Medizinrecht

Beschwerde, Erkrankung, Attest, Streitwertfestsetzung, Diagnose, Versicherung, Feststellung, Antragsteller, Kind, Glaubhaftmachung, Befreiung, Eltern, Beurteilung, Kostenentscheidung, eidesstattliche Versicherung, einstweiligen Rechtsschutz

Aktenzeichen  20 CE 20.2985

Datum:
25.1.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 7557
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

RO 14 E 20.2849 2020-11-26 Bes VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Regensburg vom 26. November 2020 (RO 14 E 20.2849) wird in Ziff. I. und II. geändert. Es wird im Wege der einstweiligen Anordnung festgestellt, dass der Antragsteller nach § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 11. BayIfSMV von der Maskenpflicht befreit ist.
II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Antragsteller von der Verpflichtung, auf dem Schulgelände eine Mund-Nasen-Bedeckung (MNB) zu tragen, befreit ist.
Der Antragsteller besucht die 7. Klasse einer Mittelschule in Bayern. Er hat mehrere ärztliche Atteste und eine eidesstattliche Versicherung seiner Eltern vorgelegt, um glaubhaft zu machen, dass ihm das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung (MNB) aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich oder unzumutbar sei. Das zuletzt vorgelegte ärztliche Attest des Dr. F. vom 23. November 2020 listet diverse Diagnosen beim Antragsteller auf (nebst der jeweiligen ICD-10-Codes), darunter u.a. „AktivitätsAufmerksamkeitsstörung“, „akute Belastungsreaktion“, „Atemnot“, „emotionale Störung mit Ängstlichkeit“, „Konzentrationsstörungen“, „Koordinations- und Gleichgewichtsstörungen“, „Kopfschmerz“ und „Schwindel“ und hat außerdem folgenden Wortlaut:
„Da G.B. mehrere Grundkrankheiten im psycho-emotionalen Bereich aufweist und darüber hinaus schwerwiegende Störungen wie ADS und LRS zeigt, ist zu befürchten, dass bei dem Jungen durch das Gezwungen sein, eine Mund-Nasen-Bedeckung (MNB) tragen zu müssen, seine ursprünglich sehr ausgeprägt vorhandenen und über aufwändige Therapien der letzten Jahre auf ein verträgliches Niveau reduzierten Symptome nicht nur, wie zu erwarten war und aktuell berichtet wird, wieder aufflammten bzw. wieder aufflammen, sondern bei weiterer Verschlechterung m.E. eine komplette Schulunfähigkeit droht (…). Eine Trageverpflichtung bezüglich einer MNB ist bei vorliegender repressiver Symptomatik unverantwortlich, bei diesem Kind kontraindiziert und daher nicht nur unzumutbar, sondern aus medizinischer Sicht nicht möglich (…) Bei der Erstellung dieses ärztlichen Zeugnisses wurde unter Beachtung des § 25 der bayerischen Berufsordnung für Ärzte mit der notwendigen Sorgfaltsverfahren nach bestem Wissen eine ärztliche Überzeugung ausgesprochen.“
Das Verwaltungsgericht Regensburg hat den Eilantrag auf vorläufige Feststellung, dass der Antragsteller von der Maskenpflicht auf dem Schulgelände aus gesundheitlichen Gründen befreit ist, mit Beschluss vom 26. November 2020 abgelehnt und zur Begründung ausgeführt, es fehle an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs. Insbesondere genüge hierfür nicht das o.g. Attest vom 23. November 2020. Bei dem ausstellenden, dem Gericht bereits aus anderen Verfahren bekannten Arzt bestehe der Eindruck, dass dieser das Tragen einer MNB generell kritisch ansehe und Atteste ohne Betrachtung des Einzelfalls und der sich für jeden Patienten differenziert darstellenden medizinischen Besonderheiten erstelle. Das Attest erschöpfe sich in einer Auflistung zahlreicher Symptome sowie Vor- und Grunderkrankungen, ohne dass eine irgendwie geartete Verknüpfung zwischen den Erkrankungen und den Symptomen dargelegt werde. Inwieweit zudem aus den Erkrankungen eine Maskenunverträglichkeit resultieren solle, werde nicht dargelegt. Ferner ergebe sich aus dem Attest nicht, wie die aufgelisteten maskenbedingten Symptome ermittelt worden seien.
Mit seiner Beschwerde beantragt der Antragsteller die Abänderung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses und die Feststellung, dass er von der Maskenpflicht auf dem Schulgelände aus gesundheitlichen Gründen befreit sei. Zumindest das zuletzt vorgelegte Attest vom 23. November 2020 genüge den Anforderungen der Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung und belege, dass dem Antragsteller das Tragen einer MNB aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich sei.
Der Antragsgegner tritt der Beschwerde entgegen und verweist zur Begründung im Wesentlichen auf die angegriffene Entscheidung. Die „Diagnosen“ stünden nebeneinander, die Atteste wiesen keine innere, nachvollziehbare Geschichte auf, und es sei keine Diagnose- oder gar Behandlungshistorie dargelegt, die für sich plausibel wäre und zugleich einen Zusammenhang mit der Unzumutbarkeit des Maskentragens erkennen lasse.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet.
1. Auf der Grundlage des Beschwerdevorbringens, auf das sich die Prüfung des Senats grundsätzlich beschränkt (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), hat der Antragsteller nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage einen Anspruch auf einstweilige Feststellung, dass er von der Pflicht zum Tragen einer MNB auf dem Schulgelände befreit ist. Dabei legt der Senat den Feststellungantrag dem erkennbaren Rechtsschutzziel entsprechend so aus, dass er sich allgemein auf die Befreiung des Antragstellers von der Maskenpflicht nach Maßgabe der im Entscheidungszeitpunkt geltenden Rechtslage bezieht (§ 88 VwGO). Im Hinblick darauf erscheint aus der Sicht des Senats überwiegend wahrscheinlich, dass der Antragsteller hinreichend glaubhaft gemacht hat, dass ihm das Tragen einer MNB in der Schule aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich oder unzumutbar ist (§ 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 11. BayIfSMV).
a) Von der Pflicht zum Tragen einer MNB befreit sind u.a. Personen, die glaubhaft machen können, dass ihnen das Tragen einer MNB aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich oder unzumutbar ist; die Glaubhaftmachung erfolgt bei gesundheitlichen Gründen insbesondere durch eine ärztliche Bescheinigung, die die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD-10 sowie den Grund, warum sich hieraus eine Befreiung von der Tragepflicht ergibt, enthält (§ 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Halbsatz 2 11. BayIfSMV). Im Hinblick auf die Anforderungen, die sich daraus ergeben, wird umfassend Bezug genommen auf den Beschluss des Senats vom 10. Dezember 2020 (20 CE 20.2868 – juris Rn. 12 ff.).
b) Nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage erscheint unter Würdigung des ärztlichen Attests vom 23. November 2020 überwiegend wahrscheinlich, dass der Antragsteller glaubhaft gemacht hat, dass ihm das Tragen einer MNB aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich oder unzumutbar ist (§ 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Halbsatz 2 11. BayIfSMV).
Das ärztliche Attest vom 16. November 2020 enthält eine fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes des Antragstellers (Diagnose), die entsprechenden ICD-10-Klassifizierungen sowie eine zusammenhängende, auf den Einzelfall des Antragstellers bezogene textliche Beschreibung des Grundes der ärztlichen Befreiung von der Tragepflicht.
Soweit der Antragsgegner und das Verwaltungsgericht Zweifel an der medizinischen Vertretbarkeit der ärztlichen Diagnose, am Bestehen eines Zusammenhangs zwischen den diagnostizierten Erkrankungen und einer Befreiung von der Maskenpflicht und an der Beachtung ärztlicher Sorgfaltspflichten bei der Ausstellung des Gutachtens geltend machen, sind diese einer abschließenden Klärung im Eilverfahren nicht zugänglich. Ob der das Attest des Antragstellers vom 23. November 2020 ausstellende Arzt Dr. F. bereits in anderen Fällen vergleichbare Atteste zur Befreiung von der Maskenpflicht ausgestellt hat und ob die Atteste den Gesundheitszustand der betroffenen Personen einschließlich des Antragstellers zutreffend wiedergeben, ist eine Frage, die ggf. durch Anordnung der Beibringung eines schulärztlichen Zeugnisses (entsprechend § 20 Abs. 1 Satz 2 BaySchO) oder im Rahmen eines Strafverfahrens nach § 278 StGB geklärt werden müsste (vgl. auch Nr. 6.1 Buchst. e des Rahmenhygieneplans Schulen i.d.F.v. 13.11.2020, BayMBl. 2020 Nr. 640). Sofern aber die Anforderungen, die der Verordnungsgeber mit § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Halbsatz 2 11. BayIfSMV an die Glaubhaftmachung der Befreiungsgründe stellt, erfüllt sind, besteht eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für einen Befreiungsgrund (vgl. auch BayVGH, B.v. 10.12.2020 – 20 CE 20.2868 – juris Rn. 16; B.v. 26.10.2020 – 20 CE 20.2185 – juris Rn. 19). Eine darüber hinausgehende inhaltliche Überprüfung ist jedenfalls im Rahmen des verwaltungsgerichtlichen Eilverfahrens weder möglich noch angezeigt.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 1, 2 i.V.m. § 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG. Da das Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz die Hauptsacheentscheidung vorwegnimmt, ist eine Reduzierung des Streitwerts nicht angezeigt (vgl. Nr. 1.5 Satz 2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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