Medizinrecht

Ausnahmegenehmigung für Versammlung abgelehnt, Zu große Teilnehmerzahl (10.000)

Aktenzeichen  M 13 E 20.2200

Datum:
22.5.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 50798
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayIfSMV § 5 4.
BayIfSMV § 7 4.

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung von der Bestimmung des § 7 Satz 1 Nr. 1 der Vierten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (4. BayIfSMV) für die Durchführung einer Versammlung mit bis zu 10.000 Teilnehmern und die Möglichkeit, diese Versammlung öffentlich zu bewerben.
Mit E-Mail vom … Mai 2020 zeigte der Antragsteller eine Versammlung mit dem Thema „… … … … … …“ auf der … in München für den … Mai 2020 um 15:00 bis 17:00 Uhr an. In der Versammlungsanzeige wurde angegeben, dass an der Versammlung gleichzeitig bis zu 10 000 Personen teilnehmen würden.
Am 20. Mai 2020 wurde der Antragsteller von der Antragsgegnerin zu deren beabsichtigter Entscheidung angehört. Mit einer E-Mail um 11:57 Uhr wurde dem Antragsteller zunächst im Wesentlichen mitgeteilt, dass die Antragsgegnerin die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 5 Satz 2 4. BayIfSMV nur für eine Veranstaltung mit maximal 2 000 Teilnehmern in Aussicht stellen könnte. Beabsichtigt seien außerdem verschiedene Auflagen, u.a. die Bereitstellung von 200 Ordnern durch den Versammlungsleiter und das Verbot der öffentlichen Bewerbung der Versammlung. Mit E-Mail um 19:21 Uhr hielt der Antragsteller ausdrücklich an seinem Anliegen fest. Er strebe eine Ausnahmegenehmigung für eine Versammlung mit mindestens 5 000 Teilnehmern an; für die Versammlung wolle er zudem öffentlich werben dürfen.
Am 21. Mai 2020 wurde der Antragsteller von der Antragsgegnerin erneut angehört. Nach Eingang der Gefahrenprognosen des Referates für Gesundheit und Umwelt der Antragsgegnerin sowie des Polizeipräsidiums München sei nunmehr beabsichtigt, die Teilnehmerzahl auf 1 000 Personen zu beschränken. Hierzu nahm der Antragsteller nicht Stellung.
Mit Bescheid vom 21. Mai 2020 wurde dem Antragsteller eine Ausnahmegenehmigung nach § 7 Satz 2, § 5 Satz 2 4. BayIfSMV zur Durchführung der angezeigten Versammlung mit bis zu 1 000 Teilnehmern erteilt. Die Ausnahmegenehmigung wurde neben weiteren Nebenbestimmungen mit einer Auflage verbunden, welche die öffentliche Bewerbung der Versammlung untersagt. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Antragsteller nicht schlüssig dargelegt habe, wie er im Rahmen einer Versammlung mit 5 000 bis 10 000 Teilnehmern die Einhaltung eines Mindestabstandes von 1,5 Metern zwischen den Teilnehmern sicherstellen würde. Das Ordnerkonzept sei mangelhaft. Aus Sicht der Sicherheitsbehörden würden für eine Versammlung mit einer Teilnehmerzahl in dieser Größenordnung 500 Ordner benötigt. Nach Auskünften des Polizeipräsidiums München habe es aber bereits bei der vom Antragsteller am … Mai 2020 am selben Ort durchgeführten Versammlung Engpässe bei der Bereitstellung von Ordnern gegeben. Bis kurz vor Versammlungsbeginn um 15:00 Uhr seien Ordner über Lautsprecherdurchsagen rekrutiert worden, die demzufolge nicht verlässlich ausgewählt und eingewiesen worden seien. Es sei zudem vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit den thematisch einschlägigen Versammlungen am *., … und … Mai 2020 nicht auszuschließen, dass sich einer Versammlung mit so vielen Teilnehmern im großen Stil extremistische Splittergruppen anschließen würden. Dies könne zu einer unbeherrschbaren Eigendynamik des Versammlungsgeschehens beitragen. Bereits die Versammlung am … Mai 2020 sei nur aufgrund umfangreicher polizeilicher Maßnahmen störungsfrei verlaufen. Darüber hinaus würde es dem Schutzzweck der 4. BayIfSMV widersprechen, wenn es zu großen Ansammlungen an- bzw. abreisender Teilnehmer im öffentlichen Nahverkehr käme. Die Münchner Verkehrsbetriebe hätten darauf hingewiesen, dass bei einer Steigerung der Teilnehmerzahl gegenüber der Versammlung vom … Mai 2020 zu erwarten sei, dass Schutzabstände beispielswiese in den Sperrgeschossen von U- und S-Bahn nicht mehr eingehalten werden.
Mit Schriftsatz vom … Mai 2020 beantragt der Antragsteller,
die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller für den … Mai 2020 entsprechend seiner Versammlungsanzeige vom … Mai 2020 die Durchführung einer Demonstrationsveranstaltung auf der … mit einer Teilnehmerzahl von bis zu 10 000 Personen zu genehmigen sowie der Antragsgegnerin aufzugeben, dem Antragsteller zu erlauben, diese Versammlung zu bewerben.
Der Antragsteller habe bereits am … Mai 2020 eine entsprechende Versammlung am selben Ort durchgeführt. Dabei seien sämtliche gesetzlichen Vorgaben, insbesondere die infektionsschutzrechtlichen Vorschriften, eingehalten worden. Auch bei einer höheren Teilnehmerzahl bestehe nicht die Gefahr, dass infektionsschutzrechtliche Mindestabstände nicht eingehalten würden. Der Veranstaltungsort biete unter Berücksichtigung der Mindestabstände ausreichenden Platz für 10 000 Teilnehmer. Soweit die Antragsgegnerin damit argumentiere, dass es bei einer erhöhten Teilnehmerzahl organisatorisch schwieriger werde, infektionsschutzrechtliche Vorgaben einzuhalten, verkenne sie, dass erst die Beschränkung der Teilnehmerzahl zu organisatorischen Schwierigkeiten führe. Würden schlicht alle potenziellen Teilnehmer auf die … gelassen, bestünde nicht die Gefahr von Gruppen- und Staubildungen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Der geltend gemachte Anordnungsanspruch bestehe nicht. Ein Anspruch auf Erteilung der Ausnahmegenehmigung für die Durchführung der Versammlung mit bis zu 10 000 Teilnehmern und ohne die angeordneten Auflagen bestehe nicht. Das behördliche Ermessen sei nicht auf Null reduziert. Die getroffene Entscheidung sei rechtmäßig. Die Reduzierung der Teilnehmerzahl auf 1 000 Personen diene der Übersichtlichkeit und Kontrollierbarkeit der Versammlung sowohl für den Versammlungsleiter als auch für die Einsatzkräfte der Polizei und sei zudem erforderlich, um eine problemlose An- und Abreise der Teilnehmer mit den öffentlichen Verkehrsmitteln sicherzustellen. Die Untersagung der öffentlichen Bewerbung der Versammlung sei erforderlich, um zu verhindern, dass sich eine vom Veranstalter nicht beeinflussbare Menschenmenge ansammle und damit die begrenzte Teilnehmerzahl überschritten werde. Die Festlegung der Anzahl der Ordner auf 100 sei notwendig, um die Einhaltung der Mindestabstände zwischen den Versammlungsteilnehmern wirksam zu überwachen. Bei der Entscheidungsfindung maßgeblich berücksichtigt worden seien die fachliche Einschätzung des Referats für Gesundheit und Umwelt der Antragsgegnerin sowie die Gefahrenprognose der Polizei.
Die Antragspartei hat nach Bekanntgabe des Bescheids der Antragsgegnerin vom 21. Mai 2020 das Gericht am 22. Mai 2020 telefonisch um eine Entscheidung über den mit Schriftsatz vom … Mai 2020 gestellten Antrag gebeten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
II.
Der Antragsteller begehrt die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung von der Bestimmung des § 7 Satz 1 Nr. 1 4. BayIfSMV für die Durchführung einer Versammlung mit bis zu 10 000 Teilnehmern und die Möglichkeit, diese Versammlung öffentlich zu bewerben.
Der Antrag nach § 123 VwGO bedarf zunächst der Auslegung, da er bereits am … Mai 2020, 20:04 Uhr und damit zu einem Zeitpunkt gestellt wurde, in dem die Antragsgegnerin den Antragsteller zwar angehört, den Antrag jedoch noch gar nicht verbeschieden hatte. Allerdings hat die Antragsgegnerin dadurch, dass sie am 22. Mai 2020 bei dem Gericht telefonisch um eine Entscheidung bis 12:00 Uhr ersucht hat, zu erkennen gegeben, dass sie auch in Ansehung des zwischenzeitlich erlassenden Bescheides an ihrem Antrag festhält.
Der so verstandene Antrag hat keinen Erfolg.
1. Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Die einstweilige Anordnung ergeht, wenn ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund für den vorläufigen Rechtsschutz gegeben sind. Der Anordnungsanspruch ist der zu sichernde bzw. zu regelnde materielle Anspruch, auf den der Antragsteller sich im Hauptsacheverfahren beruft. Der Anordnungsgrund hingegen ergibt sich nicht aus materiellem Recht, sondern aus der besonderen Dringlichkeit des Rechtsschutzbegehrens (vgl. zum vorstehenden Kuhla in BeckOK VwGO, Stand 1.7.2019, Rn. 72 f.).
2. Ein Anordnungsanspruch ist vorliegend nicht gegeben. Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf Erteilung der begehrten Ausnahmegenehmigung mit einer Teilnehmerzahl von bis zu 10 000 Teilnehmern.
a) Öffentliche Versammlungen im Sinne des Bayerischen Versammlungsgesetzes sind nach § 7 Satz 1 der Vierten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (4. BayIfSMV) nur unter einschränkenden Voraussetzungen zulässig: Die Teilnehmerzahl ist auf höchstens 50 Teilnehmer begrenzt (Nr. 1), zwischen den allen Teilnehmern ist ein Mindestabstand von 1,5 m zu wahren und jeder Körperkontakt mit Versammlungsteilnehmern oder Dritten zu vermeiden (Nr. 2), die Versammlung findet ausschließlich unter freiem Himmel und ortsfest statt (Nr. 3), die Dauer der Versammlung ist auf 60 Minuten beschränkt (Nr. 4) und seitens desselben Veranstalters oder Teilnehmerkreises darf höchstens eine Versammlung je Kalendertag durchgeführt werden (Nr. 5). Versammlungen, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen, können nach § 7 Satz 2 i. V. m. § 5 Satz 2 4. BayIfSMV auf Antrag von der Kreisverwaltungsbehörde durch Ausnahmegenehmigung zugelassen werden, soweit dies im Einzelfall aus infektionsschutzrechtlicher Sicht vertretbar ist.
b) Nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung ist § 5 i. V. m. § 7 4. BayIfSMV mit der Rechtsgrundlage in § 28 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 des Infektionsschutzgesetzes, zuletzt geändert durch Art. 1, 2, 3 des Gesetzes vom 27. März 2020 (BGBl. I S. 587) sowie mit den Grundrechten auf Versammlungsfreiheit gem. Art. 8 Abs. 1 GG) und auf freie Meinungsäußerung nach Art. 5 Abs. 1 GG vereinbar.
Die vorübergehende Einschränkung der Versammlungsfreiheit und der Meinungsfreiheit, die § 5 i. V. m. § 7 4. BayIfSMV beinhaltet, ist zum Zwecke des Schutzes von Leben und Gesundheit der Bevölkerung vor der raschen Ausbreitung des Corona-Virus und der Überlastung des Gesundheitssystems als eines überragend wichtigen Gemeinschaftsgutes derzeit wohl verfassungsrechtlich gerechtfertigt (vgl. zum Versammlungsverbot nach der 1. BayIfSMV: VG München, B.v. 17.04.2020 – M 26 E 20.1619 – Rn. 5; B.v. 09.04.2020 – M 26 E 20.1506 – Rn. 25 f.; zu Ausgangsbeschränkungen BayVGH, B.v. 09.04.2020 – 20 NE 20.663 – juris Rn. 27).
Die dortigen Erwägungen zur Verhältnismäßigkeit sind nach Auffassung der Kammer auch für die – im Vergleich zu der im Vergleich zu den Vorgängernormen deutlich gelockerte – vorübergehende Einschränkung der Versammlungsfreiheit in § 5 i. V. m. § 7 der 4. BayIfSMV übertragbar. § 28 Abs. 1 Satz 2 und Satz 4 IfSG sehen ausdrücklich die Einschränkung der Versammlungsfreiheit vor. Auch das Veranstaltungs-, Versammlungs- und Ansammlungsverbot hat, wie die übrigen Verbote der Verordnung, zum Ziel, die Verbreitung des Corona-Virus durch Unterbrechung der Infektionsketten zu verlangsamen. Das Bundesverfassungsgericht hat es unter Verweis auf die staatliche Verpflichtung zum Schutz des Grundrechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit in Art. 2 Abs. 2 GG im Eilverfahren abgelehnt, die bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung außer Vollzug zu setzen (BVerfG, B.v. 7. April 2020 – 1 BvR 755/20 – juris Rn. 11). Das Bundesverfassungsgericht hat zudem im Beschluss vom 12. Mai 2020 zu beschränkenden Vorschriften der 3. BayIfSMV, u.a. § 7 Satz 1 3. BayIfSMV, auf den diesbezüglich bestehenden tatsächlichen Einschätzungsspielraum des Verordnungsgebers hingewiesen und ausgeführt, dass der Spielraum zwar im Laufe der Zeit geringer werden könne, sich der Verordnungsgeber jedoch bemühe, dem Rechnung zu tragen, indem die Beschränkungen von vornherein befristet und durch wiederholte Änderung der Verordnung stetig gelockert werde (B.v. 12.05.2020 – 1 BvR 1021/20, Rn. 10) Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Beschluss vom 9. April 2020 festgestellt, dass § 1 Abs. 1 und 3 BayIfSMV als repressives Verbot mit Befreiungsvorbehalt ausgestaltet ist und dem grundgesetzlich besonders geschütztem Grundrecht der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG Rechnung tragen soll, indem Ausnahmen vom infektionsschutzrechtlich bedingten generellen Versammlungsverbot zugelassen werden können, sofern dies im Einzelfall aus Gründen des Infektionsschutzes vertretbar erscheint (B.v. 09.04.2020 – 20 CE 20.755 – juris Rn. 4). Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss vom 9. April 2020 den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Erlangung einer Ausnahmegenehmigung gem. § 1 Abs. 1 BayIfSMV zwecks Durchführung einer Versammlung im Rahmen einer Folgeabwägung (B.v. 09.04.2020 – 1 VbQ 29/20 – juris Rn. 6 ff.) und im Beschluss vom 16.05.2020 den Erlass einer einstweiligen Anordnung hinsichtlich einer begehrten Zulassung der Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 5 Abs. 2 SARS-CoV-2-EindV des Landes Brandenburg für eine Versammlung von bis zu 975 Personen abgelehnt (B.v. 16.05.2020 – 1 BvQ 55/20).
Unter Berücksichtigung des Beurteilungsspielraums des Verordnungsgebers bei der Prognose zukünftiger Gefahren durch die weitere Ausbreitung des neuen Coronavirus Sars-CoV-2 und der Befristung der Regelung, die eine zeitnahe Überprüfung der Einschränkungen durch das Staatsministerium für Gesundheit und Pflege unter Berücksichtigung neuer Erkenntnisse sicherstellt, bestehen derzeit keine durchgreifenden Bedenken gegen die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen. Zudem hat der Verordnungsgeber durch die Lockerung der Beschränkungen der Versammlungsfreiheit in der 4. BayIfSMV – nach § 7 Satz 1 4. BayIfSMV sind nunmehr Versammlungen mit bis zu 50 Teilnehmern unter bestimmten Voraussetzungen zulässig – hinreichend zu erkennen gegeben, dass die Erforderlichkeit der Beschränkung fortwährend überprüft und an die aktuelle Pandemielage angepasst wird (siehe hierzu auch allgemein zur 4. BayIfSMV BayVerfGH, B.v. 15.05.2020 – Vf.34-VII-20 – juris Rn. 6ff.). Eine endgültige Klärung dieser Rechtsfrage muss jedoch einem etwaigen Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.
c) Die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 7 Satz 2 i. V. m. § 5 Satz 2 4. BayIfSMV steht im Ermessen der zuständigen Behörde. Die gerichtliche Überprüfung dieser Ermessensentscheidung beschränkt sich nach § 114 Satz 1 VwGO darauf, ob das Ermessen rechtmäßig ausgeübt wurde. Fehlerhaft ist die Ermessensentscheidung der Behörde, wenn die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Wo die Ermessensausübung Grundrechte berührt, gebietet der Zweck der Ermächtigung auch deren Beachtung (Rennert in Eyermann, VwGO, 15. Auflage 2019, § 114 Rn. 30).
Das Interesse des Antragstellers daran, die Versammlung mit der von ihm begehrten Teilnehmerzahl von bis zu 10.000 Personen durchführen zu können, ist den Belangen des Infektionsschutzes nicht von vornherein kategorisch übergeordnet. Er hat deshalb keinen Anspruch auf Erteilung der Ausnahmegenehmigung nach § 7 Satz 1 i. V. m. § 5 Satz 2 4. BayIfSMV.
Die Ausübung des behördlichen Ermessens durch die Antragsgegnerin im Bescheid vom 21. Mai 2020 ist auch im Übrigen nicht zu beanstanden. Insbesondere sieht die Kammer keine Anhaltspunkte dafür, dass das Vorgehen der Antragsgegnerin der Bedeutung und Tragweite des Grundrechts aus Art. 8 Abs. 1 GG nicht gerecht geworden wäre.
Der hohe Stellenwert der Versammlungsfreiheit erfordert namentlich eine ausreichende Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls und schließt es aus, dass Versammlungen lediglich pauschale Überlegungen entgegengehalten werden, die für jede Versammlung gelten könnten (BVerfG, B.v. 17.4.2020 – 1 BvQ 37/20 – juris Rn. 23).
Diesen Maßstäben ist die Antragsgegnerin vorliegend gerecht geworden. So hat sie die nach § 7 Satz 1 Nr. 1 BayIfSMV generell zulässige Teilnehmerzahl von 50 im Rahmen der Ausnahmegenehmigung um das 20fache und die zulässige Versammlungsdauer auf das Doppelte erhöht und damit den hohen Stellenwert der Versammlungsfreiheit berücksichtigt. Zudem ist sie aus tragfähigen, auf den Einzelfall bezogenen Erwägungen davon ausgegangen, dass die mit der beantragten Teilnehmerzahl von 10 000 verbundenen Risiken einer Übertragung des neuen Coronavirus und möglicher Folgeausbrüche durch die Festlegung der Höchstbesucherzahl auf 1 000 auf ein vertretbares Maß reduziert werden können. Das Risiko von großen bzw. schweren COVID-19-Ausbrüchen nach Veranstaltungen hängt nach Einschätzung des Robert-Koch-Instituts (https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/artikel/handlungsempfehlungen-corona-rki.html) von der Zusammensetzung der Teilnehmer, Art und Typ der Veranstaltung sowie Möglichkeiten der Kontrolle im Fall eines Ausbruchs ab. Ausgehend von diesen Grundsätzen wäre die geplante Versammlung mit bis zu 10 000 aufgrund der hohen Anzahl von Menschen, die ohne zentrale Registrierung und mit hoher Dichte aufeinandertreffen, besonders gefahrgeneigt.
Die Kammer folgt der Einschätzung der Antragsgegnerin, dass die vom Antragsteller geplanten und sonst in Betracht kommenden Lenkungsmaßnahmen nicht ausreichend sind, um den erhöhten Infektionsrisiken bei einer Teilnehmerzahl vom 10 000 Personen effektiv zu begegnen.
In seinem Sicherheitskonzept für die Versammlung auf der … München, Version: 1, Stand …05.2020, sieht der Antragsteller für die beantragte Versammlung eine Ordnerzahl von 1 Ordner pro 30 Teilnehmern vor, verteilt auf Felder von 44m x 26m mit einer Kapazität von 254 Personen. Demgegenüber wird in der Versammlungsanzeige eine Ordnerzahl von 400 angegeben. In dem Konzept wird ausgeführt, dass nach Analyse der Versammlung vom …05.2020 die dort eingesetzte Ordnerzahl von 1 Ordner pro 9 Teilnehmer nicht nötig gewesen, sondern vielmehr 1 Ordner pro 49 Teilnehmer ausreichend sei. Wie die Antragsgegnerin zu Recht ausgeführt hat, ist in dem Sicherheitskonzept jedoch nicht schlüssig dargelegt, wie bei einer Personenzahl von bis zu 10.000 mit 333 bzw. 400 Ordnern das Einhalten der Mindestabstände, das Überwechseln der Personen zwischen den Feldern oder ein strukturiertes Vorgehen der Ordner sichergestellt werden soll.
Insbesondere hat die Antragsgegnerin zu Recht darauf hingewiesen, dass der Antragsteller bei der Durchführung seiner Versammlung am …05.2020 offensichtlich Schwierigkeiten hatte, die erforderlichen 100 Ordner aufzubringen, da er bis kurz vor Versammlungsbeginn um 15:00 Uhr Ordner mittels Durchsagen aus dem Kreis der Versammlungsteilnehmer rekrutieren musste. Das Sicherheitskonzept verhält sich zur Rekrutierung, Schulung und Einweisung der Ordner nicht. Auch im gerichtlichen Verfahren hat der Antragsteller zu dieser Frage, die im Übrigen (unter anderem) auch Gegenstand der Anhörung per E-Mail vom 20.05.2020, 11:57 Uhr, und des telefonischen Kooperationsgespräches am 19.05.2020 war, nichts vorgetragen.
Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass die vorgeschlagenen Maßnahmen wie z.B. das Anbringen 10.000 farbiger Punkte auf der Fläche, auf die sich die Teilnehmer stellen sollen (Schreiben des Bevollmächtigten vom …05.2020), das Einzäunen der Felder mit Absperrgittern, -band und einer weiteren Absperrung, die auf den Boden gelegt werden soll, sowie farbige Markierungen auf dem Boden (Sicherheitskonzept S. 9, 11) und das Deeskalationsteams im Wesentlichen auf die Kooperation und eigene Umsichtigkeit der Versammlungsteilnehmer (z.B. bei der Wahrnehmung der Stehpunkte) setzen. Ob derartige Maßnahmen erfolgversprechend sind, ist jedoch zweifelhaft: So ist bei einer Personenzahl von 10 000 schon nicht sichergestellt, dass jeder Teilnehmer den für ihn markierten Stehpunkt überhaupt wahrnimmt. Zudem ist vor dem Hintergrund der Versammlungsgeschehen am *. Mai 2020, bei dem der Mindestabstand nicht immer eingehalten und Aufrufe zur Einhaltung der Abstandsregelungen zum Teil bewusst ignoriert wurden, und am … Mai 2020, bei dem das gleiche Verhalten bei einigen sich außerhalb der Versammlungsfläche befindlichen Personen aufgetreten ist, eine zuverlässige Befolgung derartiger Maßnahmen fraglich.
Die Antragsgegnerin durfte die bisherigen Versammlungsgeschehen als Vergleichsmaßstab auch heranziehen. Grundsätzlich gilt für die versammlungsrechtliche Gefahrenprognose, dass Ereignisse im Zusammenhang mit früheren Versammlungen als Indiz für das Gefahrenpotenzial herangezogenen werden, soweit diese bezüglich des Mottos, des Ortes, des Datums sowie des Teilnehmer- und Organisatorenkreises Ähnlichkeiten zu der geplanten Versammlung aufweisen (vgl. BVerfG, B. v. 12.05.2010 – 1 BvR 2636/04 – juris Rn. 17 m.w.N.; vgl. BVerfG, B. v. 04.09.2009 – 1 BvR 2147/09 – juris Rn. 13; vgl. BayVGH, B. v. 12.04.2013 – 10 CS 13.787 – juris Rn. 8). Diese Maßstäbe gelten nach Auffassung der Kammer erst recht für die Prüfung der infektionsschutzrechtlichen Vertretbarkeit der Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 7 Satz 2 i.V.m. § 5 BayIfSMV, da es sich bei dieser Regelung um ein repressives Verbot mit Befreiungsvorbehalt handelt.
Ein milderes Mittel ist nicht ersichtlich, insbesondere ist eine weitere Erhöhung der zulässigen Teilnehmerzahl nicht geeignet, den gleichen infektionsrechtlichen Schutzzweck zu erfüllen.
Bei Gegenüberstellung der berührten grundrechtlich geschützten Belange muss das Interesse des Antragstellers an der Durchführung der geplanten Versammlung mit 10.000 Teilnehmern bei dieser Sachlage hinter das gegenläufige Interesse zurücktreten, die konkrete Gefahr einer weiteren und nicht nachverfolgbaren Verbreitung des neuen Coronavirus Sars-CoV-2 zu unterbinden, die insbesondere zum Schutz der medizinischen Behandlungskapazitäten vor Überlastung vermieden werden soll (vgl. in diesem Sinne auch BVerfG, B.v. 9.4.2020 – 1 BvQ 29/20 – Rn. 8 f.). Durch die Erhöhung der nach § 7 Satz 1 BayIfSMV zulässigen Personenzahl um das 20fache und die Verdoppelung der zeitlichen Dauer wurde dem Interesse des bei der Abwägung ausreichend Rechnung getragen, zudem kann der Antragsteller seine Versammlung sowohl in örtlicher, als auch in zeitlicher Hinsicht grundsätzlich durchführen (vgl. hierzu BVerfG, B.v. 16.05.2020 – 1 BvQ 55/20).
b) Da schon kein Anspruch auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung hinsichtlich der Teilnehmerzahl besteht, hat der Antragsteller auch keinen Anspruch auf Zulassung der Bewerbung der Veranstaltung, die Möglicherweise zu einer Erhöhung der Zahl der Versammlungsteilnehmer führen könnte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 und 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5. des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.


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