Medizinrecht

Die Anordnung von Leinenzwang bei einem Golden Retriever-Hund

Aktenzeichen  AN 15 K 18.01943

Datum:
13.1.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 2374
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
LStVG Art. 18 Abs. 1, Abs. 2
VwGO § 92 Abs. 3, § 113 Abs. 1 S.1, § 114, § 161
StPO § 170 Abs. 2
BayVwVfG Art. 37 Abs. 1
GKG § 52 Abs. 1

 

Leitsatz

Für die Annahme, dass ein Hund gem. § 18 Abs. 1, Abs. 2 LStVG eine Gefahr für das Rechtsgut Gesundheit darstellt, ist es unerheblich, ob ein Hund einen Jungen umgestoßen oder in den Kopf gebissen hat. Ausschlaggebend ist, dass der unangeleinte Hund sich einem fremden Kind genähert hat, woraufhin dieses hingefallen ist und sich verletzt hat. (Rn. 17 – 21) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Soweit die Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt wurde, wird das Verfahren eingestellt; im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger zu 1/3 und die Beklagte zu 2/3.

Gründe

Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen.
Im Übrigen ist die Klage zulässig, aber unbegründet und somit abzuweisen. Der streitgegenständliche Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Beklagte hat gegenüber dem Kläger zu Recht Anordnungen bezüglich der Haltung seines Hundes „…“ getroffen.
Rechtsgrundlage für die Anordnung ist Art. 18 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 LStVG. Danach können die Gemeinden zur Verhütung von Gefahren für Leben, Gesundheit, Eigentum oder die öffentliche Reinlichkeit Anordnungen für den Einzelfall zur Haltung von Hunden treffen. Für Anordnungen gemäß Art. 18 Abs. 2 LStVG ist es dabei nicht zwingend erforderlich, dass ein Hund bereits durch Beißen von Menschen oder Tieren oder durch sonst aggressives Verhalten auffällig geworden ist. Die Gefahrenabwehr setzt also nicht voraus, dass bereits ein schädigendes Ereignis stattgefunden hat. Eine hinreichend konkrete Gefahr in diesem Sinne liegt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vor, wenn in einem zu beurteilenden konkreten Einzelfall in überschaubarer Zukunft mit dem Schadenseintritt hinreichend wahrscheinlich gerechnet werden kann (BVerwG, U.v. 18.12.2002 – 6 CN 1/02 – juris). Die an das Vorliegen einer Gefahr zu stellenden Anforderungen hängen von der Wertigkeit des bedrohten Rechtsguts ab. Da es sich bei dem zu befürchtenden Schaden um ein zukünftiges Ereignis handelt, hat die Sicherheitsbehörde eine wertende Prognoseentscheidung über die zu erwartenden Schäden zu treffen (BayVGH, B.v. 18.11.2011 – 10 ZB 11.1837 – juris). Dabei sind an die Wahrscheinlichkeit des Eintritts des Schadens umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer der zu erwartende Schaden ist. Bei einem hohen Schutzgut kann je nach den Umständen des Einzelfalls auch ein konkreter Gefahrenverdacht für eine sicherheitsrechtliche Anordnung ausreichen (BayVGH, U.v. 18.2.2004 – 24 B 03.645 – BayVBl 2004, 535; B.v. 7.4.2004 – 24 CS 04.53 – BayVBl 2004, 727). Erst recht ermöglicht Art. 18 Abs. 2 LStVG eine entsprechende Anordnung der Sicherheitsbehörden dann, wenn es um die Haltung eines Hundes geht, der bereits in einem Sinn auffällig geworden ist, der eine Gefahr für die Rechtsgüter Leben, Gesundheit und Eigentum beinhaltete.
Vor diesem Hintergrund sind die angegriffenen Anordnungen zu Recht ergangen. Von dem Hund des Klägers geht eine konkrete Gefahr für die in Art. 18 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 LStVG genannten Rechtsgüter aus. Am 26. Juli 2018 war der Hund des Klägers in einen Vorfall verwickelt, bei dem der zum damaligen Zeitpunkt sieben Jahre alte … … jedenfalls gestürzt ist und sich hierbei verletzt hat. Unerheblich ist insoweit, ob der Hund des Klägers den Jungen umgestoßen oder gar in den Kopf gebissen hat, da jedenfalls unter den Beteiligten unstreitig ist, dass der unangeleinte Hund des Klägers sich dem Kind genähert hat, woraufhin dieses hingefallen ist und sich verletzt hat. Bereits hierin hat sich die von dem unangeleinten Hund des Klägers ausgehende konkrete Gefahr für die Gesundheit von Menschen hinreichend realisiert. Ein Umstoßen oder gar Zubeißen des Hundes ist hierfür nicht erforderlich. Auch ein etwaiges Fehlverhalten des Jungen im Umgang mit dem Hund, etwa durch – wie vom Kläger geschildertes – schreiendes Wegrennen, vermag hieran nichts zu ändern. Aus diesem Grund kann auch dahinstehen, welche Schulterhöhe der Hund des Klägers aufweist und ob er damit womöglich schon als „großer Hund“ unter die Hundehaltungsverordnung der Beklagten fällt. Die Tatbestandsvoraussetzungen für den Erlass einer Einzelfallanordnung betreffend einen Leinenzwang für den Hund des Klägers liegen jedenfalls vor.
Da demnach die tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 18 Abs. 2 LStVG vorliegen, ist das in dieser Vorschrift normierte Ermessen eröffnet. Dieses Ermessen, das nach § 114 VwGO nur auf das Vorliegen möglicher Ermessensfehler hin zu überprüfen ist, hat die Beklagte fehlerfrei ausgeübt. Weder in Bezug auf das Entschließungsermessen noch hinsichtlich des Auswahlermessens sind Rechtsfehler erkennbar. Zunächst ist festzuhalten, dass die Beklagte Ermessenserwägungen angestellt hat, sodass die streitgegenständliche Anordnung nicht vor dem Hintergrund eines Ermessensnichtgebrauchs rechtswidrig ist. In Bezug auf das Entschließungsermessen hat die Beklagte vollkommen zu Recht darauf abgestellt, dass angesichts des Zwischenfalls vom 26. Juli 2018 eine sicherheitsrechtliche Anordnung in Bezug auf den Hund des Klägers zu treffen ist. Die Ausübung des Auswahlermessens durch die Beklagte ist auch unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht zu beanstanden. Indem die Beklagte von der zusätzlichen Anordnung eines Maulkorbzwanges abgesehen und lediglich den Leinenzwang der Ziffern 1 und 2 des Bescheides angeordnet hat, wurde das mildeste zur Verfügung stehende Mittel gewählt, um der Gefahr, die von dem Hund des Klägers ausgeht, wirksam zu begegnen. Insbesondere hat die Beklagte den Leinenzwang auf den Innerortsbereich beschränkt. Es besteht kein Zweifel daran, dass diese teilweise Einschränkung der Bewegungsfreiheit des Hundes im Sinne einer effektiven Gefahrenabwehr geboten ist. Rechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden ist, dass die Beklagte in Ziffer 2 des Bescheides eine Leinenlänge von maximal 1,5 Metern angeordnet hat. Die Anordnung einer bestimmten Länge der Leine ist schon aus Gründen der Einhaltung des Bestimmtheitsgrundsatzes erforderlich. Im Übrigen wird der Kläger nur bei Verwendung einer vergleichsweise kurzen Leine in die Lage versetzt, bei Gefahrsituationen unverzüglich auf den Hund einwirken zu können.
Anhaltspunkte für eine Rechtswidrigkeit der (modifizierten) Zwangsgeldandrohung sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
Die von der Beklagten bezüglich der Haltung des Hundes des Klägers getroffenen Anordnungen sind deshalb nicht zu beanstanden.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO und 161 Abs. 2 VwGO. Eine gemeinsame Kostenentscheidung hinsichtlich des streitig entschiedenen Teils des Verfahrens und hinsichtlich des Teil des Verfahrens, der übereinstimmend für erledigt erklärt wurde, im Urteil ist zulässig (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 21. Auflage, § 161 Rn. 5). Hinsichtlich des übereinstimmend für erledigt erklärten Teils des Verfahrens entspricht es billigem Ermessen im Sinne des § 161 Abs. 2 VwGO, die Kosten des Verfahrens der Beklagten aufzulegen, da diese durch Teilaufhebung des streitgegenständlichen Bescheids das erledigende Ereignis herbeigeführt hat. Im Übrigen greift § 154 Abs. 1 VwGO, wonach der unterliegende Teil die Kosten des Verfahrens zu tragen hat.


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