Medizinrecht

Anspruch auf Kostenübernahme für eine stationäre bariatrische Operation

Aktenzeichen  S 6 KR 148/16

Datum:
27.9.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB V SGB V § 13 Abs. 3a S. 6

 

Leitsatz

Die Genehmigungsfiktion gemäß § 13 Abs. 3a S. 6 SGB V begründet nicht nur einen Kostenerstattungsanspruch, sondern auch einen Anspruch auf Erhalt der beantragten Sachleistung.  (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin eine stationäre bariatrische Operation (Magenbypass) zu gewähren.
II.
Der Bescheid vom 19. Februar 2016 in Fassung des Widerspruchsbescheids vom 1. Juni 2016 wird aufgehoben.
III.
Die Beklagte hat der Klägerin ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet.
Zwar war die zunächst erhobene Feststellungsklage mangels Feststellungsinteresse unzulässig, da die Klägerin von Anfang an ihren behaupteten Anspruch auf Kostenübernahme für eine bariatrische stationäre Operationen (Magenbypass) aufgrund Eintritts der Genehmigungsfiktion gemäß § 13 Abs. 3 a Satz 6 SGB V mit einer Leistungsklage verfolgen konnte. Jedoch hat der Bevollmächtigte mit Schreiben vom 04.06.2016 einen hierauf gerichteten Leistungsantrag und einen Anfechtungsantrag hinsichtlich des Bescheids der Beklagten vom 19.02.2016 in Fassung des Widerspruchsbescheids vom 01.06.2016 gestellt. Auf diese Anträge hat sich die Beklagte mit Schreiben vom 08.06.2016 in der Sache eingelassen, so dass die Klageänderung vom 04.06.2016 gemäß § 99 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) somit zulässig ist.
Die Klage ist auch begründet, da die Beklagte gemäß § 13 Abs. 3 a Satz 6 SGB V die beantragte bariatrische stationäre Operation (Magenbypass) als genehmigt, also bewilligt gilt. Voraussetzung für den Eintritt der Genehmigungsfiktion ist nämlich, dass der Versicherte einen Antrag auf eine Leistung gestellt hat, der nicht unmittelbar auf eine Geldleistung gerichtet ist, sondern auf den Erhalt einer Sachleistung, die grundsätzlich zum Leistungsbereich der Beklagten nach dem SGB V gehört. Weiter muss die Krankenkasse, soweit wie hier eine Stellungnahme des Medizinischen Dienstes eingeholt wird, die Fünf-Wochen-Frist des § 13 Abs. 3 a Satz 5 SGB V versäumt haben, ohne dass sie den Versicherten eine Mitteilung eines hinreichenden Grundes zukommen ließ, warum sie die gesetzliche Frist von fünf Wochen nicht einhalten könne. Alle diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. So hat die Klägerin nach Feststellung der Beklagten im Widerspruchsbescheid vom 01.06.2016 am 23.11.2015 bei ihr einen Antrag auf Kostenübernahme einer stationären bariatrischen Operation (Magenbypass) gestellt. Zwar hat die Beklagte in der mündlichen Verhandlung bestritten, dass die Klägerin bereits am 23.11.2015 diesen Sachleistungsantrag gestellt habe, sondern dies vielmehr erst am 19.02.2016 erfolgt sei. Dies hält das Gericht zum einen aber nicht für glaubhaft und zum anderen wäre bei einer Nichtantragstellung am 23.11.2015 von einer Antragstellung am 11.01.2016 (Eingang der ärztlichen Verordnung einer Magenbypass-Operation der behandelnden Ärztin Dr. R. mit der Bitte, diese zu genehmigen, einschließlich weiterer medizinischer Unterlagen, aus denen sich das Begehren der Klägerin auf Erhalt einer Magenbypass-Operation unschwer ergab, auszugehen). Da der Verordnung von Frau R. jedoch eine Arztanfrage des MDK Berlin-Brandenburg e.V. an sie beigefügt war, das sie bereits am 06.01.2015 beantwortet hatte sowie eine Versichertenanfrage des MDK Berlin-Brandenburg an die Klägerin vom 13.11.2015 wegen ihres Antrags auf Kostenübernahme für einen adipositaschirurgischen Eingriff (Bl. 46 der Verwaltungsakte) und ebenso das Schreiben der Klägerin selbst auf Gewährung einer Magenbypass-Operation vom 13.11.2015 stammt, geht das Gericht insgesamt davon aus, dass bereits im November 2015 tatsächlich ein Antrag auf die streitige Leistung von der Klägerin gestellt worden ist. Beschieden wurde jedoch der Antrag der Klägerin erst am 19.02.2016, ohne dass die Beklagte der Klägerin vorab einen hinreichenden Grund mitgeteilt hat, weshalb die Bescheidungsfrist des § 13 Abs. 3 a Satz 1 SGB V nicht eingehalten werden konnte. Dies ist unstreitig. Der Antrag war auch auf eine Leistung gerichtet, die grundsätzlich zum Leistungskanon der Beklagten gehört, so dass sämtliche Voraussetzungen für den Eintritt der Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3 a Satz 6 SGB V vorliegen. Damit gilt die beantragte Leistung ohne weitere Überprüfung ihrer medizinischen Voraussetzungen als genehmigt.
Entgegen der Ansicht der Beklagten tritt die Genehmigungsfiktion gemäß § 13 Abs. 3 a Satz 6 SGB V nicht nur im Rahmen eines Kostenerstattungsanspruches ein. Unabhängig davon, dass das Gericht davon überzeugt ist, dass das BSG in seiner Entscheidung vom 08.03.2016 sich bereits dazu geäußert hat, dass die Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3 a Satz 6 SGB V einen Anspruch auf Erhalt einer Sachleistung begründet, da es in der genannten Entscheidung unter Rn. 25 ausführt, dass die Genehmigungsfiktion zugunsten des Leistungsberechtigten ein Naturalleistungsanspruch begründet und weiter der Naturalleistungsanspruch Kraft Genehmigungsfiktion auch mittellosen Versicherten ermöglicht, die nicht in der Lage sind, sich die begehrte Leistung selbst zu beschaffen, ihren Anspruch zu realisieren. Etwas anderes lässt sich nach Ansicht des Gerichts aus der Regelung des § 13 Abs. 3 a SGB V nach seinem Wortlaut und seiner Struktur auch nicht entnehmen. So befasst sich § 13 Abs. 3 a Satz 1 SGB V ausdrücklich mit einem Antrag auf Leistungen und nicht mit einem Antrag auf Kostenerstattung. Im Weiteren regelt der Gesetzgeber dann in welchen Zeiträumen über diesen Antrag zu entscheiden ist. Sollten die gesetzlichen Fristen nicht eingehalten werden, so bestimmt § 13 Abs. 3 Satz 6 SGB V nach seinem Wortlaut, dass die Leistung als genehmigt gilt. Diese Genehmigungsfiktion bezieht sich somit allein auf den Sachleistungsanspruch des Versicherten und nicht auf eine Kostenerstattung. Erst in § 13 Abs. 3 a Satz 7 SGB V wird die Variante geregelt, in der sich der Leistungsberechtigte nach Eintritt der Genehmigungsfiktion, die die Bewilligung der Sachleistung darstellt, die Sachleistung auch tatsächlich selbst beschafft hat. Da somit nach Überzeugung des Gerichts in § 13 Abs. 3 a Satz 6 SGB V das Entstehen eines Anspruchs des Versicherten auf Erhalt einer beantragten Sachleistung aufgrund der gesetzlich eingetretenen Genehmigung geregelt ist, kann es diesem nicht verwehrt werden, diesen Rechtsanspruch in einem sozialgerichtlichen Verfahren auch einzuklagen. Er muss sich dagegen nicht darauf verweisen lassen, das Risiko einer Selbstbeschaffung auf eigene Kosten zunächst einzugehen, um dann anschließend auf Kostenerstattung gemäß § 13 Abs. 3 a Satz 7 SGB V zu klagen. Dies würde, wie auch das BSG in seiner Entscheidung vom 08.03.2016 ausgeführt hat, zu einer Benachteiligung mittelloser Versicherter führen.
Da nicht erkennbar ist, dass für eine Rücknahme der eingetretenen Genehmigungsfiktion gemäß § 13 Abs. 3 a Satz 6 SGB V die Voraussetzungen der §§ 45, 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch vorlagen, ist der Bescheid vom 19.02.2016 in Fassung des Widerspruchsbescheids vom 01.06.2016 rechtswidrig.
Insgesamt war somit die Beklagte antragsgemäß zu verurteilen und der Bescheid vom 19.02.2016 in Fassung des Widerspruchsbescheids vom 01.06.2016 aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen


Nach oben