Medizinrecht

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Aktenzeichen  M 26a E 20.6704

Datum:
29.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 39081
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123
11. BayIfSMV

 

Leitsatz

Tenor

I. Es wird im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig festgestellt, dass § 12 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 der 11. BayIfSMV dem Betrieb des Ladengeschäftes der Antragstellerin mit elektronischen Zigaretten und nikotinhaltigen Flüssigkeiten zur Befüllung solcher elektronischen Zigaretten in der …straße … in … nicht entgegensteht, sofern die geltenden Vorgaben des § 12 Abs. 1 Satz 4 der. 11 BayIfSMV und zum sonstigen örtlichen Infektionsschutz eingehalten werden.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 7.500 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Feststellung, dass sie ihr Einzelhandelsgeschäftes trotz der Geltung der Betriebsuntersagung durch die Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung öffnen darf.
Die Antragstellerin betreibt in München ein Ladengeschäft mit elektronischen Zigaretten und nikotinhaltigen Flüssigkeiten zur Befüllung solcher elektronischen Zigaretten. (E-Zigaretten). Nach einer ehemals sogenannten „Positivliste“ des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege, welche im Internet unter der Überschrift „FAQ Corona-Krise und Wirtschaft“ veröffentlicht ist, ist die Öffnung von E-Zigaretten-Geschäften (ausgenommen der Online-Verkauf) und von Liquidsverkaufsläden untersagt.
Durch die 11. Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (11. BayIfSMV) vom 15. Dezember 2020 wird die Öffnung von Ladengeschäften mit Kundenverkehr und zugehörige Abholdienste des Einzelhandels jeder Art untersagt (§ 12 Abs. 1 Satz 1). Ausgenommen hiervon sind der Lebensmittelhandel inklusive Direktvermarktung, Lieferdienste, Getränkemärkte, Reformhäuser, Babyfachmärkte, Apotheken, Sanitätshäuser, Drogerien, Optiker, Hörgeräteakustiker, Tankstellen, Kfz-Werkstätten, Fahrradwerkstätten, Banken und Sparkassen, Filialen des Brief- und Versandhandels, Reinigungen und Waschsalons, der Verkauf von Presseartikel, Tierbedarf und Futtermittel, der Verkauf von Weihnachtsbäumen und sonstige für die tägliche Versorgung unverzichtbare Ladengeschäfte sowie der Großhandel (§ 12 Abs. 1 Satz 2). Ausnahmegenehmigungen auf Antrag durch die zuständige Kreisverwaltungsbehörde für andere, für die Versorgung der Bevölkerung unbedingt notwendige Geschäfte sind nicht (mehr) vorgesehen.
Die Antragstellerin wandte sich mit der Auffassung, dass es sich bei ihrem Einzelhandelsgeschäft um ein für die tägliche Versorgung unverzichtbares Ladengeschäft handelt, an die Antragsgegnerin, die sich unter Berufung auf die „Positivliste“ des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege auf den Standpunkt stellte, dass die Antragstellerin ihr Geschäft nicht öffnen dürfe.
Am 18. Dezember 2020 ließ die Antragstellerin durch ihren Bevollmächtigten beim Verwaltungsgericht München beantragen,
im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO vorläufig festzustellen, dass die Antragstellerin zur Öffnung ihres Ladengeschäftes des Einzelhandels mit elektronischen Zigaretten und Nachfolgebehältern im Sinne des Tabakerzeugnisgesetzes befugt ist.
Zur Begründung wird ausgeführt, dass die im Frühjahr zwischen den Beteiligten ergangene rechtskräftige gerichtliche Eilentscheidung der beantragten Feststellung aufgrund einer unterschiedlichen rechtlichen Ausgangslage nicht entgegenstehe. Sonstige für die tägliche Versorgung unverzichtbare Ladengeschäfte seien nunmehr von Gesetzes wegen von der Betriebsschließung ausgenommen. Für eine enge Auslegung bezüglich dieses Tatbestandsmerkmals bestehe angesichts des betroffenen Grundrechts der Berufsausübung kein Raum. Auch darauf, ob die Antragstellerin mit Lebensmittel handele, komme es nicht an. Entscheidend sei, ob der Handel mit E- Zigaretten und Liquids ein für die tägliche Versorgung unverzichtbares Ladengeschäft sei. Diese Frage müsse im Wege der Auslegung bejaht werden, wenn sie sich nicht mit Art. 3 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz in Widerspruch setzen wolle.
E-Zigaretten und Zubehör seien, wie Tabakwaren, Waren des täglichen Bedarfs und damit für die tägliche Versorgung unverzichtbar. Andere Bundesländer hätten E-Zigaretten-Fachgeschäfte deshalb zu Recht von der Betriebsuntersagung ausgenommen. Suchtmediziner würden sich gegen einen Verkaufsstopp in Spezialgeschäften aussprechen und bestätigen, dass die Versorgung der Bevölkerung mit E-Zigaretten im Fachhandel vor Ort gerade in Zeiten der Corona-Pandemie unverzichtbar sei. Die sogenannte Positivliste, der keine rechtliche Verbindlichkeit zukomme, sei insoweit nicht nachvollziehbar.
Auf die Frage, ob die Grundversorgung mit E-Zigaretten auch über den Lebensmittelhandel, Tankstellen oder den Online-Handel sichergestellt werden kann, komme es nach geltender Rechtslage, die den enumerativ aufgezählten Geschäften sonstige für die tägliche Versorgung unverzichtbare Geschäfte gleichrangig an die Seite stelle, nicht an. Der Lebensmittelhandel könne die Grundversorgung mit E-Zigaretten definitionsgemäß nicht gewährleisten. Es sei kein sachlicher Grund ersichtlich, Lebensmittel-Spezialgeschäfte wie Spirituosen-, Süßwaren- oder Weinhandlungen zu öffnen, E-Zigaretten-Geschäfte und Tabakläden dagegen zu schließen. Denn auch diesbezüglich sei eine Grundversorgung in Supermärkten oder an Tankstellen gewährleistet. Vorsorglich werde vorgetragen, dass die Grundversorgung mit E-Zigaretten nicht durch den herkömmlichen Lebensmitteleinzelhandel, durch Tankstellen oder den Online-Handel gewährleistet werde. E-Zigaretten und nikotinhaltige Liquids seien im Supermarkt größtenteils nicht erhältliche Spezialprodukte, die im Rahmen einer Notversorgung nicht ohne weiteres substituierbar seien. Die Versorgungslage für E-Zigaretten und Liquids habe sich gegenüber dem Frühjahr signifikant verschlechtert. Der Online-Handel oder ein eigener Lieferdienst seien für viele Kunden nicht praktikabel, für die Antragstellerin nicht wirtschaftlich und auch infektionsschutzrechtlich bedenklicher als der Einkauf vor Ort im Geschäft.
Die Angelegenheit sei dringlich, da der Umsatzverlust von mindestens 75% durch den unstreitig zulässigen Online-Handel nicht ausgeglichen werden könne. Das Ende der Beschränkungen sei, genauso wie die Auszahlung finanzieller Hilfen und Entschädigungen, nicht absehbar.
Der Antragsgegner beantragt mit Schriftsatz vom 22. Dezember 2020,
den Antrag abzulehnen.
Die Versorgung mit E-Zigaretten und Zubehörartikeln sei jedenfalls über Mischbetriebe oder den Onlinehandel gesichert. Für den Zeitraum der Schließungen seien umfangreiche Wirtschaftshilfen durch den Staat angekündigt. Ein restriktiver Vollzug der Verordnung sei angesichts des derzeitigen Infektionsgeschehens mit Inzidenzwerten um 300 in München angezeigt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte verwiesen.
II.
Angesichts der Eilbedürftigkeit der Angelegenheit ergeht die Entscheidung nach § 123 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. § 80 Abs. 8 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) durch den Vorsitzenden.
Der Antrag nach § 123 VwGO hat Erfolg. Er ist zulässig und begründet.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Erforderlich ist, dass der Antragsteller einen materiellen Anspruch (Anordnungsanspruch) und die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung gerade im einstweiligen Rechtsschutzverfahren (Anordnungsgrund) glaubhaft macht.
1. Der Antrag ist zulässig.
1.1 Der Antrag ist statthaft. § 47 Abs. 6 VwGO, der gegenüber einer Feststellungsklage nach § 43 VwGO bzw. einem Antrag nach § 123 VwGO lex specialis ist (Sodan/Ziekow, § 123 VwGO Rn.40 f., Beck OK VwGO, § 123 Rn.16; Fehling/Kastner/Stürmer, § 123 VwGO Rn.22), ist hier nicht einschlägig, da die Feststellung begehrt wird, dass der Betrieb der Antragstellerin trotz Geltung der Vorschriften der 11. BayIfSMV erlaubt ist. Ein einstweiliger Rechtsschutzantrag mit dem Ziel, die Wirksamkeit einer Norm im Wege einer vorläufigen Feststellung zu suspendieren, wäre hingegen nicht statthaft (BayVGH, B.v. 18.06.2020 – 20 CE 20.1388 -, Rn. 4 juris).
1.2 Ein Rechtsschutzbedürfnis für den auf (vorläufige) Feststellung gerichteten Antrag ist unproblematisch gegeben, da die Antragstellerin die Antragsgegnerin vor der Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem streitgegenständlichen Vorbringen befasst hat. Die Frage der Zulässigkeit des Betriebs richtet sich unmittelbar nach der 11. BayIfSMV, ohne dass eine behördliche Zulassungsentscheidung vorgesehen wäre.
Der Antragstellerin ist es – auch mit Blick auf die Bußgeldbewehrung § 28 Nr. 11 der 11. BayIfSMV – im Übrigen nicht zuzumuten, auf der Grundlage ihrer Rechtsauffassung ihr Geschäft zu öffnen und erst gegen eine etwaige künftige polizeiliche Maßnahme oder gegen einen Bußgeldbescheid Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen (vgl. VG Sigmaringen, B.v. 21.04.2020 – 14 K 1360/20 – juris Rn.12; BVerwG, U.v. 13.01.1969 – I C 86.64 -, BVerwGE 31, 177-181, Rn. 19, juris).
2. Der Antrag ist auch begründet.
2.1 Die Antragsgegnerin ist in diesem Verfahren passivlegitimiert
(§ 78 Abs. 1 Nr. 1 24 VwGO analog). Bei Feststellungsklagen i.S.v. § 43 VwGO – und entsprechend auch
bei auf einstweilige Feststellung gerichteten Eilanträgen nach § 123 VwGO -, denen
(wie hier) ein Streit um die Anwendbarkeit von Normen zugrunde liegt, kommt als Beklagter und Antragsgegner zumindest im Regelfall nur der Rechtsträger derjenigen Behörde in Betracht, die über die Einhaltung der jeweiligen Normen zu wachen hat (vgl. BVerwG, U.v. 28.1.2010 – 8 C 19/09 – juris Rn. 29; U.v. 23.8.2007 – 7 C 2/07 – juris Rn. 22; Michl, NVwZ 2014, 841/843; Rennert in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 43 Rn. 45). Normanwender in diesem Sinn ist vorliegend die Antragsgegnerin als für den Vollzug des Infektionsschutzgesetzes zuständige Kreisverwaltungsbehörde (§ 54 Satz 1 IfSG, § 65 ZustV, Art. 9 Abs. 1 Satz 1 GO; vgl. BayVGH, B.v. 26.8.2020 -20 CE 20.1806 – juris Rn. 14).
2.2 Die Antragstellerin hat einen Anspruch darauf, dass im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO vorläufig festgestellt wird, dass sie zur Öffnung ihres Ladengeschäftes des Einzelhandels mit elektronischen Zigaretten und Nachfüllbehältern im Sinne des Tabakerzeugnisgesetzes befugt ist und dass dem die Regelungen des § 12 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 der 11. BayIfSMV nicht entgegenstehen.
§ 12 Abs. 1 der Elften Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (11. BayIfSMV) vom 15. Dezember 2020 steht der Öffnung des Betriebes der Antragstellerin nicht entgegen. Danach sind die Öffnung von Ladengeschäften mit Kundenverkehr und zugehörige Abholdienste untersagt (§ 12 Abs. 2 Satz 1) Ausgenommen sind nach Satz 2 der Lebensmittelhandel inklusive Direktvermarktung, Lieferdienste, Getränkemärkte, Reformhäuser, Babyfachmärkte, Apotheken, Sanitätshäuser, Drogerien, Optiker, Hörgeräteakustiker, Tankstellen, Kfz-Werkstätten, Fahrradwerkstätten, Banken und Sparkassen, Filialen des Brief- und Versandhandels, Reinigungen und Waschsalons, der Verkauf von Presseartikeln, Tierbedarf und Futtermittel, der Verkauf von Weihnachtsbäumen und sonstige für die tägliche Versorgung unverzichtbare Ladengeschäfte sowie der Großhandel.
2.2.1 Die Antragstellerin hat vorliegend glaubhaft gemacht, dass ihr Einzelhandelsgeschäft mit elektronischen Zigaretten und Nachfüllbehältern unter die sonstigen für die tägliche Versorgung unverzichtbaren Ladengeschäfte zu subsumieren ist und deshalb
die Regelungen des § 12 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 der 11. BayIfSMV dem Betrieb ihres Geschäftes nicht entgegenstehen.
2.2.1.1 Der Begriff der „sonstigen für die tägliche Versorgung unverzichtbaren Ladengeschäfte“ ist auslegungsbedürftig. Nach dem Wortlaut und dem Zusammenhang der Vorschrift muss das Angebot der gemeinten Geschäfte ähnlich wichtig für die Versorgung der Bevölkerung mit Gütern des täglichen Bedarfs sein wie das der ausdrücklich in § 12 Abs. 1 Satz 2 der 11. BayIfSMV genannten Geschäfte. Grundlage für die diesbezügliche Bewertung ist also ein Vergleich mit den explizit in der Verordnung genannten zulässigen Geschäften. Dabei wird tendenziell eine enge Auslegung der Vorschrift in Betracht zu ziehen sein, weil sie eine ausdrückliche Ausnahme von der in § 12 Abs. 2 Satz 1 der 11. BayIfSMV verfügten generellen Untersagung der Öffnung von Ladengeschäften mit Kundenverkehr statuiert. Als „unverzichtbar für die tägliche Versorgung“ wird man die Geschäfte ansehen können, die Güter anbieten, die bei objektiver Betrachtungsweise einen elementaren Grundbedarf der Bevölkerung decken, der einerseits unaufschiebbar, dessen Befriedigung andererseits auch angesichts der Ausnahmesituation einer Pandemie, die allen Bürgern erhebliche Einschränkungen abverlangt, bei wertender Betrachtung als legitim erscheint.
Der Verordnungsgeber, das bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege, hat freilich seinen Willen eindeutig dadurch geäußert, dass in den „FAQ Corona-Krise und Wirtschaft“ des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege (ehemals „Positivliste“) mit Stand 21. Dezember 2020 in einem Katalog sowohl die weiterhin zulässigen als auch die nicht mehr zulässigen Betriebe und Ladengeschäfte aus seiner Sicht abschließend aufgeführt hat. Dieser Positivliste kommt zwar keine verbindliche Rechtswirkung für den Einzelnen zu, enthält aber die für den Vollzug zuständigen Behörden grundsätzliche verbindliche Auslegung der Vorschrift des § 12 Abs. 1 der 11. BayIfSMV, insbesondere damit eine bayernweit einheitlichen Anwendung der Vorschrift gewährleistet ist. Danach sind E-Zigaretten-Geschäfte (mit Ausnahme des Online-Handels) und Liquidsverkaufsläden ausdrücklich nicht zugelassen und damit gemäß dem Verordnungsgeber keine für die tägliche Versorgung unverzichtbaren Ladengeschäfte.
Eine objektivteleologische Auslegung der Vorschrift verlangt ebenfalls, dass die fraglichen Geschäfte den vom Verordnungsgeber explizit genannten Geschäften in Bezug auf deren Versorgungscharakter gleichwertig sein müssen, soll das Prinzip der Gleichbehandlung von wesentlich Gleichem, Art. 3 Abs. 1 GG, nicht verletzt werden. Der Zweck der Verordnung insgesamt wie auch das Ziel der Untersagungen hinsichtlich des Einzelhandels ist es, die Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen zu flankieren und auf diese Weise das Infektionsgeschehen wieder einzudämmen. Gerade in diesem Bereich komme es zu zahlreichen zufälligen Kontakten unterschiedlichster Personen. Eine Nachverfolgbarkeit von Kontaktpersonen sei unter diesen Rahmenbedingungen kaum möglich. Die Schließung von Ladengeschäften mit Ausnahmen führe zu einer Vermeidung zahlreicher zufälliger Kontakte und trage dazu bei, die Infektionsdynamik einzugrenzen (vgl. S. 4 der Begründung zur 11. BayIfSMV). Damit kommt es auch unter teleologischem Blickwinkel darauf an, ob es sich bei dem Angebot des betreffenden Geschäfts um Waren handelt, die dem in „Zeiten der Not“ verzichtbaren Luxus oder der vorübergehend verzichtbaren Freizeitgestaltung der Bürger zuzuordnen sind oder ob es sich um solche Waren handelt, die zur Befriedigung der auch angesichts der Corona-Pandemie als elementar zu bewertenden Grundbedürfnisse der Bevölkerung dienen.
2.2.1.2 Nach diesen Maßstäben gehört das Einzelhandelsgeschäft der Antragstellerin mit elektronischen Zigaretten und Nachfüllbehältern zu den sonstigen für die tägliche Versorgung unverzichtbaren Ladengeschäften.
Für die betroffenen Personen, die E-Zigaretten rauchen, bedeutet der Konsum dieser Zigaretten typischerweise keinen verzichtbaren Luxus oder bloße Freizeitgestaltung durch entspannten Genuss, sondern dient, ähnlich wie bei Tabakkonsumenten, typischerweise einer – legalen – Suchtbefriedigung in Bezug auf Nikotin. E-Zigaretten sind zwar keine Lebensmittel, sondern werden den „Genussmitteln“ zugeordnet, die nicht in erster Linie wegen ihres Nährwertes und zur Sättigung konsumiert werden, sondern aufgrund ihres Geschmacks und ihrer anregenden oder berauschenden Wirkung. Diese Begrifflichkeit impliziert aber keinen Ausschluss der E-Zigaretten aus dem Kreis der für die tägliche Versorgung der Bevölkerung unverzichtbaren Güter. Für den typischen, von den entsprechenden Stoffen abhängigen, Konsumenten von E-Zigaretten ist die tägliche Versorgung mit E-Zigaretten samt Zubehör unverzichtbarer Grundbedarf seiner Lebensführung, nicht etwa ein für längere Zeit verzichtbarer Luxus.
E-Zigaretten-Fachgeschäfte wie das der Antragstellerin sind den Lebensmittelspezialgeschäften (Spirituosen-, Süßwaren- oder Feinkostgeschäfte, Weinhandel) und Vinotheken, die nach den „FAQ Corona-Krise und Wirtschaft“ offenbleiben dürfen, bei wertender Betrachtung gleichzustellen, da es hier noch eher als dort um die Befriedigung von verzichtbarem Luxus und um Freizeitgestaltung durch den Konsum von Genussmitteln geht. Man wird nicht sagen können, dass beispielsweise eine Vinothek ein für die tägliche Versorgung der Bevölkerung unverzichtbares Ladengeschäft ist. Aus dem Grundrecht der Antragstellerin auf Berufsfreiheit, Art. 12 GG, in Verbindung mit dem Recht auf Gleichbehandlung aus Art. 3 Abs. 1 GG folgt insoweit, dass sie diesen Lebensmittelgeschäften gleichzustellen ist, da ein sachlicher Grund für eine Ungleichbehandlung unter den maßgeblichen infektionsschutzrechtlichen Gesichtspunkten nicht erkennbar ist. Dass es sich bei den einen Warenangebot um Lebensmittel, bei dem anderen um Genussmittel handelt, begründet jedenfalls keinen infektionsschutzrechtlich tragfähigen Unterschied.
Dabei kann letztlich offenbleiben, ob die Versorgung der Bevölkerung mit E-Zigaretten und Zubehör durch den herkömmlichen Lebensmitteleinzelhandel, durch Tankstellen oder den Online-Handel gewährleistet wird. Denn abgesehen davon, dass die Antragstellerin in ihrem Antrag glaubhaft belegt hat, dass dies nicht der Fall ist, ist ein derartiges Tatbestandsmerkmal der geltenden Regelung der Verordnung nicht zu entnehmen. Eine solche die Antragstellerin belastende Voraussetzung würde sie auch in Bezug auf die dadurch begünstigten Mischbetriebe ungerechtfertigter Weise benachteiligen.
Das durch die Öffnung des Betriebes der Antragstellerin sowie ähnliche Betriebe entstehende zusätzliche Personenaufkommen in der Öffentlichkeit durch die An- und Abfahrt von Kunden hält das Gericht aus Infektionsschutzrechte Sicht auch angesichts der von der Antragsgegnerin ins Feld geführten Inzidenzwerte in der Landeshauptstadt München für vertretbar.
Das Ergebnis setzt sich nicht in Widerspruch zu den zwischen den Beteiligten ergangenen Beschlüssen des erkennenden Gerichts vom 31. März 2020, Az. M 26 E 20.1343 und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 14. April 2020, Az. 20 CE 20.725. Die diesen Beschlüssen zu Grunde liegende Rechtslage, die lediglich eine Ausnahmegenehmigung für für die Versorgung der Bevölkerung unbedingt notwendige Geschäfte vorgesehen hatte, soweit dies im Einzelfall aus Infektionsschutz Sicht vertretbar war (§ 2 Abs. 4 Satz 3 BayIfSMV vom 27. März 2020), unterschied sich in entscheidungserheblicher Weise von der aktuell geltenden Verordnungslage, die die für die tägliche Versorgung unverzichtbaren Ladengeschäfte den benannten zulässigen Geschäften ohne weiteres gleichstellt.
2.2.2 Der Anordnungsgrund im Sinn der Eilbedürftigkeit der Feststellung ist glaubhaft gemacht. Er folgt daraus, dass die Auslegung der einschlägigen Regelungen der 11. BayIfSMV durch die Antragsgegnerin in die Berufsfreiheit der Antragstellerin aus Art. 12 Abs. 1 GG sowie in das Gleichheitsgrundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG eingreift und Rechtsschutz in der Hauptsache voraussichtlich zu spät kommen würde. Der Antragstellerin entsteht durch die Schließung ihres Geschäftes ein täglich wachsender wirtschaftlicher Schaden.
2.2.3 Die mit der einstweiligen Anordnung einhergehende partielle Vorwegnahme der Hauptsache ist mit Blick auf die dargelegte Grundrechtsbetroffenheit einerseits und auf die – bei etwaig sich verschärfender Sach- und Rechtslage – jederzeit gegebene Reversibilität der Regelung andererseits gerechtfertigt.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 und 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 und Nr. 54.2.1 analog des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.


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