Medizinrecht

Formelle Anforderungen an Anordnung zur amtsärztlichen Untersuchung

Aktenzeichen  M 5 E 16.3988

Datum:
7.9.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 123
BayBG BayBG Art. 65 Abs. 2 S. 1

 

Leitsatz

Der Untersuchungsanordnung müssen tatsächliche Feststelllungen zugrunde liegen, die die Dienstunfähigkeit des Beamten als naheliegend erschienen lassen.  (redaktioneller Leitsatz)
Die Behörde muss die tatsächlichen Umstände, auf die sie die Zweifel an der Dienstunfähigkeit stützt, in der Aufforderung angeben, damit der Beamte anhand dieser Begründung die Auffassung der Behörde nachvollziehen und prüfen kann. Genügt die Anordnung nicht diesen Anforderungen, können Mängel nicht nachträglich durch Nachschieben von Gründen geheilt werden.  (redaktioneller Leitsatz)
Die Anordnung muss Angaben zu Art und Umfang der ärztlichen Untersuchung enthalten. Die Behörde darf dies nicht dem Arzt überlassen.  (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antragsteller wird vorläufig von der Verpflichtung zur Durchführung einer amtsärztlichen Untersuchung aufgrund der Untersuchungsanordnung des Bayerischen Staatsministeriums für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst vom … Mai 2016 bis zum rechtskräftigen Abschluss eines (noch durchzuführenden) Hauptsacheverfahrens freigestellt.
II.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
III.
Der Streitwert wird auf 2.500 € festgesetzt.

Gründe

Gegenstand des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist die Untersuchungsanordnung des Antragsgegners vom … Mai 2016.
I.
Dem Antrag war stattzugeben, da die Anordnung in formeller Hinsicht rechtswidrig ist.
1. Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) kann das Gericht auch schon vor Klageerhebung eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung des Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach Satz 2 des § 123 Abs. 1 VwGO sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, notwendig erscheint, um insbesondere wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern. § 123 Abs. 1 VwGO setzt daher sowohl einen Anordnungsgrund, d. h. ein Bedürfnis für die Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes in Form eines eigenen Individualinteresses, als auch einen Anordnungsanspruch voraus, d. h. die bei summarischer Überprüfung der Sach- und Rechtslage hinreichende Aussicht auf Erfolg oder zumindest auf einen Teilerfolg des geltend gemachten Begehrens in der Hauptsache. Der Antragsteller hat die hierzu notwendigen Tatsachen glaubhaft zu machen.
2. Es besteht ein Anordnungsgrund, da die streitgegenständliche Untersuchung am … September 2016 um … Uhr unmittelbar bevorsteht.
3. Es ist auch ein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht, da die streitgegenständliche Anordnung zur amtsärztlichen Untersuchung in formeller Hinsicht nicht den einzuhaltenden Rechtmäßigkeitsanforderungen entspricht.
Nach Art. 65 Abs. 2 Satz 1 Bayerisches Beamtengesetz (BayBG) ist die Behörde zu einer Untersuchungsaufforderung berechtigt und damit ein Beamter entsprechend zur Mitwirkung verpflichtet, wenn Zweifel an dessen Dienstfähigkeit bestehen. Aufgrund hinreichend gewichtiger tatsächlicher Umstände muss zweifelhaft sein, ob der Beamte wegen seines körperlichen Zustands oder aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage ist, die Dienstpflichten seines abstrakt-funktionellen Amts zu erfüllen. Dies ist anzunehmen, wenn Umstände vorliegen, die bei vernünftiger, lebensnaher Einschätzung die ernsthafte Besorgnis begründen, der betroffene Beamte sei dienstunfähig. Der Aufforderung müssen tatsächliche Feststellungen zugrunde liegen, die die Dienstunfähigkeit des Beamten als naheliegend erscheinen lassen (vgl. BVerwG, U.v. 30.05.2013 – 2 C 68/11 – juris, Rn. 19).
Die Behörde muss die tatsächlichen Umstände, auf die sie die Zweifel an der Dienstunfähigkeit stützt, in der Aufforderung angeben. Der Beamte muss anhand dieser Begründung die Auffassung der Behörde nachvollziehen und prüfen können, ob die angeführten Gründe tragfähig sind. Er muss erkennen können, welcher Vorfall oder welches Ereignis zur Begründung der Aufforderung herangezogen wird. Die Anordnung muss aus sich heraus verständlich sein. Die Behörde darf insbesondere nicht nach der Überlegung vorgehen, der Adressat werde schon wissen, „worum es geht“ (vgl. BVerwG, U.v. 30.05.2013, a. a. O., Rn. 20; U.v. 26.4.2012 – 2 C 17/10 – juris Rn. 20). Genügt die Anordnung nicht diesen Anforderungen, können Mängel nicht nachträglich durch Nachschieben von Gründen geheilt werden (vgl. BVerwG, U.v. 30.05.2013, a. a. O., Rn. 20).
Ferner muss die Anordnung Angaben zu Art und Umfang der ärztlichen Untersuchung enthalten. Die Behörde darf dies nicht dem Arzt überlassen. Dies gilt insbesondere, wenn sich der Beamte einer fachpsychiatrischen Untersuchung unterziehen soll. Nur wenn in der Aufforderung selbst Art und Umfang der geforderten ärztlichen Untersuchung nachvollziehbar sind, kann der Betroffene auch nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ihre Rechtmäßigkeit überprüfen. Dementsprechend muss sich der Dienstherr bereits im Vorfeld des Erlasses nach entsprechender sachkundiger ärztlicher Beratung zumindest in den Grundzügen darüber klar werden, in welcher Hinsicht Zweifel am körperlichen Zustand oder der Gesundheit des Beamten bestehen und welche ärztlichen Untersuchungen zur endgültigen Klärung geboten sind (vgl. BVerwG, a. a. O., Rn. 23).
bb) Diesen höchstrichterlichen Vorgaben entspricht die streitgegenständliche Anordnung des Antragsgegners vom … Mai 2016 nicht. Die Untersuchungsanordnung ist nicht aus sich heraus verständlich. Es sind weder die tatsächlichen Umstände dargestellt, die die Zweifel an der Dienstunfähigkeit begründen, noch Art und Umfang der beabsichtigten ärztlichen Untersuchung.
In der Untersuchungsaufforderung sind bereits nicht die konkreten Umstände aufgeführt, die die Zweifel an der Dienstunfähigkeit begründen. Es wird lediglich auf verschiedene Vorkommnisse an der Schule verwiesen, an welcher der Antragsteller tätig ist. Die Vorkommnisse sind ausschließlich in einem in Kopie beigefügten Schreiben des Schulleiters dargelegt. Dies genügt nicht den Anforderungen der Rechtsprechung, dass die Untersuchungsaufforderung aus sich heraus verständlich sein muss. Der Beamte muss in der Lage sein, die in der Untersuchungsanordnung vorgebrachten Argumente zu prüfen. Daher ist es nicht möglich, auf andere Schreiben, Gespräche oder das bisherige Verfahren zu verweisen. Insofern hat der Antragsgegner die entsprechenden Vorkommnisse nicht in der Anordnung selbst dargestellt, sondern in unzulässiger Weise auf ein beigefügtes Schreiben verwiesen. Dieser Verweis auf „verschiedene Vorkommnisse“ ist zu unbestimmt und kann durch den Antragsteller nicht nachvollzogen werden.
Des Weiteren enthält die Untersuchungsanordnung keinerlei Angaben zu Art und Umfang der angeordneten ärztlichen Untersuchung. Es ist weder das ärztliche Fachgebiet eingegrenzt, dem die Untersuchung zuzuordnen ist, noch sind der Verfahrensablauf und die einzelnen Untersuchungsmaßnahmen beschrieben. Angesichts des Hinweises auf das mögliche Vorliegen einer psychischen Erkrankung liegt zwar nahe, dass eine fachpsychiatrische Untersuchung beabsichtigt sein könnte. Dies muss jedoch zum einen in der streitgegenständlichen Weisung ausdrücklich benannt sein, zum anderen bestehen nach der Rechtsprechung für dieses fachärztliche Gebiet besonders hohe Anforderungen. Demnach müssen insbesondere in diesem Bereich Art und Umfang der geforderten ärztlichen Untersuchung nachvollziehbar dargelegt sein. Denn mit einer solchen Untersuchung sind regelmäßig weitgehende Eingriffe in das Recht des Beamten aus Art. 2 Abs. 2 Grundgesetz wie auch in sein allgemeines Persönlichkeitsrecht verbunden (BVerwG, U.v. 30.5.2013 – 2 C 68/11 – juris Rn. 22). Diese Angaben fehlen in der streitgegenständlichen Anordnung vollständig.
An der rechtlichen Bewertung ändert sich auch nichts, soweit nähere Einzelheiten im Widerspruchsbescheid oder in einem an das Gesundheitsamt gerichteten Schreiben enthalten sind. Denn sämtliche, notwendigen Informationen müssen grundsätzlich in der Untersuchungsanordnung selbst enthalten sein.
II.
Der Antragsgegner hat als unterlegener Beteiligter nach § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes, wobei im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nur die Hälfte des Wertes eines Hauptsacheverfahrens festzusetzen ist.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen


Nach oben