Medizinrecht

Entziehung der Fahrerlaubnis wegen Cannabiskonsums – Berufungszulassung

Aktenzeichen  11 ZB 20.1894

Datum:
9.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 2790
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StVG § 3 Abs. 1 S. 1
FeV § 11 Abs. 7, § 46 Abs. 1 S. 1
FeV Anl. 4 Nr. 9.2.1, Nr. 9.4, Nr. 9.6

 

Leitsatz

1. Unter dem unbestimmten Rechtsbegriff des regelmäßigen übermäßigen Gebrauchs von psychoaktiv wirkenden Arzneimitteln und anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen im Sinne von Nr. 9.4 der Anlage 4 zur FeV ist – anders als in Nr. 9.2.1 – kein mindestens nahezu täglicher, sondern ein nicht nur sporadisch vorkommender übermäßiger Gebrauch zu verstehen, also ein nicht nur vereinzelter, gelegentlicher oder seltener übermäßiger Gebrauch, wobei sich die Häufigkeit auch aus einem angegebenen oder sonst bekannt gewordenen Konsummuster oder Verhalten ergeben kann, wie es sich unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls darstellt (vgl. BayVGH BeckRS 2020, 1237 Rn. 25; BeckRS 2019, 8194 Rn. 24). (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Soll eine Dauerbehandlung mit Medizinal-Cannabis im Sinne von Nr. 9.6 der Anlage 4 zur FeV nicht zum Verlust der Fahreignung führen, setzt dies voraus, dass die Einnahme von Cannabis indiziert und ärztlich verordnet ist und das Medizinal-Cannabis zuverlässig nach der ärztlichen Verordnung eingenommen wird, keine dauerhaften Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit festzustellen sind, die Grunderkrankung bzw. die vorliegende Symptomatik keine verkehrsmedizinisch relevante Ausprägung aufweist, die eine sichere Verkehrsteilnahme beeinträchtigt, und nicht zu erwarten ist, dass der Betroffene in Situationen, in denen seine Fahrsicherheit durch Auswirkungen der Erkrankung oder der Medikation beeinträchtigt ist, am Straßenverkehr teilnehmen wird (vgl. BayVGH BeckRS 2020, 1237 Rn. 22; BeckRS 2019, 8194 Rn. 24 ff.). (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 7 K 20.552 2020-06-22 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Kläger wendet sich gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen B, AM und L.
Im September 2017 wurde dem Landratsamt Neu-Ulm bekannt, dass die Polizei beim Kläger anlässlich einer Verkehrskontrolle am 19. August 2017 gegen 23:10 Uhr drogentypische Auffälligkeiten festgestellt hatte und ein Drogenvortest positiv auf Amphetamin und THC verlaufen war. Die am 20. August 2017 um 0:35 Uhr entnommene Blutprobe ergab Werte von 7,3 ng/ml THC, 52,4 ng/ml THC-COOH und 1,7 ng/ml 11-OHC-THC.
Auf entsprechende behördliche Anordnung hin legte der Kläger ein ärztliches Gutachten vom 14. November 2018 zu seinem Konsumverhalten vor, wonach von einem gelegentlichen Cannabiskonsum auszugehen sei. Er habe keinen Mischkonsum (kombinierter Konsum von Cannabis und einem anderen psychoaktiv wirkenden Stoff) betrieben. Unvorhergesehene Drogenscreenings seien negativ und ein aktueller Drogenkonsum im Untersuchungszeitraum nicht nachzuweisen gewesen. Das daraufhin angeordnete medizinisch-psychologische Gutachten vom 29. Januar 2019 gelangte zu dem Ergebnis, dass der Kläger trotz der Hinweise auf gelegentlichen Cannabiskonsum sowie der bekannten Verkehrsteilnahme unter Cannabiseinfluss ein Kraftfahrzeug der Gruppe 1 sicher führen könne. Es sei nicht zu erwarten, dass er zukünftig ein Kraftfahrzeug unter Einfluss von Cannabis oder dessen Nachwirkungen führen werde, da Drogenverzicht bestehe. Weiter legte der Kläger eine Bescheinigung vom 14. Juni 2019 vor, wonach er vom 31. Mai bis 14. Juni 2019 an einem besonderen Aufbauseminar für alkohol- und drogenauffällige Fahranfänger teilgenommen habe.
Anfang Februar 2020 wurde dem Landratsamt bekannt, dass die Polizei bei einer Wohnungsdurchsuchung am 30. Januar 2020 beim Kläger Marihuana in Apothekerdosen auf dem Wohnzimmertisch gefunden hatte. Auf Frage der Polizei habe der Kläger Rezepte vorgewiesen, die mit der Aufschrift auf den Dosen übereinstimmten, und angegeben, er leide seit seinem 17. Lebensjahr an Diabetes Typ 1, sei insulinpflichtig und werde aufgrund seiner Schmerzen durch ein Nervenleiden mit ärztlich verordnetem Cannabis behandelt. In der ärztlichen Verordnung würden „2-3 g täglicher Konsum von Marihuana“ empfohlen. Der Kläger rauche das Marihuana.
Auf entsprechende Aufforderung des Landratsamts hin legte der Kläger mehrere Rezepte eines Neurologen und Psychiaters aus dem Jahr 2019 sowie ein Rezept vom 5. Februar 2020 vor, mit dem ihm unzerkleinerte Cannabisblüten verordnet wurden. Die Diagnose lautete „chronisches Schmerzsyndrom, Diabetes mellitus, Cannabisabusus“. Die Dosierung sollte gemäß schriftlicher Anweisung erfolgen. Nach einer für drei Monate gültigen ärztlichen Dosierungsanweisung vom 16. Januar 2020 sollten die Cannabisblüten „Einmal/Tag 2/3 g mit Vaporisator“ eingenommen werden. Auf einem mit „Auskunft über die Einnahme von Medizinal-Cannabis“ überschriebenen Formularvordruck erklärte der Kläger unter dem 19. Februar 2020, er konsumiere das von seinem Arzt verschriebene Medizinal-Cannabis „in Form eines Joints“ und „mit einem Vaporisator“ „täglich“ („abends“) sowie „nach Bedarf“.
Im Rahmen der Anhörung zur beabsichtigten Entziehung der Fahrerlaubnis widersprach der Kläger der Einbeziehung und Verwertung der bei der Wohnungsdurchsuchung gewonnenen Erkenntnisse. Die Durchsuchung sei wegen Fehlens eines begründeten Anfangsverdachts rechts- und verfassungswidrig gewesen. Daher dürften auch Zufallsbefunde nicht verwertet werden. Über die eingelegte Beschwerde sei noch nicht entschieden. Es liege kein übermäßiger Gebrauch im Sinne von Nr. 9.4 der Anlage 4 zur FeV vor. Der Kläger konsumiere ausschließlich Medizinal-Cannabis im Rahmen der ärztlich verordneten Therapie. Ein Verdacht auf (Bei-)Konsum illegal beschafften Cannabis bestehe nicht. Die ärztliche Verordnung sehe eine tägliche Einnahme von 2/3 g Cannabis mittels Vaporisators vor. Die Angabe des Klägers, er konsumiere nach Bedarf, bedeute schlicht, dass er eben täglich 2/3 g konsumiere, so wie es ärztlich verordnet sei. Er dürfe diese Menge täglich konsumieren, müsse es aber nicht und könne auch darauf verzichten. Es sei allgemein bekannt, dass es bei chronischen Schmerzen auch „gute“ Tage gebe, an denen keine oder kaum Schmerzen bestünden. Verständige Patienten nähmen dann regelmäßig keine Schmerzmittel. Die Angabe des Klägers, er konsumiere Cannabisblüten nach Bedarf, entspreche dem, was von einem verständigen Schmerzpatienten erwartet werde. Anzeichen für eine Überdosierung ließen sich daraus nicht ableiten. Die Angabe, das verschriebene Medizinal-Cannabis bei Bedarf auch in Form eines Joints zu konsumieren, stehe zwar grundsätzlich nicht in Einklang mit der ärztlichen Anweisung. Hieraus ergebe sich aber noch kein regelmäßiger übermäßiger Gebrauch im Sinne von Nr. 9.4 der Anlage 4 zur FeV. Schon begrifflich sei dies schwierig zu begründen, weil die Wirkung des Cannabis beim Vaporisieren regelmäßig stärker sei als beim Konsum in Form eines Joints. Entscheidend sei aber, dass weder bewiesen sei noch der Verdacht bestehe, dass diese von der Verordnung abweichende Konsumform beim Kläger häufiger als nur ganz sporadisch bei Bedarf vorkomme. Die Angaben in der formularmäßigen Auskunft seien keinesfalls so zu verstehen, dass der Kläger täglich einen Joint rauche und zusätzlich täglich mittels Vaporisators konsumiere oder regelmäßig entweder einen Joint oder mittels Vaporisators konsumiere. So seien seine Angaben jedenfalls nicht gemeint gewesen. Er habe angeben wollen, dass er Medizinal-Cannabis nach Bedarf konsumiere und zwar regelmäßig, wie verordnet, abends mit Vaporisator oder/und ganz sporadisch bei Bedarf als Joint. Als Bedarf denkbar seien hier z.B. vereinzelte besondere Umstände, wenn ein Vaporisator nicht greifbar oder defekt sei. In solchen Ausnahmesituationen könne von einem chronischen Schmerzpatienten nicht verlangt werden, auf das medizinisch verordnete und vorhandene Schmerzmittel zu verzichten und die Schmerzen ggf. tagelang zu ertragen, bis ein Vaporisator wieder einsatzbereit sei. Es sei offensichtlich, dass in diesen Ausnahmesituationen der Konsum in Form eines Joints erlaubt sei, ohne dass ein übermäßiger Gebrauch im Sinne von Nr. 9.4 der Anlage 4 zur FeV vorliege. Dies geschehe nicht regelmäßig, sondern nur äußerst selten. Er konsumiere kein illegales, sondern ausschließlich medizinisch verordnetes Cannabis.
Mit Bescheid vom 10. März 2020 entzog das Landratsamt dem Kläger die Fahrerlaubnis aller in Deutschland erworbenen Klassen (B, AM, L) und forderte ihn unter Androhung eines Zwangsgelds auf, seinen Führerschein unverzüglich, spätestens am 24. März 2020, beim Landratsamt abzuliefern. Ferner ordnete es die sofortige Vollziehung dieser Verfügungen an. Am 25. März 2020 kam der Kläger seiner Ablieferungspflicht nach.
Am 20. März 2020 ließ der Kläger Klage zum Verwaltungsgericht Augsburg erheben und gleichzeitig einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes stellen.
Diesen lehnte das Gericht mit Beschluss vom 9. April 2020 (Au 7 S 20.553) mit der Begründung ab, der Kläger habe seine Fahreignung nach § 11 Abs. 7 FeV i.V.m. Nr. 9.4 der Anlage 4 zur FeV verloren, da er die Vorgaben der ärztlichen Verordnung für die Einnahme des Medizinal-Cannabis nicht eingehalten habe. Es sei davon auszugehen, dass er regelmäßiger Cannabiskonsument sei, dem gemäß Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV die Kraftfahreignung fehle. Von einem nur gelegentlichen Konsum im Sinne von Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV könne nicht ausgegangen werden. Vielmehr liege nach der obergerichtlichen Rechtsprechung ein übermäßiger Gebrauch im Sinne von Nr. 9.4 der Anlage 4 zur FeV vor, da der Kläger entgegen der ärztlichen Anweisung das verordnete Cannabis mittels Joints einnehme, was eindeutig der ärztlichen Anweisung widerspreche. Es sei rechtlich irrelevant, ob eine „Notsituation“ vorliegen könne, in der der Vaporisator gerade defekt sei oder keine Batterien vorhanden seien. Dieser Vortrag werde im Übrigen als reine Schutzbehauptung erachtet, da Cannabisblüten entweder zur Inhalation nach Verdampfung oder zur Teezubereitung verordnet würden. Eine Verordnung zum Rauchen sei nicht möglich. Nach den Angaben des Antragstellers sei davon auszugehen, dass der übermäßige Gebrauch nicht nur sporadisch vorkomme. Er habe am 19. Februar 2020 formularmäßig erklärt, das verordnete Cannabis in Form eines Joints und mittels eines Vaporisators einzunehmen. Eine nur sporadische Konsumangabe lasse sich daraus nicht ersehen. Damit entfalle die Privilegierung der bestimmungsgemäßen Einnahme eines psychoaktiven wirkenden Arzneimittels. Ein Ausnahmefall gemäß Nr. 3 der Vorbemerkung der Anlage 4 zur FeV sei nicht hinreichend dargelegt worden.
Die Klage wies das Gericht mit Urteil vom 22. Juni 2020 unter Bezugnahme auf den angefochtenen Bescheid und den Beschluss im Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes ab.
Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung, dem der Beklagte entgegentritt, macht der Kläger eine grundsätzliche Bedeutung und tatsächliche Schwierigkeiten der Rechtssache, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils und eine Divergenz von der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs geltend. Die Frage, wann ein regelmäßiger übermäßiger Gebrauch im Sinne von Nr. 9.4 der Anlage 4 zur FeV bei der Einnahme von medizinisch verordnetem Cannabis abweichend von der medizinischen Verordnung vorliege, sei nach dem vom Verwaltungsgericht zitierten Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs unklar. Nach den Angaben des Klägers liege rein formal ein übermäßiger Gebrauch vor, da die Einnahme mittels Joints eben keine Einnahme mittels Vaporisators darstelle. Diese rein formaljuristische Begründung überzeuge jedoch weder sachlich noch tatsächlich und sei unangebracht. Denn ob die medizinisch verordnete Cannabismenge über Vaporisator oder Joint eingenommen werde, habe aus medizinischer Sicht keine Auswirkung auf die Fahreignung. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass ein Beikomsum von nicht-medizinischem Cannabis stattfinde oder der Kläger mehr Medizinal-Cannabis einnehme als verordnet. Aus verkehrsmedizinischer Sicht sei es gleichgültig, ob er Medizinal-Cannabis in der verordneten Menge mittels Vaporisators oder als Joint einnehme. Das Verwaltungsgericht habe ersichtlich nicht die notwendige Sachkenntnis gehabt, dies ohne Sachverständigengutachten festzustellen oder zu beurteilen. Es liege somit eine besondere tatsächliche Schwierigkeit vor, da diese Frage ohne Sachverständigengutachten überhaupt nicht zuverlässig beantwortet werden könne. Doch selbst wenn davon ausgegangen werde, dass eine abweichende Form der Einnahme des Medikaments einen übermäßigen Gebrauch begründe, müsse dieser nach dem zitierten Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs zusätzlich regelmäßig erfolgen, um eine Entziehung der Fahrerlaubnis zu rechtfertigen. Danach fehle es an der Regelmäßigkeit, wenn der übermäßige Gebrauch nicht nur sporadisch vorkomme. Es komme also entscheidend darauf an, welche Gebrauchsfrequenz noch als „nur sporadisch“ anzusehen sei und welche nicht mehr. Damit habe sich das Verwaltungsgericht nicht ausreichend auseinandergesetzt. Nach dem Vortrag des Klägers sei die Konsumform des Joints offensichtlich eine ganz seltene Ausnahme, in Notfällen, die nicht regelmäßig aufträten. Entweder habe das Verwaltungsgericht klar gegen die zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs entschieden, indem es lediglich sporadischen übermäßigen Gebrauch fälschlich wie nicht sporadischen Gebrauch behandelt habe, oder der Verwaltungsgerichtshof erhalte im Berufungsverfahren die Gelegenheit zur weiteren Klärung der geschilderten Abgrenzungsfrage. Wenn nur bei nicht sporadischem Gebrauch von Übermäßigkeit auszugehen sei, dann müsse auch klargestellt werden, was nicht sporadischer Gebrauch sei und dieser müsse festgestellt sein. Beides sei vorliegend nicht der Fall. Es sei weder bekannt, ab wann sporadischer zum nicht sporadischen Gebrauch erstarke, noch sei ein nicht sporadischer Gebrauch festgestellt worden. Auch dürfe die Angabe „bei Bedarf“ vom Gericht nicht einfach so interpretiert werden, dass damit ein nicht sporadischer Gebrauch gemeint sei, wenn der Kläger unwiderlegbar dargelegt habe, was er mit seiner interpretationsfähigen Angabe gemeint habe, nämlich Notfälle.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und auf die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet.
Die geltend gemachten Zulassungsgründe, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist (BayVerfGH, E.v. 14.2.2006 – Vf. 133-VI-04 – VerfGHE 59, 47/52; E.v. 23.9.2015 – Vf. 38-VI-14 – BayVBl 2016, 49 Rn. 52; Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124a Rn. 54), sind nicht hinreichend dargelegt (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) bzw. liegen sie nicht vor (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
1. Einer Rechtssache kommt grundsätzliche Bedeutung gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zu, wenn für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Tatsachen- oder Rechtsfrage von Bedeutung war, deren noch ausstehende obergerichtliche Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint (vgl. Happ, a.a.O. § 124 Rn. 36). Dementsprechend verlangt die Darlegung der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung nach § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO, dass eine konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und klärungsfähig, insbesondere entscheidungserheblich, ist; ferner, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht (vgl. Happ, a.a.O. § 124a Rn. 72; Rudisile in Schoch/Schneider, VwGO, Stand Juli 2020, § 124a Rn. 103 f.).
Diesen Anforderungen genügt das Zulassungsvorbringen nicht. Denn der Kläger hat nicht dargelegt, weshalb die von ihm aufgeworfene Rechtsfrage, wann ein regelmäßiger übermäßiger Gebrauch im Sinne von Nr. 9.4 der Anlage 4 zur Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr vom 13. Dezember 2010 (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV, BGBl I S. 1980), im maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses zuletzt geändert durch Verordnung vom 2. Oktober 2019 (BGBl I S. 1416), inkraft getreten zum 1. Januar 2020, bei einer von einer medizinischen Verordnung abweichenden Einnahme von medizinischem Cannabis vorliege, im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig ist. Sein Vorbringen erschöpft sich darin, dass er die Rechtsansicht des Verwaltungsgerichts, das der Rechtsprechung des Senats gefolgt ist, als formaljuristisch und verkehrsmedizinisch nicht begründbar ablehnt. Darüber hinaus hätte jedoch dargelegt werden müssen, warum ein Allgemeininteresse an der Klärung der Frage besteht, warum sie also über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist und ein Allgemeininteresse an der Einheitlichkeit der Rechtsprechung und der Fortentwicklung des Rechts vorhanden ist (vgl. Rudisile, a.a.O. § 124a Rn. 104).
2. Die Berufung ist auch nicht wegen besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zuzulassen. Es ist weder dargelegt noch ersichtlich, weshalb das Verwaltungsgericht nicht ohne Sachverständigengutachten den unbestimmten Rechtsbegriff des regelmäßigen übermäßigen Gebrauchs im Sinne von Nr. 9.4 der Anlage 4 zur FeV hätte definieren können sollen; zumal das Erfordernis einer zuverlässigen Einnahme des Medizinal-Cannabis nach der ärztlichen Verordnung einer Handlungsempfehlung der Ständigen Arbeitsgruppe Beurteilungskriterien [StAB] zur Fahreignungsbegutachtung bei Cannabismedikation (aktualisierte Fassung vom August 2018, abgedruckt in Schubert/Huetten/Reimann/ Graw, Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung, 3. Aufl. 2018, S. 440/443 ff.) folgt und der Senat den Rechtsbegriff des übermäßigen Gebrauchs in der vom Verwaltungsgericht zitierten Entscheidung vom 29. April 2019 (11 B 18.2482 – BayVBl 2020, 419 Rn. 24) geklärt hatte (vgl. auch BayVGH, B.v. 16.1.2020 – 11 CS 19.1535 – Blutalkohol 57, 133 = juris Rn. 25). Hiernach ist darunter – anders als in Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV – kein mindestens nahezu täglicher, sondern ein nicht nur sporadisch vorkommender übermäßiger Gebrauch zu verstehen, also ein nicht nur vereinzelter, gelegentlicher oder seltener übermäßiger Gebrauch (vgl. https://www.duden.de/rechtschreibung/sporadisch), wobei sich die Häufigkeit auch aus einem angegebenen oder sonst bekannt gewordenen Konsummuster oder Verhalten ergeben kann, wie es sich unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls darstellt.
3. Eine Zulassung der Berufung gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO wegen einer Abweichung von dem Urteil des Senats vom 29. April 2019 (11 B 18.2482 a.a.O.) kommt ebenfalls nicht in Betracht.
Eine Divergenz ist nur dann hinreichend bezeichnet, wenn ein inhaltlich bestimmter, die angefochtene Entscheidung tragender abstrakter Rechtssatz benannt wird, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung eines der in § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO genannten Gerichte aufgestellten ebensolchen entscheidungstragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat, wobei die divergierenden Rechtssätze einander präzise gegenüberzustellen sind (stRspr, vgl. BVerwG, B.v. 13.2.2019 – 1 B 2.19 – juris Rn. 15 m.w.N.; Rudisile, a.a.O. § 124 Rn. 42; Happ, a.a.O. § 124a Rn. 73 m.w.N.). Zwischen den Gerichten muss ein prinzipieller Auffassungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer bestimmten Rechtsvorschrift oder eines Rechtsgrundsatzes bestehen (vgl. BVerwG, B.v. 27.10.2014 – 2 B 52.14 – juris Rn. 5). Es genügt nicht, wenn in der angegriffenen Entscheidung ein in der Rechtsprechung der übergeordneten Gerichte aufgestellter Grundsatz lediglich übersehen, übergangen oder in sonstiger Weise nicht richtig angewandt worden ist (BVerwG, B.v. 20.7.2016 – 6 B 35.16 – juris Rn. 12 m.w.N.; Happ a.a.O.; Rudisile a.a.O.). Diesen Anforderungen genügt das Zulassungsvorbringen nicht.
Im Übrigen beruht die Abweisung der Klage nicht auf einer Abweichung von der Rechtsprechung des Senats oder fehlerhaften Anwendung derselben, sondern darauf, dass das Verwaltungsgericht dem Kläger nicht abgenommen hat, dass sich sein Cannabiskonsum in Form eines Joints lediglich auf seltene Ausnahmen bzw. Notfälle beschränkt (hat) (siehe unten 4.).
4. Aus dem Zulassungsvorbringen ergeben sich auch keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1, § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO). Diese sind immer schon dann anzunehmen, wenn der Rechtsmittelführer einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage stellt (vgl. BVerfG, B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – NVwZ 2016, 1243 = juris Rn. 16 m.w.N.) und dies zugleich Zweifel an der Richtigkeit des Ergebnisses begründet (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004, 838 = juris Rn. 9).
Soll eine Dauerbehandlung mit Medizinal-Cannabis im Sinne von Nr. 9.6 der Anlage 4 zur FeV nicht zum Verlust der Fahreignung führen, setzt dies voraus, dass die Einnahme von Cannabis indiziert und ärztlich verordnet ist (Schubert/Huetten/Reimann/ Graw, a.a.O. S. 303 a.E.) und das Medizinal-Cannabis zuverlässig nach der ärztlichen Verordnung eingenommen wird, keine dauerhaften Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit festzustellen sind, die Grunderkrankung bzw. die vorliegende Symptomatik keine verkehrsmedizinisch relevante Ausprägung aufweist, die eine sichere Verkehrsteilnahme beeinträchtigt, und nicht zu erwarten ist, dass der Betroffene in Situationen, in denen seine Fahrsicherheit durch Auswirkungen der Erkrankung oder der Medikation beeinträchtigt ist, am Straßenverkehr teilnehmen wird (Handlungsempfehlung der StAB zur Fahreignungsbegutachtung bei Cannabismedikation, a.a.O., S. 443; BayVGH, B.v. 16.1.2020, a.a.O. Rn. 22; U.v. 29.4.2019, a.a.O. Rn. 24 ff.; vgl. auch OVG NW, B.v. 5.7.2019 – 16 B 1544/18 – Blutalkohol 56, 342 = juris Rn. 4 ff.; VGH BW, B.v. 31.1.2017 – 10 S 1503/16 – VRS 131, 207 = juris Rn. 8 f.).
Es ist nicht zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht zu der Einschätzung gelangt ist (in Bezug genommener Beschluss vom 9.4.2020 – Au 7 S 20.553, S. 17 f.), der Kläger nehme das ihm verschriebene Medizinal-Cannabis nicht zuverlässig nach der ärztlichen Verordnung ein. Es bestand kein hinreichender Grund, seiner nachträglichen Behauptung zu folgen, wonach sein Cannabiskonsum in Form eines Joints lediglich auf seltene Ausnahmen bzw. Notfälle beschränkt ist. Mit dieser Angabe hat der Kläger die Selbstauskunft vom 19. Februar 2020 erheblich abgeschwächt, in der er beide Konsumformen (Joint und Vaporisator) uneingeschränkt nebeneinander genannt hat. Es ist aber nicht nachvollziehbar, dass auf die einfache Frage, wie das ärztlich verordnete Cannabis konsumiert werde, angeblich geschildert worden sein soll, wie der Kläger in einem „Notfall“ vorgeht, wenn beispielsweise sein Vaporisator defekt ist, ohne dass er dies durch einen entsprechenden Zusatz erklärt. Dies ist insbesondere auch deshalb nicht glaubhaft, weil dem Kläger nach den vorangegangenen Begutachtungen wegen Cannabiskonsums in dem Zeitpunkt, als er das Formular ausgefüllt hat, bewusst sein musste, dass die vom Landratsamt geforderte Erklärung bei der Beurteilung seines gegenwärtigen Cannabisgebrauchs im Hinblick auf die Fahreignung von Bedeutung sein würde. Das Verwaltungsgericht hat ihn zu Recht an seiner nach dem objektiven Empfängerhorizont eindeutigen Erklärung vom 19. Februar 2020 festgehalten, die im Übrigen – worauf der Beklagte zutreffend hingewiesen hat – auch der polizeilichen Feststellung im Schreiben vom 30. Januar 2020 entspricht.
5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1, 2 GKG i.V.m. der Empfehlung in Nr. 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
6. Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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