des Alkoholkonsums oder der Uhrzeit machen, scheint er auch hinsichtlich seiner Biographie zeitlich nicht mehr orientiert, hat größere Gedächtnislücken und bringt einfache Verrichtungen wie das Anschnallen nicht mehr fertig, vermittelt er den Eindruck fehlender Fahreignung, die eine Gutachtensanordnung rechtfertigt. (redaktioneller Leitsatz)
2 Es obliegt nicht der Fahrerlaubnisbehörde nachzuforschen, weshalb die beauftragte Begutachtungsstelle kein Gutachten erstellt oder der Antragsteller ein Gutachten nicht erhalten hat; die Begutachtungsstelle erfüllt im Rahmen der Begutachtung nicht einen Teil der an sich staatlichen Stellen obliegenden Aufgaben, sondern unterstützt lediglich den Betroffenen bei Erfüllung einer ihm im konkreten Verwaltungsverfahren treffenden Obliegenheit. Es ist daher seine Aufgabe, einen rechtzeitigen Zugang des Gutachtens bei der Behörde sicherzustellen. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

W 6 S 18.1198 2018-10-22 Bes VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 5.000,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Entziehung der ihm am 21. April 1966 erteilten Fahrerlaubnis der Klasse 3 (alt).
Anfang April 2018 wurde der Fahrerlaubnisbehörde des Landratsamts Bad K. durch eine polizeiliche Mitteilung vom 28. März 2018 bekannt, dass gegen den Antragsteller wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort und Gefährdung des Straßenverkehrs infolge Alkohols am 27. März 2018 ermittelt werde. Der Antragsteller habe an diesem Tag gegen 18:30 Uhr beim Rangieren mit seinem Außenspiegel den Außenspiegel eines geparkten Pkw beschädigt (Schaden ca. 250,- EUR). Von Zeugen angesprochen habe er geäußert, da sei doch nichts, und habe sich entfernt. Die Polizei, die erst gegen 20:14 Uhr an der Unfallstelle eingetroffen sei, habe die Adresse des Antragstellers angefahren. Ein Atemalkoholtest um 21:36 Uhr habe 0,21 mg/l ergeben. Der Antragsteller habe auf die ermittelnden Beamten generell einen verwirrten Eindruck gemacht. Er habe auch, nachdem ihm die Auswertung der Anstoßhöhen offengelegt worden sei, bestritten, den Schaden verursacht zu haben. Ihm seien keine genauen Angaben zu Zeit und Menge des letzten Alkoholkonsums möglich gewesen bzw. habe er dazu widersprüchliche Angaben gemacht. Im Dienstfahrzeug habe er zunächst versucht, sich im rechten Fond mit dem Gurt des Beifahrersitzes anzuschnallen. Es habe ihm beim Anschnallen geholfen werden müssen. Er habe gemeint, bereits seit über 30 Jahren in Rente zu sein, und auf die Frage nach seinem Alter auf seine Frau verwiesen. Im Krankenhaus habe er dem Arzt zwei falsche Antworten auf die Frage nach der Uhrzeit gegeben. Den Zeugen W., der gesagt habe, mit dem Antragsteller nichts weiter zu tun zu haben, habe er als „Kumpel“ bezeichnet. Von seiner früheren Arbeit habe er den Beamten mindestens fünfmal die gleiche Geschichte erzählt. Seine Krankenkarte, welche seine Frau zehn Minuten vorher in seine Jackentasche gesteckt habe, habe er zunächst nicht finden können. Er habe auch viermal nachgefragt, wie lange sein Führerschein nun weg sei, nachdem ihm das übliche Procedere jedes Mal aufs Neue erläutert worden sei. Da er auch trotz mehrfacher Erläuterung meistens nicht genau verstanden habe, was er unterschreiben solle, seien die nicht getätigten Unterschriften als verweigert angesehen und die Blutentnahme polizeilich angeordnet worden. Insgesamt habe der Antragsteller auf die ermittelnden Polizeibeamten und den behandelnden Arzt bei der angeordneten Blutentnahme nicht den Eindruck gemacht, noch in der Lage zu sein, ein Kraftfahrzeug sicher zu führen. Der die Blutentnahme durchführende Arzt hielt in seinem Bericht vom 27. März 2018 fest: „Der Patient ist teilweise verwirrt, wegen Geisteskrankheit oder Alkoholbeeinflussung.“
Nach dem Bericht des Bayerischen Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) vom 3. April 2018 ergaben die Blutproben eine Alkoholkonzentration von 0,34 ‰ und 0,28 ‰.
Das strafrechtliche Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Schweinfurt (Az. 3 Js 3828/18) wegen des Verdachts der Straßenverkehrsgefährdung wurde nach § 153a StPO gegen eine Geldauflage von 400,- EUR eingestellt. Den beschlagnahmten Führerschein erhielt der Antragsteller mit Schreiben der Staatsanwaltschaft Schweinfurt vom 10. April 2018 wieder zurück.
Anlässlich einer persönlichen Vorsprache beim Landratsamt am 23. April 2018 gaben der Antragsteller und seine Ehefrau an, dass bei ihm kein Alkohol festgestellt worden sei, er gesund sei, fahren könne und bisher tadellos gefahren sei.
Mit Schreiben vom 8. Mai 2018 ordnete das Landratsamt unter Verweis auf den polizeilichen Eindruck geistiger Verwirrtheit gemäß § 11 Abs. 2 FeV i.V.m. Nr. 7 der Anlage 4 zur FeV die Beibringung eines Gutachtens eines Arztes einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle bis 8. August 2018 zu der Frage an, ob bei ihm eine Erkrankung nach Nr. 7 der Anlage 4 zur FeV vorliege, die die Fahreignung infrage stelle, wenn ja, ob er (wieder) in der Lage sei, den Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 und 2 vollständig gerecht zu werden, ob eine ausreichende Compliance vorliege und diese auch umgesetzt werde (Adhärenz), ob Beschränkungen, Auflagen oder Nachuntersuchungen erforderlich seien, um den Anforderungen an das Führen eines Kraftfahrzeugs weiterhin gerecht zu werden, ob insbesondere eine oder mehrere fachlich einzelfallbegründete Auflagen nach Anlage 4 (z.B. ärztliche Kontrollen) erforderlich seien, gegebenenfalls in welchem zeitlichen Abstand und wie lange, was ggf. regelmäßig kontrolliert und attestiert werden solle, ob und ggf. warum die Ergebnisse der Fahrerlaubnisbehörde vorzulegen seien, ob eine fachlich einzelfallbegründete Nachuntersuchung im Sinne einer erneuten Begutachtung erforderlich sei und wenn ja, in welchem zeitlichen Abstand.
Mit Schreiben vom 20. Juni 2018 sandte der TÜV Süd Sch. die Fahrerlaubnisunterlagen mit dem Vermerk zurück, die Untersuchung habe wegen fehlender Mitarbeit des Antragstellers nicht durchgeführt werden können.
Im Rahmen der Anhörung zur beabsichtigten Entziehung der Fahrerlaubnis ließ der Antragsteller durch seinen Bevollmächtigten vortragen, er habe am 20. Juni 2018 mit seiner Ehefrau den Termin bei der Begutachtungsstelle in Sch. definitiv wahrgenommen. Der Vorwurf fehlender Mitarbeit treffe nicht zu. Auf telefonische Rückfrage des Landratsamtes beim TÜV Süd Sch. hin bestätigte dieser die fehlende Mitarbeit und berief sich im Übrigen auf seine Schweigepflicht.
Mit Bescheid vom 7. September 2018 entzog das Landratsamt dem Antragsteller wegen Nichtbeibringung des Gutachtens die Fahrerlaubnis, zog seinen Führerschein ein und gab ihm unter Androhung eines Zwangsgeldes auf, den Führerschein unverzüglich, spätestens bis 14. September 2018, beim Landratsamt abzugeben. Ferner ordnete es jeweils die sofortige Vollziehung dieser Verfügungen an.
Am 13. September 2018 ließ der Antragsteller durch seinen Bevollmächtigten Anfechtungsklage (W 6 K 18.1199) beim Verwaltungsgericht Würzburg erheben, über die noch nicht entschieden ist, und zugleich beantragen, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen. Mit Beschluss vom 22. Oktober 2018 lehnte das Verwaltungsgericht den Antrag mit der Begründung ab, das Landratsamt habe zu Recht die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens angeordnet und nach dessen Nichtbeibringung gemäß § 11 Abs. 8 FeV die Fahrerlaubnis entzogen. Gemäß Nr. 7 der Anlage 4 zur FeV sei bei bestimmten psychischen Störungen die Fahreignung teilweise ausgeschlossen bzw. werde sie zum Teil einzelfallbezogen beurteilt. Der Antragsteller habe – ungeachtet seines Vortrags, bei dem Begutachtungstermin anwesend gewesen zu sein – das geforderte Gutachten nicht vorgelegt und keinen nachvollziehbaren Grund hierfür genannt. Nach seinen Angaben habe er die erforderlichen Gebühren bezahlt. Die Vorlage des Gutachtens obliege ihm. Die Gutachtensanordnung sei rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen. Soweit kritisiert werde, dass sich das Landratsamt auf die Eindrücke der Polizeibeamten stütze, sei dem entgegenzuhalten, dass gerade diese ein hohes Maß an Erfahrung im Umgang mit auffälligen Mitmenschen hätten. Die beobachteten Auffälligkeiten ließen in ihrer Summe Zweifel an der Fahreignung des Antragstellers, der den Eindruck gemacht habe, leicht verwirrt und schwer von Begriff zu sein, aufkommen. Diesen – ärztlich bestätigten – Eindruck habe die Polizei nicht aufgrund eines kurzen Kontakts, sondern im Verlaufe eines Abends gewonnen. Die Feststellungen im ärztlichen Bericht hätten aufgrund des Sachverstands des behandelnden Arztes ein hohes Gewicht. Nachdem der ermittelte Blutalkoholwert nicht so hoch sei, dass er nennenswerte Beeinträchtigungen erklären könnte, scheine Alkohol als Ursache auszuscheiden. Das polizeilich mitgeteilte Verhalten sei daher geeignet, Zweifel an der geistigen Fahreignung des Antragstellers hervorzurufen, die nur im Rahmen eines ärztlichen Gutachtens geklärt werden könnten.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers, mit der er die Aufhebung des Gerichtsbeschlusses und die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage beantragt. Der Antragsteller bestreitet, dass er sich geweigert habe, sich untersuchen zu lassen oder das Gutachten beizubringen. Er habe aktiv an der Begutachtung teilgenommen, was durch die persönliche Einvernahme seiner Ehefrau unter Beweis gestellt sei. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, er könne keinen nachvollziehbaren Grund für die Nichtvorlage des Gutachtens nennen, sei falsch. Vielmehr wisse der Antragsteller nicht, weshalb das Gutachten nicht gefertigt worden oder aber auf dem Weg zu ihm verloren gegangen sei. Auf das Telefaxschreiben vom 24. August 2018 an das Landratsamt habe er keine Antwort erhalten. Habe ein Proband an der ärztlichen Untersuchung teilgenommen und dies auch unter Beweis gestellt, sei es zunächst einmal Sache des Antragsgegners nachzuweisen, dass das Gutachten tatsächlich nicht erstellt worden sei. Dies habe das Landratsamt unterlassen. Der Hinweis, das Gutachten liege nicht vor, gehe am eigentlichen Problem vorbei. Es stelle sich die Frage, weshalb der Antragsteller, der die Gebühr vollständig bezahlt habe, nicht an der Begutachtung teilgenommen haben solle. Er sei als Rentner nicht auf Rosen gebettet und auf seinen Führerschein angewiesen, weil er in einem kleinen Dorf lebe. Allein die Erkenntnis, dass das Gutachten nicht vorliege, verlagere die Beibringungspflicht ausschließlich auf den Antragsteller, der jedoch aus seiner Sicht und unter Berücksichtigung seines Beibringungshorizonts alles getan habe, was er hätte tun können. Es sei zu bezweifeln, ob der Antragsgegner alles getan habe, um sich in den Besitz des Gutachtens zu bringen. Es dürfte üblichen Gepflogenheiten entsprechen, dass der TÜV Süd das Gutachten entsprechend veranlasse oder der Behörde mitteile, wenn der Proband tatsächlich die Begutachtung verweigere. Es greife sicher zu kurz, nur zu schweigen bzw. dies dem Beschwerdeführer anzulasten, der darauf keinen Einfluss nehmen könne. Außerdem greife das Verwaltungsgericht ausschließlich auf die vermeintlichen Erkenntnisse der Polizei zurück. Es werde lediglich mit Deutungen und Mutmaßungen gearbeitet, ohne konkret nachweisen zu können, dass dem Antragsteller irgendeine psychische Erkrankung anzudichten oder anzulasten wäre. Sei ein älterer Mensch auch einmal leicht verwirrt oder hinterlasse er den Eindruck, schwer von Begriff zu sein, sei dies kein Nachweis dafür, dass er grundsätzlich außerstande wäre, ein Fahrzeug sicher zu führen. Der Antragsteller habe über Jahrzehnte als Berufskraftfahrer gearbeitet. Soweit das Verwaltungsgericht ausschließlich den Feststellungen im ärztlichen Bericht folge, sei anzumerken, dass der Arzt den Antragsteller vielleicht eine halbe Stunde gesehen habe. Er möge in Anbetracht des BAK-Wertes unter Alkoholeinfluss gestanden haben. Dies heiße aber nicht, dass gleichzeitig von einer Geisteskrankheit auszugehen sei.
Der Antragsgegner tritt der Beschwerde entgegen. Soweit der Beschwerdeführer darauf abstelle, dass das Landratsamt nicht hinreichend an der Beibringung des Gutachtens mitgewirkt bzw. nach dessen Verbleib geforscht habe, werde verkannt, dass allein der Antragsteller Vertragspartner der Begutachtungsstelle, Empfangsberechtigter des Gutachtens und Vorlageverpflichteter sei. Es fehle zum Beispiel jeder Nachweis darüber, dass er sich – was naheliegend wäre – selbst bei der Begutachtungsstelle nach dem Verbleib des Gutachtens erkundigt hätte. Abgesehen davon ergebe sich auch aus einer allgemeinen Folgenabschätzung, dass eine vorläufige Teilnahme des Antragstellers am Straßenverkehr bis zur Entscheidung über die Hauptsache nicht verantwortet werden könne.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
Aus den im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), ergibt sich nicht, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu ändern oder aufzuheben wäre.
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl I S. 310), zum maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses in der zum 1. Januar 2018 in Kraft getretenen Fassung des Gesetzes vom 30. Juni 2017 (BGBl I S. 2162), und § 46 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 13. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt zuletzt geändert durch Verordnung vom 3. Mai 2018 (BGBl I S. 566), hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 46 Abs. 3 FeV). Nach § 11 Abs. 2 Satz 1 FeV kann die Fahrerlaubnisbehörde die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens, unter anderem ein Gutachten eines Arztes einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle (§ 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 5 FeV), anordnen, wenn Tatsachen bekannt werden, die Bedenken gegen die körperliche oder geistige Eignung des Fahrerlaubnisinhabers begründen. Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen, oder bringt er das geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, darf nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf die Nichteignung geschlossen werden. Der Schluss auf die Nichteignung ist allerdings nur zulässig, wenn die Anordnung der Begutachtung formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig ist (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 3 C 20.15 – BVerwGE 156, 293 = juris Rn. 19).
Bedenken gegen die körperliche und geistige Fahreignung bestehen nach § 11 Abs. 2 Satz 2 FeV insbesondere, wenn Tatsachen bekannt werden, die auf eine Erkrankung oder einen Mangel nach Anlage 4 oder 5 zur FeV hinweisen. Nicht erforderlich ist also, dass eine solche Erkrankung oder ein solcher Mangel bereits feststeht. Allerdings darf die Beibringung des Gutachtens nur aufgrund konkreter Tatsachen, nicht auf einen bloßen Verdacht „ins Blaue hinein“ bzw. auf Mutmaßungen, Werturteile, Behauptungen oder dergleichen hin verlangt werden (vgl. BVerwG, U.v. 5.7.2001 – 3 C 13.01 – NJW 2002, 78 = juris Rn. 26; Siegmund in Freymann/Wellner jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, § 11 FeV Rn. 36). Ob die der Behörde vorliegenden Tatsachen ausreichen, ist nach den gesamten Umständen des jeweiligen Einzelfalls zu beurteilen. Gleiches gilt für den genauen Grad der Konkretisierung, die die von der Fahrerlaubnisbehörde gemäß § 11 Abs. 6 Satz 1 und 2 FeV festzulegende und mitzuteilende Fragestellung aufweisen muss (BVerwG, B.v. 5.2.2015 – 3 B 16.14 – BayVBl 2015, 421 = juris Rn. 9; BayVGH, B.v. 3.9.2015 – 11 CS 15.1505 – juris Rn. 13).
Die ausführlich geschilderten Beobachtungen der Polizei über die Vorfälle am 27. März 2018 und die Feststellung des die Blutentnahme durchführenden Arztes waren in der Gesamtschau ein ausreichender Anknüpfungspunkt für Fahreignungszweifel, auch wenn der Arzt den wahrgenommenen Zustand der Verwirrtheit entweder einer geistigen Erkrankung oder dem Einfluss von Alkohol zugeschrieben hat, dessen Ursache also nicht sicher bestimmen konnte. Entscheidend ist, dass der Antragsteller einem geschulten Beobachter dadurch, dass er die Beweislage nicht mehr einsehen und keine genaueren Angaben zu Zeit und Menge des Alkoholkonsums oder der Uhrzeit machen konnte, auch hinsichtlich seiner Biographie zeitlich nicht mehr orientiert schien, größere Gedächtnislücken hatte, einfache Verrichtungen wie das Anschnallen nicht mehr fertiggebracht hat und einfachen Anweisungen nicht mehr folgen konnte, den Eindruck vermittelt hat, dass seine Realitätswahrnehmung, Aufmerksamkeit bzw. Konzentrationsfähigkeit eingeschränkt sind und dass als Ursache hierfür eine geistige Erkrankung in Betracht kommt. Wie dargelegt ist nicht erforderlich, dass ein Fahreignungsmangel aufgrund einer geistigen Erkrankung bereits feststeht. Bei der zusammenfassenden Wertung der Polizei und des Arztes, der Antragsteller habe (zumindest teilweise) verwirrt gewirkt, handelt es sich nicht um eine bloße Mutmaßung. Sie beruht vielmehr auf der Verhaltensbeobachtung besonders geschulter Polizeibeamter und eines Arztes, die auch nicht dadurch entwertet wird, dass der Arzt sich dem Antragsteller – wie er vorträgt – nur eine halbe Stunde gewidmet habe. In diesem Zusammenhang hat das Verwaltungsgericht zutreffend darauf hingewiesen, dass der ärztliche Eindruck sich mit dem der Polizeibeamten, die längere Zeit Gelegenheit dazu hatten, den Antragsteller zu beobachten, deckt.
Der Schluss auf die fehlende Fahreignung ist nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV nicht nur dann gerechtfertigt, wenn sich der Betroffene weigert, sich untersuchen zu lassen, sondern schon dann, wenn er – was hier der Fall ist – das von ihm geforderte Gutachten nicht fristgerecht beibringt. Daher ist es nicht entscheidungserheblich, ob der Antragsteller seine Mitwirkungspflicht eventuell dadurch verletzt hat, dass er gegenüber dem Gutachter ungenügende oder keine glaubhaften Angaben gemacht hat (vgl. BayVGH, B.v. 6.12.2018 – 11 CS 18.1777 – juris Rn 22). Entgegen der Meinung des Antragstellers war die Fahrerlaubnisbehörde weder verpflichtet nachzuweisen, dass kein Gutachten erstellt worden ist, noch dazu, „sich in den Besitz des Gutachtens zu bringen“. Es oblag ihr auch nicht nachzuforschen, weshalb die beauftragte Begutachtungsstelle kein Gutachten erstellt oder der Antragsteller ein Gutachten nicht erhalten hat. Abgesehen davon, dass sich das Landratsamt durchaus darum bemüht hat, eine Auskunft der Begutachtungsstelle zu erhalten, die diese aber unter Hinweis auf ihre Schweigepflicht verweigert hat, oblag es allein dem Antragsteller als Auftraggeber des Gutachtens, die von der Begutachtungsstelle geschuldete Leistung einzufordern. Nach der gesetzlichen Regelung in § 11 Abs. 6 Satz 2, 3 und 5 FeV wählt er die begutachtende Stelle aus, erteilt er den als zivilrechtlichen Werkvertrag zu qualifizierenden Auftrag im eigenen Namen und ist er alleiniger Kostenschuldner (vgl. Siegmund in Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, Stand 16.1.2019, § 11 FeV Rn. 118). Die Begutachtungsstelle erfüllt im Rahmen der Begutachtung nicht einen Teil der an sich staatlichen Stellen obliegenden Aufgaben, sondern unterstützt lediglich den Betroffenen bei Erfüllung einer ihm im konkreten Verwaltungsverfahren treffenden Obliegenheit (BGH, B.v. 14.1.2009 – 1 StR 470/08 – DAR 2009, 707 = juris Rn. 10). Daher muss der Auftraggeber seinen Erfüllungsanspruch, etwaige Gewährleistungsansprüche bzw. Schadensersatzansprüche gegenüber der beauftragten Begutachtungsstelle ohne Mitwirkung der Fahrerlaubnisbehörde im Rahmen der vertraglichen Beziehung selbst geltend machen und auch bei unberechtigter Nichterfüllung eines Gutachtensauftrags oder bei fehlerhaftem Erstgutachten die Kosten einer notwendig werdenden Zweitbegutachtung tragen (vgl. VGH BW, U.v. 17.10.1985 – 10 S 412/85 – NJW 1986, 1370/1371 zur inhaltlich vergleichbaren Regelung in § 15 c StVZO).
Die Beschwerde war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1, 2 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nr. 1.5 Satz 1, Nr. 46.3 und 46.5 des Streitwertkatalogs der Verwaltungsgerichtsbarkeit (vgl. BayVGH, B.v. 30.1.2014 – 11 CS 13.2342 – juris Rn. 21 f.).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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