Medizinrecht

Asthma – keine schwerwiegende Erkrankung i.S.d. § 60 Abs. 7 S. 2 AufenthG

Aktenzeichen  M 12 K 16.30337

Datum:
19.4.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5 u. Abs.7 S. 1, S. 2, S. 3, S. 4

 

Leitsatz

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Über die Verwaltungsstreitsache konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 19. April 2016 entschieden, obwohl die Beklagte nicht erschienen ist. Die Parteien wurden fristgerecht geladen und in der Ladung darauf hingewiesen, dass auch ohne sie verhandelt und entschieden werden kann, § 102 Abs. 2 VwGO.
Verfahrensgegenstand ist Nr. 4 und 5 des Bescheides vom 4. Februar 2016, mit dem festgestellt wurde, dass beim Kläger Abschiebungsverbote gem. § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen.
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Die Regelungen in Nr. 4 und 5 des Bescheides vom 4. Februar 2016 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 VwGO.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung von Abschiebungsverboten gem. § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
Die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG liegen offensichtlich nicht vor.
Ein Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in der Fassung vom 11. März 2016 ist ebenfalls nicht gegeben.
Der Kläger kann keinen Abschiebungsschutz wegen der harten Existenzbedingungen in Äthiopien beanspruchen. Dies wäre nur dann der Fall, wenn er bei seiner Rückkehr einer extremen Gefahrenlage dergestalt ausgesetzt wäre, dass sie im Falle der Abschiebung dorthin gleichsam „sehenden Auges“ dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert sein würde (vgl. BVerwG vom 12.7.2001,InfAuslR 2002,52/55). Davon ist jedoch nicht auszugehen. Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist in Äthiopien nicht in allen Landesteilen und zu jeder Zeit gesichert. Die Existenzbedingungen in Äthiopien, einem der ärmsten Länder der Welt, sind für große Teile insbesondere der Landbevölkerung äußerst hart und, bei Ernteausfällen, potentiell lebensbedrohend. In diesen Fällen ist das Land auf die Unterstützung internationaler Hilfsorganisationen angewiesen. Ca. 3,2 Mio. Äthiopier waren in 2014 auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen, Die Hilfskosten wurden für 2014 auf 451,9 Mio. US-$ beziffert, darin enthalten sind neben der reinen Nahrungsmittelhilfe auch Non Food Items wie Kosten für Hygiene und Gesundheit. Zusätzlich werden 7.8 Mio. Menschen über das Productive Safety net Programme unterstützt, die sonst auch Nothilfe benötigen würden (Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Äthiopien vom 4.3.2015; im Folgenden: Lagebericht, IV.1.1.1.). Anhaltspunkte dafür, dass Rückkehrer keine Nahrungsmittelhilfe erhalten, bestehen nicht. Für Rückkehrer bieten sich schon mit geringem Startkapital Möglichkeiten zur bescheidenen Existenzgründung. Vor allem für Rückkehrer, die über Qualifikationen und Sprachkenntnisse verfügen, besteht die Möglichkeit, Arbeit zu finden oder sich erfolgreich selbstständig zu machen.
Es ist für den Kläger sicher nicht leicht, in Äthiopien zu leben. Es ist aber den Eltern des Klägers zuzumuten, sich in Äthiopien eine Arbeit zu suchen, wofür sie als Rückkehrer gute Chancen haben.
Ein Abschiebungsverbot ergibt sich nicht aus § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in der Fassung vom 11. März 2016 wegen der attestierten Erkrankung des Klägers.
Gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die durch die Abschiebung wesentlich verschlechtert würden, § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung im Bundesgebiet gleichwertig ist, § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist, § 60 Abs.7 Satz 4 AufenthG.
Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichts liegt ein krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot i. S. des § 60 Abs. 7 AufenthG vor, wenn eine individuelle Erkrankung feststeht und der Betreffende in seinem Heimatland eine der Krankheit entsprechende Behandlung nicht erhalten kann, weil es diese dort nicht gibt, oder er sich bei Vorhandensein ausreichender medizinischer Versorgungsmöglichkeiten aufgrund der wirtschaftlichen Verhältnisse seine Behandlung nicht finanzieren kann.
Eine solche Gefahr kann sich auch aus einer im Abschiebezielstaat zu erwartenden Verschlimmerung einer Krankheit ergeben. Dabei setzt die Annahme einer erheblichen konkreten Gefahr voraus, dass sich der Gesundheitszustand des betreffenden Ausländers alsbald nach der Ankunft im Zielland der Abschiebung infolge unzureichender Behandlungsmöglichkeiten wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtern würde, weil dort eine adäquate Behandlung wegen des geringen Versorgungsstandards nicht möglich ist oder der Betroffene insbesondere mangels finanzieller Mittel eine Behandlung nicht erlangen kann (vgl. BVerwG vom 09.09.1997 InfAuslR 1998, 125; vom 25.11.1997 InfAuslR 1998, 189 und vom 29.10. 2002 DVBl. 2003, 463).
Die Kläger legte im Verwaltungsverfahren keine fachärztliche Stellungnahme vor; im Verwaltungsgerichtsverfahren legte er das Attest der Dr. … und …, …, Kinder- und Jugendärzte, vom 22. März 2016 vor. Danach leide der Kläger wiederholt an obstruktiver Bronchitis. Er benötige rezidivierend eine asthmatische Therapie. Die Diagnose frühkindliches Asthma bronchiale sei gestellt worden. Es erfolge eine inhalative Dauertherapie. Nach Abklingen der Infektwelle sei ein Auslassversuch der Medikation geplant.
Es handelt sich bei dem frühkindlichen Asthma des Klägers schon nicht um eine lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2 des § 60 AufenthG in der Fassung vom 11. März 2016. Darüber hinaus ist die Erkrankung des Klägers auch in Äthiopien behandelbar. Nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 4. März 2015 ist die medizinische Grundversorgung entweder in staatlichen Gesundheitszentren bzw. Kliniken oder in privaten Kliniken gewährleistet. Die Behandlung akuter Erkrankungen oder Verletzungen ist durch die medizinische Basisversorgung gewährleistet. Nach dem Bericht „Äthiopien: Informationen zum Gesundheitswesen“ der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 8. Oktober 2008 ist das äthiopische Gesundheitssystem nicht mit europäischem Standard vergleichbar. Zugang, Qualität, Stabilität und Kosten der medizinischen Versorgung variieren innerhalb von Städten, zwischen Stadt und Land sowie zwischen privatem und öffentlichem Sektor. Die Verfügbarkeit von Medikamenten hat sich in den letzten Jahren verbessert. Die medizinische Versorgung mit Medikamenten ist kurzfristig möglich. In Addis Abeba bietet z. B. das Hospital des Gonder University College mit 350 Betten medizinische Versorgung und Behandlung für etwa 3,5 Millionen Äthiopier.
Fraglich ist schon überhaupt, ob beim Kläger eine umfassende Behandlung durchgeführt werden muss. Nach Angaben der Ärzte kann nach Abklingen der Infektwelle ein Auslassversuch der Therapie unternommen werden, so dass eine Behandlung möglicherweise nicht mehr nötig ist.
Selbst wenn eine Behandlung weiter nötig sein sollte, kann die vom Kläger benötigte Behandlung zumindest in Addis Abeba durchgeführt werden.
Die Kosten für medizinische Behandlungen werden von privaten Krankenversicherungen nur eingeschränkt übernommen. Eine Pflichtversicherung gibt es nicht (Lagebericht, IV. 1.2.). Bei Rückkehrern aus dem Ausland kann nicht davon ausgegangen werden, dass Krankenkosten von einer Krankenversicherung getragen werden.
Es ist dem Kläger zuzumuten, die notwendigen Krankheitskosten in Äthiopien selbst zu tragen. Seine Eltern haben im Bundesgebiet die Möglichkeit, Deutschkenntnisse zu erwerben. Nach der Rückkehr dürfte es ihnen möglich sein, mit diesen Kenntnissen eine Arbeit zu finden (vgl. obige Ausführungen) und die Krankheitskosten ihres Sohnes selbst zu bezahlen.
Die nach Maßgabe des § 34 Abs. 1 und des § 36 Abs. 1 AsylG erlassene Abschiebungsandrohung ist nicht zu beanstanden. Der Kläger besitzt keine Aufenthaltsgenehmigung und ist auch nicht als Asylberechtigter anerkannt.
Die Klage war nach alledem mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83 b AsylG.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung stützt sich auf § 167 Abs. 2 VwGO i. V. m. §§ 708 ff ZPO.


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