Medizinrecht

Berücksichtigung der Aufwendungen für künstliche Befruchtung im Einkommensteuerbescheid

Aktenzeichen  6 K 1423/17

Datum:
8.10.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
EFG – 2020, 50
Gerichtsart:
FG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Finanzgerichtsbarkeit
Normen:
EStG § 26a Abs. 2 S. 2, § 33 Abs. 1

 

Leitsatz

Tenor

1. Dem Finanzamt wird aufgegeben, den Einkommensteuerbescheid vom 29. März 2016 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 10. Mai 2017 dergestalt abzuändern, dass Aufwendungen in Höhe von 13.829,88 € als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger zu 68% und der Beklagte zu 32%.
3. Das Urteil ist im Kostenpunkt für den Kläger vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten des Klägers die Vollstreckung abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.

Gründe

II.
1.
Die Klage ist teilweise begründet.
a)
Nach § 33 Abs. 1 EStG wird die Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands erwachsen. Aufwendungen entstehen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann, soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG).
In ständiger Rechtsprechung geht der BFH davon aus, dass Krankheitskosten – ohne Rücksicht auf die Art und die Ursache der Erkrankung – dem Steuerpflichtigen aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig erwachsen. Allerdings werden nur solche Aufwendungen als Krankheitskosten berücksichtigt, die zum Zwecke der Heilung einer Krankheit oder mit dem Ziel erbracht werden, die Krankheit erträglich zu machen.
Im Hinblick auf die für den Abzug nach § 33 EStG erforderliche Zwangsläufigkeit wird nicht danach unterschieden, ob ärztliche Behandlungsmaßnahmen oder medizinisch erforderliche Hilfsmittel der Heilung dienen oder lediglich einen körperlichen Mangel ausgleichen sollen. Deshalb werden regelmäßig auch Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt, obwohl der körperliche Mangel durch die betreffende Maßnahme nicht behoben, sondern nur „umgangen“ oder kompensiert wird. Dementsprechend erkennt der BFH in ständiger Rechtsprechung Aufwendungen für die künstliche Befruchtung als Behandlung bei Sterilität an, wenn diese in Übereinstimmung mit den Richtlinien der Berufsordnungen für Ärzte vorgenommen wird (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs – BFH vom 17. Mai 2017 VI R 34/15, BFH/NV 2017, 1371, m.w.N.).
b)
Voraussetzung ist allerdings weiter, dass die den Aufwendungen zugrundeliegende Behandlung mit der innerstaatlichen Rechtsordnung im Einklang steht. Denn eine nach nationalem Recht verbotene Behandlung kann keinen zwangsläufigen Aufwand i.S. des § 33 Abs. 1 EStG begründen. Vielmehr ist von den Steuerpflichtigen zu erwarten, dass sie gesetzliche Verbote beachten. Aufwendungen für nach objektiv-rechtlichen Maßstäben verbotene Behandlungsmaßnahmen sind selbst dann nicht zwangsläufig, wenn sie nicht straf- oder bußgeldbewehrt sind oder wegen eines Strafausschließungsgrundes nicht geahndet werden. Als außergewöhnliche Belastungen sind daher Kosten für eine künstliche Befruchtung nur zu berücksichtigen, wenn die aufwandsbegründende Behandlung insbesondere nicht gegen das deutsche Embryonenschutzgesetz verstößt und mit den Richtlinien der Berufsordnungen für Ärzte im Einklang steht (vgl. Urteil des BFH vom 5. Oktober 2017 VI R 2/17, BFH/NV 2018, 194 m.w.N.).
Nach § 1 des Gesetzes zum Schutz von Embryonen (Embryonenschutzgesetz) darf in Deutschland eine Eizellenspende, im Gegensatz zu einer Fremdsamenspende, nicht vorgenommen werden. D.h. in Deutschland war die reproduktionsmedizinischen Behandlung der Ehefrau mit Eizellen ihrer Schwester nicht erlaubt. Unerheblich ist dabei, dass die Eizellenspenden nicht kommerziell waren und die Eizellenspende im Land der durchgeführten Übertragung zulässig war.
Eine Ungleichbehandlung zur zulässigen Samenspende liegt nicht vor. Nach der Begründung des Embryonenschutzgesetzes aus dem Jahr 1989 (Bundestags-Drucksache11/5460) soll mit dem Verbot der Eizellspende eine Aufspaltung der Mutterschaft in eine genetische Mutter – die Eizellspenderin – und eine austragende Mutter verhindert werden. Der Gesetzgeber befürchtet, dass diese gespaltene Mutterschaft zu besonderen Schwierigkeiten bei der Selbstfindung des Kindes führt und negative Auswirkungen auf die seelische Entwicklung hat, weil dieses entscheidend sowohl durch die von der genetischen Mutter stammenden Erbanlagen als auch durch die enge während der Schwangerschaft bestehende Bindung zur austragenden Mutter geprägt wird.
Die Behandlungskosten in Bezug auf die gespendeten Eizellen im Jahr 2014 in Höhe von 2.127,26 € könne daher nicht als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt werden.
c)
Erforderlich für den Abzug als außergewöhnliche Belastung ist, dass die künstliche Befruchtung mit dem Ziel erfolgt, die auf einer „Krankheit“ der Frau (Empfängnisunfähigkeit) oder des Mannes (Zeugungsunfähigkeit) beruhende Kinderlosigkeit zu beheben. Unter einer „Krankheit“ in diesem Sinne ist mit dem BFH, der seinerseits dem Begriffsverständnis der anderen oberen Bundesgerichte folgt, ein objektiv anomaler regelwidriger Körperzustand zu verstehen (vgl. BFH-Urteil vom 16. 12. 2010 VI R 43/10, BFH/NV 2011, 684, unter II. 2. a der Gründe).
Nach dem Finanzgericht Berlin-Brandenburg (Urteil 9 K 11390/16 vom 18. Oktober 2018, EFG 2019, 106 rkr.) ist davon der Fall abzugrenzen, dass eine objektiv feststellbare herabgesetzten Fertilität nicht auf anormalen organischen Ursachen, sondern auf dem fortgeschrittenen Alter eines Menschen beruht. Es handelt sich in diesem Fall gerade nicht um einen „regelwidrigen“ Körperzustand, sondern um die Folge eines natürlichen biologischen Vorgangs.
Dieser Ansicht folgt der Senat nicht. Das Alter der Klägerin, die bei Beginn der Kinderwunschbehandlung das 40. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte, stellt keinen Umstand dar, der einer Berücksichtigung der Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen entgegenstehen würde. Es liegen weder Anzeichen dafür vor, dass die durchgeführte Behandlung in diesem Alter als medizinisch nicht erfolgversprechend zu erachten wäre, noch kann davon ausgegangen werden, dass eine Schwangerschaft in diesem Alter keine gesellschaftliche Akzeptanz mehr finden würde (vgl. Urteil des Finanzgerichts München 10 K 2156/08 vom 20. Mai 2009, EFG 2009, 1462, vgl. dazu auch Anmerkung Lutter in EFG 2019, 108).
Die Ehefrau hatte in den Jahren 2011-2013 insgesamt vier Fehlgeburten. Entsprechend der Stellungnahme von Dr. NN war eine Kinderwunschbehandlung medizinisch indiziert. Unerheblich ist dabei, ob eine elterliche Chromosomenveränderung vorliegt. Denn die Krankheit „Kinderlosigkeit“ kann nicht deshalb verneint werden, weil die medizinische Wissenschaft die Ursachen nicht feststellen kann.
Der Senat geht jedenfalls dann von einer Krankheit aus, wenn eine Präimplantationsdiagnostik oder vergleichbare Verfahren gemäß § 3 Abs. 2 Satz 2 Embryonenschutzgesetz zulässig sind.
Bezüglich der Behandlung mit eigenen Eizellen der Ehefrau liegt kein Verstoß gegen das Embryonenschutzgesetz vor.
Für 2014 sind daher 26.998,76 € für die Kinderwunschbehandlung neben den bereits anerkannten Krankheitskosten in Höhe von 80 € (Ehefrau) und 581 € (Kläger), zusammen 27.659,76 als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen, die hälftig in Höhe von 13.829,88 € bei dem Kläger zu berücksichtigen sind (§ 26a Abs. 2 Satz 2 EStG). Der Senat versteht den Antrag dahin, dass die streitigen außergewöhnlichen Belastungen zusätzlich zu den unstreitigen Beträgen begehrt werden.
2.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten und über den Vollstreckungsschutz folgt aus § 151 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1, Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.
Das Gericht entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2 FGO).
Die Revision wird zugelassen.


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