Medizinrecht

Beeinträchtigung der Fahreignung – Unverhältnismäßigkeit der nochmaligen Anordnung einer medizinisch-psychologischen Untersuchung

Aktenzeichen  11 CS 17.2192

Datum:
22.1.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 499
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
FeV § 11 Abs. 2, Abs. 3 S. 1 Nr. 1, Abs. 4 Nr. 1, Abs. 8, § 46 Abs. 3

 

Leitsatz

1 Die Feststellung von Leistungsdefiziten ist nicht Teil der medizinischen Untersuchung. Orientierung, Konzentrationsfähigkeit, Aufmerksamkeit, Reaktionsfähigkeit und Belastbarkeit werden als Bestandteile der psychischen Leistungsfähigkeit mit psychologischen Testverfahren und daher nur im Rahmen einer von der Fahrerlaubnisbehörde anzuordnenden medizinisch-psychologischen Untersuchung geprüft. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2 Hat die Begutachtungsstelle (hier aufgrund der Mehrfachmedikation mit nicht genau einzuschätzenden Wechselwirkungen) Zweifel hinsichtlich der Leistungsfähigkeit des Antragstellers, kann sie eine dahingehende medizinisch-psychologische Begutachtung lediglich empfehlen, jedoch nicht eigenmächtig anordnen. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
3 Eine medizinisch-psychologische Untersuchung kommt vor allem dann in Betracht, wenn noch keine psychologischen Leistungstests durchgeführt wurden. Ist jedoch bereits bekannt, dass Leistungsdefizite vorliegen, beschränkt sich die Notwendigkeit einer weiteren Abklärung auf die etwaigen Kompensationsmöglichkeiten. Hierfür ist eine Fahrverhaltensbeobachtung durch einen amtlich anerkannten Sachverständigen oder Prüfer für den Kraftfahrzeugverkehr, die den Betreffenden im Vergleich zu einer (nochmaligen) medizinisch-psychologischen Untersuchung nicht zuletzt auch kostenmäßig weniger belastet, grundsätzlich ausreichend. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 26 S 17.1401 2017-09-28 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.750,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die für sofort vollziehbar erklärte Entziehung seiner Fahrerlaubnis für Kraftfahrzeuge der Gruppe 1 und die Verpflichtung zur Ablieferung seines Führerscheins.
Aufgrund einer polizeilichen Mitteilung, wonach der am … … 1938 geborene Antragsteller beim Ausparken mit seinem PKW an anderen Fahrzeugen Sachschäden verursacht und gegenüber der Polizei angegeben habe, dies nicht bemerkt zu haben, und eines in den beigezogenen Akten der Staatsanwaltschaft vorhandenen Bescheids des Zentrums Bayern Familie und Soziales – Versorgungsamt – vom 15. Januar 2016, wonach dem Antragsteller wegen diversen Gesundheitsstörungen ein Grad der Behinderung von 100 zuerkannt wurde, forderte das Landratsamt Fürstenfeldbruck (im Folgenden: Landratsamt) ihn mit Schreiben vom 7. Juni 2016 zur Vorlage eines Gutachtens eines Arztes einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung auf.
Dem vom Antragsteller vorgelegten Gutachten der DEKRA vom 3. August 2016 zufolge ist er hinsichtlich des Diabetes mellitus und der Schwerhörigkeit in der Lage, den Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppen 1 und 2 gerecht zu werden, hinsichtlich der Polyneuropathie bestehe Fahreignung nur für Fahrzeuge der Gruppe 1. Aufgrund der Dauertherapie mit verschiedenen Medikamenten habe die Begutachtungsstelle noch die Überprüfung der psychischen Leistungsfähigkeit durch eine Diplom-Psychologin veranlasst. Die durchgeführte Leistungsdiagnostik habe Defizite in den Bereichen Reaktionsfähigkeit, Konzentration und Aufmerksamkeit für Fahrzeuge der Gruppen 1 und 2 ergeben. Sofern der Antragsteller diese Defizite kompensieren könne, sei er in der Lage, den Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen gerecht zu werden.
Nachdem die DEKRA dem Landratsamt auf Rückfrage mit Schreiben vom 23. August 2016 mitgeteilt hatte, aus medizinischer Sicht sei eine Kompensation der festgestellten Leistungsdefizite möglich, forderte das Landratsamt den Antragsteller mit Schreiben vom 24. August 2016 zur Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens auf. Das Gutachten solle zur Frage Stellung nehmen, ob der Antragsteller trotz des Vorliegens der aktenkundigen Erkrankungen und unter Berücksichtigung der in dem Gutachten vom 3. August 2016 festgestellten Befunde ein Kraftfahrzeug der Gruppe 1 sicher führen könne. Insbesondere sei zu prüfen, ob das Leistungsvermögen zum sicheren Führen eines Kraftfahrzeugs der Gruppe 1 ausreiche. Des Weiteren sei zu prüfen, ob eine Kompensation der festgestellten Einschränkungen durch besondere persönliche Voraussetzungen möglich sei.
Nachdem der Antragsteller das Gutachten innerhalb der vom Landratsamt gesetzten Frist nicht vorgelegt hatte, entzog ihm das Landratsamt mit Bescheid vom 10. Januar 2017 die Fahrerlaubnis, forderte ihn zur Ablieferung des Führerscheins auf und ordnete die sofortige Vollziehung an. Aufgrund der Nichtvorlage des Gutachtens sei auf die fehlende Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen zu schließen.
Nach Zurückweisung des gegen den Bescheid eingereichten Widerspruchs mit Widerspruchsbescheid der Regierung von Oberbayern vom 15. März 2017 ließ der Antragsteller beim Verwaltungsgericht München Klage – beschränkt auf die Entziehung der Fahrerlaubnis für Fahrzeuge der Gruppe 1 – einreichen, über die das Verwaltungsgericht noch nicht entschieden hat. Dem gleichzeitig gestellten Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gab das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 28. September 2017 statt, stellte die aufschiebende Wirkung der Klage hinsichtlich der Nummern 1 und 2 des Bescheids des Landratsamts in Gestalt des Widerspruchsbescheids wieder her und verpflichtete den Antragsgegner, dem Antragsteller unverzüglich vorläufig einen Führerschein auszustellen und auszuhändigen, der die Fahrerlaubnis der Klassen A1, AM, B, BE und L dokumentiere. Der Bescheid vom 10. Januar 2017 sei rechtswidrig, soweit er die Fahrerlaubnisklassen für Fahrzeuge der Gruppe 1 betreffe. Die Nichteignung des Antragstellers stehe auch nicht bereits aufgrund des Gutachtens vom 3. August 2016 fest. Die Anforderung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens sei mit der Fragestellung im Schreiben vom 24. August 2016 nicht anlassbezogen und nicht verhältnismäßig. In medizinischer Hinsicht sei die Eignung des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 bereits durch das ärztliche Gutachten vom 3. August 2016 hinreichend geklärt. Gleiches gelte für die im Gutachten bejahten psychophysischen Leistungsbeeinträchtigungen. Daher habe nur noch Anlass zur Klärung der Frage bestanden, ob der Antragsteller die festgestellten Leistungsmängel kompensieren könne. Hierzu biete sich eine Fahrverhaltensbeobachtung an, die entweder durch einen amtlich anerkannten Sachverständigen oder Prüfer für den Kraftfahrzeugverkehr oder im Rahmen einer medizinisch-psychologischen Untersuchung abgenommen werden könne. Dann hätte das Landratsamt jedoch die Begutachtung auf die Klärung der Kompensation der Leistungsmängel beschränken müssen. Die vom Landratsamt gewählte Fragestellung gehe darüber hinaus und beziehe erneut medizinische Feststellungen und die Prüfung der Leistungsfähigkeit in die Begutachtung mit ein.
Hiergegen wendet sich der Antragsgegner mit seiner Beschwerde. Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, die Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens mit der konkreten Fragestellung sei sowohl anlassbezogen als auch verhältnismäßig. § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FeV sehe die Einholung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens ausdrücklich vor, wenn dies nach Würdigung des ärztlichen Gutachtens zusätzlich erforderlich sei. Die Frage der Kompensation der festgestellten Leistungsdefizite lasse sich zuverlässig nur im Rahmen einer medizinisch-psychologischen Untersuchung beantworten. Das Gutachten eines amtlich anerkannten Sachverständigen oder Prüfers für den Kraftfahrzeugverkehr sei hierfür nicht geeignet. Der Untersuchungsauftrag habe auch nicht aus Gründen der Verhältnismäßigkeit auf die Kompensationsfähigkeit beschränkt werden müssen. Die medizinisch-psychologische Untersuchung sei als Einheit anzusehen und umfasse den gesamten Eignungsbereich im Sinne einer ganzheitlichen Befunderhebung. Dass hierbei unter Umständen einzelne Aspekte einer mehrfachen Begutachtung unterliegen können, werde vom Verordnungsgeber gerade vorausgesetzt. Selbst wenn man jedoch die Erfolgsaussichten der Klage als offen ansehen wollte, gebiete es die Folgenabschätzung, den Antragsteller aufgrund der festgestellten Leistungsdefizite bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Hauptsache einstweilen nicht mehr am öffentlichen Straßenverkehr teilnehmen zu lassen.
Der Antragsteller hat sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Akten des Landratsamts und die Gerichtsakten beider Instanzen verwiesen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
Aus den vom Antragsgegner vorgetragenen Gründen ergibt sich nicht, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu beanstanden wäre. Vielmehr ist das Verwaltungsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass der Klage trotz der noch nicht ausgeräumten Zweifel an der Fahreignung des Antragstellers voraussichtlich stattzugeben sein wird, weil die maßgebliche Aufforderung vom 24. August 2016 zur Beibringung des medizinisch-psychologischen Gutachtens über die allein noch zu klärende Frage hinausgeht, ob der Antragsteller die festgestellten Leistungsdefizite kompensieren kann, und daher insoweit weder anlassbezogen noch verhältnismäßig ist. Die Entziehung der Fahrerlaubnis kann daher nicht auf eine dem Antragsteller vorwerfbare Verweigerung der Gutachtensbeibringung gestützt werden.
1. Nach § 11 Abs. 8 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV) vom 13. Dezember 2010 (BGBl I S. 1980), im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung zuletzt geändert durch Verordnung vom 21. Dezember 2016 (BGBl I S. 3083), darf die Fahrerlaubnisbehörde bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung des Betroffenen schließen, wenn er sich weigert, sich untersuchen zu lassen, oder wenn er das von ihr geforderte Gutachten nicht fristgerecht beibringt. Der Schluss aus der Nichtvorlage eines angeforderten Fahreignungsgutachtens auf die fehlende Fahreignung ist jedoch nur dann gerechtfertigt, wenn die Anordnung ihrerseits rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig war (stRspr., zuletzt BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 3 C 20.15 – NJW 2017, 1765 Rn. 19 m.w.N.).
a) Zwar war das Landratsamt aufgrund der polizeilichen Mitteilung über den Vorfall am 13. März 2016, wonach der Antragsteller angab, die beim Ausparken verursachten Schäden an zwei anderen Fahrzeugen nicht bemerkt zu haben, weil die Batterie in seinem Hörgerät leer gewesen sei, und des Änderungsbescheids des Zentrums Bayern Familie und Soziales – Versorgungsamt – vom 15. Januar 2016 über den Grad der Behinderung von 100 (unter anderem wegen Schwerhörigkeit beidseits, Polyneuropathie und Zuckerkrankheit) zunächst berechtigt, von ihm gemäß § 46 Abs. 3 i.V.m. § 11 Abs. 2 FeV die Beibringung eines ärztlichen Fahreignungsgutachtens zu verlangen. Insoweit lagen hinreichende Tatsachen vor, die Bedenken gegen die körperliche Fahreignung des Antragstellers begründeten.
Allerdings ist das vom Antragsteller vorgelegte Gutachten der DEKRA vom 3. August 2016 insoweit über den Gutachtensauftrag hinausgegangen, als es – offenbar ohne Abstimmung mit dem Landratsamt – nicht nur die medizinischen Fragen hinsichtlich der Erkrankungen beantwortet, sondern zusätzlich die Leistungsfähigkeit des Antragstellers mit dem Testsystem Corporal Plus am Computer überprüft hat. Die Feststellung von Leistungsdefiziten ist nicht Teil der (hier zunächst ausschließlich angeordneten) medizinischen Untersuchung. Orientierung, Konzentrationsfähigkeit, Aufmerksamkeit, Reaktionsfähigkeit und Belastbarkeit werden als Bestandteile der psychischen Leistungsfähigkeit mit psychologischen Testverfahren und daher nur im Rahmen einer von der Fahrerlaubnisbehörde anzuordnenden medizinisch-psychologischen Untersuchung geprüft (Nr. 2.5 der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung; BayVGH U.v. 8.8.2016 – 11 B 16.595 – juris Rn. 19, B.v. 4.1.2017 – 11 ZB 16.2285 – juris Rn. 14, B.v. 3.5.2017 – 11 CS 17.312 – juris Rn. 33, B.v. 15.12.2017 – 11 CS 17.2201 – juris Rn. 21).
Eine solche Untersuchung der Leistungsfähigkeit war nicht Gegenstand der dem Antragsteller vom Landratsamt mit Schreiben vom 7. Juni 2016 und der DEKRA mit Schreiben vom 27. Juni 2016 mitgeteilten Fragestellung. Die Fragen zur Schwerhörigkeit, zur Polyneuropathie und zum Diabetes mellitus hat das Gutachten dahingehend beantwortet, dass der Antragsteller trotz dieser Erkrankungen – soweit für dieses Verfahren relevant – in der Lage ist, den Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 gerecht zu werden. Falls die Ärztin der Begutachtungsstelle, wie dem Gutachten zu entnehmen ist, gleichwohl aufgrund der Mehrfachmedikation mit nicht genau einzuschätzenden Wechselwirkungen Zweifel hinsichtlich der Leistungsfähigkeit des Antragstellers hatte, hätte sie eine dahingehende medizinisch-psychologische Begutachtung lediglich empfehlen können, jedoch nicht eigenmächtig anordnen dürfen (vgl. § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FeV; BayVGH, B.v. 3.5.2017 – 11 CS 17.312 – juris Rn. 33).
b) Die von der Begutachtungsstelle über die medizinische Untersuchung hinaus eigenmächtig durchgeführte Überprüfung der psychischen Leistungsfähigkeit ist zwar verwertbar, da der Antragsteller sich ihr – wenn auch mutmaßlich in der Annahme, dies sei Bestandteil der von ihm verlangten Untersuchung – nicht widersetzt und das Gutachten dem Landratsamt vorgelegt hat (vgl. BayVGH, U.v. 8.8.2016 – 11 B 16.595 – juris Rn. 24 f.). Allerdings bestand unter Würdigung des vorgelegten Gutachtens vom 3. August 2016 einschließlich des Ergebnisses der Überprüfung der Leistungsfähigkeit kein Anlass, vom Antragsteller – wie mit Schreiben des Landratsamts vom 24. August 2016 geschehen – nochmals ein medizinisch-psychologisches Gutachten zu verlangen.
Sowohl aus dem vorgelegten Gutachten als auch aus der vom Landratsamt hierzu eingeholten Stellungnahme der Begutachtungsstelle vom 23. August 2016 geht hervor, dass der Antragsteller die festgestellten Leistungsdefizite möglicherweise kompensieren kann. Nachdem die Beeinträchtigung der Fahreignung sowohl hinsichtlich der Erkrankungen als auch hinsichtlich der Leistungsfähigkeit bereits grundsätzlich geklärt war, bestand insoweit kein Anlass für eine nochmalige Abklärung. Aufgrund der festgestellten Leistungsdefizite war lediglich noch die Kompensationsmöglichkeit durch den Antragsteller zu klären. Hierfür bot sich unter den gegebenen Umständen in erster Linie die Durchführung einer Fahrverhaltensbeobachtung an. Diese kann insbesondere bei älteren Fahrerlaubnisinhabern zur Klärung beitragen, ob sie Leistungsdefizite durch ihre Verkehrserfahrungen und gewohnheitsmäßig geprägten Bedienungshandlungen ausgleichen können (Nr. 3.12.3 der Begutachtungsleitlinien; BayVGH, B.v. 3.4.2007 – 11 C 07.331 – juris Rn. 16).
Zwar weist der Antragsgegner zu Recht darauf hin, dass eine solche Fahrverhaltensbeobachtung grundsätzlich sowohl im Rahmen einer medizinisch-psychologischen Untersuchung (§ 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FeV) als auch im Rahmen einer Begutachtung eines amtlich anerkannten Sachverständigen oder Prüfers für den Kraftfahrzeugverkehr (§ 11 Abs. 4 Nr. 1 FeV) durchgeführt werden kann. Eine medizinisch-psychologische Untersuchung kommt jedoch vor allem dann in Betracht, wenn noch keine psychologischen Leistungstests durchgeführt wurden (vgl. BayVGH, B.v. 30.11.2015 – 11 ZB 15.1994 – juris Rn. 19). Ist jedoch – wie hier – bereits bekannt, dass Leistungsdefizite vorliegen, beschränkt sich die Notwendigkeit einer weiteren Abklärung auf die etwaigen Kompensationsmöglichkeiten im Rahmen einer Farbprobe. Hierfür ist eine Fahrverhaltensbeobachtung durch einen amtlich anerkannten Sachverständigen oder Prüfer für den Kraftfahrzeugverkehr, die den Betreffenden im Vergleich zu einer (nochmaligen) medizinisch-psychologischen Untersuchung nicht zuletzt auch kostenmäßig weniger belastet, grundsätzlich ausreichend (vgl. auch BayVGH, B.v. 3.4.2007 – 11 C 07.331 – juris Rn. 16). Dass darüber hinaus noch eine weitere medizinisch-psychologische Abklärung notwendig gewesen wäre, ist weder ersichtlich noch vom Antragsgegner ausreichend vorgetragen. Allenfalls dann, wenn bei einer Fahrverhaltensbeobachtung nach § 11 Abs. 4 Nr. 1 FeV neue medizinische oder psychologische Fragen aufgetreten wären, hätte das Landratsamt anschließend insoweit eine medizinisch-psychologischen Untersuchung anordnen können.
c) Die Anordnung einer (nochmaligen) medizinisch-psychologischen Untersuchung erweist sich auch als unverhältnismäßig. Eine über die Frage der Kompensationsmöglichkeit hinausgehende Abklärung der Fahreignung des Antragstellers war jedenfalls zum damaligen Zeitpunkt nicht erforderlich. Außerdem würde sie den Antragsteller im Vergleich zur Begutachtung nach § 11 Abs. 4 Nr. 1 FeV stärker belasten, ohne dass ersichtlich wäre, dass die Kompensationsmöglichkeiten hier nur im Rahmen einer weiteren medizinisch-psychologischen Untersuchung überprüft werden könnten. Insoweit liegt auch ein Ermessensausfall vor. Obwohl beide grundsätzlich möglichen Maßnahmen nach § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und Abs. 4 Nr. 1 FeV im Ermessen der Fahrerlaubnisbehörde stehen und die vorliegenden Umstände die Beschränkung auf eine Fahrverhaltensbeobachtung durch einen amtlich anerkannten Sachverständigen oder Prüfer für den Kraftfahrzeugverkehr nahe legen, geht weder aus der Untersuchungsanordnung des Landratsamts vom 24. August 2016 noch aus dem Schreiben vom 5. Oktober 2016 an den Antragsteller hervor, dass das Landratsamt dies zur Abklärung der Kompensationsmöglichkeiten überhaupt in Erwägung gezogen hat.
2. Da die Klage aus den dargelegten Gründen voraussichtlich erfolgreich sein wird, bleibt für die von der Landesanwaltschaft Bayern angeregte Folgenabschätzung im Rahmen einer Interessenabwägung im Hinblick auf die festgestellten Leistungsdefizite des Antragstellers kein Raum mehr.
3. Die Beschwerde war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nrn. 1.5, 46.2 und 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (abgedruckt in Kopp/Schenke, VwGO, 23. Auflage 2017, Anh. zu § 164 Rn. 14). Dem Antragsteller war die Fahrerlaubnis der Klasse 3 (alt) am 29. Oktober 1971 erteilt worden. Gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis und den insoweit angeordneten Sofortvollzug wendet er sich nur insoweit, als hiervon die Berechtigung zum Führen von Fahrzeugen der Gruppe 1 (Klassen A1, AM, B, BE und L) betroffen ist. Die Klassen AM und L sind in der Klasse B enthalten (vgl. § 6 Abs. 3 Nr. 4 FeV). Maßgeblich für die Streitwertfestsetzung sind daher nur die Klassen B und BE, für die nach dem Streitwertkatalog insgesamt der Auffangwert anzusetzen ist, sowie die Klasse A1, die aufgrund der Erteilung der Klasse 3 (alt) vor dem 1. April 1980 nicht mit den Schlüsselzahlen 79.03 und 79.04 nach Anlage 9 zur FeV versehen und daher nicht auf dreirädrige Fahrzeuge beschränkt ist. Der sich daraus ergebende Gesamtstreitwert von 7.500,- Euro ist im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes auf 3.750,- Euro zu halbieren.
4. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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