Medizinrecht

Erfolglose Anhörungsrüge

Aktenzeichen  10 CS 21.170, 10 CS 21.166

Datum:
17.1.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 798
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 152a Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Abs. 2 S. 6

 

Leitsatz

Die Anhörungsrüge ist kein Rechtsbehelf, um unter Verstoß gegen 146 Abs. 4 Satz 3 und 6 VwGO nachträglich neuen Sachvortrag ins Beschwerdeverfahren einzuführen. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Anhörungsrüge wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

Mit der Anhörungsrüge erstrebt der Antragsteller die Fortführung des Verfahrens über seine mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 16. Januar 2021 zurückgewiesene Beschwerde, mit der er den erstinstanzlich erfolglosen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Anfechtungsklage gegen den Bescheid des Landratsamts Fürth vom 14. Januar 2021 weiterverfolgt. Mit diesem Bescheid wurde die von ihm angezeigte Versammlung „Coronoia 2020. Nie wieder mit uns. Wir stehen heute auf! Wir bestehen auf die ersten 20 Artikel unserer Verfassung. Wir bestehen auf Beendigung des Notstands-Regimes. Frieden, Freiheit, keine Diktatur“ am 17. Januar 2021 um 17.00 Uhr auf dem Festplatz in Stein (Landkreis Fürth) verboten.
Die zulässige Anhörungsrüge ist unbegründet. Die Voraussetzungen des § 152a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VwGO liegen nicht vor, weil der Verwaltungsgerichtshof mit der angegriffenen Entscheidung den Anspruch des Antragstellers auf rechtliches Gehör nicht in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.
Nach § 152a Abs. 1 Satz 1 VwGO ist auf die Rüge eines durch eine gerichtliche Entscheidung beschwerten Beteiligten das Verfahren fortzuführen, wenn ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist (Nr. 1) und das Gericht den Anspruch dieses Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat (Nr. 2). Die Anhörungsrüge stellt keinen Rechtsbehelf zur Überprüfung der inhaltlichen Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung dar. Es handelt sich vielmehr um ein formelles Recht, das dann greift, wenn das Gericht entscheidungserhebliches Vorbringen der Beteiligten nicht in ausreichendem Maße zur Kenntnis genommen und sich mit ihm nicht in der gebotenen Weise auseinandergesetzt hat. Das Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht jedoch nicht, dem Tatsachenvortrag oder der Rechtsansicht eines Verfahrensbeteiligten inhaltlich zu folgen (vgl. BVerwG, B.v. 1.4.2015 – 4 B 10.15 – juris Rn. 2; BVerwG, B.v. 24.11.2011 – 8 C 13.11 – juris Rn. 2 m.w.N.; BayVGH, B.v. 30.6.2015 – 10 ZB 15.1197 – juris Rn. 3 m.w.N.).
Gemäß § 152a Abs. 2 Satz 6 VwGO ist das Vorliegen der in § 152a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VwGO genannten Voraussetzungen, also eine entscheidungserhebliche Verletzung des Gehörsanspruchs, darzulegen. Es sind also die Umstände darzulegen, aus denen sich die Verletzung des eigenen Anspruchs auf rechtliches Gehör und die Entscheidungserheblichkeit ergeben. Für die Darlegung einer Gehörsverletzung muss der Betroffene die Tatsachen oder Beweisergebnisse benennen, auf die das Gericht seine Entscheidung gestützt hat und zu denen er sich nicht äußern konnte. Alternativ muss er sein tatsächliches oder rechtliches Vorbringen sowie die besonderen Umstände des Einzelfalles anführen, die die Annahme rechtfertigen, dass das Gericht entgegen der bestehenden Vermutung sein Vorbringen nicht zur Kenntnis genommen oder nicht erwogen hat (Kaufmann in Posser/Wolff, BeckOK VwGO, Stand 1.1.2020, § 152a Rn. 12; Rudisile in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Jan. 2020, § 152a Rn. 26).
Der Antragsteller bringt neben einer umfangreichen und teilweise um neue Argumente ergänzten Wiederholung seines Rechtsstandpunkts zur fehlenden tatbestandsmäßigen Infektionsgefahr bei Versammlungen unter freiem Himmel im Wesentlichen vor, der Senat habe das Beschwerdevorbringen ignoriert, ein Versammlungsverbot sei ungeeignet, Infektionsgefahren zu reduzieren, und gehe nicht darauf ein, inwiefern sich das allgemeine Infektionsrisiko dadurch erhöhe, dass jemand eine Versammlung besuche. Die Argumentation des Senats zur Übersterblichkeit sei grob fehlerhaft und geradezu willkürlich, weil nur auf zwei Kalenderwochen im Jahr 2020 abgestellt werde. Eine bestehende Überlastung der Krankenhäuser habe der Senat ebenfalls nicht belegt. Auf den Sachvortrag zur Verletzung des Kohärenzprinzips sei nicht eingegangen worden.
Damit hat der Antragsteller jedoch eine entscheidungserhebliche Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG durch den angegriffenen Beschluss des Senats vom 16. Januar 2021 nicht dargelegt.
Es trifft schon nicht zu, dass der Senat im angegriffenen Beschluss den Vortrag des Antragstellers zur (vermeintlich) fehlenden Infektionsgefahr bei Versammlungen unter freiem Himmel nicht gewürdigt oder übergangen hätte. Vielmehr ergibt sich aus den Ausführungen zur Gefahrenprognose der Versammlungsbehörde und des Verwaltungsgerichts auf Seite 5 ff. des Senatsbeschlusses, dass der Senat das diesbezügliche umfangreiche Vorbringen des Antragstellers zur Kenntnis genommen, aber schon in seinem argumentativen Ansatz für tatsächlich und rechtlich verfehlt bewertet hat (insb. S. 7 f. des Beschlusses). Der wiederholte Einwand des Antragstellers, die Teilnahme an einer Versammlung erhöhe nicht die „absolute Infektionsgefahr“, führt zu keiner anderen Gefahrenprognose und wird im Übrigen durch seine Wiederholung nicht richtiger. Die Teilnahme an einer Versammlung erhöht schon deswegen die Infektionsgefahr, weil sie mit zusätzlichen Kontakten verbunden ist, die das allgemeine Risiko einer Infektion erhöhen. Das Argument, die Teilnahme an Versammlungen sei weniger risikoreich als der Aufenthalt zu Hause (in Innenräumen), greift schon deswegen nicht durch, weil eine Vielzahl von Kontakten bei Versammlungen die unvermeidlichen Kontakte im häuslichen Bereich nicht ersetzt, sondern zu ihnen hinzutritt.
Soweit der Antragsteller mit der Anhörungsrüge auf zur Stützung seines Standpunktes angeführte weitere wissenschaftliche Quellen und Studien verweist, legt er damit eine Verletzung des Gehörsanspruchs ebenfalls nicht dar. Die Anhörungsrüge ist kein Rechtsbehelf, um unter Verstoß gegen 146 Abs. 4 Satz 3 und 6 VwGO nachträglich neuen Sachvortrag ins Beschwerdeverfahren einzuführen.
§ 152a VwGO gilt im Übrigen auch nicht für behauptete Verstöße gegen das Willkürverbot (vgl. etwa Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 152a Rn. 4).
Auch die Rüge, der Senat sei auf die geltend gemachte Verletzung des Kohärenzprinzips nicht eingegangen und habe entsprechenden Sachvortrag ignoriert, greift ausweislich der diesbezüglichen Würdigung durch den Senat (S. 10 f. des Beschlusses) nicht durch. Auch hier geht es in der Sache um keine Gehörsverletzung, sondern um die nach Auffassung des Antragstellers richtige rechtliche Bewertung seiner Argumente zur Gefahrenprognose durch den Senat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, weil für das Verfahren über die Anhörungsrüge nach Nr. 5400 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz (Anlage zu § 3 Abs. 2 GKG) eine streitwertunabhängige Festgebühr anfällt.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152a Abs. 4 Satz 3 VwGO).


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