Medizinrecht

Einstufung eines Hundes als gefährlich; keine Klagebefugnis eines/r Dritten

Aktenzeichen  3 ZKO 251/16

Datum:
18.11.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Thüringer Oberverwaltungsgericht 3. Senat
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:OVGTH:2021:1118.3ZKO251.16.00
Normen:
§ 42 Abs 2 VwGO
§ 1 GefTierG TH
§ 3 Abs 1 Nr 2 GefTierG TH
§ 3 Abs 2 GefTierG TH
Spruchkörper:
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Leitsatz

Der gesetzlichen Regelung des § 3 ThürTierGefG (juris: GefTierG TH) zur Einstufung eines Hundes als gefährlich vermittelt keine subjektivrechtliche Position Dritter. Sie ist nicht an einen bestimmten und gegenüber der Allgemeinheit hinreichend deutlich abgrenzbaren, d. h. individualisierbaren und nicht übermäßig weiten Personenkreis gerichtet, der durch die Vorschrift in der Weise begünstigt werden soll, dass er – anders als der übrige Teil der Allgemeinheit – von der Behörde eine Gefährlichkeitsfeststellung in Bezug auf einen bestimmten Hund soll verlangen und ggf. auch gerichtlich durchsetzen können.(Rn.13)

Verfahrensgang

vorgehend VG Weimar, 14. Januar 2016, 1 K 322/15 We, Urteil

Tenor

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Weimar vom 14. Januar 2016 wird abgelehnt.
Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen und des beteiligten Vertreters des öffentlichen Interesses zu tragen.
Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil vom 14. Januar 2016 hat keinen Erfolg. Die Voraussetzungen der von der Klägerin mit dem allein maßgeblichen und fristgerecht eingereichten Begründungsschriftsatz vom 3. Mai 2016 geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor.
1. Die Berufung ist weder wegen ernstlicher Zweifeln an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) noch wegen tatsächlicher und rechtlicher Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zuzulassen.
Ernstliche Zweifel bestehen dann, wenn ein einzelner, die Entscheidung tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt werden (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 23. Juni 2000 – 1 BvR 830/00 – NVwZ 2000, 1163, vom 3. März 2004 – 1 BvR 461/03 – BVerfGE 110, 77 und vom 26. März 2007 – 1 BvR 2228/02 – BayVBl. 2007, 624).
Besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten im Sinne des Zulassungsgrundes gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO liegen nur dann vor, wenn die Angriffe des Rechtsmittelführers gegen die erstinstanzliche Entscheidung begründeten Anlass zu Zweifeln an deren Richtigkeit ergeben, weil sie Fragen von solcher Schwierigkeit aufwerfen, dass diese nicht ohne Weiteres im Zulassungsverfahren, sondern erst im eigentlichen Rechtsmittelverfahren geklärt werden können (vgl. Thüringer OVG, Beschluss vom 10. Dezember 1997 – 3 ZEO 1053/97 -, DVBl. 1998, 489).
Gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO müssen die Zulassungsgründe hinreichend dargelegt werden. Dies erfordert eine inhaltliche Befassung mit der angegriffenen Entscheidung, die erkennen lässt, welche entscheidungstragenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts der Rechtsmittelführer für unzutreffend hält und aus welchen rechtlichen oder tatsächlichen Gründen sich dies ergibt. Das Darlegungsgebot erfordert zugleich regelmäßig, dass sich unmittelbar aus der Antragsbegründung sowie der angegriffenen Entscheidung selbst schlüssig die Gesichtspunkte ergeben, die ohne Aufarbeitung und Durchdringung des Prozessstoffes die Durchführung des Rechtsmittelverfahrens rechtfertigen sollen.
Ausgehend hiervon zeigt die Klägerin weder ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils noch solche auf, die sich im Rahmen eines Zulassungsverfahrens nicht klären und den Ausgang des Berufungsverfahrens als offen erscheinen ließen.
Die Erwägungen der Vorinstanz zur fehlenden Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO sind keinen rechtlichen Bedenken ausgesetzt.
Gemäß § 42 Abs. 2 VwGO muss ein Kläger geltend machen können, durch den angefochtenen Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines begehrten Verwaltungsakts in seinen Rechten verletzt zu sein. Die Klagebefugnis ist gegeben, wenn unter Zugrundelegung des Klagevorbringens eine Verletzung des geltend gemachten Rechts möglich erscheint. Daran fehlt es, wenn die geltend gemachte Rechtsposition offensichtlich und eindeutig nach keiner Betrachtungsweise bestehen oder dem Kläger zustehen kann (vgl. BVerwG, Urteile vom 28. November 2019 – 7 C 2/18 – juris Rn. 15 und vom 20. Oktober 2016 – 2 A 2.14 – juris Rn. 16 m. w. N.).
Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Rechtsnorm, aus der die Klägerin den behaupteten Anspruch auf Erlass des begehrten Verwaltungsaktes herleitet, zumindest auch dem Schutz ihrer eigenen Rechte dienen müsse, von einer drittschützenden Wirkung der hier streitgegenständlichen Norm des Thüringer Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung vor Tiergefahren (ThürTierGefG) aber nicht ausgegangen werden könne.
Die Klägerin beantragte – laut dem Tatbestand des angegriffenen Urteils – unter Aufhebung der dem entgegenstehenden Bescheide den Beklagten zu verpflichten, den Hund des Beigeladenen als gefährliches Tier einzustufen und ihm die Haltung des Hundes zu untersagen. Rechtsgrundlage der in der Hauptsache begehrten Feststellung ist § 3 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 ThürTierGefG. Diese Norm des Gesetzes dient aber ausschließlich öffentlichen Belangen und ist nicht bestimmt, zumindest auch dem Schutz von Individualinteressen zu dienen.
Eine solche subjektivrechtliche Ausrichtung einer Norm kann nur dann angenommen werden, wenn in der betreffenden Norm das individuell geschützte private Interesse, die Art seiner Verletzung und der Kreis der unmittelbar geschützten Personen hinreichend deutlich klargestellt und abgegrenzt wird, mit der Norm mithin gerade auch der Zweck verfolgt wird, dass bestimmte Träger von Individualinteressen deren Einhaltung verlangen können (vgl. BVerwG, Urteile vom 17. Juli 1993 – 3 C 3.89 – BVerwGE 92, 313, 317, vom 16. März 1989 – 4 C 36.85 – BVerwGE 81, 329, 334, vom 25. Februar 1977 – IV C 22.75 – BVerwGE 52, 122, 128 f. und vom 20. Oktober 1972 – IV C 107.67 – BVerwGE 41, 59, 63; im Zusammenhang mit gefahrabwehrrechtlichen Normen betreffend Hunde: OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 31. Januar 2005 – 5 B 2517/04 – juris Rn. 9; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 27. Oktober 2005 – 16 K 1013/03 – juris 34 ff.; VG Osnabrück, Urteil vom 6. Juni 2008 – 6 A 25/07 – juris Rn. 19).
Das Verwaltungsgericht führt zu Recht aus, dass aus der grundsätzlichen Zielrichtung des Gesetzes, wie sie in § 1 ThürTierGefG zum Ausdruck kommt, nämlich Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung vorzubeugen und diese abzuwehren, und aus der Landtagsdrucksache zum Gesetzentwurf (Landtag-Drucks. 5/1707) sich kein Hinweis ergibt, dass der Schutz der Interessen individualisierter Dritter im Sinne der Begründung einer Anspruchsnorm bezweckt ist.
Insgesamt fehlt es jedenfalls der gesetzlichen Regelung des § 3 ThürTierGefG zur Einstufung eines Hundes als gefährlich an einem bestimmten und gegenüber der Allgemeinheit hinreichend deutlich abgrenzbaren, d. h. individualisierbaren und nicht übermäßig weiten Personenkreis, der durch die Vorschrift in der Weise begünstigt werden soll, dass er – anders als der übrige Teil der Allgemeinheit – von der Behörde eine Gefährlichkeitsfeststellung in Bezug auf einen bestimmten Hund soll verlangen und ggf. auch gerichtlich durchsetzen können (vgl. zu vergleichbaren gefahrabwehrrechtlichen Normen betr. Hunde: OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 31. Januar 2005 – 5 B 2517/04 – juris Rn. 9 ff.; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 27. Oktober 2005 – 16 K 1013/03 – juris 34 ff.; VG Osnabrück, Urteil vom 6. Juni 2008 – 6 A 25/07 – juris Rn. 20). Die gegenteilige Annahme würde den Kreis derer, die nach dieser Norm ein Vorgehen der Behörden verlangen könnten, nicht mehr eingrenzbar erweitern und auf eine Popularklage führen, die § 42 Abs. 2 VwGO gerade ausschließt.
Dieser Bewertung steht nicht entgegen, dass ausgehend vom oben genannten Schutzgedanken des Gesetzes auch die Feststellung der Gefährlichkeit eines Hundes nach § 3 ThürTierGefG dem Schutz der Klägerin bzw. den im Umfeld des Beigeladenen lebenden Menschen vor dessen Hund dienen kann. Diesen Schutz erfährt der Einzelne jedoch – wie von der Klägerin selbst zutreffend erkannt – nur als Teil der Allgemeinheit. Es handelt sich bei diesen Wirkungen lediglich um Reflexwirkungen der objektivrechtlich ausgerichteten Bestimmung zugunsten der Klägerin (anders als möglicherweise die konkreten Eingriffsnormen nach § 2 Abs. 3 und § 8 ThürTierGefG). Derartige Reflexwirkungen genügen für die Begründung der Klagebefugnis nicht (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl., § 42 Rn. 87 m. w. N.).
Vorliegend ist weiterhin zu berücksichtigen, dass die Klägerin auch allein mit der Feststellung der Gefährlichkeit des Hundes des Beigeladenen das mit ihrer Klage verfolgte Ziel des konkreten Schutzes vor weiteren Vorfällen ersichtlich nicht erreichen kann.
Soweit die Klägerin weiterhin Anordnungen gegenüber dem Beigeladenen aufgrund der Feststellung der Gefährlichkeit des Hundes des Beigeladenen verlangt, nämlich eine Haltungsuntersagung gegenüber dem Beigeladenen, ist auch insoweit die individualschützende Ausrichtung der als Rechtsgrundlage für eine solche Anordnung in Betracht kommenden Normen, die im Übrigen die Klägerin nicht benennt, nicht ohne weiteres erkennbar. Insoweit fehlt es an entsprechenden normbezogenen Darlegungen. Ungeachtet dessen hat die Klägerin auch nichts dafür vorgetragen, ob und inwieweit die begehrte Haltungsuntersagung gegenüber dem Beigeladenen als Hundebesitzer im Gegensatz zu Auflagen zur Haltung des betroffenen Hundes geeignet, erforderlich und angemessen sein soll, die geltend gemachte individuelle Gefahr abzuwehren.
Zweifel an der erstinstanzlichen Entscheidung bestehen – ohne dass es darauf noch ankäme – auch im Übrigen nicht. Die Feststellungen des Verwaltungsgerichts, es sei nicht zu erkennen, dass die Beklagte das ihr zustehende Ermessen fehlerhaft ausgeübt habe und dass das erstellte Gutachten fehlerhaft oder in sich widersprüchlich sei, sowie die Annahme, die Einschätzung des Hundes als nicht gefährlich sei nicht zu beanstanden, begegnen auch auf Grundlage des Zulassungsvorbringens der Klägerin keinen Bedenken.
2. Die Berufung ist ebenfalls nicht wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen.
Dem Darlegungsgebot nach § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO ist im Hinblick auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung nur dann genügt, wenn in Bezug auf die Rechtslage oder hinsichtlich der Tatsachenfeststellungen eine entscheidungserhebliche, unmittelbar aus dem Gesetz bzw. der Tatsachenlage nicht zu beantwortende, bisher höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht beantwortete, konkrete Frage aufgeworfen und erläutert wird, warum sie nicht geklärte Probleme aufwirft, die über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus bedeutsam sind und im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts geklärt werden müssen. Es muss deshalb in der Begründung des Zulassungsantrages deutlich werden, warum prinzipielle Bedenken gegen einen vom Verwaltungsgericht in einer konkreten Rechts- und Tatsachenfrage eingenommenen Standpunkt bestehen und es insoweit erforderlich ist, dass sich das höhere Gericht klärend mit der aufgeworfenen Frage befasst und entscheidet, ob die Bedenken durchgreifen (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. Beschluss vom 12. Januar 1999 – 3 ZKO 1371/98 – ThürVGRspr. 1999, 142 und juris). Das Darlegungsgebot erfordert deshalb bei der Behauptung einer grundsätzlichen Rechtsfrage eine konkrete Auseinandersetzung mit dem verwaltungsgerichtlichen Urteil und den Vortrag gewichtiger Bedenken gegen dessen Rechtsstandpunkt (vgl. nur Beschluss des Senats vom 9. September 2000 – 2 ZKO 522/00 -).
Diesen Anforderungen wird der Vortrag der Klägerin nicht gerecht. Sie hat es bereits unterlassen, eine im Berufungsverfahren klärungsbedürftige grundsätzliche Frage hinreichend konkret zu formulieren, deren Klärung nach den oben genannten Maßstäben erforderlich sein müsste. In Bezug auf die formulierte Frage, ob betroffenen Geschädigten individuelle Ansprüche gegenüber der Behörde aus den jeweiligen Gesetzen zum Schutze der öffentlich-rechtlichen Sicherheit vor Tiergefahren, hier ThürTierGefG, zustehen, fehlt es bereits daran, dass nicht herausgestellt wird, auf welche konkreten Normen des Thüringer Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung vor Tiergefahren sie sich bezieht. Diese Frage ist derart allgemein gefasst, dass sie sich so nicht grundsätzlich klären lässt. Ansprüche, deren Erfüllung eingeklagt werden, hängen von der Auslegung der konkreten Norm ab. Ob gefahrenabwehrrechtliche Normen drittschützend sind, ist dabei regelmäßig von den Umständen des Einzelfalles abhängig. Im Übrigen beantwortet sich die abstrakt gestellte Frage aus der oben angeführten höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Danach fallen die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. Es entspricht nicht der Billigkeit, der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen und des beteiligten Vertreters des öffentlichen Interesses aufzuerlegen; diese haben im Zulassungsverfahren keinen Antrag gestellt und sich daher selbst keinem Kostenrisiko ausgesetzt (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO).
4. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1, 52 Abs. 1, 2 GKG. Zur Begründung wird insoweit auf die erstinstanzliche Entscheidung Bezug genommen.
Hinweis:
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).


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