Medizinrecht

Entzug der Fahrerlaubnis, psychische Störungen (Manie), Verwertbarkeit eines psychiatrischen Gutachtens

Aktenzeichen  W 6 K 21.1371

Datum:
11.5.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 16840
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
FeV § 46 Abs. 1
StVG § 3 Abs. 1
FeV Nr. 7.5.1 der Anlage 4 zur
Anlage 4a zur FeV

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

Über die Klage konnte ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, da die Beteiligten auf deren Durchführung verzichtet haben, § 101 Abs. 2 VwGO.
Die zulässige Klage, die sich in Anwendung von §§ 86 Abs. 1, 88 VwGO gegen die Nrn. 1 und 2 des Bescheides des Landratsamts Main-Spessart vom 1. Juli 2021 in Form des Widerspruchsbescheids der Regierung von Unterfranken vom 17. September 2021 richtet, ist unbegründet, da der angefochtene Verwaltungsakt rechtmäßig und die Klägerin dadurch nicht in ihren Rechten verletzt ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Klägerin wurde zu Recht die Fahrerlaubnis entzogen und die Rückgabe des Führerscheins gefordert.
Das Gericht verweist zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Gründe des Bescheides vom 1. Juli 2021 und des Widerspruchsbescheides vom 17. September 2021 und sieht von einer erneuten Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 117 Abs. 5 VwGO). Ergänzend ist noch Folgendes auszuführen:
1. Die Entziehung der Fahrerlaubnis in Nr. 1 des Bescheids vom 1. Juli 2021 erfolgte rechtmäßig. Die Klägerin hatte ihre Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 46 Abs. 1 Satz 1 und 2 FeV i.V.m. Nr. 7.5.1 der Anlage 4 zur FeV in Folge des Vorliegens einer gereizten Manie und akuten affektiven Psychose verloren und bis zum maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids am 17. September 2021 auch nicht wiedererlangt.
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG und § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Dies gilt insbesondere, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 zur FeV vorliegen oder erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen wurde und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist (§ 46 Abs. 1 Satz 2 FeV). Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 46 Abs. 3 FeV).
Gemäß Anlage 4 zur FeV ist bei bestimmten Erkrankungen die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen im Straßenverkehr teilweise ausgeschlossen, teilweise wird die Eignung abhängig von den Umständen des Einzelfalls beurteilt. Nach der hier einschlägigen Norm des § 11 Abs. 2 Satz 1 und 2 FeV ordnet die Fahrerlaubnisbehörde die Beibringung eines fachärztlichen Gutachtens an, wenn Tatsachen bekannt sind, die Bedenken gegen die körperliche oder geistige Eignung begründen. Die behördlicherseits vorgegebene Fragestellung in der Gutachtensanordnung muss dabei insbesondere den sich aus § 11 Abs. 6 Satz 1 FeV ergebenden Anforderungen gerecht werden. Der Betroffene soll sich für den Fall der Rechtmäßigkeit der Gutachtensanordnung auch darüber befinden können, ob er die mit einer Begutachtung regelmäßig verbundenen Eingriffe in sein Persönlichkeitsrecht und/oder sein Recht auf körperliche Unversehrtheit hinnehmen oder sich – mit der Gefahr, seine Fahrerlaubnis entzogen zu bekommen – einer entsprechenden Begutachtung verweigern will. In materieller Hinsicht setzt die Rechtmäßigkeit der Gutachtensanordnung vor allem voraus, dass sie den Grundsätzen der Anlassbezogenheit und Verhältnismäßigkeit genügt (vgl. BayVGH, B.v. 11.2.2008 – 11 C 08.1030 – juris). Vor diesem Hintergrund und im Hinblick darauf, dass eine Gutachtensanordnung nicht isoliert mit Rechtsmitteln angegriffen werden kann, kann auf die strikte Einhaltung der vom Verordnungsgeber für die Rechtmäßigkeit einer solchen Anordnung aufgestellten formalen Voraussetzungen nicht verzichtet werden (vgl. BayVGH, B.v. 27.11.2012 – 11 ZB 12.1596 – ZfSch 2013, 177).
Gemäß Nr. 7.5.1 der Anlage 4 zur FeV ist bei allen Manien und sehr schweren Depressionen die Eignung weder für die Klassen A, A1, A2, B, BE, AM, L, T (Gruppe 1) noch für die Klassen C, C1, CE, C1E, D, D1, DE, D1E, FzF (Gruppe 2) gegeben. Nach Abklingen der manischen Phase und der relevanten Symptome einer sehr schweren Depression ist die Eignung gemäß Nr. 7.5.2 der Anlage 4 zur FeV bei der Gruppe 1 dann gegeben, wenn nicht mit einem Wiederauftreten gerechnet werden muss, ggf. unter medikamentöser Behandlung, bei der Gruppe 2 bei Symptomfreiheit. Bei mehreren abgelaufenen psychotischen Episoden bejaht Nr. 7.6.3 der Anlage 4 zur FeV – unter dem Vorbehalt regelmäßiger Kontrollen – die Kraftfahrereignung für die Gruppe 1 unter den vorgenannten Voraussetzungen grundsätzlich. Für die Gruppe 2 wird sie hingegen nur ausnahmsweise unter besonders günstigen Umständen angenommen. Die Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung (Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, in der Fassung vom 28.10.2019, in Kraft getreten am 31.12.2019, Kapitel 3.12.4) führen hinsichtlich der Eignung zum Führen von Fahrzeugen der Gruppe 1 insofern aus, dass bei jeder sehr schweren Depression, die z. B. mit depressiv-wahnhaften oder mit akuter Suizidalität einhergeht, und bei allen manischen Phasen die für das Kraftfahren notwendigen psychischen Fähigkeiten so erheblich herabgesetzt sind, dass ein ernsthaftes Risiko des verkehrswidrigen Verhaltens besteht. Nach Abklingen der manischen Phase und wenn die relevanten Symptome einer sehr schweren Depression nicht mehr vorhanden sind und – ggf. unter regelmäßig kontrollierter medikamentöser Prävention – mit ihrem Wiederauftreten nicht mehr gerechnet werden muss, ist in der Regel von einem angepassten Verhalten bei Teilnahme am Straßenverkehr mit einem Kraftfahrzeug auszugehen. Wenn mehrere manische oder sehr schwere depressive Phasen mit kurzen Intervallen eingetreten waren und deshalb der weitere Verlauf nicht absehbar ist, ist nicht von einem angepassten Verhalten bei Teilnahme am Straßenverkehr mit einem Kraftfahrzeug auszugehen, auch wenn zurzeit keine Störungen nachweisbar sind. Ein angepasstes Verhalten kann nur dann wieder angenommen werden, wenn – ggf. durch eine medikamentöse Prävention – die Krankheitsaktivität geringer geworden ist und mit einer Verlaufsform in der vorangegangenen Schwere nicht mehr gerechnet werden muss. Dies muss durch regelmäßige psychiatrische Kontrollen belegbar sein. Für Fahrer der Gruppe 2 ist Symptomfreiheit zu fordern. Nach mehreren depressiven oder manischen Phasen ist in der Regel nicht von einem angepassten Verhalten bei Teilnahme am Straßenverkehr mit einem Kraftfahrzeug auszugehen. Dies wird damit begründet, dass affektive Psychosen in abgesetzten, depressiven (melancholischen) oder/und manischen Phasen verlaufen, in denen emotionale Funktionen, nicht aber Intelligenzfunktionen gestört sind. Hierdurch wird im Falle depressiver Erkrankungen die Anpassungs- und Leistungsfähigkeit beim Führen eines Kraftfahrzeuges nicht beeinträchtigt, außer in den oben genannten sehr schweren depressiven Phasen. In manischen Phasen ist jedoch auch bei geringer Symptomausprägung mit Beeinträchtigungen der Anpassungs- und Leistungsfähigkeit zu rechnen.
2. Bei Anlegung dieser Maßstäbe steht zur vollen Überzeugung des Gerichts fest, dass die Klägerin jedenfalls bis zu dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt, d.h. beim Erlass des Widerspruchsbescheids am 17. September 2021, zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht geeignet war.
Das Bekanntwerden der signifikanten Verhaltensauffälligkeiten der Klägerin stellt einen hinreichenden Anlass dar, der gemäß § 46 Abs. 3 i.V.m. § 11 Abs. 2 Satz 1 FeV i.V.m. Nr. 7.5.1 der Anlage 4 zur FeV aufklärungsbedürftige Zweifel an der Fahreignung der Klägerin begründete. Diesbezüglich ist es unerheblich, dass die Fahrerlaubnisbehörde von diesem Umstand in einem Kontext erfuhr, der in keinem direkten Zusammenhang mit einer Teilnahme der Klägerin am Straßenverkehr stand.
Der Frage, ob das psychiatrische Gutachten zu Recht angefordert wurde, ist nicht weiter nachzugehen, denn das Ergebnis des Gutachtens ist in jedem Fall als neue Tatsache verwertbar (vgl. BVerwG, U.v. 28.4.2010 – 3 C 2/10 – NJW 2010, 3319, Rn. 19; BayVGH, B.v. 18.4.2011 – 11 C 10.3167/11 CS 10.3168 – SVR 2011, 389).
Die Gutachtensaufforderung ist jedenfalls hinreichend nach Art und Umfang bestimmt, die Fragestellung wahrt die Grenzen der Verhältnismäßigkeit; die gesetzte Frist von über zwei Monaten ist ebenfalls ausreichend. Die genannte Rechtsgrundlage ist zutreffend, das der Behörde eröffnete Ermessen wurde fehlerfrei ausgeübt. Die erforderlichen Hinweise auf einen Arzt nach § 11 Abs. 2 FeV sowie § 11 Abs. 6 Satz 2 FeV sind enthalten. Sonstige Fehler sind weder ersichtlich noch wurden sie vorgetragen.
Es wird insofern lediglich ergänzend darauf hingewiesen, dass die Fragestellung im Rahmen der behördlichen Beibringungsanordnung, die sich auf psychische Erkrankungen nach Nr. 7 der Anlage 4 zur FeV bezieht, nicht schon deshalb rechtswidrig ist, weil sie nicht zwischen den in dieser Nummer genannten psychischen Erkrankungen differenziert. Nach gefestigter Rechtsprechung genügt es, wenn die Behörde auf psychische Erkrankungen im Sinne der Nr. 7 der Anlage 4 zur FeV im Allgemeinen abstellt (vgl. BayVGH, B.v. 31.3.2016 – 11 ZB 16.61 – juris). Dies gilt jedenfalls in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem für die nicht sachkundige Behörde aufgrund der Aktenlage nicht eindeutig festzustellen ist, von welcher psychischen Erkrankung auszugehen ist, sondern verschiedene Krankheitsbilder im Raum stehen (VG München, U.v. 7.7.2020 – M 26 K 19.1194 – juris Rn. 29).
3. Insofern die Klägerin die Verwertbarkeit des psychiatrischen Gutachtens in Frage stellt, kann dem nicht gefolgt werden. Die von der Klägerin vorgetragenen Einwände können das Gutachten insofern nicht erschüttern.
Maßgeblich für die Verwertbarkeit eines Gutachtens sind gemäß § 11 Abs. 5 FeV die Einhaltung der Grundsätze für die Durchführung der ärztlichen und der medizinisch-psychologischen Untersuchung sowie die Einhaltung der Grundsätze für die Erstellung der entsprechenden Gutachten aus Anlage 4a zur FeV („Grundsätze für die Durchführung der Untersuchungen und die Erstellung der Gutachten“).
Diesen normativen Anforderungen wird das vorliegende psychiatrische Gutachten gerecht. Es leidet weder an durchgreifenden formellen noch materiellen Mängeln. Das Gericht schließt sich insofern den zutreffenden Ausführungen der Behörden im Ausgangs- und Widerspruchsbescheid an.
Ergänzend ist noch Folgendes auszuführen:
3.1 Die Grundsätze zur Durchführung der Untersuchung gemäß Nr. 1 der Anlage 4a zur FeV wurden befolgt. Insbesondere hat die Untersuchung anlassbezogen und unter Verwendung der von der Fahrerlaubnisbehörde zugesandten Unterlagen über die Betroffene stattgefunden. Dem Gutachten lässt sich zudem entnehmen, welche Feststellungen der Gutachter aufgrund der Untersuchung der Klägerin getroffen hat. Es ist erforderlich, aber auch ausreichend, wenn das Gutachten, wie vorliegend, die wesentlichen Grundlagen, Anknüpfungstatsachen und Schlussfolgerungen nachprüfbar darlegt (VG Würzburg, U.v. 28.3.2018 – W 6 K 17.1524 – juris Rn. 27).
Auch eine Verletzung der Grundsätze zur Erstellung eines Gutachtens gem. Nr. 2 der Anlage 4a zur FeV kann nicht festgestellt werden. Danach muss ein Gutachten u.a. in allgemeinverständlicher Sprache abgefasst sowie nachvollziehbar und nachprüfbar sein. Die Nachvollziehbarkeit betrifft die logische Ordnung (Schlüssigkeit) des Gutachtens. Sie erfordert die Wiedergabe aller wesentlichen Befunde und die Darstellung der zur Beurteilung führenden Schlussfolgerungen. Die Nachprüfbarkeit betrifft die Wissenschaftlichkeit. Diese fordert, dass die Untersuchungsverfahren angegeben und, soweit die Schlussfolgerungen auf Forschungsergebnisse gestützt sind, die Quellen genannt werden (Buchst. a). Das Gutachten muss in allen wesentlichen Punkten, insbesondere im Hinblick auf die gestellten Fragen (§ 11 Abs. 6 FeV), vollständig sein. Der Umfang eines Gutachtens richtet sich dabei nach der Befundlage. Bei eindeutiger Befundlage wird das Gutachten knapper, bei komplizierter Befundlage ausführlicher erstattet (Buchst. b). Im Gutachten muss schließlich dargestellt und unterschieden werden zwischen der Vorgeschichte und dem gegenwärtigen Befund (Buchst. c).
Die für das Urteil über die Fahrtauglichkeit der Klägerin maßgeblichen Umstände, mithin die diagnostizierte gereizte Manie und paranoide Psychose und die damit verbundenen Symptome, wie etwa das Vorliegen formaler und inhaltlicher Denkstörungen sowie Wahnvorstellungen und weiterer manieformer Symptome, wie die Unfähigkeit zu logischen Verknüpfungen, hochgradig geminderte bis annährend aufgehobene Kritikfähigkeit sowie aufgehobenes Urteilsvermögen, werden im Gutachten im Sinne der oben genannten Voraussetzungen nachvollziehbar und schlüssig aus dem ausführlichen psychiatrischen Explorationsgespräch hergeleitet und begründet. Zur Feststellung der fehlenden Krankheits- und Behandlungseinsicht bezieht sich der ärztliche Gutachter ebenfalls auf die aus dem psychiatrischen Explorationsgespräch gewonnenen Erkenntnisse. Auch die an diese Feststellungen unmittelbar anknüpfende Schlussfolgerung, die Klägerin sei nicht zu einem vorsichtigen Fahrverhalten in der Lage, und wegen zu erwartender Übergriffigkeiten sowie Übersprungshandlungen definitiv eine Gefährdung des Straßenverkehrs, ist schlüssig und nachvollziehbar dargelegt. Gleichermaßen geht hieraus deutlich hervor, dass die Klägerin aufgrund ihres Gesundheitszustands nicht in der Lage ist, den Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen zu genügen. Der Gutachter hat insoweit für die erkennende Kammer nachvollziehbar und nachprüfbar den Schluss von den festgestellten ärztlichen Befunden auf die fehlenden Fahreignung der Klägerin gezogen.
3.2 Das Gutachten ist – auch im Hinblick auf die vom Landratsamt in der Gutachtensanordnung gestellten Fragen – in allen wesentlichen Punkten vollständig. Zwar werden unter dem Gliederungspunkt „Zusammenfassung und Beurteilung“ (S. 3 f. des Gutachtens) nicht alle drei Fragen optisch hervorgehoben und jeweils für sich abschnittsweise beantwortet. Jedoch werden alle aufgeworfenen Fragen in der Sache vollständig beantwortet.
Die erste Frage, ob bei der Klägerin eine Krankheit vorliege, insbesondere eine psychische Erkrankung nach Kapitel 7 der Anlage 4 zur FeV, die gegenwärtig die Fahreignung ausschließe, wird von dem Gutachter dahingehend bejaht, dass dieser bei der Klägerin im Ergebnis eine gereizte Manie und paranoide Psychose, mithin psychische Erkrankungen im Sinne von Kapitel 7 der Anlage 4 zur FeV, namentlich der Nr. 7.5.1, diagnostiziert.
Die zweite vom Landratsamt gestellte Frage, ob die Klägerin in der Lage sei, den Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 gerecht zu werden, beantwortet der Gutachter im Rahmen der „Zusammenfassung und Beurteilung“ (S. 3 f. des Gutachtens) eindeutig negativ, indem er zunächst die Symptome und Verhaltensweisen, die die Klägerin infolge ihrer psychischen Erkrankung nach den Feststellungen des Gutachters aufweist, konkret benennt und daran unmittelbar anknüpfend schlussfolgert, dass die Klägerin aufgrund ihres Gesundheitszustands nicht zu einem vorsichtigen Fahrverhalten in der Lage sei, und wegen zu erwartender Übergriffigkeiten sowie Übersprungshandlungen definitiv eine Gefährdung des Straßenverkehrs darstelle, mithin die Klägerin nicht in der Lage sei, den Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen zu genügen.
Die dritte vom Landratsamt gestellte Frage dahingehend, ob weitere Untersuchungen, z.B. psychologische Test des Leistungsvermögens, erforderlich seien, wird zwar nicht explizit adressiert. Aus der fehlenden ausdrücklichen Feststellung, dass nach Ansicht des Gutachters weitere Untersuchungen der Klägerin erforderlich seien, ist jedoch nach lebensnaher Betrachtung der Umkehrschluss zulässig, dass solche zum gegenwärtigen Zeitpunkt gerade nicht notwendig seien. Ergänzend hierzu ist die Aussage des Gutachters in dessen vorläufigen Arztbrief vom 21. Juni 2021 zu berücksichtigen, insofern er bereits an dieser Stelle deutlich macht, dass nach seiner Einschätzung die Fahrtauglichkeit der Klägerin definitiv nicht gegeben sei und ein umgehender Fahrerlaubnisentzug dringend empfohlen werde.
3.3 Auch die übrigen Anforderungen an ein Gutachten nach Nr. 2 der Anlage 4a zur FeV sind eingehalten. Im Gutachten wurde zunächst klar zwischen der Vorgeschichte (Anamnese) und dem aktuellen Untersuchungsbefund differenziert. Die Inhalte des psychiatrischen Explorationsgesprächs sind in dem Gutachten genau und detailliert widergegeben worden. Der Umfang des Gutachtens von knapp 3,5 Seiten ist in Anbetracht der eindeutigen Befundlage und der inhaltlich konzisen sowie aussagekräftigen Ausführungen nicht zu beanstanden. Insoweit ist auch das – pauschale und wenig substantiierte – Vorbringen der Klägerin dahingehend, dass die Schlussfolgerungen des Arztes ohne die notwendigen eingehenden Untersuchungen gezogen worden seien und die Untersuchung nur einmalig stattgefunden habe und dabei von relativ kurzer Dauer gewesen sei, unter Berücksichtigung des Umfangs und inhaltlichen Dichte des vorliegenden Gutachtens kaum nachvollziehbar. Dessen Aussagekraft und die sich daraus ergebenden Fahreignungszweifel vermag der von der Klägerin vorgebrachte Einwand jedenfalls nicht zu erschüttern.
Zudem weist die Kammer in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Grundsätze zur Erstellung eines Gutachtens gemäß Nr. 2 der Anlage 4a zur FeV keine bestimmten Vorgaben hinsichtlich der Mindestdauer oder der Mindesthäufigkeit einer Untersuchung vorsehen. Vielmehr richtet sich der Umfang eines Gutachtens und der – dem Gutachten vorgelagerten Diagnostik – nach der Komplexität der jeweiligen Befundlage im Einzelfall (vgl. Nr. 2 Buchst. b).
3.4 Auch der Umstand, dass die Art der Untersuchung nicht explizit genannt wurde, ist unschädlich, da sich aus den Umständen der Gutachtenerstellung unzweifelhaft ergibt, dass die Untersuchung in erster Linie aus einem Explorationsgespräch in Gestalt eines halbstrukturierten Interviews bestand, was einen üblichen und wesentlichen Bestandteil der psychiatrischen Diagnostik darstellt. Die – den hierdurch gewonnenen klinischen Eindruck – flankierende Durchführung von standardisierten Selbst- und Fremdbeurteilungsskalen wird zwar bei psychischen Krankheitsbildern in der Kommentierung der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung empfohlen (Schubert/Huetten/Reiman/Graw, Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahreignung, 3. Aufl. 2018, zu Kapitel 3.12, S. 235), aber nicht von Gesetzes wegen als Mindeststandard oder gar zwingend vorgegeben.
4. Soweit der Klägerbevollmächtigte im Verwaltungs- und Klageverfahren die Kompetenz und das Vorgehen des begutachtenden Arztes in Frage stellt, kann dem ebenfalls nicht gefolgt werden. Bei dem Gutachter Dr. med. B. handelt es sich um einen Facharzt für Neurologie und Psychiatrie und Psychotherapie. Aufgrund seiner Ausbildung und fachlichen Spezialisierung sowie verkehrsmedizinischen Qualifikation bestehen deshalb keine Zweifel daran, dass er die Auswirkung einer gereizten Manie und paranoiden Psychose auf die Kraftfahreignung der Klägerin beurteilen kann.
Auch die im Rahmen des Verwaltungsverfahrens vorgetragene Behauptung, wonach die Klägerin keinen Draht zu dem Gutachter gefunden habe und dieser von Vornherein gegen sie eingestellt gewesen sei, verfängt nicht. Zwar mag die Klägerin dies subjektiv so empfunden haben. Aus dem Gutachten selbst lassen sich aber weder eine entsprechende Voreingenommenheit noch derartige Emotionen des Gutachters entnehmen. Nähere Anhaltspunkte zu sonstigen Umständen, aus denen die Klägerin die empfundene Voreingenommenheit ableitet, wurden auch nicht dargelegt.
Das psychiatrische Gutachten vom 21. Juni 2021 ist daher verwertbar und konnte seitens des Landratsamts als Entscheidungsgrundlage herangezogen werden. Der Einholung eines weiteren Gutachtens bedurfte es somit nicht.
5. Ohne Bedeutung für die Anordnung des Entzugs der Fahrerlaubnis ist im Übrigen das Vorbringen, die Klägerin sei in der Vergangenheit im Straßenverkehr weder mit Verkehrsverstößen noch mit Fahrfehlern aufgefallen. Die sicherheitsrechtliche Fahrerlaubnisentziehung durch die Verwaltungsbehörde ist gemäß § 3 Abs. 1 StVG, § 46 Abs. 1 FeV eine, eigenen Voraussetzungen unterworfene, präventive Maßnahme zum künftigen Schutz der Sicherheit des Straßenverkehrs und der Individualrechtsgüter, namentlich Leib und Leben, der Verkehrsteilnehmer vor Gefährdungen durch unfähige und ungeeignete Kraftfahrer (vgl. BVerfG, B.v. 20.6.2002 – 1 BvR 2062/96 – BeckRS 2002, 22568, Rn. 48 zur Vorläufervorschrift § 15 b Abs. 1 StVZO; VG Aachen, B.v. 19.5.2020 – 3 L 309/20 – BeckRS 2020, 11581 Rn. 10) und hat, obschon sie im Einzelfall einschneidende Folgen für die Lebensführung des Betroffenen haben mag, keinen strafenden Charakter im rechtlichen Sinne (vgl. BayVGH, B.v. 14.2.2006 – 11 CS 05.1210 – juris Rn. 22). Eine Entziehung der Fahrerlaubnis wegen fehlender Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ahndet mithin keine Gesetzesverstöße der Vergangenheit und setzt daher auch keinen bereits begangenen Verstoß gegen das Straßenverkehrsrecht oder das Strafgesetzbuch voraus.
6. Da sich die Klägerin im Ergebnis als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen hat, hatte das Landratsamt der Klägerin gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 46 Abs. 1 Satz 1 und 2 FeV i.V.m. Nr. 7.5.1 der Anlage 4 zur FeV die Fahrerlaubnis zu entziehen, ohne dass ihm ein Ermessen eingeräumt war.
Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides am 17. September 2021 (Zustellung: 20. September 2021) ihre Fahreignung bereits hätte wiedergewonnen haben können, wurden weder vorgetragen noch sind solche ersichtlich.
7. Gegen den Bescheid im Übrigen bestehen keine rechtlichen Bedenken, insbesondere die Ablieferungspflicht des Führerscheins (Nr. 2 des Bescheides), bestehen keine rechtlichen Bedenken. Diesbezüglich wurden auch keine Einwände vorgebracht. Das Gericht verweist insofern auf die zutreffenden Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid, denen es folgt (§ 117 Abs. 5 VwGO).
Die Klage konnte daher insgesamt keinen Erfolg haben.
8. Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.


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