Medizinrecht

Eingeschränktes Tätigkeitsverbot für plastischen Chirurgen wegen HIV-Infektion

Aktenzeichen  M 18 S 17.3676

Datum:
18.9.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 80 Abs. 5
IfSG IfSG § 28 Abs. 1
IfSG IfSG § 31 Satz 1
IfSG IfSG § 29

 

Leitsatz

1 Die im Eilverfahren zu treffende Entscheidung beruht auf einer durch das Gericht vorzunehmenden Interessenabwägung. Das Gewicht der gegenläufigen Interessen wird entweder vornehmlich durch die summarisch zu prüfenden Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache oder – insbesondere wenn die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs offen erscheinen – durch eine Folgenabwägung bestimmt. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2 Kann erst im Hauptsacheverfahren der Frage nachgegangen werden, bei welchen konkreten Behandlungen Tätigkeiten mit erhöhter Übertragungsgefahr bestehen, überwiegt das öffentliche Interesse – namentlich das überragende Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit der Patienten – an der sofortigen Vollziehung des Tätigkeitsverbots. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 5.000,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller, der seit 1994 als plastischer Chirurg tätig ist und seit 2008 eine Praxis für plastische Chirurgie betreibt, wendet sich gegen ein von der Antragsgegnerin angeordnetes eingeschränktes berufliches Tätigkeitsverbot nach den Vorschriften des Infektionsschutzgesetzes (IfSG).
Am 31. Mai 2017 führte die Antragsgegnerin eine infektionshygienische Erstüberprüfung der Praxis des Antragstellers durch mit dem Ergebnis, dass schwerwiegende Defizite in der Notfallversorgung und gravierende Mängel in der Medizinprodukteaufbereitung festgestellt wurden. Eine behördliche Anordnung unterblieb aufgrund der schriftlichen Zusicherung vom 2. Juni 2017, dass bis zur Behebung der festgestellten Mängel und ohne vorausgehende Mitteilung an das … keine operativen Tätigkeiten durchgeführt werden. Da sich bei einer unangemeldeten Nachkontrolle der Praxis am 13. Juni 2017 herausstellte, dass sich der Antragsteller nicht an seine Zusicherung vom 2. Juni 2017 gehalten hat, wurde die Durchführung weiterer Operationen untersagt und der Operationsraum versiegelt.
Nachdem der Antragsgegnerin Anfang des Jahres 2017 die HIV-Infektion des Antragstellers bekanntgeworden war, fand am 6. Juni 2017 ein persönliches Gespräch mit dem Arzt im … der Antragsgegnerin (im Folgenden: …) statt. Nach den Angaben des Antragstellers sei ihm seine HIV-Infektion seit 1993 bekannt, wobei zu Beginn eine konstante Viruslast von 1.000 Kopien/ml festgestellt worden sei. Er sei derzeit bei Dr. J. in Behandlung. Es werde alle 1,5 Monate Blut abgenommen. Seine Viruslast sei konstant hoch mit 3 (2).000 – 4.000 Kopien/ml. Da eine Resistenzentwicklung stattgefunden habe, sei eine Therapieumstellung auf eine i.v.-Therapie geplant. Er operiere mit einem Paar Handschuhe; ein „Double-Gloving“ führe er nur bei Operationen an HIV-positiven Patienten durch.
Im Anschluss an das Gespräch fand am 19. Juni 2017 eine Sitzung des Expertengremiums zur abschließenden Beurteilung der vom Antragsteller ausgehenden Infektionsgefahr und der einzuleitenden Präventivmaßnahmen statt, in welcher der Fall des Klägers in anonymisierter Form beraten wurde. Ausweislich des Protokolls stimmten die Teilnehmer mehrheitlich darin überein, dass unter Berücksichtigung aller Aspekte hinsichtlich Compliance und Zuverlässigkeit zum aktuellen Zeitpunkt ein befristetes Tätigkeitsverbot nach § 31 IfSG für die Durchführung sämtlicher Operationen, operativer Eingriffe und invasiver Maßnahmen, wie Faltenunterspritzungen, unumgänglich sei. Es sei wegen der nachgewiesenermaßen vorhandenen Unzuverlässigkeit des Betroffenen bei der Ausübung der ärztlichen Tätigkeit eine auf Prävention ausgerichtete Maßnahme zur Reduzierung des potentiellen Übertragungsrisikos notwendig. Die Befristung des eingeschränkten Tätigkeitsverbotes solle bis zur Reduzierung der Viruslast dauernd auf weniger als 50 Kopien/ml, nachzuweisen in zwei bis drei aufeinander folgenden Laborbefunden im Abstand von je drei Monaten, gelten. Erst dann sei in einer erneuten Sitzung des Expertengremiums über die eventuell mögliche Aufhebung des eingeschränkten Tätigkeitsverbotes zu entscheiden. Nicht betroffen von dem anzuordnenden Tätigkeitsverbot sollten die sonstigen konservativen Tätigkeiten in der Praxis, wie Peeling, Abrasionen, Lymphdrainagen und Mikroderm-abrasionen sein.
Zur beabsichtigten Anordnung eines beruflichen Tätigkeitsverbotes und der damit verbundenen Beobachtung angehört, äußerte der Antragsteller unter dem 3. Juli 2017 unter anderem, dass er sich während seiner gesamten chirurgischen Laufbahn nicht verletzt habe. In der Literatur seien vier dokumentierte Fälle beschrieben, drei Ärzte und eine Krankenschwester, in denen eine HIV-Infektion auf einen Patienten übertragen worden sei. Es habe sich um einen Zahnarzt, einen Orthopäden und einen Gynäkologen gehandelt. In der plastischen Chirurgie sei weltweit noch kein solcher Fall beschrieben oder bekannt geworden. Die Besonderheit in diesem Fachgebiet liege darin, dass standardisierte Eingriffe wie zum Beispiel Fettabsaugung, ästhetische Eingriffe im Gesicht oder Eingriffe an der Brust erfolgten. Außerdem wirke sich der fehlende zeitliche Druck bei plastischen Operationen positiv aus.
Mit Bescheid vom 7. Juli 2017, zugestellt am 12. Juli 2017, verbot das … der Antragsgegnerin dem Antragsteller nach § 28 Abs. 1 i.V.m. § 31 Satz 1 IfSG ab sofort jegliche invasive operative Tätigkeiten inklusive Faltenunterspritzung (Ziff. I.1) und verpflichtete ihn, im Abstand von drei Monaten, beginnend mit dem 20. Juli 2017, einen Nachweis über die jeweils aktuelle HIV-Viruslast zu übermitteln (Ziff. I.2). Es wurde darauf hingewiesen, dass die Anordnungen unter Ziff. I kraft Gesetzes sofort vollziehbar sind (Ziff. II.). Für den Fall der Zuwiderhandlung gegen das Verbot unter Ziff. I.1 wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 10.000,- EUR angedroht, für den Fall der Zuwiderhandlung gegen Ziff. I.2 ein Zwangsgeld in Höhe von 1.000,- EUR. Das auf § 28 Abs. 1, § 31 Satz 1 IfSG gestützte eingeschränkte Tätigkeitsverbot wurde damit begründet, dass die dem … vorliegenden Laborwerte bezüglich der Viruslast weit über dem von der Deutschen Vereinigung zur Bekämpfung der Viruskrankheiten (DVV) e.V. und der Gesellschaft für Virologie (GfV) e.V. zur Prävention der nosokomialen Übertragung von HIV durch HIV-positive Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Gesundheitswesen (im Folgenden: DVV-Empfehlungen) und dem Robert-Koch-Institut empfohlenen Interventionswert für invasiv tätiges medizinisches Personal von weniger als 50 Kopien/ml liege. Es sei von einer in solchem Maße erhöhten Infektiosität auszugehen, dass weniger belastende Maßnahmen (wie z.B. das Verwenden doppelter Handschuhe) infektionshygienisch nicht mehr ausreichend seien. Denn bei chirurgischen Eingriffen in der plastischen Chirurgie seien akzidentelle Selbst- und Drittverletzungen unvermeidbar und führten zu einem erhöhten Infektionsrisiko des Patienten. Insbesondere träten auch tieferliegende Stichinzisionen auf, welche durch das Tragen doppelter Handschuhe nicht verhindert werden könnten. Der Anteil der Chirurgen an den im Gesundheitswesen in Deutschland pro Jahr auftretenden Stichverletzungen liege zwischen 40% – 50%. Die minder schwere, gleich wirksame Maßnahme des freiwilligen verbindlichen Operationsverzichts käme nicht in Betracht, da sich der Antragsteller nicht an einen schriftlich erklärten Operationsstopp vom 20. Juni 2017 aufgrund der festgestellten praxishygienischen Beanstandungen gehalten habe. Die auf § 28 Abs. 1 i.V.m. § 29 Abs. 1, 2 Satz 3 IfSG beruhende Beobachtungsanordnung solle das … in die Lage versetzen, zu bewerten, ob das eingeschränkte Tätigkeitsverbot aufgrund geänderter Umstände angepasst oder aufgehoben werden müsse. Die angeordnete Beobachtung sei hierfür geeignet und auch gegenüber dem Vorstelligwerden des Antragstellers bei der Behörde oder einer aufsuchenden Beobachtung das mildeste Mittel.
Bei der infektionshygienischen Nachüberprüfung der Praxis am 26. Juli 2017 wurde festgestellt, dass alle gravierenden Mängel in den Bereichen „Notfallmanagement“ und „Medizinprodukteaufbereitung“ beseitigt waren, so dass operative Tätigkeiten in den Räumen der Praxis des Antragstellers wieder erlaubt wurden.
Der Antragsteller ließ gegen die Anordnung vom 7. Juli 2017 mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 3. August 2017, eingegangen am 8. August 2017, Klage erheben (M 18 K 17.3675) und im Wege des § 80 Abs. 5 VwGO beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Zur Begründung wurde ausgeführt:
Nach den amerikanischen SHEA-Empfehlungen sowie den DVV-Empfehlungen bei HBV und HCV zählten beispielsweise nur Operationen bei beengtem Operationsfeld mit schlechter oder unterbrochener Sichtkontrolle, Operationen mit langer Operationsdauer, das Verwenden von Nahtmaterial (Mikroverletzungen) sowie manuelle Präparation in der Nähe von Instrumenten oder freistehenden Drähten oder Knochenfragmenten zu den übertragungs- bzw. verletzungsträchtigen Tätigkeiten. Da der Antragsteller ausschließlich standardisierte Eingriffe mit extrem geringem Verletzungspotential durchführe, seien die von ihm ausgeübten Tätigkeiten hinsichtlich ihres Übertragungsbzw. Verletzungsrisikos in keiner Weise mit den aufgeführten Tätigkeiten vergleichbar.
Das vom Antragsteller vorgelegte Gutachten von Herrn Dr. J., Facharzt für Allgemein- und Tropenmedizin vom 27. Juli 2017, stuft neben den genannten übertragungs- bzw. verletzungsträchtigen Tätigkeiten darüber hinaus noch Operationen mit manueller Führung bzw. Tasten der Nadel sowie Verschluss der Sternotomie und vergleichbare verletzungsträchtige Tätigkeiten als Tätigkeiten mit erhöhter Übertragungsgefahr ein. Der Grenzwert weniger als 50 Kopien/ml soll nur im Zusammenhang mit den gelisteten sowie vergleichbaren Tätigkeiten mit erhöhter Übertragungsgefahr gelten. Nach den US-amerikanischen Empfehlungen der SHEA liege der Grenzwert dauerhaft auf weniger 500 Kopien/ml. Nach den weiteren Ausführungen des Gutachters sei das Tragen doppelter Handschuhe, regelmäßige Betreuung bezüglich Arbeitsmedizin, Arbeitsschutz und Unfallverhütung, regelmäßige Kontrolle der HI-Viruslast (bei Tätigkeiten mit erhöhter Übertragungsgefahr) sowie die regelmäßige Betreuung durch einen erfahrenen HIV-Spezialisten Voraussetzung für die Tätigkeit von HIV-positiven Chirurgen. Anders als die Kommission der DVV listeten die SHEA-Empfehlungen nicht nur den Restriktionskatalog der Tätigkeiten mit erhöhter Übertragungsgefahr auf, sondern würden auch die invasiven und operativen Tätigkeiten, durch die eine Übertragung durch Blut, übertragbare Viren (HBV/HCV/ HIV) theoretisch möglich, aber unwahrscheinlich sei (SHEA-Kategorie 2), benennen, wenn die genannten Schutz- und Verhaltensmaßnahmen beachtet werden. In der Kategorie für „Tätigkeiten ohne erhöhte Übertragungsgefahr“ seien unter anderem alle in der plastischen Chirurgie üblichen Tätigkeiten aufgeführt, wie kleine lokale Eingriffe (wie Haut-Resektion, Abszess-Dränage, Biopsie, Probe-Biopsie, Laser in Lokalanästhesie, kleine Gefäßeingriffe wie Venenstripping, allgemeine plastische Chirurgie, Brustvergrößerung oder -verkleinerung sowie minimalinvasive plastisch-chirurgische Verfahren (z.B. Fettabsaugung, kleinere Hautresektionen zur Straffung und Reshaping, Facelift, Augenbrauenlift, Ohranlegeplastik)). Das Übertragungsrisiko bei gefahrgeneigten Tätigkeiten sei unter anderem abhängig von der HI-Viruslast im Blut des infizierten Menschen sowie von der Blutmenge, die in den Körper einer anderen Person gelange.
Der Antragsteller ließ in der Klagebzw. Antragsschrift weiter ausführen:
Die Untersagung jeglicher invasiver und operativer Tätigkeiten sei unverhältnismäßig. Wegen der zu befürchtenden Abwanderung von Patienten würde der Antragsteller voraussichtlich nach dem Abschluss des Hauptsacheverfahrens den Praxisbetrieb nicht wiederaufnehmen können. Er verliere langfristig oder sogar auf Dauer seine wirtschaftliche Existenzgrundlage.
Unter dem 1. August 2017 teilte der Antragsteller mit, dass er einen Vertreter eingestellt habe, der in seinen Räumlichkeiten operiere.
Mit Schreiben vom 17. August 2017 beantragte die Antragsgegnerin unter Vertiefung der Bescheidsbegründung
Antragsabweisung.
Bezüglich des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der Einzelheiten im Übrigen wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
II.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage ist gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO zulässig. Zwar hat die Antragsgegnerin die sofortige Vollziehung des Bescheides nicht besonders angeordnet, die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage gegen das auf § 28 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 31 Satz 1 IfSG gestützte eingeschränkte Tätigkeitsverbot entfällt jedoch kraft bundesgesetzlicher Regelung nach § 28 Abs. 3 i.V.m. § 16 Abs. 8 IfSG (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO).
In der Sache bleibt der Antrag aber ohne Erfolg.
Die im Eilverfahren zu treffende Entscheidung beruht auf einer durch das Gericht vorzunehmenden Interessenabwägung. Abzuwägen sind das Interesse des Antragstellers an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs (Suspensiveffekt) gegen das besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts (Vollziehungsinteresse). Das Gewicht dieser gegenläufigen Interessen wird entweder vornehmlich durch die summarisch zu prüfenden Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache oder – insbesondere wenn die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs offen erscheinen – durch eine Folgenabwägung bestimmt. Ist der Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig, überwiegt das Interesse des Antragstellers an der Aussetzung der Vollziehung; ist er offensichtlich rechtmäßig, hat regelmäßig das – unabhängig davon zu belegende – öffentliche Interesse an der Vollziehung Vorrang. Im Rahmen der Folgenabwägung sind die voraussichtlichen Folgen des Suspensiveffekts einerseits und der sofortigen Vollziehung andererseits zu gewichten. Maßgebend sind insoweit nicht nur die Dringlichkeit des öffentlichen Interesses an der sofortigen Vollziehung sowie Natur und Schwere der mit dem Eingriff für den Antragsteller verbundenen Belastungen, sondern auch die Möglichkeit, die jeweiligen Folgen der Maßnahme rückgängig zu machen.
Gemessen daran ist der Antrag unbegründet. Zwar sind die Erfolgsaussichten der Klage offen, so dass die Kammer mit der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung gegenwärtig noch nicht hinreichend sicher die offensichtliche Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheids beurteilen kann. Jedoch führt die erforderliche Abwägung der gegenläufigen Interessen zu einem Vorrang der öffentlichen Interessen .
1. Nach § 28 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 31 Satz 1 lfSG trifft die zuständige Behörde die notwendigen, insbesondere die in §§ 29 bis 31 lfSG genannten Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten, wenn Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt werden. Ihnen kann die Ausübung bestimmter beruflicher Tätigkeiten ganz oder teilweise untersagt werden.
Die in der eidesstattlichen Versicherung des Antragstellers vom 4. August 2017 geäußerten Einschätzungen zum Verletzungspotential beim Operateur sowie seine persönlichen Erfahrung stellen für sich allein keine ausreichende Grund-lage für die nach § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG zu treffende Prognoseentscheidung dar. Mit einzubeziehen sind vielmehr allgemeine Erkenntnisse über das objektiv bestehende Verletzungsrisiko in Bezug auf die streitigen invasiven Tätigkeiten bzw. Operationen bei plastischen Chirurgen.
Im Hauptsacheverfahren wird insbesondere der Frage nachzugehen sein, bei welchen konkreten Behandlungen der Antragsteller Tätigkeiten mit erhöhter Übertragungsgefahr vornimmt. In Abgrenzung dazu ist festzustellen, bei welchen Tätigkeiten des Antragstellers keine erhöhte Übertragungsgefahr besteht mit der Folge, dass auf diesen Gebieten eine uneingeschränkte Tätigkeit möglich ist, wenn Adhärenz bei der antiretroviralen Therapie besteht und wenn alle zur Vermeidung einer Infektionsübertragung erforderlichen Maßnahmen regelrecht eingehalten werden (s. S. 5 der Empfehlungen der DVV e.V. und der GfV e.V. „Voraussetzungen für die Tätigkeitsausübung“ Stand: 3.5.2012).
Können somit die Erfolgsaussichten der in der Hauptsache erhobenen Klage nicht als Grundlage für die Entscheidung im Eilverfahren dienen, weil sie sich nach der notwendig summarischen Prüfung nicht hinreichend sicher beurteilen lassen, ist für die begehrte Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage allein auf eine Interessenabwägung unter Berücksichtigung der Folgen abzustellen. Danach überwiegt bis zu der von der Entscheidung des Gerichts im Hauptsacheverfahren das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Maßnahme das Interesse des Antragstellers, von der Vollziehung vorerst verschont zu bleiben. Das öffentliche Interesse wird durch das überragende Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit der Patienten definiert.
Die Kammer verkennt dabei nicht, dass das angeordnete eingeschränkte Tätigkeitsverbot eine erhebliche Beeinträchtigung der Berufsfreiheit des Antragstellers (Art. 12 Abs. 1 GG) sowie seiner Eigentumsrechte (Art. 14 Abs. 1 GG „eingerichteter und ausgeführter Gewerbebetrieb“) bedeutet. Allerdings werden die rein wirtschaftlichen Nachteile, die der Antragsteller während der Vollziehung des Verbots invasiver Tätigkeit erleidet, durch die zu gewährende Entschädigung in Geld nach § 56 IfSG zumindest abgemildert werden.
Im Übrigen kann der Praxisbetrieb durch den Antragsteller selbst in einem gewissen Umfang sowie durch den ab 1. August 2017 in der Praxis tätigen ärztlichen Kollegen aufrechterhalten werden, so dass sich auch die immaterielle Beeinträchtigung des Antragstellers in Grenzen hält.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
3. Mangels entsprechender Angaben zum Jahresbetrag des erzielten oder erwarteten Verdienstes durch die invasiv-operativen Tätigkeiten des Antragstellers wurde im Hauptsacheverfahren ein Streitwert von 10.000,- EUR festgesetzt (vgl. in Anlehnung an den Streitwert bei Erteilung oder Entzug der Approbation, Nr. 16.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit).
Für das Eilverfahren wurde der Streitwert halbiert.


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