Medizinrecht

Bemessung der Beibringungsfrist für das Gutachten zur Fahreignung

Aktenzeichen  11 CS 20.2536

Datum:
4.1.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 794
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
FeV § 11 Abs. 6, Abs. 8, § 13 S. 1 Nr. 2 lit. b, § 46 Abs. 3
FeV Anl. 4 Nr. 8.1, Nr. 8.2

 

Leitsatz

Die Frist zur Beibringung des ärztlichen Gutachtens ist nach der Zeitspanne zu bemessen, die von einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung zur Erstattung des Gutachtens voraussichtlich benötigt wird. Grundsätzlich ist eine Beibringungsfrist von zwei Monaten ausreichend bemessen(st. Rspr. vgl. BayVGH, B.v. 7.9.2020 – 11 CS 20.1418, BeckRS 2020, 22594). (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 10 S 20.1687 2020-10-15 Bes VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 6.250,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Entziehung seiner Fahrerlaubnis und der Verpflichtung zur Ablieferung seines Führerscheins.
Nach einer Trunkenheitsfahrt am 26. Dezember 2017 (BAK: 1,33 ‰) wurde dem Antragsteller mit Strafbefehl des Amtsgerichts Hersbruck vom 6. März 2018 (rechtskräftig seit 5.4.2018) die Fahrerlaubnis entzogen und nach Ablauf der Sperrfrist im August 2018 durch die Fahrerlaubnisbehörde wieder erteilt. Am 7. November 2019 führte der Antragsteller ein Kraftfahrzeug mit einer festgestellten Atemalkoholkonzentration von 0,34 mg/l. Wegen dieser Ordnungswidrigkeit erging gegen ihn am 10. Dezember 2019 ein Bußgeldbescheid (rechtskräftig seit 28.12.2019).
Mit Schreiben vom 21. Januar 2020 forderte das Landratsamt Nürnberger Land den Antragsteller zur Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens bis spätestens 6. April 2020 auf. Die entsprechende Einverständniserklärung unterzeichnete der Antragsteller am 19. Februar 2020. Eine durch seinen Prozessbevollmächtigten zunächst beantragte Fristverlängerung für die Vorlage des Gutachtens bis 1. September 2020 mit der Begründung, der Antragsteller wolle sich vertieft auf die Begutachtung vorbereiten und müsse außerdem Abstinenznachweise beibringen, lehnte das Landratsamt ab. Mit Schreiben vom 27. April 2020 wies das Landratsamt die Prozessbevollmächtigten des Antragstellers darauf hin, die aufgrund der Corona-Pandemie zwischenzeitlich ausgesetzten Begutachtungen würden seit dem 20. April 2020 wieder durchgeführt, und forderte den Antragsteller mit Schreiben vom 12. Mai 2020 auf, das Gutachten bis spätestens 8. Juli 2020 vorzulegen. Dem kam der Antragsteller nicht nach.
Mit Bescheid vom 24. Juli 2020, zugestellt am 28. Juli 2020, entzog das Landratsamt dem Antragsteller unter Anordnung des Sofortvollzugs die Fahrerlaubnis und verpflichtete ihn zur Ablieferung des Führerscheins. Er habe das Gutachten nicht vorgelegt, woraus auf seine Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen zu schließen sei.
Über die hiergegen am 27. August 2020 erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht Ansbach noch nicht entschieden. Den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 15. Oktober 2020 abgelehnt. Das Landratsamt habe den Antragsteller, der wiederholt Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss begangen habe, zu Recht gemäß § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b der Fahrerlaubnis-Verordnung aufgefordert, ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen. Dieses habe der Antragsteller nicht innerhalb der ausreichend bemessenen Frist vorgelegt. Er habe nach der ersten Aufforderung bis zur pandemiebedingten Unterbrechung bereits gut acht Wochen Zeit gehabt, die Begutachtung durchführen zu lassen. Weshalb dies nicht möglich gewesen sein soll, habe der Antragsteller nicht dargelegt. Gleichwohl habe das Landratsamt ihm nach Wiederaufnahme des Untersuchungsbetriebs nochmals weitere acht Wochen bis 8. Juli 2020 gewährt. Auch insoweit habe der Antragsteller keine stichhaltigen Gründe dargelegt, die einer fristgerechten Begutachtung entgegengestanden hätten.
Zur Begründung der hiergegen eingereichten Beschwerde, der der Antragsgegner entgegentritt, lässt der Antragsteller vortragen, die Frist zur Beibringung des Gutachtens sei nicht ausreichend gewesen. Diese Frist hätte aufgrund der Pandemie bis mindestens 1. September 2020 verlängert werden müssen. Die Begutachtungsstellen hätten in der Zeit von April bis Juni 2020 keine Begutachtungen durchgeführt. Hierzu sei erstinstanzlich beantragt worden, die Geschäftsführerin der …Service GmbH als Zeugin zu befragen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Aus den im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), ergibt sich nicht, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu ändern und die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen wäre. Insbesondere war die Frist für die Beibringung des Gutachtens ausreichend bemessen.
1. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl I S. 310), vor Erlass des Bescheids zuletzt geändert durch Gesetz vom 10. Juli 2020 (BGBl I S. 1653), und § 46 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 13. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), im maßgeblichen Zeitpunkt zuletzt geändert durch Verordnung vom 20. April 2020 (BGBl I S. 814), hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV gilt dies insbesondere dann, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 zur FeV vorliegen oder erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen wurde. Nach Nr. 8.1 der Anlage 4 zur FeV ist ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, wer (ohne alkoholabhängig zu sein) das Führen von Fahrzeugen und einen die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher trennen kann (Alkoholmissbrauch). Erst wenn nach Beendigung des Missbrauchs die Änderung des Trinkverhaltens gefestigt ist, ist die Fahreignung wieder gegeben (Nr. 8.2 der Anlage 4 zur FeV).
Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder nur bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 46 Abs. 3 FeV). Nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b FeV ist zur Klärung von Eignungszweifeln bei Alkoholproblematik ein medizinisch-psychologisches Gutachten anzuordnen, wenn der Betreffende wiederholt Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss begangen hat. Die Frist zur Beibringung des Gutachtens ist nach der Zeitspanne zu bemessen, die von einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung zur Erstattung des Gutachtens voraussichtlich benötigt wird. Grundsätzlich erachtet der Senat eine Beibringungsfrist von zwei Monaten für ausreichend (stRspr, vgl. BayVGH, B.v. 7.9.2020 – 11 CS 20.1418 – juris Rn. 21 m.w.N.).
Nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV darf die Fahrerlaubnisbehörde bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung des Betroffenen schließen, wenn er sich weigert, sich untersuchen zu lassen, oder wenn er das von ihr geforderte Gutachten nicht fristgerecht beibringt. Der Schluss aus der Nichtvorlage eines angeforderten Fahreignungsgutachtens auf die fehlende Fahreignung ist gerechtfertigt, wenn die Anordnung formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig war (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 3 C 20.15 – BVerwGE 156, 293 Rn. 19 m.w.N.) und für die Nichtbeibringung des angeforderten Gutachtens kein ausreichender Grund besteht. Bei feststehender Ungeeignetheit ist die Entziehung der Fahrerlaubnis zwingend, ohne dass der Fahrerlaubnisbehörde ein Ermessensspielraum zukäme. Dies gilt auch bei Nichtvorlage eines zu Recht geforderten Fahreignungsgutachtens.
2. Entgegen der Auffassung des Antragstellers war die Frist zur Vorlage des Gutachtens auch unter Berücksichtigung der durch die Corona-Pandemie eingetretenen Verzögerungen ausreichend. Insoweit hat bereits das Verwaltungsgericht zutreffend darauf hingewiesen, dass bereits nicht ersichtlich ist, weshalb der Antragsteller nicht in der Lage gewesen sein soll, vor Ablauf der zunächst mit Schreiben des Landratsamts vom 21. Januar 2020 gesetzten Frist ein Gutachten beizubringen. Insbesondere bestand für das Landratsamt keine Veranlassung, die Frist – wie von seinem Bevollmächtigten im Schreiben vom 30. Januar 2020 beantragt – bis 1. September 2020 zu verlängern, weil der Antragsteller sich vertieft auf die Begutachtung vorbereiten wolle und Abstinenznachweise beibringen müsse. Die Fahrerlaubnisbehörde ist gehalten, Zweifeln an der Fahreignung unverzüglich nachzugehen. Daher muss sie dem Betroffenen nicht die Möglichkeit einräumen, sich zur Vermeidung einer Entziehung der Fahrerlaubnis erst noch über einen längeren Zeitraum auf die Begutachtung vorzubereiten oder Abstinenznachweise beizubringen. Eine solche Verzögerung mit der Folge einer weiteren Teilnahme des Betroffenen am Straßenverkehr wäre mit der Schutzpflicht der Fahrerlaubnisbehörde gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern nicht vereinbar.
Auch aufgrund der Corona-Pandemie war jedenfalls eine Fristverlängerung über den 8. Juli 2020 hinaus nicht veranlasst. Die Untersuchungen bei der …Service GmbH waren lediglich in der Zeit vom 23. März bis 19. April 2020 unterbrochen. Hierzu hat das Landratsamt im Ausgangsverfahren die entsprechenden und vom Verwaltungsgericht zitierten Mitteilungen der …Service GmbH vom 20. März 2020 und vom 20. April 2020 vorgelegt. Dem ist der Antragsteller nicht substantiiert entgegengetreten.
Es ist in keiner Weise ersichtlich, dass es in der Zeit zwischen der Wiederaufnahme der Untersuchungen am 20. April 2020 und dem Erlass des Bescheids vom 24. Juli 2020 nochmals zu einer Aussetzung der Untersuchungen gekommen wäre. Vielmehr findet sich auf der Homepage der …Service GmbH nach wie vor folgender Hinweis: „Ab dem 20.04.2020 wurde unter erhöhten Hygienebedingungen zum Schutz der Gesundheit unserer Mitarbeiter und Kunden der Untersuchungsbetreib wieder aufgenommen. Allerdings sind Besuche von Kunden bei uns in den Service Centern aufgrund der Pandemie weiterhin stark eingeschränkt und nur mit Termin möglich. Bitte setzen Sie sich gerne jederzeit telefonisch oder per mail mit uns in Verbindung. Vereinbarte Termine bestätigen Sie bitte am Vortag noch einmal telefonisch.“ Das Landratsamt hat den Prozessbevollmächtigten des Antragstellers auch mit Schreiben vom 12. Mai 2020 darüber informiert, dass es die Untersuchungsunterlagen nochmals an die …Service GmbH in Nürnberg übersandt habe. Es hätte daher dem Antragsteller oblegen, sich eigenständig um einen Begutachtungstermin zu bemühen oder das Landratsamt rechtzeitig zu informieren, falls ein solcher nicht vor Ablauf der Frist zur Vorlage des Gutachtens möglich gewesen wäre.
Angesichts dessen ist die pauschale und durch keinerlei Unterlagen oder Bestätigungen untermauerte Behauptung des Antragstellers, Untersuchungen seien auch in der Zeit von April bis Juni 2020 nicht durchgeführt worden, nicht ausreichend, die Notwendigkeit einer nochmaligen Fristverlängerung zu belegen. Insbesondere bestand für das Ausgangsgericht keine Veranlassung, hierzu die Geschäftsführerin der …Service GmbH als Zeugin zu befragen. Der entsprechende Antrag des Prozessbevollmächtigten des Antragstellers stellt lediglich einen Beweisermittlungsantrag zur Ausforschung des Sachverhalts dar, dem das Verwaltungsgericht im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht nachkommen musste und dem es aufgrund der bisherigen Erkenntnislage auch im Hauptsacheverfahren nicht nachkommen muss.
3. Die Beschwerde war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen.
4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nrn. 1.5, 46.1, 46.3, und 46.9 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
5. Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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