Medizinrecht

Feststellung von Abschiebungsverboten – Abgewiesene Klage eines sierraleonischen Staatsangehörigen

Aktenzeichen  Au 4 K 19.30020

Datum:
11.9.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 56236
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwVfG § 49, § 51 Abs. 3

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die Klage bleibt in der Sache ohne Erfolg. Der mit der Klage angegriffene Bescheid der Beklagten vom 11. Dezember 2018 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat keinen Anspruch auf Abänderung des Bescheids vom 10. Februar 2011 hinsichtlich der Feststellung zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG.
1. Die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens, soweit es die Fest stellungen zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG betrifft, liegen nicht vor.
Eine Behörde kann ein abgeschlossenes Verwaltungsverfahren, auch wenn es durch ein rechtskräftiges verwaltungsgerichtliches Urteil bestätigt ist, nach § 51 Abs. 5 VwVfG nach pflichtgemäßem Ermessen wiederaufnehmen, um sodann im Falle einer Entscheidung für ein Wiederaufgreifen eine neue Sachentscheidung zu treffen, wobei sie den ursprünglichen Verwaltungsakt zurücknehmen, widerrufen oder aber auch durch Zweitbescheid bestätigen kann. Der behördlichen Befugnis zum Wiederaufgreifen im Ermessenswege entspricht ein subjektiver Anspruch des Betroffenen auf fehlerfreie Ermessensbetätigung. Dieses Ermessen verdichtet sich auf einen Anspruch auf Wiederaufgreifen, wenn die Aufrechterhaltung der ursprünglichen Entscheidung etwa wegen offensichtlicher Fehlerhaftigkeit oder drohender Verletzung elementarer Grundrechte des Betroffenen schlechthin unerträglich wäre (BVerwG, U.v. 22.10.2009 – 1 C 15.08 – juris Rn. 24 ff.).
Ein derartiger Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens ist vorliegend zu verneinen. Auch insoweit wird auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid des … Bezug genommen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Der Kläger hat keinerlei Gründe vorgetragen, die eine Abänderung der Feststellungen zu § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG im Ermessenswege rechtfertigen könnten. Insbesondere genügen die im Gerichtsverfahren vorgelegten psychotherapeutischen Stellungnahme vom 25. Januar 2019 bzw. die fachärztlichen Stellungnahmen vom 4. Februar und 2 September 2019 hierfür nicht.
a) Nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG liegt eine erhebliche konkrete Gefahr aus ge sundheitlichen Gründen vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Eine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes ist dabei nicht schon bei jeder befürchteten ungünstigen Entwicklung anzunehmen, sondern nur bei außergewöhnlich schweren körperlichen oder psychischen Schäden (OVG NRW, B.v. 30.12.2004 – 13 A 1250/04.A – juris Rn. 56). Erheblich ist eine Gefahr, wenn der Umfang der Gefahrenrealisierung von bedeutendem Gewicht ist. Das ist der Fall, wenn sich der Gesundheitszustand des Betroffenen wegen geltend gemachter unzureichender medizinischer Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat der Abschiebung in einem angemessenen Prognosezeitraum wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlechtern würde (BVerwG, U.v. 25.11.1997 – 9 C 58.96 – BVerwGE 115, 338). Gründe hierfür können nicht nur fehlende Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat sein, sondern etwa auch die tatsächliche Nichterlangbarkeit einer an sich vorhandenen medizinischen Behandlungsmöglichkeit aus finanziellen oder sonstigen persönlichen Gründen (vgl. BVerwG, U.v. 17.10.2006 – 1 C 18/05 – NVwZ 2007, 712/713).
Davon abzugrenzen sind sogenannte inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse in Bezug auf die Abschiebung, über die im vorliegenden Verfahren nicht zu entscheiden ist. Hierüber hat nämlich nicht das … im Asylverfahren, sondern nach dessen Abschluss die Ausländerbehörde im Vollstreckungsverfahren zu befinden. Dies betrifft solche befürchteten negativen Auswirkungen, die allein durch die Abschiebung als solche (wie auch durch jedes sonstige Verlassen des Bundesgebiets) und nicht wegen der spezifischen Verhältnisse im Zielstaat der Abschiebung eintreten. Solche Abschiebungsfolgen führen auch dann nicht zu einem zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernis im Sinne von § 60 Abs. 7 AufenthG, wenn sie besonders intensiv oder sogar mit einer Lebensgefahr verbunden sind (vgl. BVerwG, U.v.21.09.1999 – 9 C 8/99, NVwZ 2000, 26).
Nach § 60a Abs. 2c AufenthG hat der Ausländer eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft zu machen. Diese ärztliche Bescheinigung muss insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachmedizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. Mit diesen mit dem Gesetz vom 11. März 2016 (BGBl I S. 390) eingeführten Regelungen hat der Gesetzgeber im Wesentlichen die ohnehin bereits bestehende Rechtsprechung zu den Anforderungen an eine substantiierte Geltendmachung krankheitsbedingter Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG im Anschluss an die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. September 2007 (10 C 8/07 – juris Rn. 15) nachvollzogen (BayVGH, B.v. 10.1.2018 – 10 ZB 16.30735 – juris Rn. 8 m.w.N.).
aa) Schon aus dem Asylerstverfahren des Klägers ist bekannt, dass er psychische Probleme habe. Im Asylerstverfahren wurde unanfechtbar festgestellt, dass der Kläger bei einer Rückkehr in sein Herkunftsland nicht mit einer erheblichen oder gar lebensbedrohlichen Verschlechterung seines Gesundheitszustands, rechnen muss. Letztere sei auch nicht durch ein fachärztliches Attest gem. § 60a Abs. 2c AufenthG belegt. Die Krankheit resultiert nach dem Vortrag des Klägers vor allem aus der Sorge vor einer Rückkehr in sein Herkunftsland. Aus den Formulierungen in den aktuellen Attesten ergibt sich, dass den Kläger die weiterhin ungewisse Lebenssituation ganz erheblich belaste. Beim Kläger liege eine schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome und eine sonstige Reaktion auf schwere Belastung vor. Neben stützenden therapeutischen Gesprächen werde er kontinuierlich medikamentös (Sertralin, Mirtazapin, Quetiapin zur Nacht) behandelt (fachärztliche Stellungnahme, Neurologe, Psychiatrie und Psychotherapie vom 2.9.2019).
In der fachärztlichen Stellungnahme vom 4. Februar 2019 wird ausgeführt, dass die Infragestellung und geschichtlich politische Überprüfung der Angaben von Asylbewerbern sei kein Gegenstand der fachärztlichen Termine sei. Die Diskrepanz zwischen juristischer und medizinischer Herangehensweise könne nicht zu Lasten des behandelnden Arztes und des Patienten ausgelegt werden.
Jedoch ist zu berücksichtigen, dass der Grundsatz der freien Beweiswürdigung durch das Gericht nicht nur die Würdigung des Vorbringens der Partei im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren, sondern auch die Wertung und Bewertung vorliegender ärztlicher Atteste sowie die Überprüfung der darin getroffenen Feststellungen und Schlussfolgerungen auf ihre Schlüssigkeit und Nachvollziehbarkeit umfasst. Zur Begründung der Diagnose „schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome und sonstige Reaktion auf schwere Belastung“ werden sowohl in den fachärztlichen Stellungnahmen als auch in der psychotherapeutischen Stellungnahme die vom Kläger im Heimatland angeführten Erlebnisse angeführt, insbesondere die Tötung seines Bruders als Solidaritätsbeweis zur Rebellengruppe. Insoweit kann bezüglich dieser Diagnose nichts Anderes gelten als die Rechtsprechung zur PTBS ausgeführt hat. Danach ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass zum Nachweis einer PTBS vom Schutzsuchenden gegenüber dem Tatrichter – und nicht gegenüber einem ärztlichen Gutachter – nachzuweisen bzw. wahrscheinlich zu machen ist, dass ein behauptetes traumatisierendes Ereignis tatsächlich stattgefunden hat. Es ist Sache des Betroffenen, dem Gericht die behaupteten Geschehnisse, die bei ihm eine posttraumatische Belastungsstörung zum Entstehen gebracht haben sollen, jedenfalls in Grundzügen unter Angaben von Einzelheiten schlüssig und widerspruchsfrei zu schildern. Auch insoweit ändert der Umstand, dass bei Opfern von Traumatisierungen Aussagediskrepanzen aufgrund von Konzentrations- und Gedächtnisstörungen sowie komplexe Verdrängungsvorgänge vorliegen können, nichts an der nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO maßgeblichen freien Überzeugungsbildung des Gerichts (vgl. zum Ganzen etwa BayVGH, B.v. 12.3.2019 – 9 ZB 17.30411 – juris Rn. 6 und Rn. 8 m.w.N.).
An diesen rechtlichen Vorgaben gemessen ergibt sich aus den vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen, insbesondere aus den in diesen ausgewiesenen Diagnosen kein Abschiebungsverbot aus gesundheitlichen Gründen.
Soweit die Bescheinigungen als traumatische Erlebnisse des Klägers die Tötung seines Bruders als Solidaritätsbeweis für die Rebellen anführen, ist dem entgegen zu halten, dass der Asylantrag des Klägers mit Urteil des VG Augsburg vom 18. August 2011 (Au 7 K 11.30074) als offensichtlich unbegründet abgewiesen worden ist, da der Kläger seinen Sachvortrag kurz vor bzw. in der mündlichen Verhandlung erheblich gesteigert und erweitert hat. Das Gericht ist dabei zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger seinen Vortrag in Bezug auf die Rebellen offensichtlich frei erfunden hat. Die fachärztlichen bzw. psychotherapeutischen Stellungnahmen gehen in keinster Weise auf das Urteil des VG Augsburg ein. Es wird auch nicht dargelegt, warum der Kläger sich erst vier Jahre nach dem abweisenden Urteil in fachärztliche und psychotherapeutische Behandlung begeben hat. Insoweit ist daher kein traumatisierendes Ereignis in der gebotenen Weise nachgewiesen bzw. wahrscheinlich gemacht.
Soweit eine massive Erhöhung der depressiven Symptomatik bereits beim Ansprechen zur aktuellen rechtlichen Situation und zum Bleiberecht in Deutschland vorliegt (vgl. psychotherapeutische Stellungnahme vom 30.8.2019, Bl. 74 ff der Gerichtsakte), lägen die Probleme in der ungewissen Lebenssituation an sich. Sie wären im Übrigen dann als sogenanntes inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse in diesen Verfahren irrelevant und vielmehr gegenüber der Ausländerbehörde im Rahmen der Vorbereitung und Durchführung einer Abschiebung geltend zu machen. Außerdem ließe sich für den Fall einer Rückkehr des Klägers in sein Herkunftsland eine Übergangszeit mit Mitgabe eines Medikamentenvorrats gestalten.
Im Übrigen ist davon auszugehen, dass eine ausreichende medikamentöse Versorgung mit Antidepressiva auch in Sierra Leone gewährleistet ist. Eine therapeutische bzw. psychiatrische Behandlung ist dort zwar wohl nicht sichergestellt, darauf kommt es aber im Hinblick auf die Regelungen in § 60 Abs. 7 Satz 2 bis 4 AufenthG nicht an. Insbesondere ist es danach nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Entsprechend der Auskunftslage ist davon auszugehen, dass eine medikamentöse Behandlung mit Antidepressiva auch in Sierra Leone erfolgen kann (Auskunft des Auswärtigen Amtes an VG Aachen vom 21.2.2007). Nachdem vom Kläger nichts dazu vorgetragen worden ist, dass es ihn in Sierra Leone an familiärer Unterstützung mangeln würde, besteht kein Anlass zu der Annahme, dass der Kläger nach einer Rückkehr dauerhaft nicht in der Lage wäre, einen ausreichenden Unterhalt, der auch eine notwendige medikamentöse Behandlung einschließt zu erzielen.
2. Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Ge richtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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