Medizinrecht

Fachkraftanwesenheit zur Nachtzeit in Betreuungseinrichtungen

Aktenzeichen  M 17 K 16.2392

Datum:
19.1.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
PfleWoqG PfleWoqG Art. 3 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 4, Nr. 5, Abs. 3 Nr. 1
AVPfleWoqG AVPfleWoqG § 15 Abs. 1
SGB XI SGB XI § 72 Abs. 2 S. 1, §§ 75 ff.
GG GG Art. 3 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4

 

Leitsatz

1 Mit der Anwesenheitspflicht einer Fachkraft soll sichergestellt werden, dass zur Betreuung der Bewohner einer stationären Einrichtung stets fachlich geschultes und entsprechend kompetentes Personal anwesend ist. Die ständige Anwesenheit gewährleistet, dass Betreuungstätigkeiten, die eine bestimmte Sachkunde erfordern, fachgerecht durchgeführt werden, fachlich nicht geschulte Betreuungskräfte jederzeit auf einen kompetenten Ansprechpartner zurückgreifen können und in Notsituationen eine sofortige und angemessene Reaktion zu ihrer Abwendung möglich ist (Anschluss an VG München BeckRS 2016, 48620). (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Entscheidung darüber, wie viele Fachkräfte in der Nacht ständig anwesend sein müssen, um die Betreuung der Bewohnerinnen und Bewohner entsprechend dem fachlichen Konzept und der Bewohnerstruktur der stationären Einrichtung sicherzustellen, unterliegt der vollen gerichtlichen Kontrolle. (Rn. 26 ff.) (redaktioneller Leitsatz)
3 Die Frage, wie viele Fachkräfte in der Nacht ständig anwesend sein müssen, hängt von dem in der Nacht anfallenden Betreuungsaufwand ab, da betreuende Tätigkeiten zwingend von Fachkräften oder zumindest unter angemessener Beteiligung von Fachkräften wahrzunehmen sind (§ 15 Abs. 1 S. 1 AVPfleWoqG). Eine angemessene Beteiligung in diesem Sinn setzt zwar keine ständige Anwesenheit einer Fachkraft im unmittelbaren Umfeld einer Hilfskraft voraus; erforderlich ist aber jedenfalls eine ständige fachliche Anleitung. Eine von Fachkräften losgelöste und eigenständige Leistungserbringung durch Nichtfachkräfte ist nicht zulässig. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
4 Im Rahmen dieser Beurteilung ist auch zu berücksichtigen, dass § 15 AVPfleWoqG nur die vom jeweiligen Einrichtungsträger zu erfüllende personelle Mindestbesetzung vorgibt und damit lediglich die Untergrenze einer noch zulässigen Personalausstattung abbildet. Diese personellen Mindestvorgaben sind daher gerade nicht mit einer regelmäßig anzustrebenden Normalausstattung gleichzusetzen (Verweis auf BayVGH BeckRS 2000, 21213). (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
5 Einer Leistungsvereinbarung nach §§ 75 ff. SGB XI mag zwar eine indizielle Bedeutung für die Frage zukommen, ob eine ausreichende personelle Besetzung der stationären Einrichtung gewährleistet ist. Gleichwohl ist zwischen den ordnungsrechtlichen Qualitätsvorgaben des PfleWoqG und den sozialrechtlichen Leistungsbestimmungen nach dem SGB XII zu unterscheiden. (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)
6 Die vorschriftskonforme Handhabung einer Vorschrift für die Zukunft verletzt keine schützenswerte, das Vertrauen auf ihren Bestand rechtfertigende Rechtsposition des Betroffenen (Verweis auf BVerwG BeckRS 2011, 56699). (Rn. 41) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

1. Statthafte Klage ist hier, da es sich auch bei dem Prüfbericht um einen (feststellen-den) Verwaltungsakt handelt, die Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 VwGO). Diese ist zulässig, aber unbegründet, da der Prüfbericht vom 16. September 2015, der Kostenbescheid vom selben Tag und der Widerspruchsbescheid vom 26. April 2016 rechtmäßig sind und die Klägerin daher nicht in ihren Rechten verletzen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
2. Der streitgegenständliche Prüfbericht ist in den allein angefochtenen Ziffern III.1.1. und III.1.3 formell und materiell rechtmäßig, insbesondere sind die dort getroffenen Feststellungen nicht zu beanstanden. Die Beklagte hat zu Recht festgestellt, dass in der WG 7 aufgrund der Bewohnerbedarfe und der Entfernung zum Haupthaus eine Fachkraft im Nachtdienst einzusetzen ist, in den Nächten vom 1. Mai auf 2. Mai 2015 und 21. Mai bis 30. Mai 2015 die Nachtwache in der WG 7 (Nebengebäude in der …) nur mit einer Hilfskraft besetzt war, gegen die Qualitätsanforderungen an den Betrieb einer Einrichtung im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Nr. 1, 4, 5, Abs. 3 Nr. 1 des Gesetzes zur Regelung der Pflege-, Betreuungs- und Wohnqualität im Alter und bei Behinderung (Pflege- und Wohnqualitätsgesetz – PfleWoqG) und § 15 Abs. 1 der Verordnung zur Ausführung des Pflege- und Wohnqualitätsgesetzes (AVPfleWoqG) verstoßen wurde und dementsprechend erstmals festgestellte Abweichungen (Mängel) vorliegen. Entsprechend wurde in nicht zu beanstandender Weise der Klägerin unter Ziffer III.1.3. des Prüfberichts empfohlen, zukünftig die erforderliche Nachtwachenbesetzung in der WG 7 einzuhalten, um eine ausreichende und fachlich adäquate Betreuung der Bewohnerinnen und Bewohner in der Nacht sicherzustellen.
2.1. Gemäß Art. 3 Abs. 2 PfleWoqG haben der Träger und die Leitung einer stationären Einrichtung sicherzustellen, dass
1.die Würde sowie die Interessen und Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner vor Beeinträchtigungen geschützt werden,
2.die Selbstständigkeit, die Selbstbestimmung und die Selbstverantwortung der Bewohnerinnen und Bewohner gewahrt und gefördert werden,
3.die Leistungen nach dem jeweils allgemein anerkannten Stand fachlicher Erkenntnisse erbracht werden,
4.eine angemessene Qualität der pflegerischen Versorgung der Bewohnerinnen und Bewohner nach dem allgemein anerkannten Stand der pflegewissenschaftlichen Erkenntnisse gesichert ist; hierzu gehört insbesondere, dass ausreichend fachlich geeignetes Personal eingesetzt wird, um unter Achtung der Menschenwürde eine nach Art und Umfang der Betreuungsbedürftigkeit angemessene individuelle Lebensgestaltung zu ermöglichen und bei Pflegebedürftigen eine humane und aktivierende Pflege zu gewährleisten, die erforderlichen Hilfen zu gewähren sowie freiheitseinschränkende Maßnahmen nur anzuwenden, wenn sie zum Schutz gegen eine dringende Gefahr für Leib und Leben unerlässlich sind,
5.die ärztliche und gesundheitliche Betreuung in der stationären Einrichtung selbst oder in angemessener anderer Weise gewährleistet wird, insbesondere die Arzneimittel ordnungsgemäß und bewohnerbezogen aufbewahrt und die in der Pflege und Betreuung tätigen Personen einmal im Jahr über den sachgerechten Umgang mit Arzneimitteln beraten werden, ein ausreichender und dem Konzept der stationären Einrichtung angepasster Schutz der Bewohnerinnen und Bewohner vor Infektionen gewährleistet wird und von den Beschäftigten die für ihren Aufgabenbereich einschlägigen Anforderungen der Hygiene eingehalten werden,
6.die hauswirtschaftliche Versorgung zur Verfügung gestellt oder vorgehalten sowie eine angemessene Qualität der sozialen Betreuung, des Wohnens und der Verpflegung gewährleistet werden,
7.die Mitwirkung und die Mitbestimmung der Bewohnerinnen und Bewohner gewährleistet werden,
8.der an der Person des Pflegebedürftigen orientierte Pflegeprozess umgesetzt und dessen Verlauf aufgezeichnet wird,
9.die Eingliederung und möglichst selbstbestimmte Teilhabe von Menschen mit Behinderung am Leben der Gemeinschaft gefördert werden und das Konzept darauf ausgerichtet ist, insbesondere die sozialpädagogische Betreuung und heilpädagogische Förderung gewährleistet wird,
10.in Einrichtungen für Menschen mit Behinderung für die Bewohnerinnen und Bewohner Förder- und Hilfepläne aufgestellt und deren Umsetzungen aufgezeichnet werden,
11.eine fachliche Konzeption verfolgt wird, die gewährleistet, dass die Vorgaben der Nrn. 1 bis 10 umgesetzt werden und diese fachliche Konzeption mit der baulichen Umsetzung übereinstimmt.
Zudem hat der Träger sicherzustellen, dass Pflege- und Betreuungskräfte in ausreichender Zahl und mit der für die von ihnen zu leistende Tätigkeit erforderlichen persönlichen und fachlichen Eignung vorhanden sind, insbesondere regelmäßige Qualifizierungsangebote für die Beschäftigten gewährleistet sind und die interkulturelle Kompetenz der Betreuungs- und Pflegekräfte gefördert wird, für stationäre Einrichtungen der Behindertenhilfe eine entsprechende Leitung und für jede stationäre Einrichtung in der Altenhilfe eine eigene Pflegedienstleitung tätig ist, soweit nicht ein Gesamtversorgungsvertrag im Sinn des § 72 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 des Elften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XI) besteht (Art. 3 Abs. 3 Nr. 1 PfleWoqG).
§ 15 AVPfleWoqG regelt schließlich, dass betreuende Tätigkeiten nur durch Fachkräfte oder unter angemessener Beteiligung von Fachkräften wahrgenommen werden dürfen. Hierbei muss mindestens eine betreuend tätige Person, bei mehr als 20 nicht pflegebedürftigen Bewohnerinnen und Bewohnern oder bei mehr als vier pflegebedürftigen Bewohnerinnen und Bewohnern im Sinn des § 9 Abs. 1 Satz 3 AVPfleWoqG mindestens jede zweite weitere betreuend tätige Person eine Fachkraft im Sinn der nach § 16 Abs. 2 Satz 1 AVPfleWoqG erlassenen allgemeinen Verwaltungsvorschriften sein. In der Nacht muss ausreichend Personal, mindestens aber eine Fachkraft, ständig anwesend sein, um die Betreuung der Bewohnerinnen und Bewohner entsprechend dem fachlichen Konzept und der Bewohnerstruktur der stationären Einrichtung sicherzustellen.
Art. 15 Abs. 1 Satz 3 AVPfleWoqG enthält damit eine allgemein gefasste Mindestanforderung, die ihren aktuellen Verpflichtungsgehalt erst durch die organisatorischen, personellen und räumlichen bzw. baulichen Gegebenheiten (z.B. mehrere Gebäude, Wohnbereiche über mehrere Stockwerke) des jeweiligen Betriebs und die durch die individuellen Ressourcen der Bewohnerinnen und Bewohner bedingten Betreuungs- und Pflegeanforderungen erhält (VO-Begründung S. 26; Burmeister/Gaßner/Melzer/Müller, Bayerisches Pflege- und Wohnqualitätsgesetz, 2. Aufl. 2015, § 15 AVPfleWoqG Rn. 3).
Mit der Anwesenheitspflicht einer Fachkraft soll sichergestellt werden, dass zur Betreuung der Bewohner einer stationären Einrichtung stets fachlich geschultes und entsprechend kompetentes Personal anwesend ist. Die ständige Anwesenheit gewährleistet, dass Betreuungstätigkeiten, die eine bestimmte Sachkunde erfordern, fachgerecht durchgeführt werden, fachlich nicht geschulte Betreuungskräfte jederzeit auf einen kompetenten Ansprechpartner zurückgreifen können und in Notsituationen eine sofortige und angemessene Reaktion zu ihrer Abwendung möglich ist (Burmeister/Gaßner/Melzer/Müller, Bayerisches Pflege- und Wohnqualitätsgesetz, 2. Aufl. 2015, § 15 AVPfleWoqG Rn. 1, 6, 8; VG München, U.v. 23.6.2016 – M 17 K 15.5904 – juris Rn. 42).
Zweck des Pflege- und Wohnqualitätsgesetzes ist es, die menschliche Würde zu schützen, die Interessen und Bedürfnisse pflegebedürftiger Menschen und Menschen mit Behinderung vor Beeinträchtigung zu wahren sowie eine dem allgemein anerkannten Stand fachlicher Erkenntnisse entsprechende Betreuung sicherzustellen (LT-Drs. 17/12741).
2.2. Gemessen daran ist es im vorliegenden Fall nicht zu beanstanden, soweit die Beklagte von der Klägerin verlangt, dass in der WG 7 aufgrund der Bewohnerbedarfe und der Entfernung zum Haupthaus eine (zusätzliche) Fachkraft im Nachtdienst einzusetzen ist.
§ 15 Abs. 1 Satz 3 AVPfleWoqG erfordert, dass in der Nacht ausreichend Personal, mindestens aber eine Fachkraft, ständig anwesend sein muss, um die Betreuung der Bewohnerinnen und Bewohner entsprechend dem fachlichen Konzept und der Bewohnerstruktur der stationären Einrichtung sicherzustellen.
2.2.1. Der FQA steht bei der Anwendung des unbestimmten Rechtsbegriffes des „ausreichenden Personals“ kein Beurteilungsspielraum zu. Die Entscheidung darüber, wie viele Fachkräfte in der Nacht ständig anwesend sein müssen, um die Betreuung der Bewohnerinnen und Bewohner entsprechend dem fachlichen Konzept und der Bewohnerstruktur der stationären Einrichtung sicherzustellen, unterliegt der vollen gerichtlichen Kontrolle.
Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG überträgt die Letztentscheidungsbefugnis für die Auslegung und Anwendung normativer Regelungen den Verwaltungsgerichten. Ein Beurteilungsspielraum der Verwaltung mit der Folge einer nur eingeschränkten gerichtlichen Kontrolldichte muss zum einen im Gesetz angelegt sein, d.h. sich durch dessen Auslegung mit hinreichender Deutlichkeit ermitteln lassen. Zum anderen muss die Bestimmung des Bedeutungsgehalts einer Rechtsnorm so vage oder ihre fallbezogene Anwendung so schwierig sein, dass die gerichtliche Kontrolle wegen der hohen Komplexität oder der besonderen Dynamik der geregelten Materie an die Funktionsgrenzen der Rechtsprechung stößt. Es reicht nicht aus, dass eine rechtliche Würdigung auf der Grundlage eines komplexen Sachverhalts, etwa aufgrund unübersichtlicher und sich häufig ändernder Verhältnisse, zu treffen ist. Hinzu kommen muss, dass die Gerichte die Aufgabe, die entscheidungsrelevanten tatsächlichen Umstände festzustellen und rechtlich zu bewerten, selbst dann nicht bewältigen können, wenn sie im gebotenen Umfang auf die Sachkunde der Verwaltung zurückgreifen oder sich auf andere Weise sachverständiger Hilfe bedienen (stRspr, vgl. z.B. BVerwG, U.v. 25.82016 – 5 C 54/15 – juris Rn. 27; U.v. 17.12.2015 – 5 C 8.15 – NJW 2016, 1602 Rn. 28 m.w.N.).
Gemessen daran unterliegen Verwaltungsgerichte hinsichtlich der Auslegung und Anwendung des in Rede stehenden Merkmals keinen Beschränkungen. Die Feststellung, wie viele Fachkräfte nachts ständig anwesend sein müssen, um die Betreuung der Bewohnerinnen und Bewohner entsprechend dem fachlichen Konzept und der Bewohnerstruktur der stationären Einrichtung sicherzustellen, ist weder von hoher Komplexität noch von einer besonderen Dynamik gekennzeichnet. Sie verlangt auch keine fachspezifischen, besondere Sachkunde oder Erfahrungen voraussetzenden Wertungen (vgl. insoweit BVerwG, U.v. 9.7.2008 – 9 A 14.07 – BVerwGE 131, 274 Rn. 64 ff.). Den Gerichten ist es ohne Weiteres möglich, die Entscheidung der FQA anhand des fachlichen Konzepts und der Bewohnerstruktur der stationären Einrichtung nachzuvollziehen.
2.2.2. Die Frage, wie viele Fachkräfte in der Nacht ständig anwesend sein müssen, hängt von dem in der Nacht anfallenden Betreuungsaufwand ab, da betreuende Tätigkeiten zwingend von Fachkräften oder zumindest unter angemessener Beteiligung von Fachkräften wahrzunehmen sind (§ 15 Abs. 1 Satz 1 AVPfleWoqG). Eine angemessene Beteiligung i.d.S. setzt zwar keine ständige Anwesenheit einer Fachkraft im unmittelbaren Umfeld einer Hilfskraft voraus; erforderlich ist aber jedenfalls eine ständige fachliche Anleitung. Eine von Fachkräften losgelöste und eigenständige Leistungserbringung durch Nichtfachkräfte ist demnach nicht zulässig (vgl. Begründung der AVPfleWoqG, S. 25). Für die Beurteilung der streitgegenständlichen Feststellung kommt es also letztendlich darauf an, inwieweit in der WG 7 zur Nachtzeit betreuende Tätigkeit anfallen können und ob die jeweils individuell notwendige Betreuung auch durch eine außerhalb der WG 7 eingesetzte Fachkraft angemessen mit abgedeckt werden kann (vgl. Begründung der AVPfleWoqG, S. 26; VG Ansbach, U.v. 11. Mai 2016 – AN 15 K 15.01444 – juris Rn. 91 ff.; BayVGH, B.v. 12.4.2000 – 22 CS 99.3761 zum inhaltsgleichen § 5 HeimPersV). Im Rahmen dieser Beurteilung ist auch zu berücksichtigen, dass § 15 AVPfleWoqG nur die vom jeweiligen Einrichtungsträger zu erfüllende personelle Mindestbesetzung vorgibt und damit lediglich die Untergrenze einer noch zulässigen Personalausstattung abbildet. Diese personellen Mindestvorgaben sind daher gerade nicht mit einer regelmäßig anzustrebenden Normalausstattung gleichzusetzen (BayVGH, B.v. 20.6.2001 – 22 CS 01.966 ebenfalls zu § 5 HeimPersV; VG Ansbach, U.v. 11. Mai 2016 – AN 15 K 15.01444 – juris Rn. 91 ff.).
a) Insbesondere unter Zugrundelegung der besonderen Bewohnerstruktur der stationären Einrichtung genügt der Einsatz einer einzigen Fachkraft sowohl für das Haupthaus als auch für die WG 7 nicht den Anforderungen, um eine angemessene Betreuungsqualität in der Nacht gewährleisten zu können.
Gerade in der WG 7 leben Menschen mit einem erhöhten Betreuungsbedarf im Hinblick auf schwere geistige und körperliche Beeinträchtigungen.
Nach der Darstellung der Klagepartei (Schriftsatz vom 12. Januar 2017) bestehen bei den Bewohnern der WG 7 folgende Diagnosen:
Bewohner 1:
V. a. ataktische Cerebralparese, Lernbehinderung, Persönlichkeitsstörung
Bewohner 2:
ICP (schwere bilaterale spastische Cerebralparese), kombinierte Entwicklungsstörung, Sehstörung, idiopathische Skoliose, Dysphagie, Epilepsie (anfallsfrei seit Umstellung 2014, generell Anfälle nur tagsüber)
Bewohner 3:
Unilaterale spastische Cerebralparese links, Z.n. PM-Implantation (Herzschrittmacher) bei Sinusknotendysfunktion, Adipositas
Bewohner 4:
ICP (schwere bilaterale spastische Cerebralparese), Epilepsie (anfallsfrei seit 2007), leichte Intelligenzminderung, Angst und depressive Störung, gemischt im Rahmen einer posttraumatischen Belastungsstörung
Bewohner 5:
Diskinetische Cerebralparese, Epilepsie (anfallsfrei), Z.n. Verkürzung-, Extensions/Derotationsosteotomie, Patelladistalisierung rechts/links
Bewohner 6:
ICP (spastische Tetraparese), Blindheit, medikamentös eingestellte Epilepsie (Anfälle tagsüber), Z.n. Thrombose 2002
Bewohner 7:
Hemiparese links bei Z.n. OP Kraniopharyngeom 1999, Patelladysplasie links Grad II + III, Nebennierenrindeninsuffizienz, Diabetes insipidus, Hypothyreose, Z.n. knöcherne + weichteiliger Fußkorrektur bei neurogenem Plano Valgus (Mittelfußversteifung), Wahrnehmungsstörung
Bewohner 8:
Kleinhirnatrophie, Z.n. Beinvenenthrombosen und cerebelläre Dysarthrie, Retinitis pigmentosa mit eingeschränktem Gesichtsfeld
Symptomatisch für eine Cerebralparese sind unter anderem Störungen des Muskeltonus, der Muskelstärke sowie der Koordination und des Ablaufs von Bewegungen (Spastik, Athetose, Ataxie), die ohne zügiges und vor allem fachkundiges Eingreifen zu Verletzungen führen können. Beispielsweise besteht ein derartiges Verletzungsrisiko beim Auftreten eines epileptischen Anfalls. Soweit die Klagepartei vorträgt, dass die Bewohner anfallsfrei seien bzw. epileptische Anfälle nur tagsüber auftreten würden, mag dies den „Normalfall“ darstellen, es erscheint allerdings nicht generell ausgeschlossen, dass ein Anfall auch zur Nachtzeit geschehen könnte. Mit der Anwesenheit einer Fachkraft in der WG 7 soll aber gerade sichergestellt werden, dass nicht nur im Normalfall, sondern auch in Notsituationen eine sofortige und angemessene Reaktion zu ihrer Abwendung möglich ist. Ohne ein gebotenes schnelles und auch fachkundiges Handeln sind erhebliche Gefahren für die körperliche Unversehrtheit und ggf. auch für das Leben der Betroffenen nicht ausgeschlossen.
Der erhöhte nächtliche Betreuungsbedarf wird auch dadurch unterstrichen, dass fünf Bewohnern der WG 7 die Pflegestufe 3 zuerkannt wurde (Bl. … BA). Jedenfalls als Indiz kann hierfür auch die Einordnung der Bewohner in die HBG Berücksichtigung finden, wenngleich der so ermittelte Hilfebedarf sich in erster Linie auf die Tageszeit beziehen dürfte. Vier Bewohner der WG 7 sind in die HBG 3, die anderen vier Bewohner in die HBG 4 eingeordnet. Die Bewohner sind zum Teil in ihrer Gehfähigkeit (vier Bewohnerinnen und Bewohner sind auf den Rollstuhl angewiesen) als auch in ihrer Kommunikationsfähigkeit stark eingeschränkt und bedürfen daher intensiver Betreuung und Versorgung. Dem Vortrag der Klagepartei, dass bei den Bewohnern der WG 7 nachts keine spezielle Pflege erforderlich sei, steht die Übersicht über den Nachtwachenablauf, Stand 11/15 (Bl. … BA) entgegen. Den erhöhten Betreuungsbedarf bei Menschen mit einer Cerebralparese bestätigt im Übrigen auch die Klägerin in ihrem fachlichen Konzept (Bl. … ff. BA) selbst, in dem sie unter 2.1. „Personenkreis“ ausführt, dass es sich bei Menschen mit einer Cerebralparese um Personen handele, die aufgrund ihrer körperlich-motorischen und geistig-sensorischen Störungen und möglichen Anfallsleiden in ihren Fähigkeiten und Entwicklungsmöglichkeiten sehr stark beeinträchtigt seien. Wegen der Schwere der Behinderung und ihrer psycho-motorischen und organischen Probleme seien bei der persönlichen Hygiene, Pflege und Versorgung viel Zeit und Spezialkenntnisse erforderlich. Der Schweregrad bewege sich im Bereich mittlerer bis schwerer Behinderung, verbunden mit zum Teil massiven Sekundär- bzw. Mehrfach-Behinderungen. In der Regel handele es sich hierbei um Personen, welche in die Hilfebedarfsgruppen 3-5 eingestuft seien.
b) Die Klägerin vermag auch mit dem Einwand, die angemessene Betreuung sei durch den wohnbereichsübergreifenden Einsatz der Fachkraft aus dem Haupthaus gewährleistet, nicht durchdringen.
Denn dem steht nach Überzeugung des Gerichts die bauliche Situation der stationären Einrichtung entgegen. Die WG 7 ist baulich abgetrennt vom Hauptgebäude in eigenständigen Räumlichkeiten untergebracht. Eine aus einem anderen Gebäude hinzugezogene Fachkraft müsste erst eine dazwischen liegende Straße überqueren und mehrere, gegebenenfalls auch abgesperrte Türen überwinden, um zur WG 7 zu gelangen. In Anbetracht dessen, erscheint der klägerische Vortrag, die WG 7 sei fußläufig lediglich eine Minute entfernt, als äußerst knapp kalkuliert. Unabhängig davon erweist sich auch angesichts der Anzahl (bei Vollbelegung 42 Personen) und Bewohnerstruktur des Haupthauses (vgl. Nachtwachenablauf, Bl. … ff BA – bei mindestens acht Bewohnern wurde mit mehreren Ausrufezeichen auf „Anfälle“ hingewiesen) sowie der aufgrund der Krankheitsbilder denkbaren Notfallsituationen der Einsatz nur einer Fachkraft für beide Gebäude nach Überzeugung des Gerichts nicht als ausreichend, um im Notfall eine sofortige und angemessene Reaktion und eine ordnungsgemäße fachliche Anleitung der Hilfskräfte gewährleisten zu können. Hinsichtlich der Außenwohngruppe wurde damit die Betreuungsqualität seitens der Beklagten wegen dieses Aspektes zutreffend als unangemessen und als Abweichung von den Vorgaben des PfleWoqG bewertet.
Der klägerische Vortrag, dass auch im Haupthaus, in dem die WGs 1 bis 6 auf drei Etagen verteilt sind, nur eine Fachkraft nachts notwendig sei und auch deren Hinzurufen im Einzelfall einen Moment des Wartens voraussetze, ist nicht geeignet, die Notwendigkeit einer weiteren Fachkraft in der WG 7 infrage zu stellen. Vielmehr unterstreicht die räumliche Trennung der WGs im Haupthaus auf drei Etagen als zusätzliche Erschwernis, die zur zeitlichen Verzögerung und Versorgungseinbußen führen könnte, das Erfordernis an einer weiteren Fachkraft im Nebengebäude.
Dass in der geschlossene Leistungsvereinbarung nach §§ 75 ff SGB XII der Klägerin mit dem zuständigen Bezirk kein Einsatz einer Fachkraft des Nachts in der WG 7 vorgesehen ist, begründet insofern nicht die Rechtswidrigkeit des streitgegenständlichen Prüfberichts. Der Vereinbarung mag zwar eine indizielle Bedeutung für die Frage zukommen, ob eine ausreichende personelle Besetzung der stationären Einrichtung gewährleistet ist, gleichwohl ist – wie auch die Klagepartei selbst einräumt – zwischen den ordnungsrechtlichen Qualitätsvorgaben des PfleWoqG und den sozialrechtlichen Leistungsbestimmungen nach dem SGB XII zu unterscheiden.
Soweit die Klagepartei rügt, dass in Ziffer III.1.1.1 des Prüfberichts an keiner Stelle eine Auseinandersetzung mit der Frage erfolge, was eine – am konkreten Bedarf der Bewohner orientierte – „ausreichende“ Personalausstattung (Art. 3 Abs. 3 Nr. 1 PfleWoqG i.V.m. § 15 Abs. 1 AVPfleWoqG) des Nachts sei, steht dies der Rechtmäßigkeit des Prüfberichts nicht entgegen, da diese Gründe jedenfalls im Rahmen des Widerspruchsbescheides und der Klageerwiderung in nicht zu beanstandender Weise nachgeschoben wurden (zur Zulässigkeit des späteren Nachschiebens von Gründen vgl. BVerwG, U.v. 20.6.2013 – 8 C 46.12 – BVerwGE 147, 81).
Der Umstand, dass die Zimmer der WG 7 mit Klingeln bzw. sog. Schallwächtern ausgestattet sind, ersetzt keine ausreichende Personalausstattung, die dann Hilfe und Pflege sicherzustellen hätten. Die klägerische Annahme, dass sich der ereignete Unfall, der Anlass der Überprüfung der Einrichtung gewesen ist, auch mit höherer Personaldichte nicht zu vermeiden gewesen wäre, mag zutreffen. Gleichwohl zielt der Einsatz einer zusätzlichen Fachkraft in der WG 7 unabhängig von der Oberschenkelfraktur des Bewohners im Mai 2015 auch darauf ab, die Betreuung der Bewohner in der Zukunft entsprechend dem fachlichen Konzept und der Bewohnerstruktur sicherzustellen. Dass der Einsatz einer zusätzlichen Fachkraft einen erheblichen finanziellen Mehraufwand für die Klägerin nach sich zieht, ist hingegen kein geeignetes Kriterium für die Beurteilung der Frage wie viele Fachkräfte aufgrund des Bewohnerbedarfs einzusetzen sind.
Schließlich greift auch das Argument der Klägerin nicht, dass das Konzept der Wochenend- und Nachtbesetzung in den letzten Jahren nie durch die FQA beanstandet wurde. Daraus kann sie keinen Anspruch dahingehend ableiten, dass eine rechtswidrige Nichtbeanstandung in gleicher Form erlassen wird. Die vorschriftskonforme Handhabung einer Vorschrift für die Zukunft verletzt keine schützenswerte, das Vertrauen auf ihren Bestand rechtfertigende Rechtsposition des Betroffenen (BVerwG, U.v. 29.9.2011 – 2 C 80/10 – juris m.w.N.). Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet lediglich, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Art. 3 Abs. 1 GG gewährt aber keinen Anspruch auf eine Gleichbehandlung im Unrecht (vgl. BayVGH, B.v. 30.9.2014 – 9 ZB 11.1119 – juris Rn. 6; BVerwG, B.v. 22.4.1995 – 4 B 55/95 – juris Rn. 4 m.w.N.).
c) Aufgrund des Verstoßes gegen § 15 AVPfleWoqG und Art. 3 Abs. 3 Nr. 1 PfleWoqG wurden daher auch die Interessen und Bedürfnisse der Bewohner nicht ausreichend vor Beeinträchtigungen geschützt (Art. 3 Abs. 2 Nr. 1 PfleWoqG) und die angemessene Qualität der pflegerischen Versorgung nach dem allgemein anerkannten Stand der pflegewissenschaftlichen Erkenntnisse sowie die gesundheitliche Betreuung waren nicht gewährleistet (Art. 3 Abs. 2 Nrn. 4 und 5 PfleWoqG). Dementsprechend stellte die Beklagte auch zu Recht Abweichungen von den Anforderungen des PfleWoqG fest (Mängel; Art. 12 Abs. 1 PfleWoqG) und sprach unter Ziffer III.1.3 des Prüfberichts die Empfehlung aus, zukünftig die erforderliche Nachtwachenbesetzung in der WG 7 einzuhalten, um eine ausreichende und fachlich adäquate Betreuung der Bewohnerinnen und Bewohner in der Nacht sicherzustellen.
3. Der Kostenbescheid vom 16. September 2015 ist ebenfalls rechtmäßig:
Da es sich bei der streitgegenständlichen Einrichtung um eine stationäre Einrichtung im Sinne des Art. 2 Abs. 1 PfleWoqG handelt, die Beklagte diese somit zu Recht einer Prüfung gemäß Art. 11 PfleWoqG unterzogen hat, bei der dann Mängel festgestellt wurden, konnte sie hierfür von der Klägerin auch Kosten, d.h. Gebühren und Auslagen, verlangen (vgl. Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 10 KG).
Hinsichtlich der Höhe der Kosten wurden weder von der Klägerseite Bedenken geäußert noch sind solche sonst ersichtlich (vgl. Art. 6 KG i.V.m. lfd. Nr. 7.VI.4, Tarifstelle 1.6.1. i.V.m. 1.1 des Kostenverzeichnisses).
4. Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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