Medizinrecht

Bayerisches Beihilferecht, zu Rezepturarzneimitteln und Präsentationsarzneimitteln, zur Frage der Beihilfefähigkeit von Fertigpräparaten aus dem In- und Ausland, die in Deutschland nicht zugelassen sind und im Ausland nicht als Arzneimittel in Verkehr sind, sowie zur Handhabung von Härtefällen im Bereich des § 18 BayBhV;, zur Auslegung des § 18 Satz 4 Nr. 2 BayBhV im Einzelfall einer genetisch bedingten chronischen und schweren Multisystemerkrankung (CMI, Chronic Multisystem Illness) mit hochgradiger multipler Chemikaliensensitivität (MCS, ICD-10-GM-T 78.4), bei der der tägliche Bedarf an lebensnotwendigen Substanzen mit üblicher Nahrung nicht gefahrfrei gestillt werden kann;, zur Auslegung des § 18 Satz 4 Nr. 3 BayBhV.

Aktenzeichen  14 B 19.1279

Datum:
20.12.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 44438
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBhV § 18 S. 1 Nr. 1, S. 4, 49 Abs. 2
AMG § 2 Abs. 1
AMG § 21
AMG § 43
AMG § 73
GG Art. 3 Abs. 3 S. 2
UN-BRK Art. 25

 

Leitsatz

1. Apothekenpflichtig i.S.v. § 18 Satz 1 Nr. 1 BayBhV i.V.m. § 43 Abs. 1 AMG sind Arzneimittel jedenfalls dann nicht, wenn sie mangels arzneimittelrechtlicher Zulassung gemäß §§ 21, 73 AMG auch über Apotheken nicht in Verkehr gebracht werden dürfen.
2. Der Ausschlusstatbestand des § 18 Satz 4 Nr. 3 BayBhV ist nicht auf solche Präparate anzuwenden, die neben Vitaminen auch andere Wirkstoffe enthalten.

Verfahrensgang

M 17 K 17.3915 2018-03-22 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 22. März 2018, erhält – soweit es nicht durch die übereinstimmende Erledigungserklärung hinsichtlich des Präparats Ochsengalle unwirksam geworden ist (Senatsbeschluss vom 28.6.2019 im Verfahren 14 ZB 18.1498) – in Nummern II und III folgende Fassung:
II. Der Beklagte wird unter entsprechender Aufhebung des Bescheids vom 19. Juli 2017 verpflichtet, dem Kläger die beantragte Beihilfe zu den Aufwendungen für das mit ärztlichem Privatrezept vom 8. Juni 2017 verordnete Rezepturarzneimittel „240 Cellulosekapseln“ zu gewähren.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
III. Von den Kosten des Verfahrens tragen der Beklagte 70,14% und der Kläger 29,86%.
II. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
III. Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Beklagte 62,93% und der Kläger 37,07%.
IV. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
V. Die Revision wird zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung des Klägers – die sich nur auf den nach der im Berufungszulassungsverfahren erfolgten übereinstimmenden teilweisen Erledigungserklärung hinsichtlich des Präparats Ochsengalle noch streitigen Teil bezieht -, hat in der Sache nur teilweise, nämlich hinsichtlich des Rezepturpräparats Cellulosekapseln Erfolg (siehe 1.), während sie hinsichtlich des Fertigpräparats OMEGAlife erfolglos bleibt (siehe 2.); hinsichtlich des übereinstimmend für erledigt erklärten Teils ist das Verfahren bereits bei der Berufungszulassung (Senatsbeschluss vom 28.6.2019 im Verfahren 14 ZB 18.1498) im Übrigen eingestellt worden.
1. Hinsichtlich der Cellulosekapseln ergibt sich der Beihilfeanspruch aus § 18 Satz 1 Nr. 1 BayBhV in der ab 1. Oktober 2014 geltenden Fassung, die zum Zeitpunkt der Entstehung der Aufwendungen (16.6.2017) in Kraft war; ein Ausschlusstatbestand ist nicht einschlägig, insbesondere weder § 18 Satz 4 Nr. 2 noch § 18 Satz 4 Nr. 3 BayBhV. Insoweit erweist sich der Ablehnungsbescheid des Beklagten als rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1.1. Das streitgegenständliche Rezepturpräparat Cellulosekapseln ist ein sog. Präsentationsarzneimittel i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG.
Es kann dabei dahinstehen, ob Rezepturpräparate allgemein unproblematisch „Präsentationsarzneimittel“ i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG sind, wie es in Teilen der Literatur vertreten wird (vgl. Prinz, PharmR 2008, 364/365 unter II.). Jedenfalls ist der Begriff des Präsentationsarzneimittels nach ständiger EuGH-Rechtsprechung weit auszulegen (vgl. EuGH, U.v. 30.11.1983 – 227/82 – ECLI:ECLI:EU:C:1983:354 Rn. 17; U.v. 16.4.1991 – C-112/89 – ECLI:ECLI:EU:C:1991:147 Rn. 16; U.v. 28.10.1992 – C-219/91 – ECLI:ECLI:EU:C:1992:414 Rn. 16; U.v. 15.11.2007- C-319/05 – ECLI:ECLI:EU:C:2007:678 Rn. 43 f.; vgl. hierzu auch BVerwG, U.v. 17.9.2021 – 3 C 20.20 – juris Rn. 20 ff.), wobei § 18 Satz 1 Nr. 1 BayBhV gleichermaßen auf Präsentationsarzneimittel wie auf Funktionsarzneimittel (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 AMG) Anwendung findet. Dabei ist gerade für die Abgrenzung zwischen Lebensmitteln und Präsentationsarzneimitteln auf das „Gesamterscheinungsbild“ abzustellen (BGH, U.v. 3.4.2003 – I ZR 203/00 – NJW-RR 2003, 1123 unter II.1.b); OLG Köln, U.v. 12.10.2007 – 6 U 56/07 – GRUR-RR 2008, 199/200 unter 2.), und zwar aus der Sicht eines durchschnittlich informierten Verbrauchers (EuGH, U.v. 15.11.2007 – C-319/05 – ECLI:ECLI:EU:C:2007:364 Rn. 46 m.w.N.; BayVGH, B.v. 16.2.2012 – 9 CS 11.2908 – juris Rn. 23 [ohne originale Randnummernzählung in PharmR 2012, 525/526]), wobei der Zweckbestimmung eine Schlüsselfunktion zukommt (BayVGH, B.v. 16.2.2012 a.a.O. Rn. 22) und die „Aufmachung“ zwar ein wichtiges, nicht aber ein allein ausschlaggebendes Indiz ist (EuGH, U.v. 15.11.2007 a.a.O. Rn. 52). Insoweit ist das Gericht nicht gehalten, sich sachverständiger Hilfe oder einer Meinungsumfrage zu bedienen, weil die Richter insoweit selbst zum Kreis der durchschnittlichen Verbraucher gehören (BGH, U.v. 11.7.2002 – I ZR 34/01 – juris Rn. 68 ff. [insoweit nur teilweise abgedruckt in BGHZ 151, 286/297]; BVerwG, B.v. 4.3.2014 – 3 B 60.13 – juris Rn. 9 m.w.N.; siehe auch das Senatsurteil vom 20.12.2021 im parallelen Verfahren 14 B 19.1283 unter 1.1.). Zwar reicht der bloße Umstand einer Produktion durch eine Apotheke nicht hin, um von einem Präsentationsarzneimittel auszugehen, weil Apotheken nicht nur Arzneimittel, sondern auch andere Produkte herstellen (vgl. BayVGH, B.v. 16.2.2012 – 9 CS 11.2908 – juris Rn. 26 [ohne originale Randnummernzählung in PharmR 2012, 525/526]). Jedoch ist es für solche in Apotheken hergestellte Produkte, denen (Präsentations-)Arzneimittelqualität zukommt, typisch, dass sie „nach ärztlich verordneter Rezeptur und nicht nach Kundenwünschen hergestellt“ werden (BayVGH, B.v. 16.2.2012 a.a.O. Rn. 26). Dabei ist auch relevant, ob sich das Angebot der Apotheke an eine erkrankte Kundschaft oder an eine gesunde Kundschaft richtet (BayVGH, B.v. 16.2.2012 a.a.O. Rn. 24).
Vor diesem Hintergrund spricht vorliegend eine wertende Gesamtbetrachtung aller Umstände für die Annahme eines Präsentationsarzneimittels. So ist schon auf dem ärztlichen Privatrezept vom Arzt ausdrücklich nicht nur der Terminus „Apothekenrezeptur“ aufgebracht und neben dem Namen der Ehefrau des Klägers sowie dem Namen der Apotheke auch die Diagnose angeführt. Schon dies erweckt bei einem durchschnittlichen Verbraucher den Eindruck, dass die Apotheke, der dadurch auch die Diagnose der Ehefrau des Klägers bekannt wird, dieses nach ärztlicher Verordnung hergestellte Präparat eben auch als „Apothekenrezeptur“ an die Patientin abgegeben hat, und zwar mit präzise bezeichneten Mengenangaben. Die Apotheke hat das umstrittene Präparat gerade nicht nach einem „Kundenwunsch“, sondern in Umsetzung einer ärztlichen Verordnung in einer Dosierung nach Anweisung des Arztes hergestellt und mit der Abgabe des Produkts gerade an die im Rezept genannte Ehefrau des Klägers auch einen personalen Bezug zu eben dieser erkrankten Kundin hergestellt – das derart exklusiv hergestellte und abgegebene Rezepturpräparat war damit auch nicht an einen „gesunden Kundenkreis“, sondern ganz im Gegenteil an eine erkrankte einzelne Kundin gerichtet. Diese im Ergebnis klar für ein Präsentationsarzneimittel sprechenden Indizien werden durch die diesbezüglichen Ausführungen des Pharmaziereferats der Regierung von Oberbayern nicht in Frage gestellt, weil dort die besagten Details des ärztlichen Rezeptdokuments nicht näher Berücksichtigung finden. Soweit der Beklagte mit dem Pharmaziereferat auf eine „Auslobung“ abstellt, wird nicht hinreichend berücksichtigt, dass beim vorliegenden Rezepturpräparat nur eine einzige Adressatin, nämlich die Ehefrau des Klägers selbst, existiert, und wird der Bedeutung gerade des ärztlichen Rezepts für die Präsentation nicht hinreichend Rechnung getragen.
Hinzu kommt, dass zur Feststellung der Arzneimitteleigenschaft alle einschlägigen Aspekte in den Blick zu nehmen sind, also nicht nur die enthaltenen Stoffe, sondern auch deren Dosierung und die Zubereitungen aus Stoffen, und nicht nur die generelle Zweckbestimmung und die Art der Präsentation, sondern ebenso auch die genaue Art der Anwendung, der Ort der Anwendung und die „Angaben“ zur Dosierung, worauf das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in seinem Schreiben vom 26. Mai 2021 zutreffend hingewiesen hat (vgl. für den Bereich von Funktionsarzneimittels EuGH, U.v. 6.9.2012 – C-308/11 – ECLI:ECLI:EU:C:2012:548 Rn. 34). Dabei kommt bei Präsentationsarzneimitteln hinzu, dass diese – im Interesse des Verbraucherschutzes – sogar dann unter den § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG fallen, wenn sie nicht die vom Verbraucher erwartete Wirkung haben (vgl. EuGH, U.v. 15.11.2007 – C-319/05 – ECLI:ECLI:EU:C:2007:364 Rn. 43).
Für die Würdigung aus Sicht eines durchschnittlichen interessierten Verbrauchers ist auch die in Deutschland bestehende „Therapiehoheit des Arztes“ zu berücksichtigen (vgl. BVerwG, U.v. 26.6.2020 – 5 C 4.19 – BVerwGE 169, 48 Rn. 9, 11), die dafür spricht, in dem Umstand, dass das von dem in Deutschland praktizierenden behandelnden Arzt ausgestellte Rezept explizit von einem Arzneimittel spricht und hier sogar die zugehörige Diagnose festhält, ein Indiz dafür zu sehen, dass ein durchschnittlicher Verbraucher davon ausgeht, dass auch diese Bezeichnung im Rahmen der ärztlichen Therapiehoheit getroffen worden ist und wegen des namentlichen Bezugs gerade zur Ehefrau des Klägers Teil deren ärztlicher Therapie ist, was wiederum indiziell für ein Präsentationsarzneimittel spricht. Zwar besteht die ärztliche Therapiehoheit ihrerseits nicht unbeschränkt und findet namentlich bei Fertigarzneimitteln ihrerseits eine Grenze darin, dass eine ärztliche Verordnung eine fehlende, aber gesetzlich vorgeschriebene Zulassung i.S.v. § 21 AMG nicht ersetzen kann (sieht näher 2.). Jedoch steht das beim vorliegenden Rezepturarzneimittel nicht im Raum, weil das Zulassungserfordernis aus § 21 Abs. 1 Satz 1 AMG seinerseits gerade nur bei Fertigarzneimitteln (§ 4 Abs. 1 AMG), nicht aber auch bei Rezepturarzneimitteln gilt.
Überdies spricht für eine Präsentationsarzneimitteleigenschaft der Cellulosekapseln auch die klägerseits in der mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichts vom 22. März 2018 (Sitzungsprotokoll S. 2) überreichte Abbildung eines beschrifteten Behältnisses für Cellulosekapseln (Datum: 14.6.2017). Dort wird das Präparat nicht nur als „apothekenpflichtig“ bezeichnet, sondern ist auch der explizite Hinweis angebracht: „Dosierung nach Anweisung des Arztes!“. Dies spricht zusätzlich aus Sicht eines durchschnittlichen Verbrauchers für die Annahme eines Präsentationsarzneimittels.
Im Ergebnis ist somit beim Rezepturpräparat Cellulosekapseln eindeutig von einem Präsentationsarzneimittel i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG auszugehen. Daran ändert sich nichts durch die Argumentation des Beklagten, ein Arzneimittel sei gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 1 AMG ausgeschlossen, weil es um ein Lebensmittel i.S.v. Art. 2 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 (Lebensmittel-BasisVO) gehe, auf die § 2 Abs. 2 des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuchs (LFGB) verweise. Dies verkennt, dass Art. 2 Abs. 3 Buchst. d der Lebensmittel-BasisVO bestimmt, dass Arzneimittel ihrerseits nicht zu „Lebensmitteln“ gehören, sodass der Hinweis auf den Lebensmittelbegriff als solchen nicht geeignet ist, die hier für eine Einschätzung als Präsentationsarzneimittel sprechenden Umstände (siehe oben) in Frage zu stellen. Angesichts dieser aus Sicht des Senats eindeutig für ein Präsentationsarzneimittel sprechenden Umstände geht es insoweit auch nicht um einen Fall der in § 2 Abs. 3a AMG bzw. des Art. 2 Abs. 2 RL 2001/83/EG (vgl. dazu EuGH, U.v. 15.1.2009 – C-140/07 – ECLI:ECLI:EU:C:2009:5 Rn. 20 ff.).
1.2. Die Apothekenpflichtigkeit i.S.v. § 18 Satz 1 Nr. 1 BayBhV folgt gemäß § 43 Abs. 1 AMG aus der Arzneimitteleigenschaft, wobei § 43 Abs. 1 AMG insoweit nicht zwischen Präsentationsarzneimitteln (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG) und Funktionsarzneimitteln (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 AMG) unterscheidet. Dabei stellt sich die Frage, inwieweit für die Apothekenpflichtigkeit die Erfüllung einer Zulassungspflicht nach § 21 AMG – als Voraussetzung der Verkehrsfähigkeit von Fertigarzneimitteln – bedeutsam sein kann (siehe dazu 2.), bei dem vorliegenden Rezepturarzneimittel von vornherein nicht, weil § 21 AMG eine Zulassungspflicht gerade nur für „Fertig“-Arzneimittel (§ 4 Abs. 1 AMG), nicht aber auch für Rezepturarzneimittel vorsieht.
Auch wird jedenfalls die spezifische Mischung von Stoffen, die das vorliegende Präsentationsarzneimittel Cellulosekapseln als solches erst charakterisiert (siehe 1.1.), nicht in der Arzneimittelverkaufsverordnung – insbesondere in der dortigen Anlage 1a – von der Apothekenpflicht ausgenommen, was im Erörterungstermin vom 27. Juli 2021 (dort Protokoll S. 6 drittletzter und letzter Absatz; S. 7 erster, zweiter und dritter Absatz) auch von der seinerzeit befragten Vertreterin des Pharmaziereferats der Regierung von Oberbayern so vertreten worden ist.
1.3. Dabei ist auch davon auszugehen, dass im Fall der Ehefrau des Klägers die Verschreibung der Cellulosekapseln medizinisch notwendig war (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 BayBhV).
In Bezug auf Aufwendungen, die auf einer ärztlichen Verordnung beruhen, kann aufgrund der Sachkunde des Arztes regelmäßig davon ausgegangen werden, dass diese medizinisch geboten sind (BVerwG, B.v. 22.8.2018 – 5 B 3.18 – NVwZ-RR 2019, 112 Rn. 9 m.w.N.). Es ist eine Vielzahl klägerseits vorgelegter und aussagekräftiger medizinischer Stellungnahmen aktenkundig, aus denen sich nicht nur die genetisch bedingte Art der Erkrankung der Ehefrau des Klägers – die in allen Verfahren, deren Akten der Senat beigezogen hat, inmitten steht -, sondern auch die daraus resultierenden Problematiken im Hinblick auf Unverträglichkeiten gegenüber gängigen Arzneimitteln sowie im Hinblick auf die Versorgung mit Nahrung deutlich ergeben. Zu nennen sind insbesondere die Stellungnahmen von Herrn Prof. Dr. med. A.H. vom 14. Januar 2001, vom 31. Januar 2007, vom 2. Juni 2008, vom 17. Januar 2011, vom 4. Januar 2013 und vom 10. September 2015 sowie die gutachterliche Stellungnahme von Herrn Prof. Dr. med. W.H. vom 6. August 2009 und das ärztliche Attest von Herrn Prof. Dr. med. L. vom 7. August 2009 (jeweils vorgelegt mit der Klageschrift M 17 K 17.4946 [zum parallelen Verfahren 14 B 19.1283]). Vor dem Hintergrund dieser Stellungnahmen ist insbesondere das Schreiben des behandelnden Arztes Dr. med. H. vom 4. Juli 2018 (Anlage B9 zur Antragsbegründung im Verfahren 14 ZB 18.1956 [zum parallelen Verfahren 14 B 19.1280]) mit Bezug zu früheren Stellungnahmen schlüssig.
1.4. Dem Beihilfeanspruch hinsichtlich der Cellulosekapseln steht auch keiner der in § 18 BayBhV genannten Ausschlusstatbestände entgegen. Zwar dient § 18 Satz 4 BayBhV gerade auch dem Beihilfeausschluss bei Präparaten, die begrifflich apothekenpflichtige Arzneimittel i.S.v. § 2 Abs. 1, § 43 Abs. 1 AMG sind, denn erst dadurch erhält § 18 Satz 4 BayBhV überhaupt eine eigenständige Bedeutung, während bei Verneinung eines apothekenpflichtigen Arzneimittels – und Annahme von vornherein nicht apothekenpflichtiger Lebensmittel oder Nahrungsergänzungsmittel – ein Beihilfeanspruch bereits mangels Erfüllung der in § 18 Satz 1 Nr. 1 BayBhV genannten Anspruchsvoraussetzungen scheitern würde. Jedoch liegt im Fall der Ehefrau des Klägers keiner der in § 18 BayBhV genannten Ausschlussgründe vor.
1.4.1. Insbesondere ist § 18 Satz 4 Nr. 2 BayBhV nicht einschlägig. Die verschriebenen Cellulosekapseln sind bei der Ehefrau des Klägers nicht im Sinne dieser Norm geeignet, Güter des täglichen Bedarfs „zu ersetzen“, sondern „ermöglichen“ ihr – ganz im Gegenteil – erst eine gefahrfreie Stillung ihres täglichen Bedarfs.
Die gegenteiligen Einschätzungen des Beklagten und des Verwaltungsgerichts beruhen auf einer typisierenden Betrachtung der in der allgemeinen Bevölkerung „regelmäßig“ anzutreffenden Art und Weise der Stillung des täglichen Nahrungsbedarfs, von dem sich der konkrete Fall der Ehefrau des Klägers jedoch deutlich unterscheidet, wobei im Beihilferecht die konkrete Zweckbestimmung des Arzneimittels im Einzelfall entscheidend ist (OVG Saarl, U.v. 8.6.2021 – 1 A 204/19 – juris Rn. 64 ff., 69 f.).
Vorliegend ist aber die maßgebliche konkrete Situation der Ehefrau des Klägers nach den übereinstimmenden aktenkundigen ärztlichen Einschätzungen (siehe 1.3.) gerade durch eine chronische Depletion von Vitaminen, Mineralstoffen und anderen lebensnotwendigen Substanzen geprägt, die ernährungsmäßig nicht behoben werden kann (siehe 1.3.). Das Problem der Ehefrau des Klägers besteht eben darin, dass sie wegen ihrer extremen Chemikaliensensibilität ihren „täglichen Bedarf“ an lebenswichtigen Substanzen gerade nicht – wie typischer Weise die übrige Bevölkerung – über die „Nahrung“ stillen kann. Es mag sein, dass im Regelfall der Bevölkerung typischerweise der Bedarf an Stoffen, die in den Cellulosekapseln enthalten sind, über die Nahrung gestillt wird; gerade dies ist der Ehefrau des Klägers im konkreten Einzelfall aber nicht möglich, und zwar gerade aufgrund ihrer besonders schwerwiegenden und chronischen – genetisch bedingten – Erkrankung.
Aus diesem Grund kann nicht die Rede davon sein, dass das streitgegenständliche Rezepturarzneimittel geeignet wäre, einen täglichen Bedarf „zu ersetzen“ – vielmehr ist es in der ganz spezifischen, ärztlich verordneten und verantworteten Dosierung ein Ausgleich dafür, dass die Ehefrau des Klägers gerade krankheitsbedingt nicht in der Lage ist, ihren täglichen Bedarf an lebensnotwendigen Substanzen mit üblicher Nahrung gefahrfrei zu stillen.
1.4.2. Auch die übrigen in § 18 BayBhV genannten Ausschlusstatbestände sind vorliegend nicht einschlägig. Insbesondere handelt es sich bei den Cellulosekapseln nicht um ein Vitaminpräparat i.S.v. § 18 Satz 4 Nr. 3 BayBhV. Die Einschätzung des Beklagten, § 18 Satz 4 Nr. 3 BayBhV sei dahin auszulegen und ein Beihilfeausschluss nach dieser Norm schon dann anzunehmen, wenn auch nur einer der im Präparat enthaltenen Stoffe ein Vitamin sei, teilt der Senat nicht. Vielmehr legt der Senat § 18 Satz 4 Nr. 3 BayBhV eng dahingehend aus, dass diese Norm einen im Ausgangspunkt gegebenen Beihilfeanspruch nur dann ausschließt, wenn es sich um ein „reines“ Vitaminpräparat handelt, dessen wirksame Stoffe durchgehend und allein Vitamine sind (ebenso die Berufungsbegründung auf S. 6 vorletzter Absatz); selbst soweit es sich nicht um ein Fertigarzneimittel i.S.v. § 4 Abs. 1 AMG (i.V.m. § 18 Satz 4 Nr. 3 BayBhV) handelt, greift der Beihilfeausschluss aus § 18 Satz 4 Nr. 3 BayBhV nicht ein, wenn es um ein Präparat geht, das neben Vitaminen noch andere Wirkstoffe enthält. Für diese enge Auslegung spricht schon der Wortlaut, der mit dem Begriff „Vitaminpräparate“ eben auf das Präparat insgesamt abstellt, aber gerade nicht auf die Ausgangsstoffe, aus deren Mischung ein Präparat hervorgegangen ist; auch insoweit ist zu sehen, dass erst die spezifische Mischung von Stoffen ein Arzneimittel als solches charakterisiert (siehe 1.1, 1.2.). Unabhängig davon weist auch die allgemeine methodische Erwägung, dass Ausnahmevorschriften wie der Ausschlusstatbestand des § 18 Satz 4 BayBhV eng auszulegen sind, in die gleiche Richtung.
Weil somit der Ausschlusstatbestand des § 18 Satz 4 Nr. 3 BayBhV nicht auf solche Präparate anzuwenden ist, die neben Vitaminen auch andere Wirkstoffe enthalten, ist vorliegend die Beihilfefähigkeit der Cellulosekapseln nicht nach dieser Norm ausgeschlossen, weil jedenfalls das in den Cellulosekapseln enthaltene Magnesiumaspartat kein Vitamin ist.
2. Hinsichtlich des Fertigpräparats OMEGAlife hat das Verwaltungsgericht die zulässig erhobene Verpflichtungsklage im Ergebnis zu Recht abgewiesen – insoweit wird der Kläger mangels Beihilfeanspruchs durch die streitgegenständliche Ablehnung von Beihilfe, die sich im Ergebnis als rechtmäßig erweist, nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO) und ist die Berufung deshalb insoweit zurückzuweisen.
2.1. Der Beihilfeanspruch ergibt sich nicht aus § 18 BayBhV, weil schon die tatbestandlichen Anspruchsvoraussetzungen des § 18 Satz 1 Nr. 1 BayBhV in keiner der denkbaren Varianten vorliegen.
2.1.1. Sollte es sich bei OMEGAlife begrifflich nicht um ein Arzneimittel i.S.v. § 2 Abs. 1 AMG handeln, würde sich der Beihilfeanspruch schon wegen § 18 Satz 1 Nr. 1 BayBhV nicht aus § 18 BayBhV ergeben.
2.1.2. Nimmt man mit der Klagepartei an, OMEGAlife sei ein Arzneimittel, wäre dieses Fertigpräparat jedenfalls nicht apothekenpflichtig i.S.v. § 18 Satz 1 Nr. 1 BayBhV. Zwar ist OMEGAlife in der Arzneimittelverkaufsverordnung – insbesondere in der dortigen Anlage 1a – nicht von der Apothekenpflicht ausgenommen, was im Erörterungstermin vom 27. Juli 2021 (dort Protokoll S. 5 zweiter Absatz) auch von der seinerzeit befragten Vertreterin des Pharmaziereferats der Regierung von Oberbayern so vertreten wurde. Jedoch setzt eine Apothekenpflichtigkeit i.S.v. § 18 Satz 1 Nr. 1 BayBhV eine Verkehrsfähigkeit als Arzneimittel in Deutschland voraus (siehe 2.1.2.1.), die für OMEGAlife nicht anzunehmen wäre, und zwar auch nicht gemäß § 73 AMG im Hinblick auf den Umstand, dass OMEGAlife hier aus dem Ausland importiert wurde (siehe 2.1.2.2. bis 2.1.2.6.).
2.1.2.1. Mit der ab dem 1. Oktober 2014 in Kraft getretenen Wendung „apothekenpflichtige Arzneimittel nach § 2 Arzneimittelgesetz“ in § 18 Satz 1 Nr. 1 BayBhV (vgl. Änderungsverordnung vom 29.7.2014, GVBl S. 352) hat der bayerische Verordnungsgeber die Beihilfefähigkeit von Arzneimitteln systematisch an Begrifflichkeiten des Arzneimittelgesetzes angebunden, während in der zuvor geltenden ursprünglichen Fassung des § 18 Satz 1 BayBhV (a.F.; vgl. Verordnung vom 2.1.2007, GVBl S. 15), die vorliegend nicht einschlägig ist, – ähnlich wie in dem früher geltenden § 6 Abs. 1 Nr. 2 BhV – nur von „Arznei- und Verbandmitteln, Medizinprodukten und dergleichen“ die Rede war.
Dabei ist in der Rechtsprechung des Senats zu der seit 1. Oktober 2014 geltenden Neufassung geklärt, dass das Erfordernis der Verschreibung kumulativ zum Erfordernis der Arzneimitteleigenschaft i.S.v. § 18 Satz 1 Nr. 1 BayBhV und der Apothekenpflichtigkeit hinzutritt, sodass der Umstand, dass eine Verschreibung erfolgt ist, noch nichts darüber aussagt, ob ein „Arzneimittel“ i.S.v. § 18 Satz 1 Nr. 1 BayBhV i.V.m. § 2 AMG vorliegt. Ein Produkt wird nicht schon dadurch zum „Arzneimittel“ i.S.v. § 18 Satz 1 Nr. 1 BayBhV i.V.m. § 2 AMG, dass es im konkreten Fall ärztlich verschrieben wurde, alleine zur Beschwerdelinderung eingesetzt wurde und kein Lebensmittel ist. Vielmehr ist von einem Arzneimittel i.S.v. § 18 Satz 1 Nr. 1 BayBhV in der seit 1. Oktober 2014 geltenden Fassung nur dann auszugehen, wenn sämtliche positiven und negativen Voraussetzungen i.S.v. § 2 AMG (i.V.m. § 18 Satz 1 Nr. 1 BayBhV) erfüllt sind – eine bloße „Nähe“ zum Begriff der „Arznei“ genügt diesen Anforderungen nicht (BayVGH, B.v. 29.1.2019 – 14 ZB 18.663 – juris Rn. 14 [ohne amtliche Randnummern abgedruckt in PharmR 2019, 299]). Geklärt ist weiter, dass die Bayerische Beihilfeverordnung – abgesehen von § 18 Satz 2 und 3 BayBhV – Erweiterungen gegenüber § 18 Satz 1 Nr. 1 bis 4 BayBhV nur in den von ihr selbst genannten Ausnahmefällen (vgl. etwa § 49 BayBhV) ermöglicht (BayVGH, B.v. 29.1.2019 a.a.O. Rn. 8 m.w.N.).
Auch mit der zusätzlich zum begrifflichen Vorliegen der Arzneimitteleigenschaft (§ 2 Abs. 1 AMG) geforderten Apothekenpflichtigkeit verweist § 18 Satz 1 Nr. 1 BayBhV auf das diesbezügliche Fachrecht, sodass insoweit insbesondere § 43 AMG Bedeutung erlangt. Aus Letzterem ergibt sich, dass die in § 18 Satz 1 Nr. 1 BayBhV enthaltene Wendung „apothekenpflichtige Arzneimittel“ – vermittelt über § 43 AMG – voraussetzt, dass das jeweilige Arzneimittel „überhaupt“ in Apotheken in den Verkehr gebracht werden darf, was bei Nichterfüllung der Voraussetzungen des § 21 AMG oder – bei Arzneimitteln aus dem Ausland – des § 73 AMG von vornherein nicht der Fall wäre. Diese Wechselwirkung zwischen § 43 Abs. 1 AMG und §§ 21, 73 AMG ergibt sich daraus, dass die sog. Apothekenpflicht auf der Rechtsfolgenseite des § 43 Abs. 1 Satz 1 AMG bedeutet, dass ein Arzneimittel nur in Apotheken „in den Verkehr gebracht“ werden darf, es dabei also um das „In-Verkehr-Bringen“ geht. Um eben dieses „In-Verkehr-Bringen“ (vgl. § 4 Abs. 17 AMG) geht es aber auch auf der Rechtsfolgenseite des § 21 Abs. 1 Satz 1 AMG, der das In-Verkehr-Bringen der dort genannten (Fertig) Arzneimittel von einer „Zulassung“ bzw. „Genehmigung“ abhängig macht, soweit keine Ausnahme gemäß § 21 Abs. 2 AMG vorliegt. Nicht anders ist es im Ergebnis (erst recht) bei Arzneimitteln aus dem Ausland, soweit sie gemäß § 73 AMG nicht einmal in den Geltungsbereich des AMG „verbracht“ werden dürfen. Dabei ist zu sehen, dass selbst eine Apotheke ein gemäß § 21 AMG zulassungs- oder genehmigungspflichtiges bzw. ein dem Verbringungsverbot des § 73 AMG unterliegendes Arzneimittel nicht – bzw. nur in den von § 73 AMG explizit genannten Ausnahmefällen – „in den Verkehr bringen“ darf. Soweit aber nach § 21 AMG oder § 73 AMG nicht verkehrsfähige Arzneimittel auch nicht über Apotheken „in den Verkehr“ gebracht werden dürfen, spricht dies dagegen, sie als „apothekenpflichtig“ i.S.v. § 43 AMG i.V.m. § 18 Satz 1 Nr. 1 BayBhV anzusehen, weil sie – auf der Rechtsfolgenseite – eben auch über Apotheken gerade nicht in den Verkehr gebracht werden dürfen. Soweit nämlich ein Arzneimittel mangels erforderlicher Zulassung in Deutschland nicht in Verkehr gebracht werden darf, und zwar auch nicht gemäß § 73 AMG, dürfte ein solches Arzneimittel nämlich nur „hypothetisch“ für den Fall der Zulassung über eine Apotheke in Verkehr gebracht werden und es bestünde tatsächlich gerade keine „Pflicht“, ein derartiges, ohnehin (mangels Zulassung) nicht verkehrsfähiges Arzneimittel gerade über eine Apotheke in Verkehr zu bringen.
Dabei spricht nichts dafür, auch derartige mangels Zulassung letztlich bloß „hypothetisch apothekenpflichtige“ Arzneimittel unter § 18 Satz 1 Nr. 1 BayBhV fallen zu lassen. Insbesondere ist die Konstellation eines in Deutschland arzneimittelrechtlich überhaupt nicht zugelassenen Präparats nicht vergleichbar mit der Konstellation eines sog. Off-label-use, also eines durchaus zugelassenen Arzneimittels, bei dem der verordnende Arzt seine Verschreibung lediglich zu einem anderen als dem zugelassenen Zweck vornimmt (vgl. dazu BVerwG, B.v. 26.6.2020 – 5 C 4.19 – BVerwGE 169, 48 Rn. 9 ff. zur Beihilfefähigkeit eines zulassungsüberschreitend verschriebenen, aber sehr wohl in Deutschland zugelassenen Arzneimittels). Zwar ist im deutschen Recht die sog. ärztliche Therapiehoheit anerkannt, die auch zulassungsüberschreitende Anwendungen von Arzneimitteln einschließt (BVerwG, B.v. 26.6.2020 a.a.O. Rn. 9 und 11). Jedoch darf auch diese Therapiehoheit nicht die – auf unionsrechtliche Vorgaben im Gemeinschaftskodex für Humanarzneimittel (Art. 6 der RL 2001/83/EG) zurückgehende – gesetzliche Grundentscheidung für ein behördliches Zulassungsverfahren (§ 21 Abs. 1 AMG) relativieren. Deshalb ist ein bloßer Off-label-use eines Arzneimittels, das immerhin über die erforderliche arzneimittelrechtliche Zulassung verfügt, in keiner Weise vergleichbar mit der Verschreibung eines in Deutschland nicht zugelassenen Arzneimittels.
Zusammengefasst ist danach das Tatbestandsmerkmal „apothekenpflichtige Arzneimittel“ i.S.v. § 18 Satz 1 Nr. 1 BayBhV i.V.m. § 43 AMG dahingehend auszulegen, dass darunter nur solche Präparate fallen, die begrifflich Arzneimittel i.S.v. § 2 AMG sind und für die ein In-Verkehr-Bringen über Apotheken erlaubt – also insbesondere nicht nach § 21 AMG, ebenso aber auch nicht nach § 73 AMG ausgeschlossen – ist und die außerdem ausschließlich über Apotheken (und nirgends sonst) in den Verkehr gebracht werden dürfen.
2.1.2.2. Das aus dem Ausland (Schweiz) eingeführte Fertigpräparat OMEGAlife wird nach den aktenkundigen Produktangaben als Nahrungsergänzungsmittel vertrieben. Der aktenkundige Internetausdruck zum Fertigpräparat OMEGAlife spricht sowohl bei der Anwendungsempfehlung (Bl. 70 der Verwaltungsakte im Verfahren 14 B 19.1280) als auch beim abschließenden Hinweis zur in der Schweiz bestehenden Apotheken- und Verschreibungsfreiheit (Bl. 71 der Verwaltungsakte im Verfahren 14 B 19.1280) von einem Nahrungsergänzungsmittel.
Angesichts dieser Vermarktungsweise ist OMEGAlife jedenfalls kein Präsentationsarzneimittel i.S.v. des Art. 1 Nr. 2 Buchst. a der RL 2001/83/EG (Gemeinschaftskodex für Humanarzneimittel). Davon war der Senat bereits bei der Ablehnung des klägerischen Beweisantrags zu 1 ausgegangen und hat dabei unter anderem klargestellt, dass er davon ausgeht, dass die Präparate im Herkunftsland nicht als Arzneimittel im Verkehr sind, insoweit also eine Einordnung als Präsentationsarzneimittel ausscheidet. Dies schließt das aus dem Ausland stammende Präparat OMEGAlife ein. Diese Bewertung war und ist dem Senat auch ohne Beweiserhebung möglich. Denn die Frage des Vorliegens eines Präsentationsarzneimittels kann vom Gericht selbst ohne Sachverständigengutachten beantwortet werden (vgl. BGH, U.v. 11.7.2002 – I ZR 34/01 – juris Rn. 68 ff. [insoweit nur teilweise abgedruckt in BGHZ 151, 286/297]; BVerwG, B.v. 4.3.2014 – 3 B 60.13 – juris Rn. 9 m.w.N.; siehe auch oben unter 1.1.). Davon ist auch der Klägerbevollmächtigte ausgegangen, der zuvor selbst betont hatte (Protokoll S. 5 oben), dass das Gericht die Frage einer Präsentationsarzneimitteleigenschaft selbst prüfen könne, da es auf die Verbraucherperspektive ankomme.
Demnach verbleibt nur noch die klägerische Argumentation, OMEGAlife sei ein Funktionsarzneimittel (vgl. Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der RL 2001/83/EG). Doch selbst wenn man diese vom Kläger behauptete Funktionsarzneimitteleigenschaft des streitgegenständlichen ausländischen Fertigpräparats zugunsten des Klägers unterstellen wollte, würde es diesbezüglich jedenfalls an der Apothekenpflichtigkeit i.S.v. § 18 Satz 1 Nr. 1 BayBhV fehlen, weil dieses Fertigpräparat in Deutschland nicht „als Arzneimittel“ verkehrsfähig wäre.
2.1.2.3. Im Ausgangspunkt dürfte OMEGAlife – unterstellt, dieses Fertigpräparat sei ein Funktionsarzneimittel gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 2 AMG in Form eines Fertigarzneimittels (§ 4 Abs. 1 AMG) – gemäß § 73 Abs. 1 i.V.m. § 21 Abs. 1 AMG nicht ohne Zulassung nach Deutschland verbracht werden.
Eine derartige Zulassung fehlt aber ausweislich des Schreibens des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) vom 26. Mai 2021.
2.1.2.4. Dabei ist hinsichtlich OMEGAlife weder vorgetragen noch ersichtlich, dass eine der in § 21 Abs. 2 (i.V.m. § 73 Abs. 1) AMG genannten Ausnahmen von der Zulassungspflichtigkeit einschlägig sein könnte. Insbesondere spricht gegen die Annahme einer Ausnahme gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 1b AMG, dass weder vorgetragen noch ersichtlich ist, dass OMEGAlife vom Hersteller patientenindividuell aufgrund von Rezepturen „für“ eine Apotheke in deren Lohnauftrag hergestellt oder abgefüllt wurde. Auch ist nicht ersichtlich, dass es bei OMEGAlife um „Therapieallergene“ i.S.v. § 4 Abs. 5 i.V.m. § 21 Abs. 2 Nr. 1g AMG gehen würde. Gegen die Annahme eines Ausnahmefalls gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 6 AMG spricht schon der Umstand, dass hier offenkundig gerade keine „Kostenlosigkeit“ besteht. Es geht hier auch nicht um ein „homöopathisches“ Arzneimittel i.S.v. § 38 AMG und des dort vorgesehenen Registrierungsverfahrens.
2.1.2.5. Außerdem wäre keine der in § 73 AMG genannten Ausnahmen vom grundsätzlichen Verbringungsverbot (§ 73 Abs. 1 i.V.m. § 21 AMG) einschlägig.
Insbesondere wäre der Ausnahmetatbestand des § 73 Abs. 2 Nr. 6a AMG nicht einschlägig, da OMEGAlife – seine Funktionsarzneimitteleigenschaft unterstellt – nicht aus einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union (oder des Europäischen Wirtschaftsraums) eingeführt worden ist, sondern aus der Schweiz. Unabhängig davon nimmt § 73 Abs. 2 Nr. 6a AMG nur solche Mittel vom Verbringungsverbot nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AMG aus, die im Ausland „als Arzneimittel“ in Verkehr gebracht werden dürfen (BGH, U.v. 11.7.2002 – I ZR 34/01 – BGHZ 151, 286/298 m.w.N.), was hier weder vorgetragen noch ersichtlich ist.
Nichts anderes gilt für den klägerseits betonten Ausnahmetatbestand des § 73 Abs. 3 AMG, der den Import von Arzneimitteln über Apotheken auch aus dem sonstigen Ausland (außerhalb des europäischen Wirtschaftsraums) in den dort genannten Grenzen ermöglicht. Denn § 73 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AMG setzt nach der insoweit einschlägigen zivilgerichtlichen Rechtsprechung voraus, dass das jeweilige Fertigarzneimittel im jeweiligen Herkunftsland i.S.v. § 73 Abs. 3 AMG rechtmäßig „als Arzneimittel“ – und nicht etwa als nicht reglementiertes Lebensmittel – in Verkehr gebracht werden darf (OLG Düsseldorf, U.v. 8.7.2008 – I-20 U 191/07 – juris Rn. 21, wobei eine dagegen gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde erfolglos blieb, vgl. BGH, B.v. 7.10.2009 – I ZR 126/08 – juris). Zwar ist dabei keine einschränkende Auslegung dergestalt zu fordern, dass das Präparat im Herkunftsland über eine arzneimittelrechtliche Zulassung verfügen müsste, die qualitativ einer deutschen oder europäischen Zulassung entspricht oder vergleichbar ist (OLG Düsseldorf, U.v. 8.7.2008 a.a.O. Rn. 27; BGH, B.v. 7.10.2009 a.a.O.). Das ändert aber nichts daran, dass § 73 Abs. 3 AMG sehr wohl jedenfalls voraussetzt, dass das Mittel im Herkunftsland „als Arzneimittel verkehrsfähig ist“ (OLG Düsseldorf, U.v. 8.7.2008 a.a.O.). Die somit – entgegen der klägerischen Einschätzung, die Zulassung im Ausland sei „nicht erscheidungserheblich“ (Protokoll vom 13.12.2021 S. 3 erster Absatz) – erforderliche Verkehrsfähigkeit „als Arzneimittel“ im jeweiligen Herkunftsland i.S.v. § 73 Abs. 3 AMG ist aber für das hier streitgegenständliche, aus dem Ausland stammende Fertigpräparat OMEGAlife klägerseits schon nicht behauptet, geschweige denn ersichtlich. Ganz im Gegenteil wird OMEGAlife außerhalb Deutschlands gerade nicht als Arzneimittel vertrieben (vgl. Bl. 70 f. der Verwaltungsakte zum Verfahren 14 B 19.1280; siehe 2.1.2.2.) und es ist nicht ansatzweise vorgetragen oder ersichtlich, dass es dort gleichwohl als Arzneimittel in Verkehr gebracht werden dürfte.
2.1.2.6. Zusammenfassend unterläge das Fertigpräparat OMEGAlife somit im Falle der klägerseits vertretenen Arzneimitteleigenschaft in Deutschland der arzneimittelrechtlichen Zulassungspflicht (§ 21 Abs. 1 AMG), würde aber einer derartigen Zulassung ermangeln, wobei es als aus dem Ausland importiertes Präparat dem Verbringungsverbot des § 73 Abs. 1 AMG unterläge, ohne dass eine der in § 73 Abs. 2 oder 3 AMG genannten Ausnahmen vorläge, weswegen die Verkehrsfähigkeit und damit auch die Apothekenpflichtigkeit i.S.v. § 18 Satz 1 Nr. 1 BayBhV i.V.m. § 43 Abs. 1 AMG zu verneinen wäre.
2.1.2.7. Weil die Beihilfefähigkeit von OMEGAlife jedenfalls an der Apothekenpflichtigkeit scheitert (siehe oben), kann offenbleiben, ob im bayerischen Beihilferecht die noch strengere Handhabung des Zulassungserfordernisses im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung bezogen auf importierte Präparate entsprechend heranzuziehen ist.
Im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung wird nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sogar eine Möglichkeit, gemäß § 73 Abs. 3 AMG ein im Ausland verkehrsfähiges Arzneimittel ausnahmsweise – abweichend vom grundsätzlichen Verbot des § 73 Abs. 1 AMG – nach Deutschland zu verbringen, nicht auch als geeignet angesehen, um eine zulassungsähnliche Wirkung herbeizuführen, weil andernfalls das nationale arzneimittelrechtliche Zulassungserfordernis außer Kraft gesetzt würde (BSG, U.v. 18.5.2004 – B 1 KR 21/02 R – BSGE 93,1 = juris Rn. 17 mit Hinweis auf den Gesichtspunkt der unzulässigen Umgehung der Zulassungspflicht), wobei insoweit in den aus Gründen des Gesundheitsschutzes europarechtlich angeordneten weitgehenden Warenverkehrsbeschränkungen auf dem Arzneimittelsektor eine grundsätzliche Bestätigung der nationalen Vorbehalte gegen alle in einem anderen Mitgliedstaat durchgeführten Qualitätskontrollen gesehen wird (BSG, U.v. 18.5.2004 a.a.O. Rn. 29). Selbst soweit das Bundessozialgericht davon bei seltenen Erkrankungen unter engen Voraussetzungen Ausnahmen zugelassen hat, geschah dies nur in Fällen, in denen die importierten Präparate – anders als hier – im jeweiligen ausländischen Herkunftsstaat „als Arzneimittel zugelassen“ waren (vgl. BSG, U.v. 19.10.2004 – B 1 KR 27/02 R – BSGE 93, 236 = juris Rn. 30). Die Bedeutung der arzneimittelrechtlichen Zulassung im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung ist dabei auch bundesverfassungsgerichtlich anerkannt (BVerfG, B.v. 5.3.1997 – 1 BvR 1071/95 – NJW 1997, 3085).
Würden diese im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung entwickelten Maßstäbe auf das bayerische Beihilferecht übertragen, wäre der Beihilfeanspruch des Klägers hinsichtlich des aus dem Ausland importierten Präparats OMEGAlife – dessen Funktionsarzneimitteleigenschaft unterstellt – erst recht ausgeschlossen. Weil hier aber die in § 73 Abs. 2 Nr. 6a, Abs. 3 AMG vorgesehenen Ausnahmebestimmungen bereits tatbestandlich nicht vorliegen (siehe 2.1.2.5.), lässt der Senat diese Frage offen.
2.1.3. Weil der streitgegenständliche Beihilfeanspruch in allen denkbaren Varianten ausscheidet (siehe 2.1.1., 2.1.2.) – und zwar gerade auch dann, wenn ein Funktionsarzneimittel vorliegen sollte -, kommt es auf die klägerseits insoweit gewünschte Begutachtung nicht an (vgl. den vom Senat abgelehnten klägerischen Beweisantrag zu 1, Protokoll vom 13.12.2021 S. 5 f.).
2.2. Der Anspruch ergibt sich auch nicht aus § 49 Abs. 2 BayBhV unter Berücksichtigung von Verfassungsrecht und der UN-Behindertenrechtskonvention.
2.2.1. Nach § 49 Abs. 2 BayBhV kann die Gewährung von Beihilfen über diese Verordnung hinaus in besonders begründeten Ausnahmefällen, die nur bei Anlegung des strengsten Maßstabs anzunehmen sind, zugelassen werden. Dabei hatte der Kläger bereits mit Schreiben vom 1. Dezember 2015 beim zuständigen Staatsministerium einen Ausnahmeantrag gestellt, der thematisch abstrakt gefasst und nicht nur auf den dem parallelen Verfahren 14 B 19.1280 zugrundeliegenden Beihilfeantrag beschränkt war. Das Staatsministerium hat sich dazu mit Schreiben vom 3. Februar 2016 gegenüber der Beihilfestelle, nicht aber gegenüber dem Kläger im Außenverhältnis geäußert, wenn auch das besagte verwaltungsinterne ministerielle Schreiben von der Beihilfestelle im parallelen Verfahren 14 B 19.1280 in einen Widerspruchsbescheid einbezogen worden ist. Jedenfalls angesichts des allgemein gehaltenen (nicht nur auf das Verfahren 14 B 19.1280 bezogenen) Ausnahmeantrags und des Umstands, dass dieser allgemein gehaltene Ausnahmeantrag nicht anderweitig durch eine ministerielle Entscheidung ebenso allgemein im Außenverhältnis zum Kläger verbeschieden worden ist – sondern nur speziell in dem dem Verfahren 14 B 19.1280 zugrunde liegenden Widerspruchsverfahren -, ist auch der vorliegend geltend gemachte Beihilfeanspruch jedenfalls an der Ausnahmeregelung des § 49 Abs. 2 BayBhV zu messen, ohne dass entschieden werden müsste, ob dies auch so wäre, wenn der Kläger keinen entsprechenden Antrag gestellt hätte.
2.2.2. Es kann dabei dahinstehen, ob sich die in der Verwaltungsvorschrift zu § 18 Satz 4 Nr. 2 BayBhV (dort Satz 2) enthaltenen Ausnahmefallgruppen systematisch als eine Art schematisierte Ausnahmeregelung i.S.v. § 49 Abs. 2 BayBhV interpretieren lassen. Denn es ist für OMEGAlife auch unter Berücksichtigung der diesbezüglichen Ausführungen des Pharmaziereferats der Regierung von Oberbayern im Erörterungstermin vom 27. Juli 2021 (dortiges Protokoll S. 5 vorletzter Absatz) nicht ersichtlich, dass insoweit eine der dort genannten Fallgruppen einschlägig sein könnte.
2.2.3. Das (heutige) Staatsministerium der Finanzen und für Heimat hat im Schreiben vom 14. September 2016 (dort unter 3.) im Hinblick auf die Einkommensverhältnisse des Klägers keinen Ausnahmefall nach § 49 Abs. 2 BayBhV angenommen. Das Verwaltungsgericht (UA S. 13 f.) hat eine Gefährdung des angemessenen Lebensunterhalts des Klägers verneint, wobei es dies im parallelen Verfahren 14 B 19.1280 (dort Urteil vom 22.3.2018 – M 17 K 16.4940 – UA S. 23 f. unter 2.4.) näher damit begründet hat, dass der Kläger Versorgungsbezüge aus der Besoldungsgruppe A15 erhalte und der Gesamtbetrag der betreffenden Präparate für seine Ehefrau bei 41,- € im Monat liege, was im Vergleich zu den Versorgungsbezügen des Klägers nicht unangemessen sei, zumal auch die krankheitsbedingten erhöhten Aufwendungen für unter anderem Reinigungs- und Waschmittel von 135,- € im Monat als Kosten der allgemeinen Lebenshaltung zu keinem anderen Ergebnis führten.
2.2.4. Vorliegend ist die Frage einer von § 18 BayBhV abweichenden Ausnahmeentscheidung – auch im Hinblick darauf, dass das streitgegenständliche Fertigpräparat für die Ehefrau des Klägers von existenzieller Bedeutung ist – am Maßstab des § 49 Abs. 2 BayBhV zu messen und dabei die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Klägers und der ihm verbleibenden Mittel zu berücksichtigen (vgl. VG München, U.v. 22.3.2018 – M 17 K 16.4940 – UA S. 23 f. unter 2.4; siehe 2.2.3.). Insbesondere gebieten weder Verfassungsrecht noch die UN-Behindertenrechtskonvention insoweit eine abweichende Interpretation derart, dass auf Fragen der Alimentation und der dem Kläger verbleibenden Mittel nicht abzustellen wäre.
2.2.4.1. Auszugehen ist dabei davon, dass im Bereich der dienstrechtlichen Fürsorge ein weiter Gestaltungsspielraum des Normgebers besteht, der auch grobe Typisierungen erlaubt (vgl. BVerwG, U.v. 3.7.2003 – 2 C 36.02 – BVerwGE 118, 277 = juris Rn. 25), wobei eine lückenlose Versorgung nicht nötig (BVerwG, U.v. 2.4.2014 – 5 C 40.12 – NVwZ-RR 2014, 609 Rn. 19 m.w.N.) und eine „Versicherbarkeit“ nicht gefordert ist (vgl. BVerwG, U.v. 3.7.2003 a.a.O. Rn. 19 m.w.N.), und es im Ausgangspunkt auf die jeweils verbleibenden Mittel ankommt, sodass es grundsätzlich keine „starren“ Grenzen gibt (vgl. BVerwG, U.v. 3.7.2003 a.a.O. Rn. 16), was für die vom Staatsministerium der Finanzen und für Heimat und vom Verwaltungsgericht gefundene Auslegung spricht.
2.2.4.2. Allerdings kann sich dann, wenn Leistungsbereiche abstrakt-generellen Beihilfeauschlüssen unterworfen werden, die Frage des Erfordernisses einer „abstrakt-generellen“ Härtefallregelung stellen (vgl. BVerwG, U.v. 2.4.2014 – 5 C 40.12 – NVwZ-RR 2014, 609 Rn. 18, 20 ff.), wobei sich dann die Folgefrage stellt, ob § 49 Abs. 2 BayBhV derartigen Problematiken gerecht wird oder ob nicht vielmehr die Wirksamkeit der Leistungsausschlussregelung in Frage steht, soweit der Wesenskern der Fürsorgepflicht betroffen ist, weil Maßnahmen ausgeschlossen sind, die existenziell bedeutsam oder notwendig sind, um wesentliche Verrichtungen des täglichen Lebens erledigen zu können (vgl. BayVGH, U.v. 14.7.2015 – 14 B 13.654 – VGH n.F. 68, 126 Rn. 24 m.w.N. zum Ausschluss von Sehhilfen auch bei Erwachsenen mit gravierender Sehschwäche).
Daraus ergibt sich, dass § 49 Abs. 2 BayBhV und der dortige, die Alimentation und die Frage der verbleibenden Mittel einbeziehende Regelungsansatz stets im Kontext der jeweils einschlägigen Leistungstatbestände zu sehen sind, die die Bayerische Beihilfeverordnung zur Verfügung stellt. Je weitergehend der jeweilige Leistungstatbestand erhebliche Einschränkungen vorsieht, desto eher können Ausnahmeentscheidungen nach § 49 Abs. 2 BayBhV geboten, ein Absehen von der Frage verbleibender Mittel des Beihilfeberechtigten im Wege einer erweiternden Auslegung des § 49 Abs. 2 BayBhV denkbar oder (über § 49 Abs. 2 BayBhV hinaus) sogar eine Unwirksamkeit derartiger Ausschlusstatbestände begründbar sein. Umgekehrt kann ein bloßes Abstellen auf die jeweils noch verfügbaren Mittel des Beihilfeberechtigten umso eher der Fürsorgepflicht genügen, je großzügiger die jeweils im Raum stehenden Leistungstatbestände ihrerseits ausgestaltet sind.
Vor diesem Hintergrund erweist sich § 18 BayBhV im Vergleich zu vergleichbaren Beihilferegelungen anderer Normgeber, insbesondere des Bundes, als relativ großzügige Regelung. Hervorzuheben ist insbesondere, dass der bayerische Verordnungsgeber die Beihilfefähigkeit von Arzneimitteln nicht von einer „Verschreibungspflicht“ abhängig macht und damit auf einen Ausschlusstatbestand wie etwa § 22 Abs. 2 Nr. 3 BBhV verzichtet, sodass sich auch die daran anknüpfende Frage der Notwendigkeit eines abstrakt-generellen Ausgleichs (vgl. dazu etwa BVerwG, U.v. 23.11.2017 – 5 C 6.16 – NVwZ-RR 2018, 392) bei § 18 BayBhV nicht stellt. Auch gibt es in § 18 BayBhV keine dynamische Verweisung auf das Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) – Gesetzliche Krankenversicherung – und die dortigen Regelungen des „Bundesausschusses“, wie sie etwa im Bereich der Medizinprodukte ohne Annahme eines Verstoßes gegen die Fürsorgepflicht für verfassungskonform angesehen worden ist (BVerwG, U.v. 26.3.2015 – 5 C 9.14 – BVerwGE 151, 386; im Anschluss daran BayVGH, U.v. 10.8.2015 – 14 B 14.766 – juris).
Zu sehen ist bei der im Ausgangspunkt gebotenen typisierenden Betrachtung (siehe 2.2.4.1.) außerdem, dass auch der Ausschlusstatbestand des § 18 Satz 4 Nr. 3 BayBhV nicht weit dahin auszulegen ist, dass jedwedes Präparat ausgeschlossen wird, das überhaupt irgendein Vitamin enthält, sondern dass vielmehr eine enge Auslegung dahingehend geboten ist, dass von einem „Vitaminpräparat“ im Sinne dieses Auschluss- und Ausnahmetatbestands nur auszugehen ist, wenn es sich um ein „reines“ Vitaminpräparat handelt, nicht aber wenn noch andere Wirkstoffe enthalten sind (siehe oben 1.4.2.).
Hinzu kommt, dass § 18 Satz 4 Nr. 2 BayBhV nicht so weitgehend auszulegen ist, dass er schematisch allein eine „typisierende“ Betrachtung der in der allgemeinen Bevölkerung „regelmäßig“ anzutreffenden Art und Weise der Stillung des täglichen Nahrungsbedarfs – von dem sich beispielsweise der konkrete Fall der Ehefrau des Klägers deutlich unterscheidet – verlangen würde, sondern ganz im Gegenteil Raum lässt, der Situation des täglichen Bedarfs und der Möglichkeit oder einer gesundheitlich bedingten Unmöglichkeit, diesen Bedarf bei den jeweils erkrankten Personen zu stillen, im Einzelfall Rechnung zu tragen (siehe oben 1.4.1. und ebenso im parallelen Senatsurteil vom 20.12.2021 zum mitverhandelten Verfahren 14 B 19.1283; siehe hierzu auch Sitzungsprotokoll vom 13.12.2021 S. 6 fünftletzter Absatz), zumal im Beihilferecht die konkrete Zweckbestimmung des Arzneimittels im Einzelfall entscheidend ist (OVG Saarl, U.v. 8.6.2021 – 1 A 204/19 – juris Rn. 64 ff., 69 f.).
Aus diesen Gründen ist § 49 Abs. 2 BayBhV ein hinreichender Maßstab für die Prüfung, ob wegen der Angewiesenheit der Ehefrau des Klägers auf das streitgegenständliche Präparat ausnahmsweise Beihilfe beansprucht werden kann, obwohl sich aus § 18 BayBhV kein Anspruch ergibt. Angesichts der verbleibenden wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Klägers fehlt es dabei an einer Ausnahmekonstellation i.S.v. § 49 Abs. 2 BayBhV.
2.2.4.3. Entgegen der klägerischen Kritik ergibt sich nichts anderes aus dem allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG). Denn bezogen auf das für den Senat entscheidende Kriterium der Apothekenpflichtigkeit (§ 18 Satz 1 Nr. 1 BayBhV i.V.m. § 43 Abs. 1 AMG), das wie gezeigt die (hier fehlende) Verkehrsfähigkeit von OMEGAlife – dessen Arzneimitteleigenschaft unterstellt – in Deutschland gemäß §§ 21, 73 AMG voraussetzt (siehe oben), werden der Kläger und seine Ehefrau nicht anders behandelt als alle anderen Beihilfeberechtigten. Gleiches gilt für den Beihilfeausschluss für Lebens- und Nahrungsergänzungsmittel, wobei auch insoweit die besagte Pauschalierungs- und Typisierungsberechtigung des Verordnungsgebers, die im Vergleich großzügige Regelung des § 18 BayBhV und die insoweit angemessenen Härtefalllösungsmöglichkeiten im Rahmen des § 49 Abs. 2 BayBhV zu sehen sind (siehe oben).
2.2.4.4. Schließlich führt auch die UN-Behindertenrechtskonvention und das spezielle Verbot der Diskriminierung von Menschen mit Behinderung in Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG nicht dazu, dass eine an § 49 Abs. 2 BayBhV orientierte Härtefallregelung sich hier als unzureichend erweisen würde.
Dabei ist zu sehen, dass insbesondere Art. 25 des Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (vgl. Gesetz vom 21.12.2008, BGBl. II S. 1419) – UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) – jedenfalls dann keine eigene Anspruchsgrundlage für Menschen mit Behinderung darstellt, wenn – wie im Fall des § 18 BayBhV – Menschen mit Behinderung dieselbe Bandbreite von Leistungen zur Verfügung steht wie Menschen ohne Behinderung (BSG, U.v. 6.3.2012 – B 1 KR 10/11 R – BSGE 110, 194 Rn. 17 ff.; BayVGH, B.v. 29.1.2019 – 14 ZB 18.663 – juris Rn. 16 [ohne amtliche Randnummern abgedruckt bei PharmR 2019, 299]). Nichts anderes gilt für das parallele verfassungsrechtliche Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG, dem Art. 5 Abs. 2 UN-BRK im Wesentlichen entspricht (vgl. BSG, U.v. 6.3.2012 a.a.O. Rn. 31). Vor diesem Hintergrund ist für den Senat auch insoweit entscheidend, dass der bayerische Verordnungsgeber einerseits mit § 18 BayBhV eine im Vergleich zu Beihilferegimen anderer Normgeber relativ großzügige Ausgestaltung gewählt hat (siehe oben) und gleichzeitig mit § 49 Abs. 2 BayBhV eine Ausnahmeregelung vorgesehen hat, die im Einzelfall auftretenden Härten unter Berücksichtigung der jeweils verbleibenden Mittel angemessen Rechnung tragen kann. An der Angemessenheit dieses normativen Vorgehens ändert es nichts, dass sich angesichts der im vorliegenden Fall vergleichsweise hohen Versorgungsbezüge des Klägers aus der Besoldungsstufe A15 im Ergebnis kein Anspruch des Klägers auf Erteilung einer Ausnahme aus § 49 Abs. 2 BayBhV ergibt (siehe oben).
Weil es im Ergebnis angesichts der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Klägers bereits tatbestandlich an einer Ausnahmesituation i.S.v. § 49 Abs. 2 BayBhV fehlt, stellt sich die Frage, ob § 49 Abs. 2 BayBhV auf der Rechtsfolgenseite lediglich einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung vermittelt, der durch eine rechtswidrige Ablehnung oder Unterlassen nicht erfüllt worden sein könnte, von vornherein nicht. Insbesondere gebieten (wie gezeigt) weder Verfassungsrecht noch die UN-Behindertenrechtskonvention insoweit eine abweichende Interpretation derart, dass auf Fragen der Alimentation und der dem Kläger verbleibenden Mittel nicht abzustellen wäre.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 161 Abs. 2 VwGO.
Weil sich der Streitwert während des zweitinstanzlichen Verfahrens gegenüber der ersten Instanz verändert hat, sind gesonderte Kostengrundentscheidungen für die erste und die zweite Instanz auszusprechen (vgl. BayVGH, U.v. 27.3.2012 – 22 BV 11.2175 – juris Tenor und Rn. 85; nachfolgend BVerwG, U.v. 24.10.2013 – 7 C 13.12 – BeckRS 2014, 46927 Tenor und Rn. 57).
Hinsichtlich der erstinstanzlich streitgegenständlichen vier Präparate ist der Kläger hinsichtlich des Fertigpräparats OMEGAlife und der Beklagte im Übrigen kostenrechtlich als unterlegen anzusehen. Hinsichtlich OMEGAlife und der Cellulosekapseln ergibt sich dies aus den obigen Erwägungen. Hinsichtlich der beiden weiteren ursprünglich streitgegenständlichen Rezepturpräparate Eumetabol (erledigt erklärt in erster Instanz) und Ochsengalle (erledigt erklärt im Berufungszulassungsverfahren) hat der Beklagte mit der nachträglichen Beihilfegewährung den jeweiligen Anspruch letztlich eingeräumt, sodass er insoweit billigerweise die Kosten zu tragen hat (§ 161 Abs. 2 VwGO). Unter Anwendung des Beihilfesatzes des Klägers (70%) auf den jeweiligen Preis ergibt sich damit ein anteiliges Unterliegen des Beklagten in Höhe von 99,02 € (Cellulosekapseln) plus 47,53 € (Eumetabol) plus 24,82 € (Ochsengalle), was bezogen auf 244,31 € (70% der Summe aller vier Preise i.H.v. 349,02 €) zu einer anteiligen Kostenlast des Beklagten von 70,14% führt (vgl. Gehle in Anders/Gehle, ZPO, 80. Aufl. 2022, § 91a Rn. 151 m.w.N.). Entsprechend entfallen auf den Kläger insoweit 29,86%.
Zweitinstanzlich waren (unter Berücksichtigung des 70%-igen Beihilfesatzes) zunächst nach der erstinstanzlichen Teilerledigung für Eumetabol noch 196,78 € anhängig, die sich durch die übereinstimmende Erledigungserklärung für Ochsengalle (24,82 € = 70% x 35,45 €) ab 2. Mai 2019 auf 171,96 € reduzierten. In Höhe von 24,82 €, die 12,61% von 196,78 € ausmachen, hat der Beklagte den Kläger klaglos gestellt und deshalb insoweit billigerweise die Kosten zu tragen (§ 161 Abs. 2 VwGO). Hinsichtlich der verbleibenden Präparate unterliegt der Beklagte hinsichtlich der Cellulosekapseln (99,02 € = 141,45 € x 70%), was 50,32% von 196,78 € entspricht. Zusammen ergibt sich daraus für die zweite Instanz eine Kostenlast des Beklagten in Höhe von 62,93% (12,61% + 50,32%). Entsprechend entfallen auf den Kläger insoweit 37,07%.
4. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.
5. Die Revision wird gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen, weil die Frage, inwieweit mit einer beihilferechtlichen Inbezugnahme der arzneimittelrechtlichen Apothekenpflichtigkeit (§ 43 AMG), wie sie in § 18 Satz 1 Nr. 1 BayBhV erfolgt ist, eine Beihilfefähigkeit ausscheidet, wenn Fertigarzneimittel in Deutschland entgegen § 21 AMG nicht zugelassen sind, und inwieweit sich aus § 73 AMG insoweit überhaupt Abweichendes ergeben kann, grundsätzliche Bedeutung hat. Grundsätzliche Bedeutung hat außerdem die Frage, inwieweit bei der Einordnung eines ärztlich verschriebenen Rezepturpräparats als Präsentationsarzneimittel i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG auch dem jeweiligen ärztlichen Rezept, an das die Herstellung in einer Apotheke gerade für den jeweiligen Patienten anknüpft, indizielle Bedeutung zukommt.


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