Medizinrecht

Bescheid, Ermessensentscheidung, Vollziehung, Untersagung, Vollziehbarkeit, Versammlung, Widerspruch, Anordnung, Versammlungsleiter, Gegenstandswert, Klage, Antragsteller, Auskunft, Veranstalter, aufschiebende Wirkung, aufschiebenden Wirkung, Anordnung der sofortigen Vollziehung

Aktenzeichen  RN 4 S 20.2278

Datum:
18.9.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 24617
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500 € festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die Untersagung der bewegten Versammlung „…“ am 19.9.2020 von 13.30 bis 15 Uhr durch die Antragsgegnerin.
Am 16.9.2020 zeigte der Antragsteller für den 19.9.2020 eine sich fortbewegende Versammlung unter freiem Himmel an. Diese soll von 13.30 bis 15 Uhr vom Bismarckplatz über die Zweibrücken straße, Postplatz, Bischof Sailer Platz, Neustadt, Spiegelgasse, obere Altstadt, Innere Münchner Straße, Kupfereck, Grieserwiese zur Ringlstecherwiese führen. Als erwartete Teilnehmerzahl wird in der Anzeige 400 genannt. Unter dem 17.9.2020 legte …, der in der Anzeige als Versammlungsleiter benannt ist, für die Versammlung ein Hygiene- und Sicherheitskonzept vor. Diesem lässt sich u.a. folgende entnehmen: Es sollen 40 Ordner zum Einsatz gelangen, die durch entsprechende Warnwesten kenntlich gemacht werden und blockweise pro 10 Teilnehmer auf den Zug verteilt eingesetzt werden. Für die Koordination der Ordner soll ein Leiter eingesetzt werden, welcher die Kommunikation zwischen den Ordnern in Abstimmung mit dem Versammlungsleiter sowie den begleitenden Polizeikräften führt.
Unter dem 18.9.2020 erließ die Antragsgegnerin gegenüber Herrn … folgenden Bescheid, in dessen Betreff der Antragsteller namentlich genannt ist und der nach den Angaben der Antragsgegnerin auch an den Antragsteller zugestellt wurde:
1. Gemäß Art. 15 Abs. 1 BayVersG wird die Durchführung der unter Ziffer I angezeigten Versammlung untersagt.
2. Die vorstehende Nr. 1 wird für sofort vollziehbar erklärt.
3. Dieser Bescheid ergeht kostenfrei (Art. 26 BayVersG)
Vorgetragen wird, gem. § 5 Abs. 1 Satz 1 der 6. BayIfSMV seien Versammlungen derzeit grundsätzlich untersagt. Versammlungen im Sinne des Art. 2 des BayVersG seien nach Maßgabe des § 7 der 6. BayIfSMV vom Versammlungsverbot des § 5 Abs. 1 Satz 1 der 6. BayIfSMV ausgenommen. Aufgrund der derzeitigen infektionsschutzrechtlichen Gefahren durch die Corona-Pandemie sei es erforderlich gewesen, die sich fortbewegende Versammlung zu untersagen (§ 7 Abs. 1 Satz 4 der 6. BayIfSMV, Ziff. II Nr. 1 des Bescheides). Wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei der Durchführung einer Versammlung unmittelbar gefährdet sei oder ein Verbotsgrund nach Art. 12 Abs. 1 BayVersG vorliege, könne die zuständige Behörde die Versammlung beschränken oder verbieten. Die grundrechtlich geschützte Versammlungsfreiheit habe zurückzutreten, wenn dies zum Schutz anderer gleichwertiger Rechtsgüter notwendig sei. Es liege eine Sachlage vor, die bei ungeregeltem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die der Versammlungsfreiheit entgegenstehenden Interessen der öffentlichen Sicherheit führe. Nach dem gegenwärtigen Infektionsgeschehen mit einem teils deutlichem Anstieg des 7-Tage-Inzidenzswertes in Landshut in den vergangenen Wochen auf über 35 bzw. 50 sei nach wie vor, insbesondere bei sich fortbewegenden Menschenansammlungen, ein nicht zu unterschätzendes Infektionsrisiko gegeben. Das Verbot sei erforderlich, geeignet und verhältnismäßig, um die von der Versammlung ausgehenden Infektionsgefahren auf ein infektionsschutzrechtlich vertretbares Maß zum Schutz der zentralen Rechtsgüter Leben und Gesundheit angesichts der gegenwärtigen Pandemie zu beschränken. Nach Prüfung der örtlich gegebenen straßenbaulichen Rahmenbedingungen und des unzureichenden Schutzkonzepts des Veranstalters lägen die Anforderungen nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 6. BayIfSMV nicht vor und könnten nicht durch Beschränkungen sichergestellt werden, es werde eine Durchführung der sich fortbewegenden Versammlung aus infektionsschutzrechtlichen Aspekten nicht für vertretbar erachtet. Aus diesen Gründen sei die Versammlung letztlich gem. § 7 Abs. 1 Satz 4 6. BayIfSMV zu untersagen gewesen. Nach Überprüfung des durch den Antragsteller am 17.9.2020 vorgelegten Hygiene- und Sicherheitskonzepts könne dieses nach Überzeugung der Versammlungsbehörde nicht ausreichend sicherstellen, dass die von der Versammlung ausgehenden Infektionsgefahren auf ein infektionsschutzrechtlich vertretbares Maß beschränkt blieben. Es fänden sich darin v.a. allgemein gehaltene Absichtserklärungen, die hinsichtlich der kritischen räumlichen bzw. städtebaulichen Gegebenheiten der angemeldeten Wegstrecke (insbesondere Engstellen in der Grasgasse sowie in der Spiegelgasse) sowie dem am Versammlungstag zur Durchführungszeit erwartbaren hohen Personenaufkommen in der Landshuter Innenstadt keine konkreten Detaillösungen zur Einhaltung von Infektionsschutzmaßnahmen (insbesondere die Einhaltung von Mindestabständen gegenüber Passanten) aufzeigten. Es sei auch in keiner Weise dargelegt worden, wie der Umzug mit einer Teilnehmerzahl von 400 Personen unter Einhaltung der geltenden Infektionsschutzbestimmungen am Standort Bismarckplatz koordiniert bzw. aufgestellt werden solle. Im Streckenabschnitt der Grasgasse biete die Fahrbahn unter Berücksichtigung der südlichen Parkspur schon die für den Umzug benötigte Mindestbreite von 4,5 m nicht durchgängig. Zum Versammlungszeitpunkt sei die Parkspur stets belegt, der nördliche Gehweg der Grasgasse wegen der Ladenzeile stark frequentiert. Dies träfe noch stärker im Bereich der Spiegelgasse zu. Hier betrage die Fahrbahnbreite zwischen Balsgäßchen und Altstadt zwischen 2,0 m und 4,3 m (ohne Gehsteige), an der engsten Stelle sei die Gasse insgesamt ca. 4 m breit. Auf der geplanten Zugstrecke träten wechselnd breite nutzbare Versammlungsflächen auf, die baulich teils so schmal seien, dass 400 Personen in 3 Reihen diese unter Einhaltung der Mindestabstände untereinander und zu Dritten aus tatsächlichen Gründen nicht passieren könnten. Ein an die jeweilige Situation angepasster Wechsel der Formation (2 Reihen bzw. 1 Reihe) sei aus infektionsschutzrechtlichen Gründen abzulehnen, hierbei könne nicht gewährleistet sein, dass die Mindestabstände unter den Teilnehmern immer wieder unterschritten würden. Der Veranstalter sei auf diese Problematik in seinem Konzept nicht eingegangen und habe hierzu keinerlei Ausführungen gemacht. Damit sei letztlich nicht sichergestellt, dass die von der Versammlung ausgehenden Infektionsgefahren auf ein infektionsschutzrechtlich vertretbares Maß beschränkt blieben. Die Maßnahme sei geeignet, dem derzeit sehr volatilen Infektionsgeschehen in der Stadt mit aktuell wieder steigenden Zahlen zu begegnen. Das mildere Mittel einer Beschränkung der Teilnehmerzahl führe letztlich zu keiner anderen Bewertung. Sie mindere das Infektionsrisiko zwar in quantitativer, nicht jedoch in qualitativer Hinsicht. Eine alternative gleichwertige zentrumsnahe Versammlungsroute biete sich aus tatsächlichen Gründen nicht an. Die getroffene Maßnahme sei verhältnismäßig. Das Interesse an einer sich fortbewegenden Veranstaltung, die bei der angegebenen Teilnehmerzahl und der Länge des Zugwegs ein erheblich höheres Infektionsrisiko berge als eine ortsfeste Veranstaltung wiege gegenüber den zu schützenden Grundrechtsgütern Gesundheit und Leben von Versammlungsteilnehmern und unbeteiligten Dritten wesentlich weniger schwer. Es bestehe ein erhebliches öffentliches Interesse, daran der Veranstalter die Versammlung nicht durchführen könne und die hiervon ausgehenden Gesundheitsgefährdungen vermieden werden.
Der Antragsteller ließ durch seinen Bevollmächtigten einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes stellen. Vorgetragen wird, die Ausführungen der Antragsgegnerin würden das Verbot nicht tragen. Es sei zum einen nicht ersichtlich, warum an den Engstellen mit dem vorgelegten Ordnerkonzept von einem Ordner je 10 Teilnehmern nicht die Rotten zu je drei Personen auf je zwei Personen verkleinert werden könnten und im Rahmen des notwendigen Sicherheitsabstandes die Engpässe passiert werden könnten. Abstände zu Fußgängern und sonstigen Passanten könnten durch Absperrband (Flatterband) und mithilfe der Polizei für den kurzfristigen Zeitraum hergestellt werden. Hierfür sei auch ein kooperatives Verhalten der Antragsgegnerin erforderlich. Der Bevollmächtigte des Antragstellers legt im Antragsschriftsatz ein „Hygiene- und Sicherheitskonzept für die bewegte Versammlung „Ruf der Trommeln“ am 19.9.2020 von 13.30 Uhr bis 15 Uhr mit der Alternativroute Start: Bahnhofsplatz Landshut; Strecke: Altdorfer StraßeSeligenthaler StraßeJohannis straße- RennwegLuitpold straße- Witt straße; Endpunkt: Parkplatz Grieserwiese“ vor.
Der Antragsteller beantragt,
1. Die aufschiebende Wirkung (der noch einzureichenden Klage) gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 18.9.2020 wird angeordnet.
Hilfsweise:
Die aufschiebende Wirkung (der noch einzureichenden Klage) gegen den Bescheid des Antragsgegnerin vom 18.9.2020 wird angeordnet mit der Maßgabe, dass die Aufzugsstrecke wie folgt festgelegt wird: Start: Bahnhofsplatz Landshut Strecke: Altdorfer StraßeSeligenthaler StraßeJohannis straße- RennwegLuitpoldstraßeWitt straße Endpunkt: Parkplatz Grieserwiese
2. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Gegenstandswert wird festgesetzt.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Vorgetragen wird, die angemeldete Fortbewegungsveranstaltung habe in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens untersagt werden können. Grundlage hierfür sei das Ergebnis der von der Antragsgegnerin vorgenommenen Gefährdungsbeurteilung, die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls auf die derzeitige, besonders volatil einzuschätzende infektionsepidemiologische Lage in der Stadt Landshut (mit einer 7-Tage-Inzidenz/100.000 EW nahe dem Warnwert von 35 EW) und die bei nicht ortsfest durchgeführten Versammlungen der hier gegenständlichen Größenordnung (ca. 400 Teilnehmer) trotz Einhaltung bestimmter Schutz- und Hygienemaßnahmen bestehenden Infektionsrisiken mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 abstellt habe. Es werde nicht hinreichend dargetan, dass das vorgelegte Hygienekonzept geeignet sei, die bestehenden Risiken auf ein infektionsschutzrechtlich vertretbares Maß zu beschränken. Die vorgeschlagene Alternativroute stelle einen neuen, in der Anmeldung der Versammlung nicht enthaltenen Sachvortrag dar, der am Ergebnis der vorgenommenen Beurteilung nichts zu ändern vermöge. Abgesehen davon, dass an den genannten Straßen ebensolche Verhältnisse herrschten wie an den erstangemeldeten Straßen, bestehe zwischen diesen Straßen (Altdorfer Straße, Seligenthaler Straße, Johannis straße, Rennweg und Luitpold straße), wenn der Anfangspunkt der Bahnhofsplatz und der Zielpunkt die Grieserwiese sein solle, keine durchgehende Verbindung. Würde die Route zugelassen, könnte sich die Fortbewegungsversammlung gewissermaßen beliebig durch große Teile des Stadtgebiets bewegen. Eine Kontrolle wäre mit den verfügbaren Kräften praktisch ausgeschlossen.
Auf richterlichen Hinweis hat der Antragsteller durch seinen Bevollmächtigten am 18.09.2020 Klage erhoben und beantragt, den Bescheid der Beklagten vom 18.09.2020 aufzuheben.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte mit den eingereichten Schriftsätzen, sowie die seitens der Antragsgegnerin vorgelegten Unterlagen Bezug genommen.
II.
1. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist zulässig.
Dem Antragsteller fehlt nicht die Antragsbefugnis gem. § 42 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) analog. Er ist nach Ansicht des Gerichts als Adressat des Bescheides anzusehen. Zwar ist der dem Gericht vorliegende Bescheid nicht an ihn, sondern an Herrn … adressiert. Jedoch ist der Antragsteller im Betreff des Bescheides „Öffentliche Versammlung (ortsfest und sich fortbewegend) unter freiem Himmel in der Stadt Landshut des Herrn …, …, …“ genannt. Außerdem ist er in der Anzeigenbestätigung als Veranstalter und Leiter der Versammlung aufgeführt. Nach Auskunft der Stadt Landshut wurde der Bescheid auch an ihn versendet. Insofern ist nach derzeitigem Sachstand jedenfalls der Rechtsschein der Adressatenstellung des Antragstellers gesetzt, woraus sich dessen Antragsfugnis ableitet.
2. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist sowohl im Hauptantrag, als auch im Hilfsantrag erfolglos.
Gemäß § 80 Abs. 1 VwGO haben Widerspruch und Klage grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Diese entfällt allerdings nach § 80 Abs. 2 VwGO dann, wenn die Anordnung kraft Gesetzes sofort vollziehbar ist oder die Behörde die sofortige Vollziehbarkeit eines Verwaltungsakts im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten besonders anordnet (Ziffer 2 des Bescheides). In diesen Fällen kann das Gericht nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Antrag die aufschiebende Wirkung von Klage und Widerspruch anordnen (wenn diese aufgrund Gesetzes ausgeschlossen ist) oder wiederherstellen (wenn eine Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO vorliegt). Das Gericht trifft insoweit eine eigene Ermessensentscheidung. Es hat dabei zwischen dem von der Behörde geltend gemachten Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit ihres Bescheides und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs abzuwägen. Bei dieser Abwägung sind vorrangig die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die gebotene summarische Prüfung, dass Rechtsbehelfe gegen den angefochtenen Bescheid keinen Erfolg versprechen, tritt das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung regelmäßig hinter das Vollziehungsinteresse zurück und der Antrag ist unbegründet. Erweist sich die erhobene Klage hingegen bei summarischer Prüfung als zulässig und begründet, dann besteht kein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit des Bescheides und dem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist stattzugeben. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht ausreichend absehbar, muss das Gericht die widerstreitenden Interessen im Einzelnen abwägen. Die Begründetheit eines Antrags auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann sich daneben auch daraus ergeben, dass die behördliche Anordnung der sofortigen Vollziehung rechtswidrig ist, weil sie den formellen Anforderungen nicht genügt.
Gemessen an diesen Maßstäben ist dem Antrag stattzugeben. Die Anordnung ist kraft Gesetzes sofort vollziehbar (dazu a)). Bei summarischer Prüfung erweist sich die Untersagung der sich fortbewegenden Versammlung hinsichtlich der ursprünglichen Route als rechtmäßig (dazu b)). Soweit die Untersagung die alternative Route betrifft, sind die Erfolgsaussichten nach derzeitigem Sachstand offen. Eine Interessenabwägung ergibt jedoch, dass das Interesse an der Vermeidung von Gesundheitsgefahren höher zu gewichten ist, als das Interesse des Antragstellers an der Wahrung seiner Versammlungsfreiheit. (dazu c)).
a) Gem. Art. 25 des Bayerischem Versammlungsgesetzes (BayVersG) haben Klagen gegen Entscheidungen nach diesem Gesetz keine aufschiebende Wirkung. Die Untersagung der Versammlung wurde auf Art. 15 Abs. 1 BayVersG gestützt. Insofern kann dahinstehen, ob die Anordnung des Sofortvollzugs in Nr. 2 des Bescheides formell rechtmäßig war.
b) Rechtsgrundlage der Anordnung ist Art. 15 Abs. 1 BayVersG. Danach kann die zuständige Behörde eine Versammlung beschränken oder verbieten, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist. Gefährdungen der Gesundheit und des Lebens, wie sie die Antragsgegnerin hier anführt, können daher prinzipiell Beschränkungen und Untersagungen von Versammlungen rechtfertigen, zumal Leben und körperliche Unversehrtheit ihrerseits verfassungsrechtlich geschützt sind (BayVGH, B.v. 30.4.2020 – 10 CS 20.999 – juris Rn. 23). Allerdings ist mit dem Merkmal der unmittelbaren Gefährdung ein hoher Gefahrenmaßstab angesprochen, den nicht schlechterdings jede zu erwartende Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit erreicht. § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Sechste Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (6. BayIfSMV) führt vor diesem Hintergrund aus, dass die Versammlungsbehörden soweit im Einzelfall erforderlich durch Beschränkungen sicherzustellen haben, dass die von der Versammlung ausgehenden Infektionsgefahren auf ein infektionsschutzrechtlich vertretbares Maß beschränkt bleiben. Gem. § 7 Abs. 1 Satz 4 6. BayIfSMV ist die Versammlung zu verbieten, sofern die Anforderungen nach Satz 2 auch durch Beschränkungen nicht sichergestellt werden können.
Dabei darf die Behörde keine völlige Risikofreiheit im Sinne einer absoluten infektionsschutzrechtlichen „Unbedenklichkeit“ fordern (vgl. BayVGH, B.v. 30.4.2020 – 10 CS 20.999 – juris Rn. 24 zur Vorgängervorschrift aus der 2. BayIfSMV). Sie hat vielmehr eigene Überlegungen zur Minimierung von Infektionsrisiken anzustellen (BVerfG, B.v. 17.4.2020 – 1 BvQ 37/20 – juris Rn. 25) und ist daher verpflichtet, sich um eine kooperative, einvernehmliche Lösung mit dem Versammlungsveranstalter zu bemühen (BayVGH, B.v. 30.4.2020 – 10 CS 20.999 – juris Rn. 24). Bei ihrer Entscheidung hat die Behörde auch zu würdigen, dass Art. 8 Abs. 1 GG nicht nur das Recht zur Teilnahme an öffentlichen Versammlungen gewährleistet, sondern dem Veranstalter zugleich ein Selbstbestimmungsrecht hinsichtlich der Modalitäten der Versammlung gewährt, also namentlich zu der Frage, ob sie als Aufzug durchgeführt wird und an welchen Orten sie stattfinden soll (BVerfG, B.v. 20.12.2012 – 1 BvR 2794/10 – juris Rn. 16).
Angesichts dieser Maßstäbe liegt nach Ansicht der Kammer bei summarischer Prüfung nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung bei Durchführung der Versammlung vor.
Zur Begründung wird auf die Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid verwiesen (§ 117 Abs. 5 VwGO analog). Ergänzend wird auf Folgendes hingewiesen:
Eine Gefährdung besteht aufgrund der derzeit gegebenen infektionsschutzrechtlichen Gefahren durch die Corona-Pandemie. Wegen des derzeitigen 7-Tage-Inzidenzwertes (Summe der Neuinfektionen an sieben aufeinanderfolgenden Tagen/ 100.000 EW) von 33,1 in Landshut, der nur knapp unter dem Wert von 35 liegt, besteht insbesondere bei sich fortbewegenden Menschenansammlungen ein nicht zu unterschätzendes Infektionsrisiko. Die Stadt Landshut steht derzeit auf Platz 13 der Städte mit den meisten Infizierten (Täglicher Lagebericht des Robert-Koch-Instituts zur Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) vom 18.09.2020).
Im Hinblick auf die in der Anzeige angegebenen ursprünglichen Route ist nicht gewährleistet, dass zwischen allen Teilnehmern ein Mindestabstand von 1,5 m gewahrt wird und somit jeder Körperkontakt mit anderen Versammlungsteilnehmern oder Dritten vermieden werden kann.
Die Stadt Landshut hat nachvollziehbar dargelegt, dass nach Prüfung der örtlich gegebenen straßenbaulichen Rahmenbedingungen die Anforderungen nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 6. BayIfMV nicht vorliegen und durch Beschränkungen nicht sichergestellt werden können. Das Hygienekonzept kann nach Ansicht der Kammer nicht ausreichend sicherstellen, dass die von der Versammlung ausgehenden Infektionsgefahren auf ein infektionsschutzrechtlich vertretbares Maß beschränkt bleiben. Insbesondere folgt die Kammer der Begründung des Bescheides dahingehend, dass sich im Hygienekonzept lediglich allgemein gehaltene Absichtserklärungen finden, die hinsichtlich der kritischen räumlichen bzw. städtebaulichen Gegebenheiten der angemeldeten Wegstrecke keine konkreten Detaillösungen zur Einhaltung der Infektionsschutzmaßnahmen, insbesondere der Einhaltung von Mindestabständen unter den Versammlungsteilnehmern sowie gegenüber Passanten, aufzeigen. Zu berücksichtigen ist vor allem auch die Tatsache, dass die Versammlung an einem Samstagnachmittag, also zu einem Zeitpunkt in der Altstadt stattfinden soll, zu dem ein hohes Personenaufkommen zu erwarten ist. Es ist zudem nicht dargelegt, wie die Versammlung unter Einhaltung der geltenden Infektionsschutzbestimmungen am Startpunkt Bismarckplatz koordiniert werden soll. Nach dem Veranstaltungskonzept soll der Versammlungszug aus drei Rotten bestehen. Für diese Formatierung wird unter Wahrung der Mindestabstände von 1,5 m eine Mindestbreite von 4,5 m und eine Länge (mit Fahrzeugen) von ca. 250 m benötigt. Der Bismarckplatz ist eine zentrale ÖPNV-Strecke zwischen Bahnhof und Buszentrale Altstadt und wird auch von Fußgängern und Radfahrern stark frequentiert.
Gerade bei einer sich fortbewegenden Versammlung ist die Einhaltung von Mindestabständen unter den Versammlungsteilnehmern und zu Dritten erheblich schwieriger sicherzustellen, als bei einer ortsfesten Versammlung, weshalb ein deutlich höheres Ansteckungsrisiko besteht. Mildere Mittel, wie die Beschränkung der Teilnehmerzahl, sind nicht gleich geeignet, weil dadurch das Infektionsrisiko für die Versammlungsteilnehmer und Dritte nicht auf gleiche Weise gemindert wird. Eine Modifikation der Rotten von drei auf zwei in Streckenabschnitten, in denen die Einhaltung der Mindestabstände bei drei Rotten nicht möglich ist, ist auch nicht als mildere Maßnahme in Betracht zu ziehen. Durch die neue Anordnung der Versammlungsteilnehmer besteht vielmehr die erneute Gefahr einer Vermengung derselben unter Nichteinhaltung der Mindestabstände.
Auch schränkt das Versammlungsverbot das Recht des Antragstellers aus Art. 8 Abs. 1 GG nicht in unverhältnismäßiger Weise ein. Zum Schutz der Bevölkerung vor einer Infizierung ist eine Einschränkung der Versammlungsfreiheit gerechtfertigt. Aufgrund der weltweiten Ausnahmesituation durch die Pandemie und den auch in der Stadt Landshut vermehrten CoronaInfektionen sind Gesundheit und Leben der Versammlungsteilnehmer und unbeteiligten Dritten als höchstes Gut wesentlich gewichtiger einzustufen, als das Recht, eine sich fortbewegende Versammlung abzuhalten. Dies gilt vor allem auch im Hinblick auf die Tatsache, dass dem Antragsteller im Anschluss an die hier versagte sich fortbewegende Versammlung eine ortsfeste Versammlung mit gleicher Thematik genehmigt wurde.
c) Die hier gebotene, aber auch ausreichende summarische Überprüfung der Sach- und Rechtslage zeigt, dass die Erfolgsaussichten der Hauptsacheklage hinsichtlich des Hilfsantrags offen sind. Allerdings geht die vorzunehmende Interessenabwägung zu Lasten des Antragstellers.
Die seitens des Antragstellers im Hilfsantrag für die Versammlung benannte Alternativroute wurde im bisherigen Verwaltungsverfahren nicht geprüft. Nähere Erkenntnisse zu den räumlichen Verhältnissen dieser Route (Frequentiertheit, Straßenbreite, usw.) liegen dem Gericht nicht vor. Über google maps lässt sich zwar erkennen, dass dieser Routenverlauf zumindest teilweise über breitere Straßen (u.a. B 15) erfolgen soll. Wie genau sich die Route gestaltet, ist jedoch nicht ersichtlich, da seitens des Antragstellers kein konkreter Plan (Straßenkarte) vorgelegt wurde, auf dem der genaue Verlauf der Route ersichtlich wäre. Es wurden lediglich Straßennamen genannt. Seitens der Antragsgegnerin wurde gegen die Alternativroute eingewandt, dass an den genannten Straßen ebensolche Verhältnisse herrschen wie an den erstangemeldeten Straßen und dass zwischen diesen Straßen (Altdorfer Straße, Seligenthaler Straße, Johannis straße, Rennweg und Luitpold straße), wenn der Anfangspunkt der Bahnhofsplatz und der Zielpunkt die Grieserwiese sein soll, keine durchgehende Verbindung bestehe. Diesen Einwand der Antragsgegnerin vermag das Gericht allein anhand der über google maps gewonnen Erkenntnisse nicht zu entkräften. Es ist dem Gericht auch im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht möglich, anderweitig konkretere Erkenntnisse zu erlangen. Der Antrag wurde am 18.9.2020 um 19:18 Uhr bei Gericht eingereicht, die Versammlung soll am 19.9.2020 um 13.30 Uhr stattfinden. Bei Abwägung der hier einander gegenüberstehenden Interessen -Versammlungsfreiheit des Antragstellers einerseits und der Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch die Antragsgegnerinist hier aus Sicht des Gerichts das Interesse an einem Schutz der Gesundheit, insbesondere im Hinblick auf die Entwicklung des Infektionsgeschehens im Stadtgebiet der Antragstellerin, höher zu bewerten als das Interesse des Antragstellers daran, die Versammlung auf der Alternativroute durchzuführen. Bei dieser Interessenbewertung wurde insbesondere auch berücksichtigt, dass dem Antragsteller seitens der Antragsgegnerin eine stationäre Versammlung genehmigt wurde, so dass durchaus die Möglichkeit besteht, die mit der untersagten Versammlung verfolgten Ziele, wenn auch in verkleinertem Rahmen, kundzutun.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
4. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziffern 45.4 des Streitwertkatalogs (Die Kammer hat auf eine Verminderung des Streitwerts nach Nr.1.5 des Streitwertkatalogs verzichtet, weil mit dem vorliegenden Beschluss die Hauptsache vorweggenommen wird).


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