Medizinrecht

B 1 KR 16/20 R

Aktenzeichen  B 1 KR 16/20 R

Datum:
25.3.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BSG
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BSG:2021:250321UB1KR1620R0
Spruchkörper:
1. Senat

Verfahrensgang

vorgehend SG Berlin, 5. März 2020, Az: S 56 KR 2033/19, Urteil

Tenor

Das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 5. März 2020 und der Bescheid der Beklagten vom 20. August 2019 werden aufgehoben.
Die Beklagten tragen die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen.
Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 108 977,63 Euro festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Beteiligten streiten über die Widerlegung einer Mindestmengenprognose.
2
Die Klägerin ist Trägerin eines zur Behandlung von Versicherten der gesetzlichen Krankenkassen (KKn) zugelassenen Krankenhauses. In diesem wurden 2017 insgesamt 52 Patienten mit einer Kniegelenks-Totalendoprothese (Knie-TEP) versorgt. Mit Schreiben vom 8.7.2019 übermittelte die Krankenhausträgerin den beklagten Landesverbänden der KKn und den Ersatzkassen (im Folgenden: Kassenverbände) die Prognose zur Erreichung der vom Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) festgesetzten jährlichen Mindestmenge von 50 Knie-TEP für das Jahr 2020. Sie gab an, im Jahr 2018 insgesamt 40, im 2. Halbjahr 2018 und 1. Halbjahr 2019 insgesamt 43 Versorgungen mit Knie-TEP durchgeführt zu haben. Für das Jahr 2020 prognostizierte sie mehr als 50 Versorgungsfälle. Zu den die Mindestmengenerwartung begründenden personellen Veränderungen gab sie an: “Chefarzt-Wechsel zum 3. Quartal 2018”. Als weitere Umstände führte sie an: “2019 bereits 25 Kniegelenkstotaleingriffe zu HJ erreicht. Kooperation ab 2020 fokus[s]iert mit niedergelassenem Zuweiser”. Mit einem gemeinsamen Schreiben vom 20.8.2019, dem eine Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt war, widerlegten die Kassenverbände die Mindestmengenprognose der Krankenhausträgerin: Aus dem Verlauf der Leistungszahlen seit 2017 werde deutlich, dass das Problem des sukzessiven Leistungsabfalles bereits über einen längeren Zeitraum bestehe und mit einem Chefarztwechsel, “der erst zum 01.08.2019 erfolgt ist”, nicht begründet werden könne. Zudem dürfe dieser Umstand nicht erneut zur Begründung der Prognose herangezogen werden. Soweit auf eine in der Zukunft liegende Kooperation abgestellt werde, seien keine weiteren Erläuterungen erfolgt, ob und in welcher Form diese Kooperation avisiert sei oder ob bereits vertragliche Bindungen bestünden. Ob die unzureichend konkretisierte Kooperation mit einem nicht näher benannten niedergelassenen Zuweiser hinreichende und dauerhafte Zuweisungen gewährleiste, sei nicht dargelegt.
3
Die hiergegen gerichtete Klage hat das SG abgewiesen. Die gegen die Widerlegungsentscheidung statthafte Anfechtungsklage sei zulässig aber unbegründet. Der angefochtene Bescheid sei rechtmäßig. Einer vorherigen Anhörung habe es nicht bedurft. Die Kassenverbände hätten die formell wirksame Prognose der Krankenhausträgerin zu Recht wegen begründeter erheblicher Zweifel an deren Richtigkeit widerlegt. Die mitgeteilten Umstände trügen nicht den Schluss, die aus den Zahlen der letzten Halbjahre ableitbare Untererfüllung könnte ausreichend kompensiert werden. Die Krankenhausträgerin habe in der Prognose nicht mitgeteilt, welcher Chefarzt eingestellt worden sei und inwieweit dessen Renommee zum Erreichen der Mindestmenge werde beitragen könne. Die beabsichtige Zusammenarbeit mit einem einzelnen, nicht benannten Zuweiser lasse nicht auf die überwiegende Wahrscheinlichkeit des Erreichens der Mindestmenge schließen. Dem Umstand, dass im ersten Halbjahr 2019 bereits 25 Knie-TEP erreicht worden seien, sei nur geringes Gewicht beizumessen, da er schon bei der Bewertung der Leistungsmenge berücksichtigt werde. Erst nach Darlegung der Prognose eingetretene Umstände, wie die Erreichung der erforderlichen Mindestmenge im Jahr 2019, könnten nicht gegen die Rechtmäßigkeit der Widerlegungsentscheidung angeführt werden. Diese sei allein an den der Prognose zugrunde gelegten Tatsachen zu orientieren. Ein zugunsten des Krankenhauses zu berücksichtigender Härtefall liege nicht vor.
4
Die klagende Krankenhausträgerin rügt mit ihrer Revision eine Verletzung von § 24 Abs 1 SGB X sowie § 136b Abs 4 Satz 3 und 6 SGB V iVm § 4 Abs 2 Satz 2 und 3 der Mindestmengenregelung des GBA (Mm-R)
5
Die Klägerin beantragt,
        
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 5. März 2020 sowie den Bescheid der Beklagten vom 20. August 2019 aufzuheben,
hilfsweise
        
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 5. März 2020 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht zurückzuverweisen.
6
Die beklagten Kassenverbände beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
7
Sie halten das angefochtene Urteil im Ergebnis für zutreffend. Statthafte Klageart sei allerdings die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage.


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