Medizinrecht

Entziehung der Fahrerlaubnis

Aktenzeichen  11 CS 17.1940

Datum:
16.8.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 19970
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
StVG § 3 Abs. 1
FeV § 11 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 Nr. 5, Abs. 8, § 46 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

Die Rechtmäßigkeit des Entziehungsbescheids einer Fahrerlaubnis richtet sich nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt seines Erlasses. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

B 1 S 17.566 2017-09-13 Bes VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 13. September 2017 wird in Nummer 1 und 2 abgeändert. Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen den Bescheid vom 17. Juli 2017 wird wiederhergestellt. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen.
III. Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 8.750,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller, ein Transportunternehmer und Geschäftsführer eines Bauunternehmens, wendet sich gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Entziehung seiner Fahrerlaubnis.
Am 3. Februar 2017 ging bei der Fahrerlaubnisbehörde des Landratsamts F. eine Kurzmitteilung der Polizeiinspektion F. ein, wonach die Polizei aufgrund eines medizinischen Notfalls am 27. Januar 2017 zum Anwesen des Antragstellers gerufen worden war. Der Antragsteller habe während der Arbeiten an dem Bach, der durch sein Anwesen fließe, einen Anfall erlitten, dessen Ursache vor Ort nicht habe geklärt werden können. Während des Anfalls habe er für etwa zehn Minuten das Bewusstsein verloren. Er sei gestürzt und habe während des genannten Zeitraums mit den Beinen im Wasser gelegen. Hier habe ihn sein Sohn gefunden, der gegenüber der Polizei angegeben habe, dass es bei seinem Vater bereits vor ein paar Jahren zu einem ähnlich gelagerten Anfall gekommen sei. Der Rettungsdienst habe den Antragsteller zu weiteren Behandlung und Abklärung ins Krankenhaus verbracht.
Am 3. Februar 2017 ging beim Landratsamt eine Bescheinigung des Betriebsmedizinischen Zentrums Fränkische Schweiz vom 25. Januar 2017 gemäß § 12 Abs. 6, § 48 Abs. 4 Nr. 4, Abs. 5 Nr. 2 FeV ein, wonach keine Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens hätten festgestellt werden können. Am 7. Februar 2017 wurde dem Antragsteller ein Führerschein für die Klassen A, BE und CE ausgehändigt.
Die Fahrerlaubnisbehörde nahm die polizeiliche Mitteilung zum Anlass, gemäß § 46 Abs. 3, § 11 Abs. 2 Satz 2 und 3 Nr. 5 FeV mit Schreiben vom 14. Februar 2017 ein ärztliches Gutachten zur Klärung der Fragen anzuordnen, ob eine Erkrankung vorliege, die nach Anlage 4 zur FeV die Fahreignung in Frage stelle, ob der Antragsteller in der Lage sei, den Anforderungen zum Führen eines Kraftfahrzeugs der Gruppe 1 gerecht zu werden, ob Nachuntersuchungen erforderlich seien und, wenn ja, in welchen Abständen.
Mit Schreiben seines Bevollmächtigten vom 8. März und 19. April 2017 legte der Antragsteller Widerspruch gegen die Anordnung ein und bestritt, je einen Anfall erlitten zu haben. Tatsache sei, dass er in seinem privaten Anwesen einen Unfall erlitten habe. Untersuchungen in der Klinik in Bamberg und im Betriebsmedizinischen Zentrum Fränkische Schweiz hätten keine Befunde erbracht. Es treffe auch nicht zu, dass der Sohn des Antragstellers geäußert habe, sein Vater habe schon einmal einen solchen „Anfall“ gehabt, da dies weder am 27. Januar 2017 noch zuvor der Fall gewesen sei. Die Darstellung in der Gutachtensanordnung basiere auf der fehlerhaften Einschätzung eines Polizeibeamten ohne medizinische Qualifikation. Die Anordnung des Gutachtens sei daher aufzuheben.
Am 1. Juni 2017 unterzog sich der Antragsteller einer Begutachtung bei der T. Service GmbH in Bamberg. Zur Erstellung des Gutachtens kam es zunächst nicht, weil der Antragsteller einen Befundbericht nicht vorlegte.
Auf Wunsch des Antragstellers verlängerte das Landratsamt mehrmals die Frist zur Vorlage des Gutachtens, letztmals bis 23. Juni 2017, und lehnte mit Schreiben vom 19. Juni und 7. Juli 2017 eine weitere Fristverlängerung ab. Hiergegen legte der Antragsteller jeweils Widerspruch ein. Ferner stellte er einen Antrag gemäß § 80 Abs. 4 VwGO und wies zuletzt darauf hin, dass ihm die Fahrerlaubnis selbst dann nicht entzogen werden könnte, wenn er am 27. Januar 2017 einen „Anfall“ gehabt hätte, weil er nunmehr jedenfalls ein halbes Jahr anfallsfrei gewesen sei.
Nach Anhörung mit Schreiben vom 21. Juni 2017 entzog das Landratsamt dem Antragsteller mit Bescheid vom 17. Juli 2017 gestützt auf § 3 Abs. 1 StVG, § 46 Abs. 1 i.V.m. § 11 Abs. 8 FeV die Fahrerlaubnis der Klassen A, A2, A1, AM, B, BE, C, CE, C1, C1E, L und T und gab ihm unter Anordnung eines Zwangsgeldes auf, seinen Führerschein innerhalb einer Woche nach Zustellung des Bescheids abzuliefern. Außerdem ordnete es jeweils den Sofortvollzug an. In den Gründen ist ausgeführt, der Antragsteller habe einen Anfall erlitten, dessen Ursache vor Ort nicht habe geklärt werden können. Es stehe fest, dass er zehn Minuten das Bewusstsein verloren habe. Sein Sohn habe ihn mit den Beinen im Wasser liegend aufgefunden und angegeben, dass es bereits vor Jahren zu einem ähnlichen Anfall gekommen sei. Die zutage getretenen Auffälligkeiten machten eine weitere Aufklärung einer möglicherweise fahreignungsrelevanten Erkrankung sowie der Klärung der Fahreignung notwendig.
Gegen diesen Bescheid ließ der Antragsteller durch seinen Bevollmächtigten beim Verwaltungsgericht Bayreuth Klage (B 1 K 17.567) erheben, über die noch nicht entschieden ist, und gleichzeitig Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO stellen. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Antragsteller habe am 27. Januar 2017 bei Arbeiten in seinem Garten einen Unfall erlitten. Er habe sich den Kopf gestoßen und sei gestürzt. Deshalb sei er zur Untersuchung ins Krankenhaus gebracht worden. Beim Eintreffen des Notarztes sei er bei Bewusstsein gewesen. In mehr als 35 Jahren sei es niemals zu einer gesundheitlichen Beeinträchtigung im Straßenverkehr gekommen. Seine Fahrerlaubnis sei zuletzt am 6. Februar 2017 verlängert worden. Ein Polizeibeamter ohne medizinische Kenntnisse habe „festgestellt“, dass er einen Anfall erlitten und das Bewusstsein verloren habe, obwohl er in diesem Zeitpunkt nicht anwesend gewesen sei. Es sei nicht nachvollziehbar, woher er diese Informationen habe, jedenfalls nicht vom Sohn des Antragstellers. Dieser habe nur das Notfallpersonal informiert.
Mit Schreiben vom 17. August 2017 setzte das Landratsamt die Vollstreckung des Zwangsgeldes bis zum Abschluss des Eilverfahrens aus.
Mit Schreiben vom 25. August 2017 setzte das Verwaltungsgericht dem Antragsteller eine Frist bis 4. September 2017, um einen im Klageverfahren nur in Auszügen vorgelegten Entlassungsbericht des Klinikums Bamberg vollständig vorzulegen. Dem kam der Antragsteller nicht nach.
Mit Beschluss vom 13. September 2017 lehnte das Verwaltungsgericht den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ab. Zwar wäre die polizeiliche Mitteilung, die die Schilderung der Auffindesituation durch die Polizeibeamten und die vom Antragsteller bestrittene Äußerung seines Sohnes enthalte, ein geeigneter Anlass für weitere Ermittlungen gewesen. Es erscheine aber unverhältnismäßig, auf ihrer Grundlage die Vorlage eines ärztlichen Gutachtens anzuordnen. Die in Betracht kommenden Ursachen für die Bewusstlosigkeit des Antragstellers seien vielfältig. Die Fragestellung in der Gutachtensanordnung sei derart weit gehalten und decke alle in der Anlage 4 zur FeV aufgeführten Krankheitsbilder und Mängel ab, dass sich der Antragsteller damit einer umfassenden Untersuchung zu unterziehen gehabt hätte. Deshalb wäre es angezeigt gewesen, bereits im Vorfeld weitere Ermittlungen und ggf. eine Eingrenzung vorzunehmen. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage komme aber nicht in Betracht, weil erhebliche Anhaltspunkte dafür bestünden, dass sich die gesundheitliche Situation des Antragstellers doch nicht so unproblematisch darstelle, wie von ihm behauptet werde. Dem nur unvollständig vorgelegten Entlassungsbericht des Klinikums Bamberg lasse sich weder der Verfasser noch ein Datum, die Dauer des Aufenthalts oder eine Entlassungsdiagnose entnehmen. Es ergebe sich aber, dass noch medizinischer Abklärungsbedarf bestanden habe, da ein cMRT für den 3. Februar 2017 geplant gewesen sei. Der Antragsteller habe auch deutlich gemacht, dass demnächst eine abschließende Untersuchung im Universitätsklinikum Erlangen anstehe und dass er dessen Bericht vorlegen wolle. Im Interesse der Allgemeinheit könne es derzeit nicht verantwortet werden, ihn am Straßenverkehr teilnehmen zu lassen. Unter diesen Umständen führe eine eigenständige Interessenabwägung zu dem Ergebnis, dass derzeit ein überwiegendes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheids bestehe.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers, der der Antragsgegner entgegentritt. Zur Begründung führt der Antragsteller aus, dass seine fehlende Fahreignung nicht erwiesen sei und auch keine Anhaltspunkte dafür vorlägen. Das einzige Argument der Fahrerlaubnisbehörde beruhe auf der Mitteilung eines medizinischen Laien. Auch stelle die Mutmaßung eines Polizeibeamten keine Tatsache dar. Damit wäre die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen gewesen. Allein dies entspreche auch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Der Antragsteller sei beruflich auf die Fahrerlaubnis angewiesen. Die Verwaltung könne dem Bürger nicht auferlegen, Entlastungsbeweise beizubringen.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist im Wesentlichen begründet.
Soweit sich der Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO gegen die Zwangsgeldandrohung zur Vollstreckung der Abgabe des Führerscheins (Nummer 2 des angefochtenen Bescheids) richtet, ist er wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig, weil der Antragsgegner die Zwangsvollstreckung hinsichtlich der Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins bis zum Abschluss des Eilverfahrens ausgesetzt hat.
Im Übrigen ergibt sich aus den im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), dass dem Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zu entsprechen ist, weil die der Entziehung der Fahrerlaubnis vorangegangene Gutachtensanordnung rechtswidrig ist.
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes vom 5. März 2003 (StVG, BGBl I S. 310), zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses zuletzt geändert durch Gesetz vom 30. Juni 2017 (BGBl I S. 2094), und § 46 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 13. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses zuletzt geändert durch Verordnung vom 18. Mai 2017 (BGBl I S. 1282), hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich deren Inhaber als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV gilt dies insbesondere dann, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 der FeV vorliegen oder erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen wurde. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 46 Abs. 3 FeV). Nach § 11 Abs. 2 Satz 1 FeV kann die Fahrerlaubnisbehörde die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens anordnen, wenn Tatsachen bekannt werden, die Bedenken gegen die körperliche oder geistige Eignung des Fahrerlaubnisinhabers begründen. Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen, oder bringt er das geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, darf nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf die Nichteignung geschlossen werden. Der Schluss auf die Nichteignung ist allerdings nur zulässig, wenn die Anordnung der Begutachtung formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig ist (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 3 C 20.15 – BVerwGE 156, 293 = juris Rn. 19).
Bedenken gegen die körperliche und geistige Fahreignung bestehen nach § 11 Abs. 2 Satz 2 FeV insbesondere, wenn Tatsachen bekannt werden, die auf eine Erkrankung oder einen Mangel nach Anlage 4 oder 5 zur FeV hinweisen. Nicht erforderlich ist also, dass eine solche Erkrankung oder ein solcher Mangel bereits feststeht. Allerdings darf die Beibringung des Gutachtens nur aufgrund konkreter Tatsachen, nicht auf einen bloßen Verdacht „ins Blaue hinein“ bzw. auf Mutmaßungen, Werturteile, Behauptungen oder dergleichen hin verlangt werden (vgl. BVerwG, U.v. 5.7.2001 – 3 C 13.01 – NJW 2002, 78 = juris Rn. 26; Siegmund in Freymann/Wellner jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, § 11 FeV Rn. 36). Ob die der Behörde vorliegenden Tatsachen ausreichen, ist nach den gesamten Umständen des jeweiligen Einzelfalls zu beurteilen. Gleiches gilt für den genauen Grad der Konkretisierung, die die von der Fahrerlaubnisbehörde gemäß § 11 Abs. 6 Satz 1 und 2 FeV festzulegende und mitzuteilende Fragestellung aufweisen muss (BVerwG, B.v. 5.2.2015 – 3 B 16.14 – BayVBl 2015, 421 = juris Rn. 9; BayVGH, B.v. 3.9.2015 – 11 CS 15.1505 – juris Rn. 13).
Hieran gemessen ist das Verwaltungsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass die polizeiliche Kurzmitteilung keine hinreichend belastbare Tatsachengrundlage für eine Gutachtensanordnung bot. Der der Fahrerlaubnisbehörde zugegangenen Mitteilung lässt sich – außer den unbestrittenen Tatsachen, dass der Antragsteller bei Arbeiten auf seinem Grundstück ins Wasser gefallen und anschließend ins Krankenhaus eingeliefert worden ist – nicht entnehmen, welchen Sachverhalt der Polizeibeamte selbst wahrgenommen hat, insbesondere, in welchem Zustand sich der Antragsteller bei seinem Eintreffen befand, u.a. ob er bei Bewusstsein war, und welcher Sachverhalt dem Beamten lediglich mitgeteilt worden ist. Etwaige Feststellungen des Rettungsdienstpersonals oder des Notarztes enthält sie nicht. Nachdem der Antragsteller in Abrede gestellt hat, dass er je einen Anfall erlitten und dass sein Sohn derartiges mitgeteilt hat, sondern behauptet hat, er habe einen Unfall erlitten und sei bei Ankunft des Notarztes bei Bewusstsein gewesen, könnte es sich bei der polizeilichen Kurzmitteilung letztlich auch um die bloße Weitergabe einer ungeprüften Mitteilung oder Einschätzung eines Familienangehörigen, d.h. eines Dritten, handeln, für dessen Neutralität und/oder Sachkunde keine besondere Gewähr besteht. In diesem Fall aber ist ein Missverständnis oder sogar eine Falschangabe nicht von vornherein auszuschließen. Somit hätte Anlass bestanden, den Wahrheitsgehalt der Aussage durch Rückfrage beim Mitteiler (Sohn des Antragsteller), ggf. dem berichtenden Polizeibeamten, und insbesondere anhand des Berichts des aufnehmenden Krankenhauses zu prüfen. Verweigert der Betroffene in so einem Fall die erforderliche Mitwirkung bei der Aufklärung des Sachverhalts, wäre auch dies ein außerhalb der zu überprüfenden Aussage liegender Anhaltspunkt dafür, dass er einen fahreignungsrelevanten Sachverhalt zu verbergen sucht, auf den die Anordnung eines ärztlichen Gutachtens gestützt werden könnte.
Nicht entscheidungserheblich ist, ob die während des Gerichtsverfahrens bekannt gewordenen Umstände die Aufforderung zur Beibringung eines ärztlichen Gutachtens rechtfertigen würden. Denn eine unberechtigte Aufforderung zur Gutachtensbeibringung kann nicht dadurch „geheilt“ werden, dass die Behörde nachträglich darlegt, objektiv hätten seinerzeit Umstände vorgelegen, die Anlass zu Zweifeln an der Fahreignung hätten geben können (BVerwG, U.v. 17.11.2016 – 3 C 20.15 – BVerwGE 156, 293 = juris Rn. 21; U.v. 5.7.2001 – 3 C 13.01 – NJW 2002, 78 Rn. 26 f.; BayVGH, B.v. 27.5.2014 – 11 CS 14.258 – juris Rn. 13; VGH BW, U.v. 27.7.2016 – 10 S 77/15 – VBlBW 2017, 31 = juris, Rn. 50 m.w.N.; OVG NW, B.v. 13.6.2018 – 16 B 1402/17 – juris Rn. -; OVG SA, B.v. 25.2.2016 – 3 L 204/15 – juris Rn. 19). Eine Ergänzung der Aufforderung ist nur möglich, solange ein Gutachten noch nicht erstellt und die Fahrerlaubnis noch nicht entzogen worden ist (vgl. BayVGH, B.v. 5.7.2017 – 11 CS 17.1066 – juris Rn. 13 m.w.N.; B.v. 11.3.2015 – 11 CS 15.82 – juris Rn. 15; OVG NW, B.v. 5.3.2014 – 16 B 1485/13 – juris Rn. 3 ff.). Haben sich neue Tatsachen – wie hier die Vorlage eines unvollständigen Auszugs aus dem Entlassungsbericht des Klinikums Bamberg, der zudem einen Hinweis auf bestehenden medizinischen Abklärungsbedarf enthielt – erst im Klageverfahren ergeben, bleibt es der Fahrerlaubnisbehörde unbenommen, die Aufforderung durch eine neue mit der Begründung zu ersetzen, dass weitere Tatsachen begründete(re) n Anlass zur Annahme fehlender Fahreignung bieten, mit der Folge, dass sich das Klageverfahren erledigt (BVerwG, U.v. 5.7.2001 a.a.O. Rn. 27). Desgleichen kann sie aufgrund zu Tage getretenen einschlägigen Tatsachenstoffes die maßgebliche Begründung in dem Entziehungsbescheid auswechseln, indem sie die Annahme fehlender Fahreignung aus diesen Tatsachen und nicht mehr aus der Weigerung, ein Gutachten beizubringen, ableitet (BVerwG, U.v. 5.7.2001 a.a.O. Rn. 28; zur Auswechslung der Begründung allgemein BVerwG, U.v. 19.8.1988 – 8 C 29/87 – BVerwGE 80, 96 = juris Rn. 11 ff.; Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 45 Rn. 46). Diese nach wie vor bestehenden Möglichkeiten hat der Antragsgegner indes trotz der vom Verwaltungsgericht gegen die Gutachtensanordnung dargelegten Bedenken bislang offenbar nicht in Betracht gezogen.
Da die Rechtmäßigkeit des Entziehungsbescheids nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt seines Erlasses zu beurteilen ist (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 23.10.2014 – 3 C 3.13 – NJW 2015,2439 = juris Rn. 13 m.w.N.) und die Tatsachen, die möglicherweise auch eine Entziehung der Fahrerlaubnis aufgrund eines feststehenden Verlusts der Fahreignung im Sinne von § 11 Abs. 7 FeV rechtfertigen könnten (vgl. BayVGH, B.v. 23.1.2007 – 11 CS 06.2228 – juris Rn. 32), vorliegend erst nach Erlass des Bescheids, nämlich im Laufe des Gerichtsverfahrens, entstanden sind, kommt eine den streitgegenständlichen Bescheid aufrechterhaltende Auswechslung der Begründung nicht in Betracht.
Nachdem somit im Ergebnis die Gutachtensanordnung den gesetzlichen Anforderungen nicht genügt und nicht heilbar ist und der angefochtene Bescheid auch nicht auf anderer Rechtsgrundlage zu halten ist, ist die Rechtslage nach summarischer Prüfung nicht offen, sondern der Entziehungsbescheid offensichtlich rechtswidrig. Damit hat die Klage voraussichtlich Erfolg. Auch den Gründen des gerichtlichen Eilbeschlusses ist nicht zu entnehmen, dass das Ausgangsgericht noch Zweifel an der Rechtswidrigkeit der Gutachtensanordnung hatte. Vor diesem Hintergrund aber besteht für eine reine Ermessensabwägung im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO regelmäßig kein Raum mehr (vgl. Schoch in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 80 Rn. 386, 388; ein dem von BayVGH, B.v. 24.8.2010 – 11 CS 10.1139 – juris Rn. 61 entschiedenen gleichgelagerter Fall ist hier nicht gegeben). Gegenläufige öffentliche Interessen können die offensichtliche Rechtswidrigkeit nicht überwinden (Schmidt in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 80 Rn. 73). Selbst in den mit gesetzlichem Sofortvollzug versehenen Fällen des § 80 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 VwGO ist bei ernsthaften Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des Bescheids gemäß § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO (analog) (Schoch, a.a.O. Rn. 384) der Vollzug auszusetzen. Dies hat erst recht im Falle der Entziehung der Fahrerlaubnis zu gelten, die von Gesetzes wegen nicht sofort vollziehbar ist (vgl. § 80 Abs. 1 VwGO). Hier liegt das Vollzugsrisiko grundsätzlich bei der Verwaltung. Es ist ihre Sache, die staatliche Schutzpflicht gegenüber dritten Verkehrsteilnehmern vor fahrungeeigneten Verkehrsteilnehmern zu gewährleisten.
Der Beschwerde war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1, § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO stattzugeben. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nr. 1.5 Satz 1, 46.1, 46.3 und 46.4 des Streitwertkatalogs in der Fassung der am 31. Mai/1. Juni 2012 und am 18. Juli 2013 beschlossenen Änderungen.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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