Medizinrecht

Beihilfe, Fortsetzungsfeststellungsklage, Fortsetzungsfeststellungsinteresse (bejaht), Vorbereitung eines Amtshaftungsprozesses, Schwellenwertüberschreitung

Aktenzeichen  M 17 K 20.4658

Datum:
14.10.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 31830
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 113 Abs. 1 S. 4
GOZ § 5 Abs. 2

 

Leitsatz

Tenor

I. Es wird festgestellt, dass die Ablehnung der beantragten Beihilfe mit Bescheid des Beklagten vom 6. Oktober 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. Dezember 2017 rechtswidrig und der Beklagte verpflichtet gewesen ist, dem Kläger eine weitere Beihilfe i.H.v. 357,19 € zu gewähren. 
II. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage, über die nach übereinstimmender Erklärung der Beteiligten durch die Berichterstatterin und im schriftlichen Verfahren nach § 101 Abs. 2 VwGO entschieden werden konnte, hat Erfolg.
Die Klage ist zulässig und begründet, da der Kläger in dem für das Verpflichtungsbegehren entscheidenden Zeitpunkt einen Anspruch auf die Gewährung weiterer Beihilfe i.H.v. 357,19 € hatte, mithin die Ablehnung im Bescheid des Beklagten vom 6. Oktober 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. Dezember 2017 rechtswidrig gewesen ist (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO entsprechend).
I. Die Umstellung des Klageantrags von einer Verpflichtungsklage in eine Fortsetzungsfeststellungsklage stellt zunächst keine Klageänderung i.S.v. § 91 VwGO dar, sondern ist eine Einschränkung des Klageantrags gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 264 Nr. 2 ZPO (Riese in Schoch/Schneider, VwGO, 40. EL, § 113 Rn. 109). Zwar bezieht sich § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO unmittelbar nur auf den Fall der Anfechtungsklage, die unzulässig geworden ist, weil sich der angefochtene Verwaltungsakt nach Klageerhebung erledigt hat und die mit der Anfechtungsklage angefochtene beschwerende Regelung weggefallen ist. Es entspricht aber allgemeiner Meinung, dass § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO bei Verpflichtungsklagen entsprechend anzuwenden ist (BVerwG, U.v. 28.4.1999 – 4 C 4.98- juris Rn. 10). Mit der beantragten Feststellung wird der Streitgegenstand auch nicht ausgewechselt oder erweitert, sondern ist vom bisherigen Antrag umfasst (vgl. BVerwG, U.v. 16.5.2007 – 3 C 8/06 – juris Rn. 16 ff.). Für die rechtliche Beurteilung beihilferechtlicher Streitigkeiten ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Entstehens der Aufwendungen maßgeblich, für die Beihilfe verlangt wird (stRspr, vgl. statt aller BVerwG, U.v. 2.4.2014 – 5 C 40.12 – NVwZ-RR 2014, 609 Rn. 9). Die Aufwendungen gelten nach § 7 Abs. 2 Satz 2 BayBhV in dem Zeitpunkt als entstanden, in dem die sie begründende Leistung erbracht wird. Für die vorgenommene zahnärztliche Untersuchung und Behandlung entstehen Aufwendungen mit jeder Inanspruchnahme des Arztes (* …, Beihilferecht in Bund, Ländern und Kommunen, Stand April 2021, Bd. 2 Anm. 12 zu § 7 Abs. 2 BayBhV). Sowohl Versagungsgegenklage als auch Fortsetzungsfeststellungsklage beziehen sich demnach auf denselben Zeitpunkt.
II. Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist zulässig.
Im gerichtlichen Verfahren kann entsprechend § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO von einem Verpflichtungsantrag auf einen Fortsetzungsfeststellungsantrag nur dann übergegangen werden, wenn die ursprüngliche Klage zulässig war, nach Rechtshängigkeit der Klage ein erledigendes Ereignis eingetreten ist, ein klärungsfähiges Rechtsverhältnis und ein Feststellungsinteresse besteht (BVerwG, U.v. 28.4.1999 – 4 C 4/98 – juris Rn. 10)
1. Die ursprünglich zulässige Verpflichtungsklage in Gestalt der Versagungsgegenklage auf die Gewährung weiterer Beihilfe hat sich nach Rechtshängigkeit durch die Abhilfe des Beklagten mit Bescheid vom 15. Juni 2020 erledigt.
2. Auch liegt das erforderliche Fortsetzungsfeststellungsinteresse vor.
Bei einer Fortsetzungsfeststellungsklage, die – wie hier – der Vorbereitung eines Amtshaftungs- oder Entschädigungsverfahrens vor dem Zivilgericht dienen soll, ist das Feststellungsinteresse zu bejahen, wenn ein solcher Prozess bereits anhängig, mit Sicherheit zu erwarten oder ernsthaft beabsichtigt ist, die begehrte Feststellung in diesem Verfahren erheblich und die Rechtsverfolgung nicht offensichtlich aussichtslos ist (OVG NRW, U.v. 25.3.2014 – 2 A 2679/12 – juris Rn. 47 f. m.w.N.). Dass diese Voraussetzungen erfüllt sind, muss der Kläger von sich aus substantiiert darlegen. Insbesondere muss er aufzeigen, was er konkret anstrebt, welchen Schaden bzw. welche Schadens- oder Entschädigungspositionen er im Zivilrechtsweg geltend machen will und dass ein Schadensersatz- bzw. Entschädigungsprozess bereits anhängig oder mit hinreichender Sicherheit zu erwarten ist. Die bloße unsubstantiierte oder aus prozesstaktischen Gründen aufgestellte Behauptung, einen Schadensersatzprozess führen zu wollen, genügt hierfür nicht (vgl. BayVGH, B.v. 27.3.2014 – 15 ZB 12.1562 – juris Rn. 12 m.w.N.). Zwar dürfen an den Vortrag keine überzogenen Anforderungen gestellt werden. Insbesondere bedarf es regelmäßig keiner Vorlage einer genauen Schadensberechnung. Jedoch muss der Vortrag zur Rechtfertigung des mit der Fortsetzung des Prozesses verbundenen Aufwands über die bloße Behauptung hinaus nachvollziehbar erkennen lassen, dass er einen Amtshaftungs- oder Entschädigungsprozess tatsächlich anstrebt und dieser nicht offensichtlich aussichtslos ist. Hierzu gehört auch eine zumindest annähernde Angabe der Schadenshöhe (vgl. BayVGH, U.v. 9.9.2020 – 15 B 19.666 – juris Rn. 32 m.w.N.).
Aus dem Vortrag des Klägers ist hinreichend sicher, dass dieser einen Amtshaftungsprozess führen wird. Insbesondere wandte er sich zunächst außergerichtlich an den Beklagten und forderte zur Übernahme der Kosten aus dem zivilgerichtlichen Verfahren auf. Mit Schreiben vom 17. Juni 2020 wies der Beklagte darauf hin, dass aus seiner Sicht eine Amtspflicht nicht verletzt sei und daher die Übernahme dieser Kosten nicht in Betracht komme.
Auch ist ein solcher nicht offensichtlich aussichtslos. Bei diesem Ausschlusskriterium ist ein strenger Maßstab anzulegen. Die Wahrscheinlichkeit eines Misserfolgs im zivilrechtlichen Haftungsprozess genügt nicht (BVerwG, U.v. 20.6.2013 – 8 C 46.12 – juris Rn. 18). Der Kläger hat dargelegt, gegen wen er beabsichtigt den Amtshaftungsprozess zu führen. Er hat unter Vorlage entsprechender Nachweise vorgetragen, welche Schadenshöhe er beabsichtigt auf dem Zivilrechtsweg einzuklagen und wie sich diese im Einzelnen zusammensetzt. Ob alle Schadenspositionen im Einzelnen tatsächlich ersatzfähig sind, braucht im Rahmen des Fortsetzungsfeststellungsinteresses nicht geprüft zu werden.
Dass zwischen den Parteien die Frage des Verschuldens streitig ist, steht dem Fortsetzungsfeststellungsinteresse nicht entgegen. Dies wäre nur dann der Fall, wenn ein dem Beklagten zurechenbaren Verschulden des handelnden Bediensteten ausscheidet (Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 113 Rn. 117). Zwar trägt der Beklagte unter Bezugnahme auf das vom Kläger vorgebrachte Urteil des Bundesgerichtshofs vor, dass sich in diesem Fall das Verschulden aus einer Missachtung der Vollzugshinweise des niedersächsischen Finanzministeriums ergeben habe. Entsprechende Verwaltungsvorschriften in Bayern habe es nicht gegeben. Dies genügt für den streng anzulegenden Maßstab der Aussichtslosigkeit jedoch nicht. Es ist letztlich Sache der Zivilgerichtsbarkeit, die Voraussetzungen und damit auch das Verschulden des Beklagten im Rahmen von § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG zu prüfen.
Die vom Beklagten im Klageverfahren in Aussicht gestellte Abhilfe lässt das Fortsetzungsfeststellungsinteresse ebenso nicht entfallen. Zum einen handelte es sich hierbei nur um einen geringen Betrag im Vergleich zur mit der Versagungsgegenklage geltend gemachten Summe. Zum anderen wurde ihm die Abhilfe ausdrücklich für den Zeitpunkt nach Abschluss des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens in Aussicht gestellt. Die tatsächliche Abhilfe in voller Höhe erfolgte dann erst nach Abschluss des zivilgerichtlichen Verfahrens, einem Zeitpunkt, in dem die Kosten des Zivilprozesses bereits entstanden waren. Zudem erklärte der Beklagte mit der Abhilfe nicht ausdrücklich bzw. unmissverständlich und vorbehaltlos hinsichtlich eines beabsichtigten Staatshaftungsprozesses die Rechtswidrigkeit des ablehnenden Verwaltungsakts (vgl. hierzu BVerwG, B.v. 18.12.2014 – 8 B 47.14 – juris Rn. 15), sondern gewährte die weitere Beihilfe „in Ergänzung des Bescheids vom 6.10.2017 aufgrund der Entscheidung des Amtsgerichts München vom 14.8.2019“.
III. Die Klage ist begründet. Der Kläger hatte in dem für das Verpflichtungsbegehren entscheidenden Zeitpunkt einen Anspruch auf die Gewährung weiterer Beihilfe i.H.v. 357,19 € (50 v.H. von 714,38 € [2.425,86 € abzüglich 1.711,48 €]) hatte. Die vorgenommenen Kürzungen der beihilfefähigen Aufwendungen hinsichtlich der Rechnung vom … … 2017 erfolgten zu Unrecht.
Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 BayBhV sind Aufwendungen beihilfefähig, wenn sie dem Grunde nach medizinisch notwendig (Nr. 1), der Höhe nach angemessen (Nr. 2) sind und die Beihilfefähigkeit nicht ausdrücklich ausgeschlossen ist (Nr. 3). Die Angemessenheit der Aufwendungen für zahnärztliche Leistungen beurteilt sich ausschließlich nach dem Gebührenrahmen der Gebührenordnung für Zahnärzte (GOZ). Soweit keine begründeten besonderen Umstände vorliegen, kann nur eine Gebühr, die den Schwellenwert des Gebührenrahmens nicht überschreitet, als angemessen angesehen werden, § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2, Satz 3 BayBhV.
Für die Entscheidung, ob nach den Maßstäben des Beihilferechts Aufwendungen für ärztliche Leistungen angemessen sind, ist die Auslegung des ärztlichen Gebührenrechts durch die Zivilgerichte maßgebend (BVerwG, B.v. 5.1.2011 – 2 B 55.10 – juris Rn. 4). Den Streit über die Berechtigung einer ärztlichen Liquidation entscheiden letztverbindlich die Zivilgerichte. Deren Beurteilung präjudiziert die Angemessenheit der Aufwendungen für ärztliche Leistungen im beihilferechtlichen Sinne (BVerwG, U.v. 20.3.2008 – 2 C 19.06 – juris Rn. 18). Eine diesbezügliche Entscheidung entfaltet also Bindungswirkung für die Verwaltungsgerichte in beihilferechtlichen Streitigkeiten (BayVGH, B.v. 8.2.2018 – 14 C 18.156 – juris Rn. 17).
Das Amtsgericht München ist mit rechtskräftigem Urteil vom 14. August 2018 unter Einholung eines zahnärztlichen Sachverständigengutachtens zu dem Ergebnis gekommen, dass die Schwellenwertüberschreitungen in der streitgegenständlichen Rechnung allesamt den Anforderungen der GOÄ/GOZ entsprechen. Damit steht für das verwaltungsgerichtliche Verfahren bindend fest, dass die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 BayBhV vorlagen und der Kläger einen Anspruch auf die Gewährung von Beihilfe hatte.
IV. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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