Medizinrecht

Beihilfe für Alternativtherapie bei lebensbedrohlicher und regelmäßig tödlich verlaufender Krankheit

Aktenzeichen  14 B 15.2764

Datum:
26.4.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
DÖV – 2018, 671
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 86 Abs. 1 S. 1 Hs. 2, § 92 Abs. 3, § 113 Abs. 5
GG Art. 2 Abs. 1, Abs. 2 S. 1, Art. 20, Art. 28 Abs. 1, Art. 33 Abs. 5
BBhV § 22, § 33, § 51 Abs. 3 S. 4

 

Leitsatz

1. An die „nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf“ i.S.v. § 33 BBhV sind desto geringere Anforderungen zu stellen, je schwerwiegender die Erkrankung und hoffnungsloser die Situation ist (im Anschluss an BSG, U.v. 4.4.2006 – B 1 KR 7/05 R – BSGE 96, 170 Rn. 40). (Rn. 39)
2. Die Erfolgsaussichten von Alternativtherapien lassen sich im Rahmen von § 33 BBhV nur im Einzelfall unter Berücksichtigung des jeweiligen Forschungsstands bewerten. Es kommt dabei nicht nur auf die jeweils gewählte Grundstrategie der Therapie als solcher, sondern auch auf die Art und Weise der vom jeweils Verantwortlichen gewählten Analyse- und Kontrollmechanismen und deren Dokumentation an. (Rn. 38)
3. Sind die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 33 BBhV gegeben, werden auch die im Rahmen der medizinischen Leistung verschriebenen Stoffe vom Beihilfeanspruch erfasst. Die Einschränkungen des § 22 BBhV finden insoweit keine entsprechende Anwendung. Werden bei einer Alternativtherapie i.S.v. § 33 BBhV sowohl verschreibungspflichtige Arzneimittel als auch sonstige nicht verschreibungspflichtige Stoffe eingesetzt, besteht ein Beihilfeanspruch nur für solche Stoffe, für die im Zeitpunkt der historischen Medikamentierung eine Verschreibung durch den jeweiligen Verantwortlichen erfolgt und dokumentiert ist. (Rn. 48 – 49 und 53)

Verfahrensgang

M 17 K 14.892 2014-11-06 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 6. November 2014 wird aufgehoben.
II. Soweit die Klage in erster Instanz zurückgenommen (Beihilfebescheid vom 22.8.2012, Beleg Nr. 9) und übereinstimmend für erledigt erklärt wurde (klägerisches Schreiben vom 30.8.2014), wird das Verfahren eingestellt.
III. Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger entsprechend seinen Anträgen vom 13. Dezember 2010, 28. Dezember 2010, 10. Februar 2011, 19. November 2011 und 21. Mai 2012 Beihilfe für die in Nummern 1, 2, 5, 6, 8 bis einschließlich 13, 16, 18, 21, 22, 24, 25, 27 bis einschließlich 37, 40, 43, 44, 47, 48, 49, 53, 54 und 55 der von der Klagepartei mit Schriftsatz vom 5. März 2018 vorgelegten Anlage 29 genannten Präparate zu gewähren.Die Beihilfebescheide vom 22. Dezember 2010, 7. Januar 2011, 28. Februar 2011, 24. November 2011 und 25. Mai 2012 sowie der Widerspruchsbescheid vom 28. Januar 2014 werden aufgehoben, soweit sie dem entgegenstehen.Im Übrigen wird die Klage abgewiesen und die Berufung insoweit zurückgewiesen.
IV. Von den Kosten des Verfahrens im ersten Rechtszug tragen der Kläger 6,46% und die Beklagte 93,54%.Von den Kosten des Verfahrens im zweiten Rechtszug tragen der Kläger 3,74% und die Beklagte 96,26%.
V. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
VI. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die vom Verwaltungsgericht unterlassene Teileinstellung des Verfahrens (Teilklagerücknahme, übereinstimmende Teilerledigungserklärung) war vom Verwaltungsgerichtshof vorzunehmen.
Die Berufung hat teilweise Erfolg. Soweit die auf Beihilfebewilligung gerichtete Klage noch anhängig ist und Aufwendungen betrifft, die auf ärztlich ausgestellten Rezepten beruhen, hat sie Erfolg. Der Kläger hat insoweit einen Anspruch aus § 33 BBhV (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Soweit der Kläger Beihilfe für ohne ärztliches Rezept angeschaffte Stoffe begehrt, bleibt die Klage erfolglos.
1. Soweit die Klage in der mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichts hinsichtlich des Beihilfebescheids vom 22. August 2012 zurückgenommen worden ist, was Aufwendungen für die Ehefrau des Klägers betraf, ist das Verfahren teilweise einzustellen (§ 92 Abs. 3 VwGO), und zwar im Berufungsurteil selbst wegen der erforderlichen einheitlichen Kostenentscheidung (vgl. HessVGH, U.v. 31.10.1974 – VII OE 45/74 – VerwRspr 27, 239). Der Kläger hatte in der Klagebegründung vom 13. Mai 2014 klargestellt, seine Klage gegen den Bescheid vom 22. August 2012 beziehe sich insoweit nur auf die Nicht-Anerkennung des Belegs Nr. 9.
Soweit das Verfahren in erster Instanz übereinstimmend für erledigt erklärt wurde, ist das Verfahren ebenfalls entsprechend § 92 Abs. 3 VwGO teilweise einzustellen, und zwar ebenfalls im Urteil selbst. Die Beklagte hat zwar in erster Instanz keine explizite Erledigungserklärung abgegeben. Bereits ihrem Schreiben vom 7. August 2014, mit dem sie die zur Erledigung führenden Änderungsbescheide vorlegte, kann aber eine vorgezogene Zustimmung zur späteren Erledigungserklärung des Klägers (Schreiben vom 30.8.2014) entnommen werden, wobei sie auch im weiteren Verlauf des Verfahrens der Erledigungserklärung des Klägers nicht entgegengetreten ist (vgl. BVerwG, U.v. 15.11.1991 – 4 C 27.90 – NVwZ-RR 1992, 276).
Entsprechend den Ausführungen in der mündlichen Verhandlung ist davon auszugehen, dass hinsichtlich des Präparats „Vigantol Öl N2“ von vornherein keine Klage erhoben sein sollte (§ 88 VwGO), weil insoweit bereits ursprünglich eine Beihilfebewilligung erfolgt war.
2. Die verbliebene Verpflichtungsklage ist zulässig und teilweise begründet.
2.1. Maßgeblich für die beihilferechtliche Prüfung ist dabei der Zeitpunkt der jeweiligen wirtschaftlichen Aufwendungen (vgl. BVerwG, U.v. 8.11.2012 – 5 C 4.12 – NVwZ-RR 2013, 192 Rn. 12 m.w.N.). Vorliegend einschlägig sind demnach je nach dem Zeitpunkt der Aufwendungen die Bundesbeihilfeverordnung vom 13. Februar 2009 (BGBl I S. 326) in der ursprünglichen, vom 13. Februar 2009 bis zum 13. Dezember 2009 gültigen Fassung, sowie in der Fassung der Änderungsverordnung vom 17. Dezember 2009 (BGBl I S. 3922) und der Änderungsverordnung vom 13. Juli 2011 (BGBl I S. 1394).
2.2. Soweit die Präparate in Form ärztlich unterschriebener Rezepte verordnet waren, hat der Kläger einen Anspruch auf Bewilligung von Beihilfe aus § 33 BBhV in der ursprünglichen, während des gesamten streitgegenständlichen Zeitraums geltenden Fassung der Verordnung vom 13. Februar 2009 (BGBl I S. 326).
2.2.1. Nach Satz 1 der hier einschlägigen Fassung des § 33 BBhV sind Aufwendungen für medizinische Leistungen anlässlich einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, beihilfefähig, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht.
Mit § 33 BBhV hat der Verordnungsgeber auf die bundesverfassungsrechtlichen Vorgaben aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1, Abs. 1 GG i.V.m. mit dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20, 28 Abs. 1 GG) reagiert (vgl. BVerfG, B.v. 6.12.2005 – 1 BvR 347/98 – BVerfGE 115, 25), die auch im Rahmen der beamtenrechtlichen Fürsorgepflicht (Art. 33 Abs. 5 GG) Geltung beanspruchen. Dieser verfassungsrechtliche Hintergrund ist bei der Auslegung der Vorschrift zu beachten.
§ 33 BBhV ist deshalb als Spezialvorschrift für die dort tatbestandlich eingegrenzten Extremsituationen anzusehen. Sind die besonderen tatbestandlichen Voraussetzungen des § 33 BBhV gegeben, werden auch die im Rahmen der medizinischen Leistung verschriebenen Stoffe vom Beihilfeanspruch erfasst. Die Einschränkungen des § 22 BBhV finden insoweit keine entsprechende Anwendung. Es griffe zu kurz und würde den besagten verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht gerecht, wenn die verfassungsrechtlichen Vorgaben nur auf die jeweilige medizinische „Dienstleistung“ bezogen würden, davon aber die im Rahmen dieser Dienstleistung gewählte (erforderliche) Verschreibung von Stoffen ausgeschlossen würde. Angesichts der gebotenen verfassungskonformen Auslegung des § 33 BBhV unterliegt der sich daraus ergebende Beihilfeanspruch auch nicht den Beschränkungen des allgemeineren § 22 BBhV. Auf die von der Beklagten bei ihren Nachberechnungen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren in den Mittelpunkt gestellte Problematik der seinerzeit im Kontext des § 22 BBhV fehlenden Härtefallregelung kommt es im Anwendungsbereich des § 33 BBhV nicht an. Denn § 33 BBhV regelt seinerseits extreme Härtefälle und erfüllt in der gebotenen verfassungskonformen Auslegung selbst alle Anforderungen einer Härtefallvorschrift.
2.2.2. Das beim Kläger diagnostizierte Mantelzell-Lymphom, Stadium III, stellte jedenfalls im vorliegend maßgeblichen Zeitraum (Dezember 2009 bis Mai 2012) eine lebensbedrohliche und zusätzlich eine regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung i.S.v. § 33 Satz 1 BBhV dar.
Dabei ist zwischen den Parteien unstreitig und durch mehrere aktenkundige ärztliche Unterlagen belegt, dass der Kläger im maßgeblichen Zeitraum an einem Mantelzell-Lymphom, Stadium III, erkrankt war.
Das aktenkundige MANUAL Maligne Lymphome, 8. Auflage 2008 (Hrsg.: Prof. Dr. med. M. Dreyling, Medizinische Klinik und Poliklinik III Klinikum der Universität München – Großhadern) führt auf S. 153 insoweit unter anderem aus, Mantelzell-Lymphome besäßen die schlechteste Prognose aller Lymphome mit einem medianen Überleben von circa drei Jahren. Bei Diagnosestellung seien diese Lymphome meistens weit fortgeschritten und zeichneten sich durch eine hohe Tumormasse aus. Die konventionelle Chemotherapie sei nur beschränkt wirksam. Die allogene Transplantation beim Mantelzell-Lymphom sei durch eine hohe transplantations-assoziierte Mortalität von etwa 40% und ein häufig höheres Alter der Patienten (medianes Alter bei Diagnosestellung 60-65 Jahre) kompliziert.
Auch die Beklagte hat die Lebensbedrohlichkeit der Mantelzell-Lymphom-Erkrankung des Klägers nicht in Zweifel gezogen.
2.2.3. Jedenfalls im streitgegenständlichen Zeitraum (Dezember 2009 bis Mai 2012) stand i.S.v. § 33 Satz 1 BBhV keine „allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Behandlung“ für Patienten zur Verfügung, die in einem Lebensalter wie dem des Klägers an einem Mantelzell-Lymphom im fortgeschrittenen Stadium erkrankt waren. Vielmehr geht gerade aus den aktenkundigen schulmedizinischen Veröffentlichungen explizit hervor, dass sich hinsichtlich dieser Patientengruppe jedenfalls im streitgegenständlichen Zeitraum die Schulmedizin selbst ihrerseits noch in einem experimentellen Stadium befunden hat.
Letzteres ergibt sich mit hinreichender Deutlichkeit aus dem auszugsweise aktenkundigen MANUAL Maligne Lymphome, 8. Auflage 2008 (Hrsg.: Prof. Dr. med. M. Dreyling, Medizinische Klinik und Poliklinik III Klinikum der Universität München – Großhadern). Dort findet sich auf S. 98 unter anderem die Aussage, der bislang einzige „potenziell“ kurative Therapieansatz in der Behandlung des fortgeschrittenen Mantelzell-Lymphoms (MCL) sei die allogene Stammzelltransplantation. Unterschiedliche Studien hätten gezeigt, dass auch bei sehr ausgiebig vortherapierten Patienten Langzeit-Remissionen und Heilungen möglich seien. Transplantationsassoziierte Nebenwirkungen, insbesondere Infektionen, seien allerdings sehr häufig. Eine dosisreduzierte Konditionierung („Mini-Transplantation“) ermögliche diesen Therapieansatz auch bei älteren Patienten, allerdings würden trotzdem „verzögert schwere Nebenwirkungen“ – insbesondere Infektionen und GvH (Graft vs. Host) – Abstoßungsreaktionen – beobachtet. In einer retrospektiven Analyse der EBMT seien „fast alle Patienten mit Chemotherapierefraktären MCL innerhalb des ersten Jahres“ verstorben; bei frühzeitigerem Einsatz habe das MD Anderson Hospital dagegen über weitaus bessere klinische Ergebnisse mit einem krankheitsfreien 4-Jahres-Überleben von über 80% berichtet. Auf S. 99 f. wird unter anderem ausgeführt, Mantelzell-Lymphome wiesen klinisch einen aggressiven Verlauf auf. Mit konventionell dosierten Chemotherapien würden nur vorübergehende Remissionen erzielt. Der Verlauf sei durch eine kontinuierliche Progression und ein medianes Überleben von nur drei Jahren charakterisiert. Allerdings würden neuere Studien die erhöhte Ansprechrate nach einer kombinierten Immunchemotherapie mit Rituximab belegen. Eine dosisintensierte Therapie, z.B. mit konsolidierender Hochdosistherapie und nachfolgender autologer Stammzelltransplantation, verlängere „bei jüngeren Patienten“ auch die Remissionsdauer. Trotzdem stelle die allogene Knochenmarktransplantation den bislang einzigen kurativen Therapieansatz dar. Dies unterstreiche die „Notwendigkeit neuer Therapieansätze“, um die Prognose des Mantelzell-Lymphoms weiter zu verbessern.
Dies zugrunde gelegt ist davon auszugehen, dass im vorliegend maßgeblichen Zeitraum (Dezember 2009 – Mai 2012) angesichts der nur eingeschränkten Wirksamkeit der seinerzeit vorhandenen Verfahren auch innerhalb der Schulmedizin selbst von der „Notwendigkeit neuer Therapieansätze“ ausgegangen wurde. Es mag sein, dass innerhalb der hochschulbasierten medizinischen „Forschung“ andere Therapien als die vom Kläger gewählte zum Gegenstand von Forschungsprojekten gemacht worden waren. Auch mag es sein, dass die dem Kläger von der onkologischen Praxis mit Schreiben vom 26. Oktober 2009 empfohlene Kombination aus Chemotherapie, Anti-CD20-Antikörpern und autologer Stammzelltransplantation sich damals innerhalb dieser im Hochschulbereich verfolgten Forschungsansätze bewegte. Das ändert aber nichts daran, dass angesichts der schulmedizinisch selbst eingeräumten Notwendigkeit weiterer Forschung und vor allem der erheblichen Nebenwirkungen und der erheblichen Mortalitätsrate bei Anwendung der seinerzeit in Erprobung befindlichen Therapien gerade bei älteren Patienten – wie dem Kläger – nicht davon die Rede sein kann, es hätte sich bereits damals ein allgemeiner Standard herausgebildet. Die hiervon abweichende These in der Klageerwiderung der Beklagten vom 23. Juni 2014 teilt der Senat nicht. Sie wurde von der Beklagten im Berufungsverfahren so auch nicht mehr aufrechterhalten. Aus der von der Beklagten im Berufungszulassungsverfahren vorgelegten Broschüre „Mantelzell Lymphom – Informationen für Patienten“, 1. Aufl. Februar 2013 (Hrsg.: Kompetenznetz Maligne Lymphome), in der von wichtigen Fortschritten bei der Therapie der Mantelzell-Lymphome berichtet wird, so dass in den fortgeschrittenen Stadien die Erkrankung durch eine medikamentöse Therapie meist über viele Jahre zurückgedrängt werden könne, ergibt sich für den vorliegenden Fall schon deshalb nichts anderes, weil diese Broschüre erst nach dem vorliegend maßgeblichen Zeitraum (Dezember 2009 – Mai 2012) veröffentlicht worden ist. Unabhängig davon ist zu sehen, dass dort sogleich einschränkend ausgeführt wird, bei einem Großteil der Patienten werde allerdings oft ein Rückfall der Erkrankung beobachtet. Aussicht auf komplette Heilung bestehe häufig nur nach einer allogenen Stammzelltransplantation. Gerade die allogene Stammzelltransplantation war aber – wie gezeigt – nach den aktenkundigen schulmedizinischen Veröffentlichungen aus dem streitgegenständlichen Zeitraum für jüngere Patienten empfohlen worden, während bei älteren Patienten von erheblichen Nebenwirkungen und einer hohen Mortalitätsrate berichtet wurde.
Insgesamt ist es der Beklagten nicht gelungen, die schulmedizinischen Belege dafür, dass jedenfalls im hier umstrittenen Zeitraum noch keine allgemein anerkannte medizinische Standardtherapie bei Mantelzell-Lymphomen bestand, zu relativieren. Auf die diversen klägerseits vorgelegten Fundstellen dafür, dass sich daran auch in der Zwischenzeit nichts Maßgebliches geändert hat, kommt es für den vorliegenden beihilferechtlichen Streitgegenstand ebenso wenig an wie auf die allgemeine Frage, inwieweit die schulmedizinische Forschung nach Ende des streitgegenständlichen Zeitraums Fortschritte gemacht hat.
2.2.4. Für die vom Kläger gewählte Therapie bestand i.S.v. § 33 Satz 1 BBhV jedenfalls in der konkreten Form, wie sie vom behandelnden Facharzt für Allgemeinmedizin durchgeführt wurde, zumindest eine „nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf … eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf“, wenn auch nicht auf Heilung.
2.2.4.1. Hinsichtlich dieser tatbestandlichen Anforderung verbietet sich eine schematische Bewertung, weil es gerade an einem gefestigten medizinischen Standard fehlt. Die Erfolgsaussichten von Alternativtherapien lassen sich im Rahmen von § 33 BBhV nur im Einzelfall unter Berücksichtigung des jeweiligen Forschungsstands bewerten. Es kommt dabei nicht nur auf die jeweils gewählte Grundstrategie der Therapie als solcher, sondern auch auf die Art und Weise der vom jeweils Verantwortlichen gewählten Analyse- und Kontrollmechanismen und deren Dokumentation an.
Ausgangspunkt ist dabei die grundsätzliche – der Wertung von Art. 2 Abs. 2 Satz 1, Abs. 1 GG entsprechende – Erkenntnis, dass an den Nachweis einer „nicht ganz entfernt liegenden Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf“ desto geringere Anforderungen zu stellen sind, je schwerwiegender die Erkrankung und hoffnungsloser die Situation ist (vgl. BSG, U.v. 4.4.2006 – B 1 KR 7/05 R – BSGE 96, 170 Rn. 40 m.w.N.). Der Nachweis des Nutzens und der Wirtschaftlichkeit einer alternativen Therapie unterfällt keinem starren Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Vielmehr ist ein umso geringerer Wahrscheinlichkeitsmaßstab zu wählen, je notstandsähnlicher sich die gesundheitliche Situation darstellt. Es gelten insoweit „abgestufte Evidenzgrade“ (BSG, U.v. 2.9.2014 – B 1 KR 4/13 R – juris Rn. 17 m.w.N.).
Vor diesem Hintergrund genügt für die Annahme einer „nicht ganz entfernt liegenden Aussicht auf … eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf“, dass Indizien eine nicht ganz fernliegende Aussicht zumindest auf eine spürbar positive Einwirkung der Alternativtherapie auf den Krankheitsverlauf versprechen (vgl. BVerfG, B.v. 11.4.2017 – 1 BvR 452/17 – NJW 2017, 2096 Rn. 22 m.w.N.). Zwar reichen auch in der extremen Situation lebensbedrohlicher und regelmäßig tödlich verlaufender Erkrankungen „rein“ experimentelle Behandlungsmethoden nicht aus. Sind derartige Methoden aber auf hinreichende „Indizien“ gestützt, kann dies zu einem entsprechenden Beihilfeanspruch aus § 33 BBhV führen, wobei stets auch die Grenzen der sog. schulmedizinischen Behandlungsmöglichkeiten zu berücksichtigen sind (BVerfG, B.v. 26.2.2013 – 1 BvR 2045/12 – NJW 2013, 1664; vgl. hierzu auch B.v. 11.4.2017 – 1 BvR 452/17 – NJW 2017, 2096 Rn. 25). Auf die Frage, inwieweit bei nicht lebensbedrohlichen Krankheiten anderes zu gelten hat (vgl. BVerfG, B.v. 26.3.2014 – 1 BvR 2415/13 – NJW 2014, 2176; B.v. 10.11.2015 – 1 BvR 2056/12 – BVerfGE 140, 229), kommt es vorliegend nicht an, weil sich der Kläger im hier maßgeblichen Zeitraum zweifelsfrei in einer lebensbedrohlichen Notstandssituation befunden hat.
Jedenfalls dann wenn es sich um eine lebensbedrohliche und regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung wie vorliegend beim Kläger handelt, die Schulmedizin im maßgeblichen Zeitraum – wie gezeigt – ihrerseits noch weiteren Forschungsbedarf sieht und selbst nur risikoreiche Therapien zur Verfügung stellen kann und es sich um eine Alternativtherapie handelt, die – anders als beim sog. „Off-Label-Use“ (vgl. hierzu BSG, U.v. 3.7.2012 – B 1 KR 25/11 R – BSGE 111, 168) – nicht für andere Zwecke geschaffene und getestete verschreibungspflichtige Arzneimittel zweckentfremdet, sind für den Nachweis der Wirksamkeit keine evidenzbasierten Studien, vergleichbare Erkenntnisquellen oder Leitlinien ärztlicher Fachgesellschaften erforderlich, sondern können bereits bloße (Wirksamkeits) Indizien genügen (vgl. LSG BW, U.v. 22.2.2017 – L 5 KR 1653/15 – juris Rn. 48 m.w.N.). „Hinweise“ auf einen individuellen Wirkungszusammenhang können sich dabei nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (B.v. 6.12.2005 – 1 BvR 347/98 – BVerfGE 115, 25/50) insbesondere (freilich nicht abschließend) ergeben – erstens – aus einem Vergleich des Gesundheitszustands des Beihilfeberechtigten mit dem Zustand anderer, in gleicher Weise erkrankter, aber nicht mit der in Frage stehenden Methode behandelter Personen, – zweitens – aus einem Vergleich mit dem Gesundheitszustand solcher Personen, die bereits auf diese Weise behandelt wurden oder werden, wobei derartige Erfahrungen insbesondere bei einer länger andauernden Behandlung Schlussfolgerungen für die Wirksamkeit der Behandlung erlauben können, – drittens – der fachlichen Einschätzung der Wirksamkeit der Methode im konkreten Einzelfall durch die Ärzte des Erkrankten, die die Symptome seiner Krankheit behandeln, und – viertens – aus der wissenschaftlichen Diskussion (vgl. auch BVerfG, B.v. 10.11.2015 – 1 BvR 2056/12 – BVerfGE 140, 229 Rn. 14).
2.2.4.2. Der Senat geht im Fall der beim Kläger durchgeführten Alternativtherapie von hinreichenden Wirksamkeitsindizien jedenfalls für den umstrittenen Zeitraum aus. Dabei misst er insbesondere den Stellungnahmen des behandelnden Facharztes für Allgemeinmedizin, der die Therapie fachlich verantwortete, sowie dem tatsächlich im Fall des Klägers erfolgreichen – vom behandelnden Arzt mit Kontrolluntersuchungen begleiteten – Krankheitsverlauf maßgebliches Gewicht bei. Der Senat verkennt nicht, dass die vom Kläger gewählte Amanita-Therapie als solche nicht Gegenstand größerer Forschungsprojekte geworden ist und dass nur wenige statistische Daten zu ihrer Wirksamkeit im Allgemeinen vorliegen. Die fachlichen Einschätzungen des behandelnden Arztes belegen aber, dass sich die Therapie im vorliegenden Fall nicht allein auf die Gabe des Gifts des grünen Knollenblätterpilzes beschränkte, sondern dass vom behandelnden Facharzt ein auf die speziellen Bedürfnisse des Klägers in der damaligen Situation zugeschnittenes therapeutisches Gesamtkonzept angewandt worden war, das neben dem Einsatz zusätzlicher Stoffe insbesondere auch eine engmaschige Kontrolle unter Einsatz von Verlaufsmessungen umfasste.
Im ärztlichen Bericht vom 9. Januar 2015 berichtet der behandelnde Facharzt für Allgemeinmedizin, der Kläger sei am 7. April 2009 erstmalig wegen vergrößerter Lymphknoten im Leistenbereich ärztlich untersucht worden. Die endgültigen Diagnosen seien von einem Hämato-Onkologen jedoch erst ein gutes halbes Jahr später gestellt worden. Der Patient habe sich beim behandelnden Facharzt für Allgemeinmedizin im Dezember 2009 vorgestellt und sich dabei in einem guten Allgemeinzustand befunden, dabei jedoch von einer teilweise gestörten Darmfunktion und deutlicher Infektanfälligkeit im Bereich der oberen Luftwege berichtet, was wohl bereits krankheitsbedingte oder zumindest krankheitsbegleitende Beschwerden gewesen seien. Der Patient habe unter einer extrem starken beruflichen Belastung gestanden, aber eine anhaltend große Leistungsfähigkeit gezeigt. Die Hämato-Onkologen hätten dem Patienten keine Hoffnung auf eine Heilung der Krankheit machen können; aus der medizinischen Fachliteratur habe der Patient zudem gewusst, dass die Überlebenszeiten (overall survival) bei der für ihn vorgesehenen Therapie im Bereich von nur drei bis fünf Jahren lägen und dass somit diese Therapie den relativ nahen Tod aufgrund des Mantelzell-Lymphoms nicht verhindern könne. Auf eigenen Wunsch sei der Patient bis zum Herbst des Jahres 2012 in der Hauptsache mit Amanita phalloides D2, dem Gift des grünen Knollenblätterpilzes behandelt worden. Diese sog. Amanita-Therapie beruhe auf Forschungsarbeiten von Dr. Riede. Dabei handele es sich zwar nicht um eine Mainstream-Therapie. Jedoch sei die von Dr. Riede publizierte, theoretische Begründung für diese Behandlung medizinisch sinnvoll und überzeugend und sie sei durch positiv verlaufende Fälle klinisch bestätigt worden. Es sei von Dr. Riede damals bereits von einem Patienten mit einer chronisch-lymphatischen B-Zell-Leukämie berichtet worden, der sich seit ca. zwei Jahren in einer erfolgreich verlaufenden Therapie mit Amanita phalloides befunden habe. Diese Information sei für ihn als behandelnden Arzt neben dem guten theoretischen Konzept besonders wichtig gewesen, denn Leukämien gingen ebenso wie Lymphome von den blutbildenden Zellen aus und das Mantelzell-Lymphom sei ebenfalls eine B-Zell-Erkrankung. Damit habe er als behandelnder Arzt berechtigte Erwartungen darauf setzen können, dass auch ein Mantelzell-Lymphom mit Amanita phalloides behandelt werden könne, und es sei ihm vertretbar erschienen, einen Therapieversuch mit Amanita phalloides zu wagen. Nach einschleichender Dosierung der hoch toxischen Substanz sei zunächst mit 3×10 Tropfen, dann auch mit 3×20 Tropfen und zeitweise mit noch höheren Dosierungen gearbeitet worden. Die Lymphom-Zellen würden durch Amanita phalloides nur in ihrer Aktivität gebremst, aber nicht abgetötet, wie es z.B. Ziel von Chemotherapien sei. Deshalb sei es verständlich erschienen, dass sich das nachweislich aggressive Lymphom in der Anfangsphase der Amanita-Therapie noch habe ausbreiten können, nämlich in die Kniekehlen und im Bauch- und Brustraum. Die Therapie habe ja bei voller Tumorlast durchgeführt werden müssen, weil fortgeschrittene Lymphome nicht operiert werden könnten. Die regelmäßig durchgeführten Kontrolluntersuchungen mittels Positronen-Emissions-Tomographie (PET-Scan) hätten aber nach dem besagten anfänglichen Ausbreiten einen Stillstand der Erkrankung gezeigt. Die Zahl der befallenen Lymphknoten habe sich über die Jahre nicht geändert, sondern sei konstant geblieben. Ebenso sei deren Aktivität (standard uptake value) im PET-Scan konstant niedrig geblieben. Es hätten sich über den ganzen Verlauf der Therapie keine negativen (Neben) Wirkungen durch Amanita phalloides gezeigt. Durch eine engmaschige Kontrolle der Blutwerte und des Urins habe zudem sichergestellt werden können, dass auch Leber und Niere bei dieser Therapie keinen Schaden nehmen. Das gute Allgemeinbefinden und die hohe Leistungsfähigkeit des Patienten seien über die gesamte Therapiezeit bis zum Tag der Stellungnahme unbeeinträchtigt geblieben. Insgesamt seien vom behandelnden Arzt 1.600 ml von Amanita phalloides D2 verordnet worden, was der etwa 1,6-fachen tödlichen Dosis dieser Substanz entspreche. Das Gift des grünen Knollenblätterpilzes akkumuliere im Körper, da es nur äußerst langsam wieder ausgeschieden werden könne. Der Therapieerfolg und das Ausbleiben von Nebenwirkungen würden einerseits die Richtigkeit des Therapiekonzepts von Dr. Riede und andererseits die Richtigkeit der ärztlichen Entscheidung belegen, mit Amanita phalloides auch bei einem Lymphom-Patienten zu arbeiten. Begleitend seien ärztlicherseits verschiedene homöopathische Mittel sowie diverse orthomolekulare Arzneimittel verordnet worden, die sich bei Krebserkrankungen bewährt hätten. Durch diese adjuvante Therapie habe sichergestellt werden sollen, dass ein Fortschreiten der Krankheit verhindert werde und das Befinden des Patienten gut bleibe. Beide Ziele seien erreicht worden. Im Herbst 2012 sei diese immer wieder sich etwas verändernde Behandlung ergänzt worden durch die Verwendung von N,N´-Bis(2-mercaptoehtyl) isophthalamid (NBMI), um die Mitochondrien-Tätigkeit in den Lymphom-Zellen zu unterstützen und um dadurch den ständig aktivierten Zellteilungs-Modus der Lymphom-Zellen zu unterbrechen. Weil sich aber nach einiger Zeit herausgestellt habe, dass Amanita phalloides nicht mehr gleichzeitig mit NBMI habe gegeben werden können, sei zunächst nur mit NBMI unter stärkerem Einsatz orthomolekularer Arzneimittel weitergearbeitet worden. Der Grund dafür sei, dass aus der medizinischen Forschung bekannt sei, dass sich Krebszellen auch über ihren Stoffwechsel positiv beeinflussen ließen, besonders also durch den Einsatz orthomolekularer Arzneimittel. Im Ergebnis habe diese Änderung der Therapie dann eine Halbierung der ohnehin bereits niedrigen Aktivität im PET-Scan gebracht, was ein schöner Erfolg sei. Auch wenn von einer definitiven Heilung des Mantelzell-Lymphoms nicht gesprochen werden könne, so müsse doch als großer Erfolg der durchgeführten Therapie gewertet werden, dass in der Krankheitsentwicklung ein Stillstand eingetreten sei. So sei es auch fünfdreiviertel Jahre nach Diagnosestellung weder zu einer Progression noch zu einer weiteren Organbeteiligung gekommen. Dementsprechend fühle sich der Patient wohl und auch sämtliche medizinischen Parameter würden einen stabilen und guten Allgemein- und Kräftezustand bestätigen.
Diese detaillierte Darstellung des behandelnden Arztes, der nach der zitierten bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung jedenfalls bei Fallgestaltungen wie der vorliegenden Gewicht zuzumessen ist, hat die Beklagte nicht entkräftet. Soweit sie im Schreiben vom 2. März 2015 aus einem Artikel der Zeitung Südkurier vom 7. Oktober 2011 zitiert, in dem über Kritik berichtet wird, die das Deutsche Krebsforschungszentrum sowie ein internistischer Chefarzt an der Forschung von Frau Dr. Riede und an der Amanita-Therapie als solcher geübt haben, ist zunächst zu sehen, dass Ansprüche aus § 33 BBhV als Ausfluss der auf Art. 2 Abs. 2 GG beruhenden staatlichen Schutzpflicht im Bereich der Therapie todkranker Patienten nicht schon deswegen ausgeschlossen sind, weil die zuständige medizinische Fachgesellschaft – hier die Deutsche Krebsgesellschaft – die in Rede stehende Behandlungsmethode nicht als Therapie empfiehlt (LSG BW, U.v. 22.2.2017 – L 5 KR 1653/15 – juris Rn. 51). Unabhängig davon sind diese Zitate der Beklagten auch nicht hinreichend substantiiert auf die seinerzeit bereits aktenkundige Stellungnahme des behandelnden Facharztes für Allgemeinmedizin bezogen. Der den Zitaten nachfolgende Hinweis der Beklagten darauf, dass auch der behandelnde Arzt nicht von einer definitiven Heilung ausgehe und dass die Schulmedizin mehr als nur noch palliative Therapien anbiete, befasst sich nicht deutlich genug mit der Bedeutung der Ausführungen gerade auch des behandelnden Facharztes zur Frage des – im Kontext von § 33 BBhV hinreichenden – Vorliegens von Indizien für eine nicht ganz fernliegende Aussicht auf eine positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf. Den klägerseits vorgelegten fachärztlichen Begründungen hat die Beklagte im Ergebnis keine gleichermaßen detaillierte Argumentation im Einzelfall entgegensetzen können. Dass die ursprünglich von der Beklagten in Aussicht genommene unabhängige Begutachtung nicht durchgeführt worden ist und der Beklagten deshalb keine eigenen Untersuchungsergebnisse vorliegen, kann vorliegend nicht zu Lasten des Klägers gehen. Denn dieser hatte sein insoweit erforderliches Einverständnis erteilt, wäre also seinerzeit bereit gewesen, an derartigen Untersuchungen mitzuwirken (§ 86 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 VwGO). Das Gericht nimmt diesen Umstand zum Anlass, die klägerseits vorgelegte, detaillierte und vor allem ganz auf die seinerzeitige konkrete gesundheitliche Befindlichkeit des Klägers bezogene Stellungnahme des behandelnden Facharztes für Allgemeinmedizin in den Mittelpunkt seiner Prüfung zu stellen.
Dabei ist zu sehen, dass der bisherige Erfolg der Therapie bereits darin liegt, dass der Kläger so lange – mittlerweile mehr als acht Jahre nach Diagnosestellung – überlebt hat, was nach den genannten grundgesetzlichen Kriterien bereits ein eigenständiges Wirksamkeitsindiz darstellt. Das Verfassungsrecht gebietet und rechtfertigt insoweit für die Bewertung der im beihilferechtlich maßgeblichen Zeitpunkt der Aufwendungen zu erwartenden Therapiewirkungen eine Betrachtung ex post unter Würdigung auch des nachträglichen Therapieerfolgs.
Soweit die Beklagte die Kausalität der Alternativtherapie für die Entwicklung des Gesundheitszustands des Klägers in Zweifel gezogen hat, hat sie sich nicht hinreichend mit den detaillierten Ausführungen des behandelnden Facharztes für Allgemeinmedizin befasst, der klar von einer solchen Kausalität ausgegangen ist. Zweifel an dieser Darstellung sind auch deshalb nicht veranlasst, weil sich der behandelnde Arzt keineswegs auf die bloße Verabreichung der Wirkstoffe beschränkt und deren Wirksamkeit nur vermutet, sondern seine Therapie laufend intensiven Kontrollen und Messungen (PET; Blut- und Urinwerte) unterzogen hat. Der behandelnde Facharzt für Allgemeinmedizin hat sich keineswegs der sog. Schulmedizin komplett verweigert, sondern die gesamte Therapie laufend mit modernen Analysemethoden begleitet und die Entwicklung während der laufenden Therapie evaluiert. Auch der Umstand, dass der behandelnde Arzt bei Fortschreiten der Therapie nicht schematisch an der Amanita-Therapie festgehalten, sondern im Zuge der Behandlung auf einen anderen Wirkstoff umgestellt und die Inkompatibilität mit Amanita phalloides berücksichtigt hat, ist dabei ein Indiz dafür, dass die vorliegend praktizierte Behandlung nicht „rein“ experimentell war, sondern auf hinreichenden Wirksamkeitsindizien beruhte. Gleiches gilt für die ärztliche Begründung, weshalb der in der Literatur geschilderte Leukämie-Fall auf den vorliegenden Mantelzell-Lymphom-Fall übertragbar ist. Es ist der Beklagten nicht gelungen, diese fachärztliche Argumentation zu entkräften.
Unabhängig davon ist zwar zu sehen, dass hinsichtlich der Amanita-Therapie im maßgeblichen Zeitraum für den im Fall des Klägers betroffenen Zelltyp nur eine schmale statistische Fallbasis aktenkundig dokumentiert ist, nämlich einerseits der in den Veröffentlichungen von Frau Dr. R. beschriebene Leukämie-Fall (vgl. deren im aktenkundigen Sonderdruck „Naturheilpraxis Krebsforum Spezial 1/2009“ gesammelte Aufsätze aus Naturheilpraxis 03/2005, 06/2007, 12/2007 und 09/2008) und andererseits der Fall des Klägers selbst, wobei hinzukommt, dass sich die Behandlung des Klägers erst während des anhängigen beihilferechtlichen Verfahrens und im Nachhinein dokumentiert als erfolgreich erwiesen hat. Insoweit gewinnt aber vorliegend einerseits die zitierte grundlegende Erkenntnis der „abgestuften Evidenzgrade“ und andererseits der Umstand Bedeutung, dass die Behörde es unterlassen hat, den Kläger in der historischen Behandlungssituation – entgegen ihrer ursprünglichen Absicht – begutachten zu lassen, obwohl der Kläger bereit gewesen wäre, hieran mitzuwirken. Nachdem der Kläger an einer besonders aggressiven und gefährlichen Krebserkrankung litt und ihm seitens der sog. Schulmedizin nur noch wenige Jahre Lebenserwartung prognostiziert werden konnten, waren an die ernsthaften Hinweise auf einen nicht ganz entfernt liegenden Behandlungserfolg nur geringe Anforderungen zu stellen (vgl. BSG, U.v. 4.4.2006 – B 1 KR 7/05 R – BSGE 96, 170). Art. 2 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 GG verbietet es jedenfalls dann, einen Sterbenskranken, der schulmedizinisch aller Voraussicht nach nur noch wenige Jahre zu leben hat, auf eine ihrerseits über ein experimentelles Stadium noch nicht hinausgewachsene, wenn auch im universitären Forschungstrend liegende Therapie zu verweisen, wenn – wie hier – zumindest im konkreten Einzelfall eine mit Wirksamkeitsindizien versehene Alternativtherapie im Raume steht und behördlicherseits gleichzeitig auf eine eigene Begutachtung in der historischen Situation verzichtet worden ist, obwohl der betroffene Beihilfeberechtigte durchaus bereit gewesen wäre, hieran mitzuwirken.
2.3. Der somit tatbestandlich gegebene Beihilfeanspruch nach § 33 Satz 1 BBhV umfasst von seinem Umfang her die noch streitgegenständlichen Präparate, soweit sie bereits während der Therapie nachweislich ärztlich verschrieben worden sind.
2.3.1. Wie gezeigt gelten dabei die Einschränkungen des § 22 BBhV im Rahmen der Spezialvorschrift des § 33 BBhV nicht (s.o.). Erfüllt eine Alternativtherapie tatbestandlich die Voraussetzungen des § 33 BBhV, so erstreckt sich der Anspruch auch auf die für diese Therapie notwendigen Aufwendungen und Stoffe, und zwar auch soweit es sich um Nahrungsergänzungsmittel und nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel handelt. Entscheidend ist auch insoweit die Begründung durch diejenige Person, die die gesamte Alternativtherapie zu verantworten hat.
2.3.2. Vorliegend hat sich der verantwortliche Facharzt für Allgemeinmedizin nicht nur in seinem bereits zitierten ärztlichen Bericht vom 9. Januar 2015, sondern auch in seiner ärztlichen Bestätigung vom 13. November 2017 zu den neben Amanita phalloides verschriebenen Präparaten geäußert. Unter anderem führte er dabei aus, dass darunter auch Nahrungsergänzungsmittel, Homöopathika, Spagyrika, Vitamine und Mineralstoffe zu verstehen seien. Es habe sich vor allem im späteren Verlauf der Therapie des Klägers gezeigt, dass sogar das äußerst schwierig therapierbare Mantelzell-Lymphom über seinen Stoffwechsel günstig beeinflussbar sei, wozu vor allem die nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel geeignet und erforderlich gewesen seien. Dieser in sich schlüssigen, ganz auf die konkrete Alternativtherapie bezogenen Begründung ist die Beklagte nicht substantiiert entgegengetreten, weswegen für diejenigen Aufwendungen, die im Zusammenhang mit der – wie gezeigt von § 33 BBhV erfassten – Alternativtherapie nachweislich auf Verordnungen des verantwortlichen Facharztes für Allgemeinmedizin zurückgehen, ein Anspruch auf Beihilfe besteht, ohne dass insoweit entsprechend § 22 BBhV zwischen verschreibungspflichtigen und nicht verschreibungspflichtigen Präparaten unterschieden werden müsste.
2.3.3. In dem beschriebenen Umfang ist die Klage auch entscheidungsreif i.S.v. § 113 Abs. 5 VwGO. Insbesondere ist prozessual keine Beiladung der in § 33 Satz 2 und 3 BBhV (in der seinerzeitigen Fassung) genannten höherrangigen Stellen (oberste Dienstbehörde; Bundesministerium des Innern) möglich, weil es sich insoweit um Behörden des gleichen Rechtsträgers handelt. Für eine derartige Beiladung bleibt kein Raum, weil die Beklagte grundsätzlich mit allen ihren Behörden am Rechtsstreit beteiligt ist (vgl. BVerwG, B.v. 17.10.1985 – 2 C 25.82 – BVerwGE 72, 165). Die Vorgaben des § 33 Satz 2 BBhV entfalten verwaltungsinterne, nicht aber verwaltungsprozessuale Wirkung.
2.4. Allerdings bleibt die noch anhängige Klage erfolglos hinsichtlich der vom Kläger ohne ärztlich unterschriebenes Rezept angeschafften Präparate. Dass der behandelnde Facharzt für Allgemeinmedizin den Therapiebezug insoweit nachträglich bestätigt hat, ändert daran nichts.
Werden bei einer Alternativtherapie i.S.v. § 33 BBhV sowohl verschreibungspflichtige Arzneimittel als auch sonstige nicht verschreibungspflichtige Stoffe eingesetzt, besteht ein Beihilfeanspruch nur für solche Stoffe, für die im Zeitpunkt der historischen Medikamentierung eine Verschreibung durch den jeweiligen Verantwortlichen erfolgt und dokumentiert ist.
Dieses Erfordernis folgt aus der Auslegung der in § 33 Satz 1 BBhV enthaltenen Wendung: „Aufwendungen für medizinsche Leistungen“. Aufwendungen sind nur dann „für“ die medizinische Leistung einer Alternativtherapie erbracht, wenn bereits im historischen Zeitpunkt der jeweiligen Aufwendung nachweislich gewährleistet ist, dass derjenige, der die Alternativtherapie fachlich zu verantworten hat, gerade auch die jeweilige einzelne Aufwendung mitverantwortet. Zwar differenziert § 33 BBhV insoweit nicht abstrakt zwischen Leistungen, die von Ärzten, und solchen, die von Heilpraktikern erbracht werden. Vielmehr können begrifflich beide Berufsgruppen „medizinische Leistungen“ i.S.v. § 33 BBhV erbringen. Ist aber die Alternativtherapie dadurch geprägt, dass teilweise (Gift) Stoffe eingesetzt werden, die arzneimittelrechtlich eine ärztliche Verordnung erfordern und ein Arzt die rechtliche Verantwortung für die Behandlung übernehmen muss, so besteht ein Beihilfeanspruch nach § 33 BBhV nur für solche Stoffe, für die der Arzt durch eigene Rezeptierung im historischen Zeitpunkt der Therapiedurchführung dokumentiert hat, dass diese Stoffe im Rahmen der von ihm verantworteten (Alternativ) Therapie verordnet worden und zum Einsatz gekommen sind.
Dieses Erfordernis des Nachweises der belegten therapeutischen Verantwortung bei jedem einzelnen Rezept bereits in der historischen Situation ist die Kehrseite des Umstands, dass bei der Bewertung der hinreichenden Wirksamkeitsindizien – wie gezeigt – gerade der Stellungnahme des für die Alternativtherapie jeweils Verantwortlichen großes, unter Umständen entscheidendes Gewicht zukommt. Erforderlich ist die tatsächliche Ausübung der ärztlichen Verantwortung, und zwar im historischen Zeitpunkt der Anschaffung und Einnahme jedes einzelnen Medikaments. Würde eine nachweisliche ärztliche Verordnung nur auf die konkret verschreibungspflichtigen Arzneimittel beschränkt, wäre hinsichtlich der nicht ärztlich verschriebenen Stoffe nicht hinreichend nachgewiesen, dass die zugehörigen Aufwendungen auch insoweit „für“ die insgesamt ärztlich gesteuerte (und wegen des Rückgriffs auf verschreibungspflichtige Stoffe auch ärztlich zu steuernde) „medizinische Leistung“ der Alternativtherapie i.S.v. § 33 BBhV angefallen sind.
Entgegen der Ansicht des Klägers kann dies nicht dadurch ersetzt werden, dass ärztlicherseits nachträglich dessen frühere Zustimmung bestätigt wird, wie es der behandelnde Facharzt für Allgemeinmedizin in seinem Schreiben vom 13. November 2017 erklärt hat. Denn es handelt sich insoweit nicht um eine bloße abrechnungstechnische Formalie, sondern um die Dokumentation der historischen Übernahme ärztlicher Verantwortung auch hinsichtlich der betroffenen Präparate, die nicht „rückwirkend“ erfolgen kann.
2.5. Anders verhält es sich mit den vom Kläger im Laufe des Berufungsverfahrens nachgetragenen Pharmazienummern. Zwar sah § 51 Abs. 3 Satz 4 BBhV bereits im streitgegenständlichen Zeitraum das grundsätzliche Erfordernis der Angabe solcher Nummern vor. Allerdings handelt es sich insoweit um ein eher formales und verwaltungsverfahrenstechnisches, nicht aber um ein direkt auf die Therapie bezogenes Erfordernis. Deshalb ist gegen die klägerseits vorgenommene Nachmeldung der Pharmazienummern im Ansatz nichts einzuwenden.
Es kann dabei dahinstehen, ob § 51 Abs. 3 Satz 4 BBhV im Fall des § 33 BBhV überhaupt eine zwingende Anspruchsvoraussetzung darstellt oder nicht. Denn selbst wenn dies unterstellt wird, hätte der Kläger die Pharmazienummern jedenfalls für alle ärztlich verordneten Stoffe in hinreichender Form nachgetragen. Soweit er sie nicht nachgetragen hat, weil Pharmazienummern (mangels Arzneimitteleigenschaft) nicht vergeben sind oder weil die Stoffe aus dem Ausland bestellt wurden, ist eine weitere Prüfung entbehrlich, weil dies vorliegend nur vom Kläger selbst (also nicht ärztlich) verschriebene oder angeschaffte Präparate betrifft, für die – wie gezeigt – ohnehin kein Anspruch besteht.
3. Es ist eine einheitliche Kostenentscheidung für den streitigen und die teilweise eingestellten Teile des Verfahrens zu treffen (vgl. BVerwG, B.v. 10.11.1980 – 1 B 802.80 – juris Rn. 6 f.), wobei die eingestellten Teile nur das Verfahren in erster Instanz betreffen.
Soweit der Kläger in der Sache obsiegt, unterliegt die Beklagte unter Berücksichtigung der Eigenbehalte und des klägerischen Beihilfebemessungssatzes von 50% mit einem Betrag von 1.802,42 €.
Hinsichtlich der übereinstimmend für erledigt erklärten Teile unterliegt die Beklagte im Ergebnis mit 107,20 €. Hinsichtlich des erledigten Teils liegt die Kostenlast bei der Beklagten, weil diese die Erledigung eigeninitiativ mit den während des erstinstanzlichen Verfahrens erlassenen Änderungsbescheiden herbeigeführt hat. Ein Rückgriff auf andere Bewertungskriterien ist nicht angezeigt, weil die von der Beklagten seinerzeit zum Anlass für die Nachberechnung genommene teilweise Unwirksamkeit des § 22 BBhV unabhängig von der seitens der Behörde zitierten Rechtsprechung bestand, wobei zu sehen ist, dass auch im Zuge der Nachberechnung der letztlich streitentscheidenden Vorschrift des § 33 BBhV nicht Rechnung getragen wurde (s.o.). Aus diesem Grund ist insoweit auch nicht danach zu unterscheiden, ob die von der Erledigungserklärung betroffenen Posten nur teilweise auf ärztlichen Rezepten beruhten und teilweise vom Kläger als Heilpraktiker selbst verschrieben worden waren. Denn nach der von der Beklagten seinerzeit zugrunde gelegten Fassung des § 22 BBhV wurde gerade noch nicht zwischen ärztlichen Rezepten und den Rezepten von Heilpraktikern unterschieden (vgl. § 22 Abs. 1 Satz 1 BBhV in der bis zum 23. Dezember 2009 geltenden Fassung). Die Summe der übereinstimmend für erledigt erklärten Teile unter Berücksichtigung der Eigenbehalte und des auf den Kläger anzuwendenden Beihilfebemessungssatzes (50%) ist mit 107,20 € zu bewerten.
Die teilweise Klagerücknahme, deren Kosten der Kläger gemäß § 155 Abs. 2 VwGO zu tragen hat, ist unter Berücksichtigung des Eigenbehalts (§ 49 BBhV) und des bei der Ehefrau des Klägers einschlägigen Beihilfebemessungssatzes von 70% mit 61,82 € zu bewerten (vgl. Niederschrift über die mündliche Verhandlung S. 2).
Im Übrigen entspricht die Summe der Aufwendungen, mit denen der Kläger unterlegen ist, weil es an ärztlichen Rezepten fehlt, unter Berücksichtigung der Eigenbehalte und des klägerischen Beihilfebemessungssatzes einem Betrag von 70,06 €.
Bezogen auf den höheren Streitwert in erster Instanz entspricht das Maß des Unterliegens der Beklagten in erster Instanz 93,54%.
Bezogen auf den nach teilweiser Klagerücknahme und teilweiser Erledigung verbliebenen Streitwert in zweiter Instanz ist das Unterliegen der Beklagten dort mit 96,26% zu bewerten.
4. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 und § 711 ZPO.
5. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen (§ 132 VwGO, § 127 BRRG).


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