Medizinrecht

Entziehung der Fahrerlaubnis wegen psychischer Erkrankung – Einsatz eines hochwertigen Fahrzeugs als Vermögen

Aktenzeichen  11 C 15.2611

Datum:
8.2.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
Verordnung §§ 11 II, V, 46 III
Anlage 4 Nr. 7.6

 

Leitsatz

Tenor

I.
Die Beschwerde gegen die Ablehnung des Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung für die beabsichtigte Klage wird zurückgewiesen.
II.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

Die Beschwerde, mit der sich der Kläger gegen die Ablehnung seines Antrags auf Prozesskostenhilfe und Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten für die Klage wendet, hat im Ergebnis keinen Erfolg. Zwar hat das Verwaltungsgericht hinreichende Erfolgsaussichten der Klage gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis zu Unrecht verneint (1.). Allerdings ist der Kläger nach den von ihm vorgelegten Unterlagen in der Lage, durch Verwertung seines Fahrzeugs die Kosten der Prozessführung aufzubringen (2.).
Eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Dabei hat die Partei nicht nur ihr Einkommen (§ 115 Abs. 1 und 2 ZPO), sondern auch ihr Vermögen einzusetzen, soweit dies zumutbar ist (§ 115 Abs. 3 ZPO i. V. m. § 90 SGB XII).
1. Die beim Verwaltungsgericht Ansbach eingereichte Klage richtet sich gegen den Bescheid vom 12. Januar 2015, mit dem das Landratsamt Weißenburg-Gunzenhausen dem Kläger die Fahrerlaubnis der Klassen A79, A1 79, AM, B, BE, C, CE, C1, C1E, L und T entzogen hat. Grundlage hierfür ist das vom Kläger nach Aufforderung durch das Landratsamt vorgelegte Fahreignungsgutachten des Dr. med. U… …, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie sowie für psychotherapeutische Medizin, vom 13. November 2014, das insbesondere aufgrund verschiedener ärztlicher Unterlagen, die der Kläger vorgelegt hat, und aufgrund einer eigenen Untersuchung des Klägers zum Ergebnis kommt, bei diesem liege eine „Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis, z. Zt. nicht akut dekompensiert (ICD 10 F 20.03)“ mit „Verdacht auf unvollständige Remission (F 20.04)“ vor. Auf dieses Gutachten kann jedoch die Entziehung der Fahrerlaubnis nicht gestützt werden.
a) Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken gegen die körperliche oder geistige Eignung eines Fahrerlaubnisinhabers begründen, kann die Fahrerlaubnisbehörde die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens anordnen (§ 46 Abs. 3 i. V. m. § 11 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr [Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV] vom 18.12.2010 [BGBl I S. 1980], zuletzt geändert durch Verordnung vom 2.10.2015 [BGBl S. 1674]). Bedenken gegen die körperliche oder geistige Eignung bestehen insbesondere, wenn Tatsachen bekannt werden, die auf eine Erkrankung oder einen Mangel nach Anlage 4 oder 5 hinweisen (§ 11 Abs. 2 Satz 2 FeV). Im Regelfall ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist, wer an einer akuten schizophrenen Psychose leidet (Anlage 4 Nr. 7.6.1 zur Fahrerlaubnis-Verordnung). Nach Ablauf einer schizophrenen Psychose besteht für Fahrerlaubnisse der Klassen A, A1, A2, B, BE, AM, L und T (Gruppe 1) die erforderliche Eignung, wenn keine Störungen nachweisbar sind, die das Realitätsurteil erheblich beeinträchtigen; bei den Fahrerlaubnisklassen C, C1, CE, C1E, D, D1, DE, D1E und FzF (Gruppe 2) ist die Fahreignung hingegen nur ausnahmsweise unter besonders günstigen Umständen anzunehmen (Anlage 4 Nr. 7.6.2 zur Fahrerlaubnis-Verordnung; Nr. 3.12.5 der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung in der ab 1.5.2014 gültigen Fassung).
b) Es ist zwar nicht zu beanstanden, dass die Fahrerlaubnisbehörde den Kläger aufgrund der Mitteilung der Polizeiinspektion Weißenburg i. Bay. vom 3. Juli 2014 und der daraufhin angeforderten weiteren Unterlagen zur Beibringung eines Fahreignungsgutachtens aufgefordert hat. Aus diesen Mitteilungen ergaben sich konkrete Hinweise auf mehrere Unterbringungen des Klägers im Bezirksklinikum Ansbach wegen erheblicher Gefährdungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung aufgrund einer psychischen Krankheit. So war der Kläger bereits am 23. Oktober 2011 durch aggressives Verhalten in seiner Wohnung aufgefallen und von der Polizei deshalb gemäß Art. 10 Abs. 2 des Unterbringungsgesetzes (UnterbrG) in das Bezirkskrankenhaus eingeliefert worden. Eine weitere Unterbringung aus vergleichbaren Gründen ordnete die Polizei den Akten zufolge am 18. Januar 2013 an. Aktenkundig sind darüber hinaus weitere Vorfälle häuslicher Gewalt, zuletzt am 30. Mai 2014.
Aufgrund dieser Erkenntnisse ist die Anordnung der Beibringung eines Fahreignungsgutachtens mit entsprechender anlassbezogener Fragestellung (§ 11 Abs. 6 Satz 1 FeV) zwar grundsätzlich gerechtfertigt. Allerdings entspricht das vom Kläger vorgelegte Gutachten nicht den Anforderungen des § 11 Abs. 5 i. V. m. Anlage 4a FeV. Danach sind Grundlage für die Beurteilung der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen die Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung, die – wie bereits ausgeführt – in Nr. 3.12.5 ebenso wie Anlage 4 Nr. 7.6.2 zur Fahrerlaubnis-Verordnung bei abgeklungener schizophrener Psychose hinsichtlich der Fahrerlaubnisklassen der Gruppen 1 und 2 unterschiedliche Voraussetzungen für die Wiedererlangung der Fahreignung festlegen.
Mit diesen unterschiedlichen Anforderungen setzt sich das vom Kläger vorgelegte Gutachten vom 13. November 2014, das zu dem Ergebnis kommt (S. 11 des Gutachtens), der Kläger sei „derzeit nicht in der Lage am motorisierten Kraftverkehr teilzunehmen“, nicht hinreichend auseinander. Dies gilt insbesondere für die vom Gutachter verneinte Fahreignung für Kraftfahrzeuge der Gruppe 1. Die insoweit im Gutachten (S. 12) getroffene Differenzierung zwischen der Fahrerlaubnisklasse A, wobei der Gutachter die Fahreignung „aus grundsätzlichen Erwägungen“ wegen des großen Gefährdungspotenzials „bei möglicher wahnhafter Verarbeitung während der Verkehrsteilnahme“ verneint, und der Fahrerlaubnisklasse B mit der dort vom Gutachter getroffenen weiteren Differenzierung zwischen privaten und beruflich veranlassten Fahrten findet weder in den Begutachtungsleitlinien noch in der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung eine entsprechende Grundlage. Es kommt hinzu, dass sich die Verneinung der Fahreignung im Gutachten trotz fehlender Hinweise auf psychopathologische Auffälligkeiten, Denkstörungen oder Sinnestäuschungen (S. 8 des Gutachtens) vor allem auch darauf stützt, dass der Kläger „Informationen gezielt zurück gehalten“ und „insbesondere seinen letzten psychiatrischen Aufenthalt aus 2014 nicht nur nicht erwähnt, sondern in der Folge auch den diesbezüglichen Arztbrief gezielt nicht beigebracht“ habe (S. 11 des Gutachtens). Gemeint ist damit, wie sich aus den vorangehenden Ausführungen des Gutachtens (S. 3, 8 und 10) ergibt, eine in der Mitteilung der Polizeiinspektion Weißenburg i. Bay. vom 3. Juli 2014 erwähnte Einlieferung in das Bezirkskrankenhaus am 18. Januar 2014. Allerdings dürfte es sich bei dieser Jahreszahl um ein Schreibversehen der Polizei handeln, denn unter dem im genannten Polizeischreiben angegebenen Aktenzeichen 5123-000348-13/6 finden sich in den Behördenakten weitere polizeiliche Unterlagen über einen Vorfall vom 18. Januar 2013. Dem Kläger kann daher die Nichtvorlage von Arztbriefen über eine Unterbringung im Januar 2014 nicht vorgehalten werden.
Aufgrund dieser Mängel lässt sich daher die Entziehung der Fahrerlaubnis auf das Gutachten vom 13. November 2014 nicht stützen. Der Klage können somit hinreichende Erfolgsaussichten nicht abgesprochen werden. Es bleibt der Fahrerlaubnisbehörde im Hinblick auf die berechtigten, aufgrund der vom Gutachter durch die erhobenen Vorbefunde bekräftigten und bisher nicht ausgeräumten Zweifel an der Fahreignung des Klägers allerdings unbenommen, von diesem mit entsprechend konkreter Fragestellung und Begründung (§ 11 Abs. 6 FeV) nochmals die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens zu verlangen. Der Kläger ist solange zur Mitwirkung verpflichtet, bis die Frage einer etwaigen Fahrungeeignetheit geklärt ist. Sollte er sich weigern, sich untersuchen zu lassen oder ein Gutachten beizubringen, darf die Fahrerlaubnisbehörde bei ihrer Entscheidung nach Maßgabe von § 11 Abs. 8 FeV auf seine Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen schließen. Gleiches gilt, sollte sich der Gutachter mangels ausreichender Mitwirkung des Klägers zu einer fundierten Einschätzung der Fahreignung nicht imstande sehen.
2. Trotz der hinreichenden Erfolgsaussichten der Klage ist die Beschwerde gleichwohl zurückzuweisen, da der Kläger in der Lage ist, die Kosten der Prozessführung durch Einsatz seines Vermögens (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 115 Abs. 3 ZPO) aus eigenen Mitteln aufzubringen. Zum einzusetzenden Vermögen gehört grundsätzlich auch ein PKW, soweit nicht Anhaltspunkte für dessen Unverwertbarkeit (§ 90 Abs. 2 SGB XII) oder für die Unzumutbarkeit der Verwertung (§ 90 Abs. 3 SGB XII) vorliegen (vgl. BayVGH, B. v. 3.3.2011 – 5 C 11.254 – juris; OLG Hamm, B. v. 11.9.2013 – II-2 WF 145/13 – juris). Den vom Kläger erstinstanzlich vorgelegten Unterlagen ist zu entnehmen, dass er im September des Jahres 2013 ein Neufahrzeug BMW 320i für einen Kaufpreis von 35.000 Euro erworben hat, dessen Kilometerleistung er am 22. Januar 2015 mit ca. 12.000 angegeben hat. Dieses Fahrzeug dürfte derzeit noch einen Wert von ca. 20.900 Euro (ADAC, Gebrauchtwagenpreise 2015) bzw. 22.300 Euro (AutoScout24) haben. Eine genaue Ermittlung des Werts kann dahinstehen, denn mit einem Wert von 20.000 Euro oder mehr liegt das Fahrzeug jedenfalls weit oberhalb der Schonvermögensgrenze (vgl. hierzu BayVGH a. a. O. Rn. 3, OLG Hamm a. a. O. Rn. 21). Ebenfalls dahinstehen kann, ob der Kläger oder seine Ehefrau aus beruflichen Gründen auf ein Fahrzeug angewiesen ist, denn hierfür wäre die Beschaffung eines kleineren und günstigeren Ersatzfahrzeugs (ggf. gebraucht) möglich. Den durch eine Veräußerung erzielbaren Überschuss könnte der Kläger für die Kosten des Klageverfahrens einsetzen. Daher mangelt es an der wirtschaftlichen Bedürftigkeit für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe.
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Anders als das Prozesskostenhilfeverfahren erster Instanz ist das Beschwerdeverfahren in Prozesskostenhilfesachen kostenpflichtig. Eine Streitwertfestsetzung ist entbehrlich, weil für die Zurückweisung der Beschwerde nach dem hierfür maßgeblichen Kostenverzeichnis eine Festgebühr anfällt (§ 3 Abs. 2 GKG i. V. m. Anlage 1 Nr. 5502).
4. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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