Medizinrecht

Entziehung der Fahrerlaubnis

Aktenzeichen  B 1 S 19.618

Datum:
23.7.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 30469
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
FeV § 11 Abs. 8, § 46 Abs. 1 S. 1, § 47 Abs. 1
StVG § 3 Abs. 1
VwGO § 80 Abs. 5

 

Leitsatz

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Der Streitwert wird auf 8.750 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Entziehung seiner Fahrerlaubnis.
Einer Kurzmitteilung der Polizeiinspektion … vom 1. Februar 2017 an die Straßenverkehrsbehörde des Landratsamts … ist zu entnehmen, dass eine Polizeistreife am 27. Januar 2017, 10:39 Uhr, anlässlich eines medizinischen Notfalls an die Wohnadresse des Antragstellers gerufen wurde. Der Antragsteller habe während der Arbeit an dem Bach, der durch sein Anwesen fließt, einen Anfall erlitten, dessen Ursache vor Ort nicht habe geklärt werden können. Er habe für einen Zeitraum von etwa zehn Minuten das Bewusstsein verloren, sei gestürzt und habe für den genannten Zeitraum mit den Beinen im Wasser gelegen. Hier habe ihn sein Sohn aufgefunden. Dieser habe gegenüber der Streife angegeben, dass es bereits vor ein paar Jahren zu einem ähnlich gelagerten Anfall bei seinem Vater gekommen sei. Der Antragsteller sei zur weiteren Behandlung und Abklärung ins Krankenhaus verbracht worden. Über Häufigkeit und Ursache der Anfälle könnten keine weiteren Angaben gemacht werden. Es könne eine Gefährdung des Straßenverkehrs durch den Antragsteller für diesen selbst sowie für andere Verkehrsteilnehmer nicht ausgeschlossen werden.
Aufgrund dieser Mitteilung forderte das Landratsamt … den Antragsteller mit Schreiben vom 9. Februar 2017 zur Beibringung eines Gutachtens eines Arztes in einer Begutachtungsstelle für Fahreignung auf.
Mit Bescheid vom 17. Juli 2017 entzog das Landratsamt … dem Antragsteller die Erlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen der Klassen A, A2, A1, AM, B, BE, C, CE, C1, C1E, L und T (Nr. 1). Der Antragsteller wurde aufgefordert, den Führerschein unverzüglich bei der Führerscheinstelle des Landratsamtes … abzugeben (Nr. 2). Für den Fall der Nichtbefolgung der Verpflichtung aus Nr. 2 innerhalb einer Woche nach Zustellung des Bescheides wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 300,00 EUR angedroht (Nr. 3). Die sofortige Vollziehung der Ziffern 1 und 2 wurde angeordnet (Nr. 4).
Zur Begründung führte das Landratsamt … aus, dass beim Antragsteller aufgrund des Vorfalls vom 27. Januar 2017 Zweifel an der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen bestünden. Die zutage getretenen Auffälligkeiten machten eine weitere Aufklärung einer möglicherweise fahreignungsrelevanten Erkrankung sowie die Klärung der Fahreignung notwendig, weswegen gemäß § 46 Abs. 3 i.V.m. § 11 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 2 Satz 3 Nr. 5 FeV eine Begutachtung durch einen Arzt in einer Begutachtungsstelle für Fahreignung angeordnet werde. Zweifelsfrei stehe durch die Schilderungen fest, dass der Antragsteller mindestens das Bewusstsein verloren habe. Die Bedenken seien durch die Aussage des Sohnes des Antragstellers erhärtet worden, da von diesem von einem ähnlichen „Anfall“ vor Jahren berichtet worden sei. Demnach lägen der Anordnung konkrete Tatsachen zu Grunde, die den hinreichenden Verdacht fehlender oder eingeschränkter Eignung begründeten. Für die Beibringung des Gutachtens sei eine angemessene Frist gesetzt worden, zuletzt bis 23. Juni 2017. Auch im Rahmen des eingeleiteten Entziehungsverfahrens hätte letztlich bis 12. Juli 2017 die Möglichkeit bestanden, das geforderte Gutachten vorzulegen. Aus der Nichtbeibringung des angeordneten ärztlichen Gutachtens habe die Fahrerlaubnisbehörde daher nach § 11 Abs. 8 FeV den Schluss ziehen können, der Antragsteller sei zum Führen von Kfz ungeeignet. Sodann wurden die weiteren Anordnungen, die Zwangsmittelandrohung sowie der Sofortvollzug begründet.
Den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage lehnte das Verwaltungsgericht Bayreuth mit Beschluss vom 13. September 2017 (B 1 S 17.566) ab. Mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 16. August 2018 (11 CS 17.1940) wurde der Beschluss des Verwaltungsgerichts Bayreuth in den Nummern 1 und 2 abgeändert. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 17. Juli 2017 wurde wiederhergestellt. Das Verwaltungsgericht sei zu Recht davon ausgegangen, dass die polizeiliche Kurzmitteilung keine hinreichend belastbare Tatsachengrundlage für eine Gutachtensanordnung bot. Nachdem somit im Ergebnis die Gutachtensanordnung den gesetzlichen Anforderungen nicht genüge und nicht heilbar sei und der angefochtene Bescheid auch nicht auf anderer Rechtsgrundlage zu halten sei, sei die Rechtslage nach summarischer Prüfung nicht offen, sondern der Entziehungsbescheid offensichtlich rechtswidrig. Damit habe die Klage voraussichtlich Erfolg. Vor diesem Hintergrund bestehe für eine reine Ermessensabwägung im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO regelmäßig kein Raum mehr.
Mit Bescheid vom 3. September 2018 nahm das Landratsamt den Bescheid vom 17. Juli 2017 zurück.
Mit Schreiben vom 5. Dezember 2018 forderte das Landratsamt den Antragsteller „dem Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs folgend“ auf, bis spätestens 18. Januar 2019 folgende Unterlagen vorzulegen:
„- vollständiger Entlassungsbericht des Klinikums … infolge der Untersuchung am 27. Januar 2017, welcher im gerichtlichen Verfahren nur unvollständig sowie ohne Verfasser, Datum, Dauer des Aufenthalts oder Entlassungsdiagnose vorgelegt worden sei,
– Vorlage der ärztlichen Würdigung (Arztbrief) der für den 3. Februar 2017 geplanten cMRT Untersuchung,
– Vorlage des Abschlussberichts infolge der im gerichtlichen Verfahren angekündigten abschließenden Untersuchung im Universitätsklinikum …,
– Vorlage des erstellten ärztlichen Gutachtens der TÜV Life Service GmbH infolge der Begutachtung am 1. Juni 2017,
– sowie gegebenenfalls darüber hinaus vorliegende geeignete Nachweise über die Diagnostizierung und die Behandlung fahreignungsrelevanter Erkrankungen (z.B. weitere Atteste, Berichte des/r behandelnden Arztes/Ärzte).
– Zur Einordnung der Art und Klärungsbedürftigkeit der Fahreignung aufgrund möglicher fahreignungsrelevanter Erkrankungen, welche auf die geschilderten Hinweise zurückzuführen sind, fordern wir Herrn* … darüber hinaus dazu auf, den beigefügten Fragebogen, zusammen mit dem Medikamentenplan, ausgefüllt und bestätigt durch den Hausarzt/Facharzt, ebenfalls bis spätestens 18. Januar 2019 an uns zurückzusenden.“
Mit Schreiben vom 18. Januar 2019 äußerte der Bevollmächtigte des Antragstellers, dass vom Antragsteller Unterlagen und Auskünfte gefordert würden, die ihm teilweise nicht einmal vorlägen. Bedenken gegen die Fahreignung ergäben sich nicht, insbesondere nicht aus dem Schreiben vom 5. Dezember 2018. Da der angebliche Anlass mehr als zwei Jahre zurückliege, sei die Anordnung nicht mehr anlassbezogen im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Der Antragsteller sei nicht verpflichtet, die geforderten Unterlagen und Auskünfte zu erteilen. Ein Entlassungsbericht vom Januar 2017 und eine ärztliche Würdigung vom Februar 2017 könne nicht mehr für die Beurteilung der Fahreignung im Jahr 2019 herangezogen werden. Das TÜV-Gutachten vom 1. Juni 2017 liege nicht vor. Der Antragsteller habe keine fahreignungsrelevanten Erkrankungen.
Mit Schriftsatz vom 20. März 2019 (zugestellt am 27. März 2019) antwortete das Landratsamt hierauf, dass auf Grund des Sachverhalts vom 27. Januar 2017 der Verdacht auf eine fahreignungsrelevante Erkrankung (Herz- und Gefäßerkrankung) nach Nr. 4 der Anlage 4 FeV bestehe. Hier könnte als eine mögliche Erkrankung eine Synkope vorliegen, welche definiert sei durch eine kurz andauernde Bewusstlosigkeit mit einem Verlust der Haltungskontrolle. Die geforderten Unterlagen seien nicht übersendet worden. Eine Präzisierung der Fragstellung auf Basis einer Diagnose könne deshalb nicht erfolgen. Ein Anlassbezug liege vor, da der Antragsteller keinerlei Schritte zur Mitwirkung und Aufklärung des Vorfalls unternommen habe. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass ein wiederholter Anfall vorkomme, der dann im Straßenverkehr stattfinde. Der Antragsteller werde bis spätestens 20. Mai 2019 aufgefordert, ein Gutachten eines Arztes in einer Begutachtungsstelle für Fahreignung vorzulegen. Die Fragestellung lautet:
„1. Liegt bei Herrn … eine fahreignungsrelevante Erkrankung nach Anlage 4 der FeV (hier Verdacht auf eine Herz- und Gefäßkrankheit nach Nr. 4 der Anlage 4 zur FeV) vor?
2. Ist Herr … im Falle einer fahreignungsrelevanten Erkrankung nach Anlage 4 der FeV in der Lage den Anforderungen zum Führen eines Kraftfahrzeugs der Gruppe 1 und 2 gerecht zu werden?
3. Liegt eine ausreichende Compliance vor und wird diese auch umgesetzt (Adhärenz)?
4. Sind Beschränkungen und/oder Auflagen erforderlich, um den Anforderungen an das Führen eines Kraftfahrzeugs (je Fahrerlaubnisgruppe) gerecht zu werden?
5. Ist bzw. sind insbesondere (eine) fachlich einzelfallbegründete Auflage(n) nach Anlage 4 (z.B. ärztliche Kontrollen) erforderlich? In welchen zeitlichen Abständen und wie lange? Was soll regelmäßig kontrolliert und attestiert werden? Sind die Ergebnisse der Fahrerlaubnisbehörde vorzulegen; wenn ja, warum?
6. Ist eine fachlich einzelfallbegründete (je Fahrerlaubnisgruppe) Nachuntersuchung i.S. einer erneuten (Nach-) Begutachtung erforderlich? In welchem zeitlichem Abstand?“
Mit Schreiben vom 9. Mai 2019 kündigte der Bevollmächtige an, dass sich der Antragsteller einer Untersuchung bei der Begutachtungsstelle für Fahreignung des TÜV … unterziehen werde. Er beantragte vor Übersendung der Akten an den TÜV Akteneinsicht.
Das Landratsamt gewährte mit Schreiben vom 9. Mai 2019 Akteneinsicht und wies darauf hin, dass die Frist zur Abgabe des Gutachtens am 20. Mai 2019 auslaufe.
Mit Schreiben vom 15. Mai 2019 teilte der Bevollmächtigte mit, dass der TÜV … e.V. das Gutachten nicht bis zum 20. Mai erstellen könne und bat um Verlängerung der Frist bis 30. Juni 2019.
Das Landratsamt antwortete hierauf mit Schreiben vom 16. Mai 2019, dass die Frist nur verlängert werde, wenn bei dem Betreffenden Hinderungsgründe vorlägen, die die Vorlage eines Gutachtens objektiv unmöglich machten. Etwaige Hinderungsgründe sollten bis 22. Mai 2019 nachgereicht werden.
Mit Schreiben vom 17. Mai 2019 (beim Landratsamt eingegangen am 21. Mai 2019) sandte der Bevollmächtigte des Antragstellers die überlassene Akte zurück und teilte mit, dass nur die Schreiben vom 5. Dezember 2018, vom 18. Januar 2019 und vom 20. März 2019 an den TÜV- … übersandt werden dürften. Die Weitergabe aller anderen Unterlagen stelle einen Verstoß gegen die Datenschutzgrundverordnung dar und habe eventuell sogar strafrechtliche Relevanz.
Mit Fax vom 22. Mai 2019 wurde um Verlängerung der Frist gebeten, da der Antragsteller keinen früheren Termin zur Begutachtung bekommen habe. Die Terminvergabe liege nicht im Machtbereich des Antragstellers. Bei einer anderen Stelle würde der Antragsteller auch keinen früheren Termin bekommen.
Das Landratsamt hörte den Antragsteller zum Entzug der Fahrerlaubnis mit Schreiben vom 23. Mai 2019 an.
Mit Schriftsatz vom 11. Juni 2019 wurde „Widerspruch“ gegen die Ablehnung der Fristverlängerung eingelegt. Der Antragsteller habe einen Termin beim TÜV … vereinbart und dies dem Landratsamt rechtzeitig mitgeteilt. Vom TÜV habe er erfahren, dass die Untersuchung und das entsprechende Gutachten nicht in der vom Landratsamt gesetzten Frist erfolgen könnten. Der Antragsteller habe rechtzeitig mitgeteilt, an welchen Arzt die Unterlagen zu übersenden seien. Es sei eine Fristverlängerung zu gewähren, bis der TÜV das Gutachten erstellt habe. Mit Schreiben vom 16. Juni 2019 wurde ausgeführt, dass keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen vorlägen. Es werde angeregt, von einer Entziehung der Fahrerlaubnis bis zur Vorlage eines Gutachtens abzusehen.
Mit Bescheid vom 2. Juli 2019 entzog das Landratsamt dem Antragsteller die Fahrerlaubnis der Klassen A, A2, A1, AM, B, BE, C, CE, C1E, L und T (Nr. 1). Der Führerschein sei innerhalb einer Woche nach Zustellung des Bescheids bei der Führerscheinstelle des Landratsamts … abzugeben (Nr. 2). Für den Fall der Nichtbefolgung der Verpflichtung in Nr. 2 innerhalb einer Woche nach Zustellung des Bescheids wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 300 EUR angedroht. Die sofortige Vollziehung der Nrn. 1 und 2 des Bescheids wurde angeordnet. Zur Begründung ist ausgeführt, dass der Antragsteller die im Schreiben vom 5. Dezember 2018 geforderten Unterlagen nicht vorgelegt habe. Auf Grund dieses Sachverhalts hätten sich die Fahreignungszweifel so erheblich verstärkt, dass das der Fahrerlaubnisbehörde eingeräumte Ermessen in § 11 Abs. 2 FeV auf nahezu Null reduziert gewesen sei. Deshalb sei im Schreiben vom 20. März 2019 gefordert worden, das Gutachten eines Arztes einer Begutachtungsstelle für Fahreignung vorzulegen (§ 11 Abs. 2 Satz 1 bis 3 Nr. 5). Eine Erklärung über die Auswahl der Begutachtungsstelle, welche umgehend an das Landratsamt hätte zurückgesendet werden sollen, damit eine fristgerechte Erstellung des Gutachtens gewährleistet werden könne, sei nicht erfolgt. Im Schreiben vom 15. Mai 2019 sei fünf Tage vor Ablauf der Frist als Begutachtungsstelle der TÜV … genannt worden. Eine Verlängerung der Frist sei nicht in Betracht gekommen, da der Betroffene bei der Auswahl der zu wählenden Stelle für die fristgerechte Gutachtenerstellung Sorge zu tragen habe. Darauf sei er im Schreiben des Landratsamts vom 20. März 2019 explizit hingewiesen worden. Allein im Formblatt der Zustimmungserklärung seien 29 Begutachtungsstellen mit Telefonnummer gelistet. Da keine Rechtfertigungsgründe für eine Verlängerung der Frist vorgebracht worden seien und der TÜV … das gewünschte Gutachten nicht bis zum 20. Mai 2019 hätte erstellen können, sei die Akte nicht mehr übersandt worden. Ein verkehrsmedizinisches Gutachten sei somit nicht erstellt worden. Man habe nach § 11 Abs. 8 FeV auf die Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen schließen können. Der Ansicht, dass heute kein Anhaltspunkt mehr für eine mangelnde Fahreignung bestehe, könne nicht gefolgt werden. Das Landratsamt habe zeitnah Bedenken geäußert. Nach der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs habe man im Schreiben vom 5. Dezember 2018 zur weiteren Aufklärung aufgefordert. Es sei keine einzige der angeforderten Unterlagen vorgelegt worden.
Gegen diesen Bescheid ließ der Antragsteller mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 5. Juli 2019 – bei Gericht eingegangen am selben Tag – Klage erheben, die unter dem Az.: B 1 K 19.618 geführt wird. Zugleich ließ er um einstweiligen Rechtschutz nachsuchen und die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage beantragen.
Zur Begründung des Antrags wurde ausgeführt, dass die Untersuchungsanordnung rechtwidrig sei. Der Antragsgegner stütze den Bescheid auf einen angeblichen Vorfall am 27. Januar 2017, der zweieinhalb Jahre zurückliege. Es sei nicht möglich, zweieinhalb Jahre nach einem angeblichen Vorfall, der keinerlei Rückschlüsse auf gesundheitliche Beeinträchtigungen zugelassen habe, die Fahrerlaubnis zu entziehen. Der Antragsgegner stütze seinen Bescheid auf die gleiche fehlerhafte Einschätzung des Polizeibeamten vom 27. Januar 2017, allerdings zwei Jahre später. Nach neurologischer Meinung liege keine Krankheit vor, wenn der Betroffene sechs Monate anfallfrei sei. Es wird eine E-Mail des Sachbearbeiters vom 31. August 2018 zitiert: „Auch wenn meine medizinische Kompetenz in diesem Fall der unklaren möglichen Erkrankung (…) nicht ausreicht, könnte man die Fragestellung wohl am ehesten auf Verdacht einer Erkrankung des Nervensystems nach Nr. 6 der Anlage 4 FeV eingrenzen?“ An dieser E-Mail erkenne man, dass der Antragsgegner im Trüben fische. Der Antragsgegner habe die Akten bis heute dem TÜV … nicht übersandt, sodass der Antragsteller überhaupt keinen Termin zu der (unzulässig angeordneten) Untersuchung habe bekommen können. Zur Verhältnismäßigkeit sei auszuführen, dass der Antragsteller als selbständiger Transportunternehmer und Geschäftsführer eines Bauunternehmens seit fast 40 Jahren die Fahrerlaubnis besitze und es niemals zu einer gesundheitlichen Beeinträchtigung gekommen sei. Es sei niemals zu einer Gefährdung des Straßenverkehrs gekommen. Es käme zu einem erheblichen wirtschaftlichen Schaden, wenn er nicht fahren dürfe, da er dann das Unternehmen nicht mehr leiten könne. Er müsse jeden Tag in den Betrieb und zu mehreren Baustellen fahren und führe auch selbst die Transporte durch.
Mit Schriftsatz vom 12. Juli 2019, eingegangen beim Verwaltungsgericht Bayreuth am 15. Juli 2019, hat das Landratsamt die Behördenakte vorgelegt und beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichts- und Behördenakte ergänzend Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO analog).
II.
1. Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs ganz oder teilweise wiederherstellen bzw. anordnen. Bei der Entscheidung hat das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung zu treffen, bei der entsprechend § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO das Interesse der Allgemeinheit an der sofortigen Vollziehung gegen das Interesse des Betroffenen an der aufschiebenden Wirkung abzuwägen ist. Dabei sind auch die überschaubaren Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zu berücksichtigen. Demzufolge überwiegt hier das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit der Fahrerlaubnisentziehung gegenüber dem Aufschubinteresse des Antragstellers, da der Bescheid des Landratsamts vom 2. Juli 2019 im Hauptsacheverfahren aller Voraussicht nach als rechtmäßig wird bestätigt werden können.
In der Sache selbst folgt das Gericht der zutreffenden Begründung des angegriffenen Bescheids und sieht insoweit von einer gesonderten Darstellung der Gründe ab (§ 117 Abs. 5 VwGO analog). Ergänzend hierzu ist noch das Folgende auszuführen:
2. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG i.V.m. § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich deren Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 zur FeV vorliegen und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken gegen die Eignung des Fahrerlaubnisinhabers zum Führen von Kraftfahrzeugen begründen, finden gemäß § 46 Abs. 3 FeV die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung. Nach der hier einschlägigen Norm des § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 FeV kann die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens eines Arztes in einer Begutachtungsstelle für Fahreignung zur Klärung von Eignungszweifeln angeordnet werden, wenn Tatsachen bekannt werden, die Bedenken gegen die körperliche oder geistige Eignung des Fahrerlaubnisinhabers begründen. Bedenken gegen die körperliche oder geistige Eignung bestehen insbesondere, wenn Tatsachen bekannt werden, die auf eine Erkrankung oder einen Mangel nach der Anlage 4 oder 5 hinweisen (§ 11 Abs. 2 Satz 1 FeV). Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen oder bringt er der Fahrerlaubnisbehörde das von ihr geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, so darf sie bei ihrer Entscheidung gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf die Nichteignung des Betroffenen schließen. Voraussetzung ist allerdings insoweit, dass die Untersuchungsanordnung rechtmäßig war und die Weigerung ohne ausreichenden Grund erfolgt (BVerwG, Urt.v. 09.06.2005 – 3 C 25.04 – DAR 2005, 581; BayVGH, B.v. 25.06.2008 – 11 ZB 08.1123 – juris). In formeller Hinsicht muss die Aufforderung im Wesentlichen aus sich heraus verständlich sein, der Betroffene muss ihr entnehmen können, was konkret ihr Anlass ist und ob das in ihr Verlautbarte die behördlichen Zweifel an der Fahreignung zu rechtfertigen vermag. In materieller Hinsicht ist eine Gutachtensaufforderung nur rechtmäßig, wenn aufgrund konkreter tatsächlicher Anhaltspunkte berechtigte Zweifel an der Kraftfahreignung des betroffenen Kraftfahrers bestehen und die angeordnete Überprüfung ein geeignetes und verhältnismäßiges Mittel ist, um gerade die konkret entstandenen Eignungszweifel aufzuklären. Hiernach muss sich die Anforderung eines Gutachtens auf solche Mängel beziehen, die bei vernünftiger, lebensnaher Einschätzung die ernsthafte Besorgnis begründen, dass sich der Betroffene als Führer eines Kraftfahrzeugs nicht verkehrsgerecht und umsichtig verhalten werde, was es auf der anderen Seite ausschließt, jeden Umstand, der auf die entfernt liegende Möglichkeit eines Eignungsmangels hindeutet, als hinreichenden Grund für die Anforderung eines Gutachtens anzusehen (st. Rspr., so z.B. VGH Baden-Württemberg, Urt.v. 23.02.2010 – 10 S 221/09 – juris). Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Anordnung eines Gutachtens ist auf den Zeitpunkt der Gutachtensanforderung abzustellen (BVerwG, Urt.v. 05.07.2001 -3 C 13/01 – juris Rn. 27).
a) An der Verhältnismäßigkeit der Gutachtensanordnung bestehen keine Zweifel. So hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluss betreffend das erste Entzugsverfahren des Antragstellers (B.v. 16.08.2018 – 11 CS 17.1940) ausgeführt: „Somit hätte Anlass bestanden, den Wahrheitsgehalt der Aussage (gemeint des Polizeibeamten beim Vorfall am 27. Januar 2017) durch Rückfrage beim Mitteiler (Sohn des Antragsteller), ggf. dem berichtenden Polizeibeamten, und insbesondere anhand des Berichts des aufnehmenden Krankenhauses zu prüfen. Verweigert der Betroffene in so einem Fall die erforderliche Mitwirkung bei der Aufklärung des Sachverhalts, wäre auch dies ein außerhalb der zu überprüfenden Aussage liegender Anhaltspunkt dafür, dass er einen fahreignungsrelevanten Sachverhalt zu verbergen sucht, auf den die Anordnung eines ärztlichen Gutachtens gestützt werden könnte. (…) Haben sich neue Tatsachen – wie hier die Vorlage eines unvollständigen Auszugs aus dem Entlassungsbericht des Klinikums …, der zudem einen Hinweis auf bestehenden medizinischen Abklärungsbedarf enthielt – erst im Klageverfahren ergeben, bleibt es der Fahrerlaubnisbehörde unbenommen, die Aufforderung durch eine neue mit der Begründung zu ersetzen, dass weitere Tatsachen begründete(re) n Anlass zur Annahme fehlender Fahreignung bieten, mit der Folge, dass sich das Klageverfahren erledigt (BVerwG, U.v. 5.7.2001 a.a.O. Rn. 27). Desgleichen kann sie aufgrund zu Tage getretenen einschlägigen Tatsachenstoffes die maßgebliche Begründung in dem Entziehungsbescheid auswechseln, indem sie die Annahme fehlender Fahreignung aus diesen Tatsachen und nicht mehr aus der Weigerung, ein Gutachten beizubringen, ableitet (BVerwG, U.v. 5.7.2001 a.a.O. Rn. 28; zur Auswechslung der Begründung allgemein BVerwG, U.v. 19.8.1988 – 8 C 29/87 – BVerwGE 80, 96 = juris Rn. 11 ff.; Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 45 Rn. 46). Diese nach wie vor bestehenden Möglichkeiten hat der Antragsgegner indes trotz der vom Verwaltungsgericht gegen die Gutachtensanordnung dargelegten Bedenken bislang offenbar nicht in Betracht gezogen.“
Diese Ausführungen zeigen, dass der Bayerische Verwaltungsgerichtshof im vorliegenden Verfahren selbst davon ausgeht, dass auf Grund der Vorlage des unvollständigen Auszugs des Entlassungsberichts des Klinikums … ein zusätzlicher Hinweis auf einen medizinischen Abklärungsbedarf bestand. Die Weigerung des Antragstellers, die im Schreiben des Landratsamts vom 5. Dezember 2018 geforderten Unterlagen vorzulegen, bot weiter Anlass, die Fahreignung durch die Vorlage eines medizinischen Gutachtens aufzuklären. Zwar mag der erste Anstoß für das Verfahren im Januar 2017 und somit über zwei Jahre her sein, es liegen aber gerade auf Grund der fortgesetzten Weigerung des Antragstellers neue Tatsachen vor, sodass eine Anlassbezogenheit durchaus gegeben ist (vgl. auch OVG Lüneburg, U.v. 18.04.2016 – 12 LB 178/15 – juris Rn. 37).
b) Die Frist für die Vorlage des Gutachtens war mit zwei Monaten nicht zu kurz bemessen. Der Antragsteller hat keine Gründe genannt, weswegen er sich nicht früher an eine Begutachtungsstelle für die Terminvergabe wenden konnte. Mit dem bloßen Zuwarten bis zwei Wochen vor Fristablauf hat der Antragsteller seiner Mitwirkungspflicht nicht genügt. Es hätte ihm oblegen, sich so rechtzeitig einen neuen Untersuchungstermin geben zu lassen, dass die Erstellung des Gutachtens noch innerhalb der Frist realistisch gewesen wäre oder eine andere Begutachtungsstelle beauftragen müssen (so auch BayVGH, B. v. 17.04.2019 – 11 CS 19.24 – juris Rn. 18).
Dass die Akten durch das Landratsamt nicht an die TÜV … GmbH geschickt wurden, ist unerheblich, da dies in den Verantwortungsbereich des Antragstellers bzw. seines Bevollmächtigten fällt.
Zwar kündigte der Bevollmächtigte am 9. Mai 2019 – und damit erst sechs Wochen, nachdem ihm die Begutachtungsanordnung zuging – an, dass sich der Antragsteller einer Untersuchung bei der Begutachtungsstelle für Fahreignung des TÜV … unterziehen werde. Er beantragte aber vor Übersendung der Akten an den TÜV Akteneinsicht. Das Landratsamt überließ die Akten an den Bevollmächtigten, machte ihn aber zugleich auf das Erfordernis des Einhaltens der Frist zur Gutachtenserstellung aufmerksam. Mit Schreiben vom 17. Mai 2019 (beim Landratsamt eingegangen am 21. Mai 2019) sandte der Bevollmächtigte des Antragstellers die überlassene Akte zurück und teilte mit, dass nur die Schreiben vom 5. Dezember 2018, vom 18. Januar 2019 und vom 20. März 2019 an den TÜV- … übersandt werden dürften. Am Tag des Akteneingangs beim Landratsamt war die Frist zur Vorlage des Gutachtens aber bereits abgelaufen und das Landratsamt spätestens nach Ablauf der Frist zur Mitteilung von persönlichen Hinderungsgründen (am 22. Mai 2019) nach § 11 Abs. 8 FeV verpflichtet, die Fahrerlaubnis zu entziehen. Eine Versendung der Akten an die Begutachtungsstelle hätte zu diesem Zeitpunkt keinen Sinn mehr gemacht.
3. War dem Antragsteller die Fahrerlaubnis zu entziehen, so ergibt sich seine Pflicht zur Ablieferung des Führerscheins aus § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG, § 47 Abs. 1 FeV. Nicht zu beanstanden ist auch die Zwangsgeldandrohung in Nr. 3 dieses Bescheids, da insoweit die allgemeinen und besonderen Vollstreckungsvoraussetzungen gegeben sind.
4. Schließlich hat die Fahrerlaubnisbehörde bei der Anordnung der sofortigen Vollziehung den formalen Begründungserfordernissen des § 80 Abs. 3 VwGO in ausreichendem Umfang Rechnung getragen. Es wurde zu Recht festgestellt, dass das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs gegenüber den Belangen der Verkehrssicherheit zurückzustehen hat. Nach der ständigen Rechtsprechung der Kammer und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs reicht es bei einer Fahrerlaubnisentziehung aus, die für den Fall typische Interessenlage aufzuzeigen; die Darlegung besonderer zusätzlicher Gründe für die Erforderlichkeit der sofortigen Vollziehung ist nicht geboten (vgl. BayVGH B.v. 10.10.2011 – 11 CS 11.1963, B.v. 11.5.2011 – 11 CS 10.68, B.v. 24.8.2010 – 11 CS 10.1139, B.v. 19.7.2010 – 11 CS 10.540, B.v. 25.5.2010 – 11 CS 10.227 und B.v. 25.3.2010 – 11 CS 09.2580; VGH BW, B.v. 24.1.2012 – 10 S 3175/11). Diesen Anforderungen werden die Ausführungen des streitgegenständlichen Bescheids gerecht.
Auch die eigene Interessenabwägung des Gerichts fällt zu Lasten des Antragstellers aus. Angesichts der Gefahren für Leben, körperliche Unversehrtheit und Eigentum anderer Verkehrsteilnehmer durch fahrungeeignete Personen können persönliche und berufliche Gründe des Antragstellers nicht dazu führen, ihm auch nur vorübergehend bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens die Fahrerlaubnis zu belassen.
5. Der Antrag wird daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abgelehnt.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 53 Abs. 2 und § 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG) i.V.m. Ziffern 1.5, 46.1, 46.3 und 46.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (NVwZ-Beilage 2013, 57).


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