Medizinrecht

Entziehung der Fahrerlaubnis trotz Vorlage eines ärztlichen Attestes

Aktenzeichen  M 26 S 18.2667

Datum:
3.9.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 21799
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
FeV § 11 Abs. 2 S. 3, Abs. 8

 

Leitsatz

Legt ein Betroffener ein ausführliches Gutachten vor, das durch einen nach § 11 Abs. 2 S. 3 FeV in Verbindung mit den Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung zur Beurteilung der vorgegebenen Fragestellung grundsätzlich kompetenten Gutachter erstellt wurde, der nach eigener ärztlicher Versicherung zu keinem Zeitpunkt der behandelnde Arzt des Betroffenen war und ist, darf die Behörde jedenfalls ausnahmsweise nicht schlicht von der ihr grundsätzlich durch § 11 Abs. 8 FeV eröffneten Befugnis Gebrauch machen, sondern muss das Gutachten als neue, selbständige Tatsache einer Überprüfung unterziehen. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers vom 4. Juni 2018 gegen die in Nummer 1 des Bescheids des Landratsamts Starnberg vom 25. Mai 2018 verfügte Entziehung der Fahrerlaubnis und gegen die in Nummer 2 des Bescheids enthaltene Verpflichtung zur Ablieferung des Führerscheins wird unter der Auflage wiederhergestellt, dass der Antragsteller dem Landratsamt weiterhin vierteljährlich Atteste des behandelnden Psychiaters vorlegt, beginnend mit der Rückgabe des Führerscheins. Aus den Attesten müssen der aktuelle Zustand und Verlauf der Erkrankung, die derzeitige Medikation und die Beurteilung der Compliance hervorgehen.
II. Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf Euro 3.750,- festgesetzt.

Gründe

I.
Der 1972 geborene Antragsteller wendet sich im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen A1 und BE.
Der Antragsteller erwarb im Jahr 1990 eine Fahrerlaubnis der Altklasse 3. Nachdem dem Landratsamt Ende 2014 bekannt geworden war, dass der Antragsteller an einer psychiatrischen Erkrankung leidet (bipolar-schizoaffektive Störung, ICD-10 F 25.2) und er am … August 2014 im Rahmen einer akuten Psychose im Straßenverkehr auffällig geworden war, ordnete das Landratsamt am … Januar 2015 die Vorlage eines ärztlichen Fahreignungsgutachtens an. Dem daraufhin vorgelegten Gutachten der A… vom … April 2015 ist zu entnehmen, dass der Antragsteller bereits seit 1988 an einer bipolar-schizoaffektiven Störung leidet, derentwegen er sich bisher …mal in stationär-psychiatrische Behandlung begeben habe. Unter konsequenter medikamentöser Behandlung sei die Krankheitsaktivität jedoch geringer geworden und es müsse mit einer Verlaufsform der vorangegangenen Schwere nicht mehr gerechnet werden. Bei der Untersuchung seien keine Störungen nachweisbar gewesen, die das Realitätsurteil erheblich beeinflussten. Da jedoch mehrere psychotische Episoden aufgetreten seien und es sich mithin um einen sog. wellenförmigen Verlauf handele, seien im Hinblick auf mögliche Wiedererkrankungen Nachuntersuchungen im Abstand von drei Jahren erforderlich. Zudem seien regelmäßige ärztliche Kontrolluntersuchungen in mindestens dreimonatigem Abstand durchzuführen.
Die Voraussetzungen zum sicheren Führen eines Kraftfahrzeuges der Gruppe 2 seien nicht gegeben, da eine Psychose vorliege, die sowohl Elemente der Schizophrenie (Nr. 7.6 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV)) als auch der affektiven Psychose (Nr. 7.5 der Anlage 4 zur FeV) enthalte und bereits mehrere Phasen mit zum Teil kurzen Intervallen (zweimaliger stationärer psychiatrischer Aufenthalt in 2014) aufgetreten seien.
Der Antragsteller verzichtete daraufhin auf die Fahrerlaubnis der Klasse C1E.
Bis einschließlich September 2017 legte er in dreimonatigen Abständen Berichte über die ärztlichen Kontrolluntersuchungen vor. Mit Schreiben vom 16. Januar 2018 forderte das Landratsamt den Antragsteller im Hinblick auf die durchzuführende Nachuntersuchung zur Vorlage eines ärztlichen Gutachtens bis zum 30. März 2018 auf, wobei das Gutachten von einem Arzt/einer Ärztin in einer Begutachtungsstelle für Fahreignung zu erstellen sei. Gegen letztere Vorgabe wandte sich der Antragsteller und schlug Herrn Dr. A… als Gutachter vor, der Facharzt für Psychiatrie sei und über eine verkehrsmedizinische Qualifikation verfüge. Dies lehnte das Landratsamt ab.
Am 23. März 2018 ging beim Landratsamt ein psychiatrisch-verkehrsmedizinisches Gutachten, erstattet von Herrn Dr. A… am … Februar 2018, ein. Dem Gutachten ist zu entnehmen, dass der Antragsteller nach dem Auslösegeschehen und dem Aufenthalt im BKH A… im Jahr 2014 psychisch stabil gewesen sei. Er sei auf eine Medikation mit zwei Neuroleptika, Olanzapin und Quetiapin, eingestellt gewesen. Etwa im Frühjahr 2017 sei das Olanzapin abgesetzt worden. Unter der Monomedikation Quetiapin 500 mg sei der Antragsteller Ende Oktober 2017 erneut psychotisch erkrankt. Er sei daraufhin zunächst in B… und sodann für fast zwei Monate (von … November 2017 bis … Januar 2018) im BKH A… stationär behandelt und dort erstmalig auf ein Phasenprophylaktikum (Ergenyl chrono) eingestellt worden, welches er zusammen mit dem Quetiapin einnehme. Der Valproinsäure- und Quetiapin-Spiegel lägen ausweislich eines Laborbefundes vom … Februar 2018 im therapeutischen Bereich und die Medikamente würden gut vertragen. Der Antragsteller habe jetzt keine Wahnideen mehr. Er sei affektiv nicht ausgelenkt, habe weder Angst- noch Glücksgefühle und fühle sich psychisch stabil. Aus Sicht des Gutachters hätte bei der gestellten Diagnose schon viel früher eine Phasenprophylaxe mit Lithium, Valproat oder Carbamazepin erfolgen müssen. Ursächlich für das Wiederauftreten der Psychose sei die Monomedikation, noch dazu in zu niedriger Dosierung, gewesen. Trotz des wellenförmigen Verlaufs der Erkrankung in der Vergangenheit sei das Risiko eines Rezidivs beim Antragsteller unter den jetzigen Voraussetzungen kalkulierbar, zumal er ein hohes Maß an Compliance aufweise. Er habe nach dem Vorfall im Straßenverkehr 2014 auch verankert, dass er – wenn er sich in seelischer Hinsicht unwohl fühle – sich nicht mehr ans Steuer setze.
Residualzustände und eine Einschränkung der psychophysischen Leistungsfähigkeit lägen nicht vor; in testpsychologischen Verfahren seien Intelligenz, Konzentrations- und Aufmerksamkeitsvermögen überprüft worden.
Daher biete der Antragsteller die Gewähr, dass bei ihm von einem angepassten Verhalten bei der Teilnahme am Straßenverkehr mit einem Kraftfahrzeug der Gruppe 1 auszugehen sei. Im Hinblick auf eine mögliche Wiedererkrankung seien Nachuntersuchungen durch einen Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie in festzulegenden Abständen (im vorliegenden Fall von drei Jahren) durchzuführen. Dem Antragsteller sollte weiterhin auferlegt werden, im halbjährlichen Rhythmus Befundberichte seines behandelnden Nervenarztes vorzulegen.
Mit Schreiben vom 30. April 2018 teilte das Landratsamt dem Bevollmächtigten des Antragstellers mit, dass das vorgelegte Gutachten nicht verwertbar sei, da der Gutachter die Fahrerlaubnisakte nicht vom Landratsamt zugeschickt bekommen habe und die in der Gutachtensanordnung vorgegebene Fragestellung nicht konkret beantwortet worden sei. Die Grundsätze für die Durchführung der Untersuchung und die Erstellung der Gutachten seien bei der Erstellung des Gutachtens vom … Februar 2018 daher nicht beachtet worden.
Nach vorheriger Anhörung entzog das Landratsamt dem Antragsteller mit Bescheid vom 25. Mai 2018 die Fahrerlaubnis und forderte ihn unter Androhung eines Zwangsgeldes auf, seinen Führerschein innerhalb einer Woche nach Zustellung abzugeben. Letzterem kam der Antragsteller persönlich nach. Zur Begründung des Bescheids wurde zusammenfassend ausgeführt, die Zweifel an der Kraftfahreignung des Antragstellers seien dadurch bestätigt worden, dass er innerhalb der gesetzten Frist kein Gutachten vorgelegt habe.
Gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis und die Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins ließ der Antragsteller am 4. Juni 2018 Klage erheben. Zugleich begehrt er vorläufigen Rechtsschutz; er beantragt,
Die sofortige Vollziehung der angefochtenen Entscheidung wird aufgehoben und die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung angeordnet.
Zur Begründung wurde ausgeführt, die Fahreignung könne im Fall des Antragstellers nur durch einen Facharzt für Psychiatrie beurteilt werden. Das Gutachten des Herrn Dr. A… sei schlüssig und nachvollziehbar. Dem Gutachter hätten sämtliche Unterlagen vorgelegen, weil ihm vom Bevollmächtigten des Antragstellers eine Kopie der Akte zur Verfügung gestellt worden sei.
Das Landratsamt beantragt unter Vorlage der Fahrerlaubnisakte, den Antrag abzulehnen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen – auch im Verfahren M 26 K 18.2666 – sowie auf die Fahrerlaubnisakte des Landratsamts Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die mit Bescheid vom 25. Mai 2018 verfügte Entziehung der Fahrerlaubnis und die Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins hat Erfolg.
Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage im Fall des § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO ganz oder teilweise wiederherstellen. Das Gericht trifft dabei eine eigene Ermessensentscheidung. Es hat bei der Entscheidung über die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung abzuwägen zwischen dem von der Behörde geltend gemachten Interesse an der sofortigen Vollziehung ihres Bescheides und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs. Bei dieser Abwägung sind auch die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO allein erforderliche summarische Prüfung, dass der Rechtsbehelf offensichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid schon bei kursorischer Prüfung als offensichtlich rechtswidrig, besteht kein Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei einer allgemeinen Interessenabwägung.
Bei summarischer Überprüfung sind die Erfolgsaussichten der Klage gegen die Nummern 1 und 2 des streitgegenständlichen Bescheids gegenwärtig als offen zu beurteilen. Die daher vorzunehmende Abwägung zwischen dem öffentlichen Vollzugsinteresse und dem Interesse des Antragstellers an der Suspendierung der Vollziehung fällt vor dem Hintergrund des vorgelegten Gutachtens zugunsten des Antragstellers aus.
Das Landratsamt hat im streitgegenständlichen Bescheid gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf die Nichteignung des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen geschlossen, weil er das angeordnete Gutachten eines Arztes bzw. einer Ärztin in einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung nicht vorgelegt hat. Dieser Schluss ist nur gerechtfertigt, wenn die Gutachtensanordnung rechtmäßig war, wobei sich die Rechtmäßigkeitsprüfung auch auf die von der Behörde zu treffende Auswahl der in Betracht kommenden Gutachter nach § 11 Abs. 2 Satz 3 FeV bezieht.
Nach der Rechtsprechung (u.a. des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, vgl. BayVGH, B.v. 7.3.2008 – 11 CS 08.346 – juris Rn. 8; B.v. 29.11.2012 – 11 CS 12.2276 -, juris Rn. 11 f) hat die Fahrerlaubnisbehörde das Recht, nach pflichtgemäßem Ermessen verbindlich eine Gutachtergruppe im Sinne von § 11 Abs. 2 Satz 3 FeV zu bestimmen, innerhalb derer der Betroffene eine Auswahl treffen kann und auf die er zugleich beschränkt ist. Die im vorliegenden Fall ermessensleitende Erwägung des Landratsamts, dass bei der Begutachtung durch Ärzte mit verkehrsmedizinischer Qualifikation im Sinne des § 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 FeV erfahrungsgemäß häufiger Ungenauigkeiten bei der Begutachtung festzustellen sind und andere Gutachtergruppen, insbesondere Ärzte in Begutachtungsstellen für Fahreignung, die die Anforderung der Anlage 14 zur Fahrerlaubnis-Verordnung erfüllen, genauer und sorgfältiger arbeiten, hat die Rechtsprechung gebilligt und ist daher im Grundsatz nicht zu beanstanden. Dem Umstand, dass diese Ärzte oft keine Facharztausbildung in Bezug auf das bei der einzelnen Begutachtung zu beurteilende Gebiet haben, sondern verkehrsrelevante Erkrankungen interdisziplinär beurteilen, ist regelmäßig dadurch Rechnung zu tragen, dass bei der Begutachtung fachärztliche Fremdbefunde herangezogen werden (vgl. Nr. 6 Anlage 4a FeV).
Allerdings ist vorliegend zu berücksichtigen, dass der Antragsteller ausweislich des ärztlichen Gutachtens vom … April 2015 und der gestellten Vordiagnosen an einer bipolaren schizoaffektiven Störung leidet, die sowohl Elemente der Schizophrenie (Nr. 7.6 der Anlage 4 zur FeV) als auch der affektiven Psychose (Nr. 7.5 der Anlage 4 zur FeV) enthält. Sowohl hinsichtlich der affektiven Psychosen als auch hinsichtlich der Schizophrenien sprechen die Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung (Stand: 24. Mai 2018, Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Mensch und Sicherheit Heft M 115) in Nrn. 3.12.4 und 3.12.5 ausdrücklich die Empfehlung aus, dass Begutachtungen bzw. erforderliche Nachuntersuchungen von einem Facharzt für Psychiatrie durchzuführen sind. Um eine solche Nachuntersuchung ging es auch im vorliegenden Fall, was für eine Einschränkung des Auswahlermessens auf die genannten Fachärzte und damit gegen eine korrekte Ermessensausübung durch das Landratsamt spricht.
Ob die Anordnung der Nachuntersuchung vom … Januar 2018 vor diesem Hintergrund rechtswidrig war, weil das Landratsamt von vornherein hätte vorsehen müssen, dass das Gutachten durch einen Facharzt für Psychiatrie mit verkehrsmedizinischer Qualifikation zu erstellen sei, bedarf letztlich keiner abschließenden Entscheidung. Denn legt ein Betroffener bei dieser Sachlage ein ausführliches Gutachten vor, das durch einen nach § 11 Abs. 2 Satz 3 FeV in Verbindung mit den Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung zur Beurteilung der vorgegebenen Fragestellung grundsätzlich kompetenten Gutachter erstellt wurde, der nach eigener ärztlicher Versicherung zu keinem Zeitpunkt der behandelnde Arzt des Betroffenen war und ist, darf die Behörde jedenfalls ausnahmsweise nicht schlicht von der ihr grundsätzlich durch § 11 Abs. 8 FeV eröffneten Befugnis Gebrauch machen, sondern muss das Gutachten als neue, selbständige Tatsache einer Überprüfung unterziehen. Bescheinigt das Gutachten dem Betroffenen die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen und Erscheint es nach Überprüfung grundsätzlich schlüssig und nachvollziehbar, ist – insbesondere im Hinblick darauf, dass bei einem derartigen Parteigutachten nicht sichergestellt ist, dass dem Gutachter sämtliche relevanten Unterlagen vorgelegen haben – sodann im Einzelfall zu entscheiden, ob unter Bestimmung einer angemessenen Frist ein weiteres Gutachten zu erstellen ist.
Das vom Antragsteller vorgelegte fachärztliche Gutachten des Herrn Dr. A… vom … Februar 2018 beantwortet sämtliche von der Fahrerlaubnisbehörde gestellten Fragen umfassend und erscheint dem Gericht – trotz einzelner kleinerer Unklarheiten – im Wesentlichen schlüssig und nachvollziehbar. Es legt unter ausführlicher Schilderung der aktenkundigen und relevanten Vorgeschichte, der herangezogenen Fremdbefunde und der Ergebnisse der eigenen Untersuchung die hieraus gezogenen Schlussfolgerungen dar und begründet diese unter Heranziehung der maßgeblichen Vorgaben der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung. So kommt der Gutachter letztlich zu dem Schluss, dass trotz des Wiederauftretens der Psychose im letzten Jahr angesichts der nunmehr erfolgenden Phasenprophylaxe mit dem Wiederauftreten der Erkrankung in der vorangegangenen Schwere nicht mehr gerechnet werden muss und dass trotz des wellenförmigen Verlaufs Fahreignung gegeben ist. Diese Schlussfolgerung ist mit den Vorgaben in den Nrn. 7.5 und 7.6 der Anlage 4 zur FeV und 3.12.5 und 3.12.6 der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung in Einklang zu bringen. Daher erscheint es dem Gericht bei einer Abwägung des öffentlichen Vollzugsinteresses mit dem Suspensivinteresse vertretbar, die sofortige Vollziehung unter der Prämisse auszusetzen, dass der Antragsteller wie bisher in dreimonatigen Abständen dem Landratsamt einen Befundbericht des behandelnden Psychiaters vorlegt. Kommt er dem nicht nach, so ist dies dem Gericht durch das Landratsamt mitzuteilen und sodann der Beschluss über die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 7 VwGO aufzuheben.
Im Hauptsacheverfahren werden voraussichtlich die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens sowie weitere Aufklärungsmaßnahmen erforderlich sein. Zum einen wurde im Rahmen der Begutachtung durch Herrn Dr. A… bekannt, dass im Juni 2017 beim Antragsteller ein Diabetes Mellitus Typ 2 festgestellt wurde. Diesbezüglich wird zunächst durch eine schriftliche Befragung des Antragstellers und durch die Vorlage von Bescheinigungen (Laborergebnisse) und Attesten der behandelnden Ärzte geklärt werden müssen, ob und wie viele fremdhilfebedürftige Hypoglykämien in den vergangenen zwölf Monaten zu verzeichnen waren, ob der Patient Unterzuckerungen erkennt und hierauf adäquat reagieren kann, ob bzw. in welchem Umfang der Patient selbst Kontrollmessungen vornimmt, ob der Patient über die besonderen Risiken einer Unterzuckerung im Straßenverkehr aufgeklärt und informiert ist, ob der Patient seinen Stoffwechselverlauf dokumentiert und ob bzw. durch welche Maßnahmen der Patient im Umgang mit seiner Diabeteserkrankung hinreichend geschult ist (BayVGH, B.v. 3.5.2017 – 11 CS 17.312-, juris Rn. 19).
Zum anderen ist bei der ausschließlichen Heranziehung von Parteigutachten zur Beurteilung der Fahreignung grundsätzlich Zurückhaltung geboten, allein schon deshalb, weil hierbei entgegen der Vorgabe in § 11 Abs. 6 FeV allein der Betroffene bestimmt, welche Unterlagen dem Gutachter zur Beurteilung zur Verfügung gestellt werden. Zu berücksichtigen ist im vorliegenden Fall auch, dass die Phasenprophylaxe im Zeitpunkt der Begutachtung gerade einmal über knapp zwei Monate erfolgte, so dass bei allem Optimismus, den der Gutachter der Anwendung dieser Therapieform im Fall des Antragstellers entgegenbringt, dem Gericht im Hinblick auf die Dauer und Schwere der Erkrankung eine nochmalige Beurteilung angezeigt erscheint. Dies vor allem auch deshalb, weil das letzte Widerauftreten der Psychose noch nicht lange zurückliegt und durchaus von mehrmonatiger Dauer war, wobei sich die Behandlung schwierig gestaltete und ausweislich des im Gutachten zitierten Berichts des BKH A… mit einer …wöchigen freiheitsentziehenden Unterbringungsmaßnahme verbunden war. Vor diesem Hintergrund erscheint nicht zuletzt auch die Übernahme der nicht näher begründeten gutachterlichen Feststellung, dass nunmehr Kontrolluntersuchungen im Abstand von sechs Monaten ausreichend seien, im Hinblick darauf, dass in der Begründung zu Nr. 3.12.4 der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung bei einer prophylaktischen Langzeitbehandlung mit Lithium-Salzen oder Carbamazepin psychiatrische Beratungen in dreimonatigem Abstand einschließlich Blutspiegelbestimmungen empfohlen werden, ohne eine zweite Beurteilung nicht frei von Bedenken.
Dem Antrag war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. den Empfehlungen in Nrn. 1.5, 46.2 und 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.


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