Aktenzeichen 20 ZB 16.30110
Leitsatz
1 Die Ablehnung eines in der Verhandlung gestellten Beweisantrages verstößt gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze mehr findet. Ein solcher Verstoß, der zur Zulassung der Berufung führt, liegt vor, wenn das Gericht einen Beweisantrag mit der Begründung ablehnt, dass das Attest eines Psychologischen Psychotherapeuten nicht die Anforderungen des BVerwG (BeckRS 2008, 30091) an ein “fachärztliches Attest” zur Darlegung einer posttraumatischen Belastungsstörung erfülle. (redaktioneller Leitsatz)
2 Die gutachtliche Stellungnahme eines Psychologischen Psychotherapeuten ist zur Substantiierung eines Sachverständigen-Beweisantrages geeignet, denn auf Grund seiner fachlichen Qualifikation ist er befähigt, posttraumatische Belastungsstörungen zu diagnostizieren. (redaktioneller Leitsatz)
3 Ein Beweisantrag kann nicht mit der Begründung eines widersprüchlichen Verfolgungsvortrages abgelehnt werden, wenn sich das Vorbringen des Asylsuchenden vor Bundesamt und Gericht im Kern deckt und nur in Randbereichen Widersprüche aufweist, die auch auf einer unzureichenden Übersetzung beruhen können. (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I.
Die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 8. April 2016 wird zugelassen, soweit damit die Klage auf Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG abgewiesen wurde.
II.
Im Übrigen wird der Antrag auf Zulassung der Berufung verworfen.
III.
Dem Kläger wird Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt S., M., für das Zulassungsverfahren und das anschließende Berufungsverfahren bewilligt, soweit die Berufung zugelassen wurde. Im Übrigen wird der Prozesskostenhilfeantrag abgelehnt.
IV.
Die Kostenentscheidung bleibt der Berufungsentscheidung vorbehalten.
Gründe
1. Soweit der Zulassungsantrag sich auf die Klageabweisung hinsichtlich der im Hauptantrag begehrten Verpflichtung der Beklagten zur Gewährung subsidiären Schutzes im Sinne von § 4 AsylG bezieht, war er zu verwerfen, da insoweit eine § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG genügende Darlegung der Zulassungsgründe nicht erfolgt ist. Denn der geltend gemachte Zulassungsgrund einer dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs nicht gerecht werdenden Ablehnung der gestellten Beweisanträge betrifft allein die mit dem Hilfsantrag begehrte Verpflichtung zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes.
2. Im Übrigen ist der Zulassungsantrag jedoch zulässig und begründet.
Die rechtlich fehlerhafte Ablehnung eines in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrags stellt nicht immer einen Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs dar, sondern erst dann, wenn die Nichtberücksichtigung im Prozessrecht keine Stütze mehr findet (Berlit in GK-AsylVfG, 52. Ergänzungslieferung April 1998, § 78 Rn. 665 m. w. N.). Ein solcher qualifizierter Rechtsverstoß liegt hier vor, da das Attest bzw. der psychologische Bericht des Diplom-Psychologen und Psychologischen Psychotherapeuten H. S. vom 18. Januar 2016 die vom Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 11. September 2007 (Az. 10 C 8/07, BVerwGE 129, 251, Rn. 15 und Leitsatz 1) aufgestellten Anforderungen an ein fachärztliches Attest inhaltlich erfüllt.
Vorweg ist darauf hinzuweisen, dass der psychologische Bericht des Dipl.-Psych. S. nicht mit der Begründung zurückgewiesen werden konnte, dass es sich bei ihm nicht um einen Arzt, sondern um einen Psychologischen Psychotherapeuten handelt. Denn aus der ausschließlichen Erwähnung eines „fachärztlichen“ Attestes in der genannten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts folgt nicht, dass damit die gutachterliche Stellungnahme eines Psychologischen Psychotherapeuten zur Substantiierung eines Sachverständigen-Beweisantrags schlechthin ungeeignet wäre. Dies ergibt sich einerseits aus der vom Bundesverwaltungsgericht in der genannten Entscheidung vorgenommenen Einschränkung, dass „regelmäßig“ die Vorlage eines fachärztlichen Attestes erforderlich sei. Der Senat geht ebenso wie das OVG NRW (vgl. u. a. B.v. 19.12.2008, Az. 8 A 3053/08.A, InfAuslR 2009, 173 – 174) davon aus, dass auch Psychologische Psychotherapeuten aufgrund ihrer Ausbildung (vgl. § 5 Psychotherapeutengesetz – PsychThG) und ihrer fachlichen Qualifikation befähigt sind, psychische Erkrankungen wie auch posttraumatische Belastungsstörungen zu diagnostizieren (ebenso VG München, U.v. 28.7.2015 – M 2 K 14.31070 – juris, U.v. 14.2.2014 – M 21 K 11.30993 – juris; VG Augsburg, U.v. 21.6.2013 – Au 7 K 13.30077 – juris). Der psychologische Bericht vom 18. Januar 2016 enthält sowohl die nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts erforderlichen Pflichtangaben zur Beschreibung des Krankheitsbildes, zur Dauer und Häufigkeit der Behandlung und (obwohl unter der alleinigen Zwischenüberschrift des gesamten zweiseitigen Berichts „Anamnese“ aufgeführt) Aussagen über die Bestätigung der durch Anamnese des Betroffenen geschilderten Beschwerden durch die Diagnose des Behandelnden. Auch die als „Soll-Anforderungen“ vom Bundesverwaltungsgericht formulierten Angaben über Schwere der Krankheit und Behandlungsbedürftigkeit liegen vor. Allenfalls die Angaben über den Behandlungsverlauf sind etwas knapp geraten, als insoweit nur ausgeführt wird, dass das Verhältnis zur Belastung krankheitsbedingt massiv gestört sei. Da die sonstigen Angaben aber komplett vorhanden sind und der psychologische Bericht insgesamt ein anschauliches Bild über das Krankheitsbild wiedergibt, sind die Mindestanforderungen gewahrt.
Die Beweisanträge auf Einvernahme des Dipl.-Psych. S. (wofür nach der zutreffenden Rechtsprechung des VGH BW, B.v. 9.7.2012, Az. A 9 S 1359/12, AuAS 2012, 211, Leitsatz 1 und Rn. 14, die gleichen Grundsätze wie nach dem Urteil des BVerwG vom 11.9.2007 gelten) sowie auf Einholung eines Sachverständigengutachtens konnten auch nicht wegen eines unauflöslich widersprüchlichen Verfolgungsvortrags abgelehnt werden. Nach dieser Rechtsprechung greift das Gebot, ordnungsgemäß gestellten Beweisanträgen nachzugehen dann ausnahmsweise nicht, wenn das das Asylbegehren stützende Vorbringen in sich so unschlüssig und widersprüchlich ist, dass ein sachliches Substrat für eine Beweiserhebung zu einzelnen Elementen des Vorbringens fehlt (vgl. zum Ganzen Berlit in GK-AsylVfG, 52. Ergänzungslieferung, April 1998, § 78 Rn. 364 m. w. N.). Denn im vorliegenden Fall deckt sich der Kernbereich des Vorbringens des Klägers beim Bundesamt wie in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht mit seinen Angaben bei diversen Ärzten und Psychologen, die er wegen seiner psychischen Beschwerden aufgesucht hat. Nur in Randbereichen finden sich hier Widersprüche, deren Ursache in der jeweiligen Situation durchaus auch durch unzureichende Übersetzung gesetzt worden sein kann. Unauflösliche Widersprüche liegen aber nicht vor.
Dementsprechend liegen, soweit dem Antrag auf Zulassung der Berufung stattzugeben war, auch die Voraussetzungen für eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Rechtsanwaltsbeiordnung nach § 166 VwGO i. V. m. §§ 114 ff. ZPO vor.
Wegen des Grundsatzes der Einheitlichkeit der Kostenentscheidung bleibt diese der Entscheidung über die Berufung vorbehalten (vgl. zum Ganzen Rudisile in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 30. Ergänzungslieferung Februar 2016, § 124a, Rn. 136 m. w. N.).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylG, § 152 VwGO.