Medizinrecht

Auflagen zur Fahrerlaubnis wegen psychischer Erkrankung

Aktenzeichen  M 26 K 18.2999

Datum:
19.8.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 21928
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1
FeV § 46 Abs. 1, Abs. 2 S. 1, S. 3
FeV Anl. 4 Nr. 7.5.1 u. 7.5.4
BayVwVfG Art. 36 Abs. 2 Nr. 4

 

Leitsatz

1. Die Anordnung von Auflagen zu einer Fahrerlaubnis ist rechtswidrig, wenn der Fahrerlaunisinhaber im für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der Zustellung des Widerspruchsbescheides zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht noch bedingt geeignet, sondern wegen einer manischen Phase seiner affektiven Psychose gänzlich ungeeignet war. (Rn. 24 und 25) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Auferlegung solcher objektiv rechtswidrigen Auflagen unter Belassung seiner Fahrerlaubnis verletzt den Fahrerlaubnisinhaber, dem zwingend die Fahrerlaubnis zu entziehen gewesen wäre, in seinen subjektiven Rechten, weil diese echten Auflagen ihn im Vergleich zu der Rechtslage, wie sie ohne den Bescheid bestünde, belasten, und zwar zumindest in seiner Allgemeinen Handlungsfreiheit und auch in seinem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Bescheid der Beklagten vom 27.11.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids der Regierung von Oberbayern vom 18.5.2018 wird in Nummer 3 aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Über den Rechtsstreit konnte trotz Ausbleibens der Beklagten entschieden werden, da sie ordnungsgemäß geladen worden war und in der Ladung darauf hingewiesen worden ist, dass im Falle eines Ausbleibens eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann ( § 102 Abs. 2 VwGO).
Die zulässige Klage, die sich bei sachgerechter Auslegung nach dem Rechtsschutzziel gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis der vom Kläger besessenen Klassen der Gruppe 2 und die Ablieferungspflicht hinsichtlich des Führerscheins sowie gegen die Beauflagung der Fahrerlaubnis bezüglich der Klassen der Gruppe 1 richtet, ist im tenorierten Umfang und damit nur teilweise begründet.
Nummer 3 des Bescheides der Beklagten vom 27. November 2017, mit dem verschiedene Auflagen gegen den Kläger festgesetzt werden, ist rechtswidrig und verletzt den Kläger auch in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Insoweit waren der Bescheid und der Widerspruchsbescheid aufzuheben. Im Übrigen (Nrn. 1 und 2) ist der Bescheid der Beklagten vom 27. November 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids rechtmäßig.
1. Der Bescheid der Beklagten vom 27. November 2017 ist insoweit rechtswidrig, als bezüglich der Fahrerlaubnis der Klassen B, BE, M, L und S die Auflagen angeordnet werden, dass der Kläger in monatlichen Abständen, erstmals am … Dezember 2017, ein Attest des behandelnden Psychiaters bei der Führerscheinstelle einreicht. Dieses müsse enthalten einen psychischen Befund ohne manische, wahnhafte oder sehr schwere depressive Symptome, eine Medikamentenblutspiegelmessung mit Ergebnissen im therapeutischen Bereich und keine Erforderlichkeit einer erneuten stationären Behandlung in einer psychiatrischen Klinik. Außerdem müsse sich der Kläger nach Ablauf von einem Jahr einer erneuten ärztlichen Begutachtung bei einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung unterziehen.
Nach der insoweit einschlägigen Rechtsgrundlage § 46 Abs. 2 Satz 1 FeV ordnet die Fahrerlaubnisbehörde die erforderlichen Auflagen an, wenn sich der Inhaber einer Fahrerlaubnis noch als bedingt geeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Die Anlagen 4,5 und 6 zur Fahrerlaubnisverordnung sind zu berücksichtigen (§ 46 Abs. 2 Satz 3 FeV).
Es kann vorliegend dahinstehen, ob diese verschiedenen vom Gutachten empfohlenen Auflagen ihrem Inhalt nach rechtmäßig sind, insbesondere dem Bestimmtheitsgebot entsprechen. Denn zum maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage, welcher hier der Zeitpunkt der Zustellung des Widerspruchsbescheids am 22. Mai 2018 ist, war der Kläger nicht bedingt geeignet bezüglich der Fahrerlaubnis der Gruppe 1, sondern er war vielmehr nach Ziffer 7.5.1 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnisverordnung ungeeignet für die Fahrerlaubnisklassen der Gruppe 1.
Nach Ziffer 7.5.1 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnisverordnung ist für die Fahrerlaubnisklassen der Gruppe 1 bei affektiven Psychosen, wie sie beim Kläger unstreitig vorliegen, bei allen Manien und sehr schweren Depressionen die Fahreignung nicht gegeben. Bei einer bipolaren Störung, an der der Kläger leidet, ist die Fahreignung während manischer Phasen der Erkrankung ausgeschlossen. Eine solche Phase lag zum Zeitpunkt des Ergehens des Widerspruchsbescheides beim Kläger vor.
Dies ergibt sich zur Überzeugung des Gerichts aus dem Schreiben von Herrn Professor Dr. Dr. A* … vom … April 2018, bei dem der Kläger schon seit längerer Zeit in ärztlicher Behandlung war. Professor Dr. Dr. A* …, der als Facharzt für Neurologie die erforderliche Sachkunde besitzt, teilt in seinem Schreiben an die Beklagte mit, dass der Kläger laut Aussagen seiner Angehörigen wieder eine Psychose mit manischer Phase habe. Der Patient sei von ihm zuletzt am … März 2018 untersucht worden; zu diesem Zeitpunkt sei es ihm gut gegangen. Aufgrund der Vorgeschichte und der Aussagen der Angehörigen sei mit Sicherheit davon auszugehen, dass der Patient wieder akut erkrankt sei. Angesichts der Tatsache, dass der Patient die Medikamente zur Prophylaxe nicht vertrage und er diese immer aus eigenem Antrieb absetze, müsse ihm der Führerschein sofort dauerhaft entzogen werden.
Dies ergibt sich des Weiteren auch aus der Tatsache, dass sich der Kläger laut Bescheinigung des …Klinikums vom … Mai 2018 seit … April 2018 im … …Klinikum, also in einem Fachkrankenhaus für Psychiatrie, Psychotherapie, psychosomatische Medizin und Neurologie in stationärer Behandlung befand.
Damit sind die Aussagen des streitigen Gutachtens bezüglich der bedingten Eignung des Klägers für die Fahrerlaubnisklassen der Gruppe 1 nach Ziffer 7.5.4 der Anlage 4 zur FeV überholt durch die Tatsache, dass der Kläger zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt wieder einen Krankheitsschub erlitten hatte und damit ohne weiteres ungeeignet zum Führen von Fahrzeugen der Fahrerlaubnisklassen der Gruppe 1 (wie auch der Gruppe 2, siehe sogleich im folgenden) war. Die Beklagte durfte und musste angesichts dieser Sachlage somit zu diesem Zeitpunkt von der Ungeeignetheit des Klägers im Sinne des § 46 Abs. 1 S. 1 und 2 FeV ausgehen.
Diese wie dargestellt objektiv rechtswidrigen Auflagen verletzen den Kläger auch in seinen subjektiven Rechten.
Zwar ist der Kläger im Vergleich zur objektiven Rechtslage, wonach er gänzlich ungeeignet bezüglich der Gruppe 1 ist und ihm deshalb zwingend die Fahrerlaubnis zu entziehen ist, durch die Beauflagung, wonach ihm die Fahrerlaubnis der Klassen B, BE, M, L und S belassen werden, ihm aber die näher bezeichneten Handlungspflichten auferlegt werden, damit er weiterhin von der entsprechenden Fahrerlaubnisgebrauch machen kann, besser gestellt. Da es sich aber um echte Auflagen im Sinne des Art. 36 Abs. 2 Nr. 4 BayVwVfG handelt, die dem Kläger eigenständige Handlungspflichten auferlegen, indes ihm die Fahrerlaubnis der Klassen der Gruppe 1, wie der Bescheid in Nummer 3 explizit sagt, „belassen“ wird, ist darauf abzustellen, dass diese Auflagen ihn im Vergleich zu der Rechtslage, wie sie ohne den Bescheid bestünde, belasten. Diese Belastung besteht zumindest in dem Eingriff in seine Allgemeine Handlungsfreiheit im Sinne des Art. 2 Abs. 1 GG, die die Auflagen für ihn darstellen. Die Auflagen bedeuten darüber hinaus auch Eingriffe in sein Allgemeines Persönlichkeitsrecht aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG, da er durch sie gezwungen wird, medizinische Daten von sich preiszugeben.
2. Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass der Kläger für die Fahrerlaubnisklassen der Gruppe 2 zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt ohne weiteres nach Ziffer 7.5.1 der Anlage 4 zur FeV ungeeignet war. Auch das folgt nicht aus dem vorgelegten Gutachten, sondern aus der Tatsache, dass zum maßgeblichen Zeitpunkt der Kläger einen manischen Schub seiner Krankheit erlitten hatte. Insoweit hat die Beklagte ihm die Fahrerlaubnis der Klassen C1, C1E und CE zu Recht entzogen.
3. Rechtsgrundlage für die in Nummer 2 des Bescheids angeordnete Ablieferungspflicht bezüglich des Führerscheins ist § 47 Abs. 1 Satz 1 FeV.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO. Bei der Kostenentscheidung hat das Gericht das Maß des Obsiegens und Unterliegens der Beteiligten je als hälftig bewertet.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen


Nach oben