Medizinrecht

(Gesetzliche Unfallversicherung – Unfallversicherungsschutz gem § 2 Abs 2 S 1 iVm Abs 1 Nr 1 SGB 7 – Wie-Beschäftigter – fremdnützige Tätigkeit – Sonderbeziehung: familienhafte Bindung – Bruder des Bauherrn – Sturz vom Gerüst bei Sanierung des Hauses)

Aktenzeichen  L 1 U 342/19

Datum:
16.9.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Thüringer Landessozialgericht 1. Senat
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:LSGTH:2021:0916.L1U342.19.00
Normen:
§ 2 Abs 2 S 1 SGB 7
§ 2 Abs 1 Nr 1 SGB 7
§ 129 Abs 1 Nr 3 SGB 7
Spruchkörper:
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Leitsatz

Ein Bruder des Bauherrn steht während der Mithilfe bei nicht gewerbsmäßigen Bauarbeiten nicht gem § 2 Abs 2 S 1 SGB 7 unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, wenn die verrichtete Tätigkeit ihr maßgebliches Gepräge aus der Sonderbeziehung zum Bauherrn erhielt. (Rn.32)

Verfahrensgang

vorgehend SG Meiningen, 4. Februar 2019, S 9 U 1324/17, Urteil

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Meiningen vom 4. Februar 2019 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander auch für das Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Im Streit steht, ob es sich bei dem Ereignis vom 28. Oktober 2008 um einen Arbeitsunfall im Sinne des § 8 Abs. 1 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) handelte.
Der Kläger ist Bruder des Beigeladenen zu 1. und Schwager der Beigeladenen zu 2. Vom 5. September 2008 bis zum 28. Oktober 2008 sanierten bzw. modernisierten die Beigeladenen die Fassade ihres Wohnhauses in Eigenleistung. Am 28. Oktober 2008 half der Kläger von ca. 16.30 Uhr bis 18.00 Uhr dem Beigeladenen zu 1. beim Gerüstrückbau, mit dem auch das Ende der Bauarbeiten einherging. Im Zuge der Gerüstrückbauarbeiten verlor das Gerüst an Halt und der Kläger sprang bzw. stürzte vom Gerüst. Dabei zog er sich eine zweitgradige offene Tibia-Trümmerfraktur am linken Fuß zu.
Der Beigeladene zu 1. meldete das Ereignis gegenüber der Beklagten als Unfall. Dabei gab er an, dass der Kläger am 11. Oktober 2008 zwei Stunden bei der Anbringung von Dämmung Hilfestellung geleistet habe. Am Tag des Unfalls habe der Kläger 1,5 Stunden beim Gerüstrückbau geholfen. Weiterhin ist der übersandten Auflistung zu entnehmen, dass ein weiterer Bruder des Klägers, der Zeuge S A, insgesamt 15,5 Stunden beim Gerüstaufbau und der Anbringung von Unterkonstruktionen und von Dämmung Hilfe geleistet habe, gleichfalls der Vater des Klägers, der Zeuge E A, welcher insgesamt 7 Stunden bei der Anbringung von Dämmung und Unterkonstruktionen Hilfestellung geleistet habe und schließlich S H (ein Nachbar), der bei Putzarbeiten insgesamt 5 Stunden geholfen habe. Seine Eigenleistung als Bauherr habe 74 Stunden betragen. Auf Befragen der Beklagten teilte der Kläger mit, dass hinsichtlich der Gerüstrückbauarbeiten zunächst von einer Unterstützungsarbeit mit einem zeitlichen Umfang von 1,75 Stunden ausgegangen worden sei.
Mit Bescheid vom 5. März 2009 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Ereignisses als Arbeitsunfall ab. Es habe sich um einen geradezu selbstverständlichen Hilfsdienst zwischen Verwandten gehandelt, der einen Versicherungsschutz nach § 2 Abs. 2 SGB VII ausschließe. Der dagegen eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 6. Juli 2009 zurückgewiesen. Die Beigeladenen wurden im Verwaltungsverfahren nicht beteiligt.
In einem vor dem Landgericht Meiningen unter dem Az.: (348) 1 O 1177/13 geführten Schadensersatzverfahrens des Klägers gegen die Beigeladenen erfolgte unter dem 5. Juni 2015 der richterliche Hinweis, dass hinsichtlich des sozialrechtlichen Verfahrens auch die Beteiligung der hiesigen Beigeladenen erforderlich sei. Sodann wurde das Verfahren nach § 108 Abs. 2 SGB VII bis zum Abschluss eines solchen Verfahrens ausgesetzt.
Mit Schriftsatz vom 30. Juni 2015 beantragte der Kläger die erneute Durchführung des Verfahrens unter Beteiligung der Beigeladenen. Dies wertete die Beklagte als Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X. Daraufhin gab die Beklagte den Beigeladenen mit Schreiben vom 1. Juli 2015 Gelegenheit, sich zum Antrag des Klägers zu äußern. Mit Bescheid vom 5. Dezember 2016 wurde der Überprüfungsantrag zurückgewiesen. Der Bescheid vom 5. März 2009 sei nicht rechtswidrig. Es liege eine Sonderbeziehung als Familienangehörige vor, die der Annahme einer Wie-Beschäftigung entgegenstünde. Der Bescheid wurde auch den Beigeladenen bekanntgegeben.
Der nur vom Kläger eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 29. Juni 2017 zurückgewiesen.
Hiergegen hat der Kläger Klage auf Anerkennung eines Arbeitsunfalls und Gewährung von Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung erhoben. Eine versicherte Tätigkeit im Sinne einer Wie-Beschäftigung sei anzuerkennen. Er hätte den Beigeladenen nicht ohne Versicherungsschutz geholfen. Ohnehin sei das Verhältnis der Brüder untereinander „nicht das Beste“ gewesen. Die Notwendigkeit des Gerüstabbaus habe sich kurzfristig ergeben. Er habe nur geholfen, weil andere Helfer nicht zur Verfügung gestanden hätten. Im Übrigen spreche auch der nur geringe Stundenanteil der Unterstützungsleistung durch den Kläger dafür, dass diese nicht wegen eines besonderen Verwandtschaftsverhältnisses erbracht worden sei. Das verwandtschaftliche Verhältnis habe keine Rolle gespielt.
Das Sozialgericht hat die Bauherren beigeladen und sodann mit Urteil vom 4. Februar 2019 die Klage abgewiesen. Ein Versicherungsschutz liege nicht unter den Voraussetzungen der sogenannten Wie-Beschäftigung vor. Es sei von einer Sonderbeziehung im Sinne einer Verwandtschaft bzw. einer Gefälligkeit für Bekannte bzw. Freunde auszugehen. Es habe ein aufgrund der konkreten verwandtschaftlichen Beziehung selbstverständlicher Hilfsdienst vorgelegen. Bei der Tätigkeit habe es sich in zeitlicher Hinsicht um keinen besonderen Aufwand gehandelt und es sei zudem auch von keiner gefährlichen Tätigkeit auszugehen. Der Kläger sei weder zeitlich noch nach Art und Dauer der Tätigkeit weisungsgebunden gewesen. Aufgrund der knapp zweistündigen Tätigkeit des Klägers sei auch hinsichtlich des zeitlichen Aufwands des Klägers keine arbeitnehmerähnliche Stellung anzunehmen. Ein solcher zeitlicher Aufwand liege nach Ansicht der Kammer noch im Rahmen dessen, was unter verwandtschaftlichen Gefälligkeiten zu verstehen sei. Die Tätigkeit könne insgesamt nicht als ungewöhnliche oder untypische Hilfeleistung angesehen werden, sodass ein Versicherungsschutz nach § 2 Abs. 2 SGB VII nicht vorgelegen habe.
Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, der vorträgt, er sei nicht freiwillig gesprungen, sondern abgestürzt und zudem stelle das Sozialgericht zu sehr auf den zeitlichen Moment und das Verwandtschaftsverhältnis ab.
Er beantragt daher,
die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Meiningen vom 4. Februar 2019 sowie des Bescheides vom 5. Dezember 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Juni 2017 zu verpflichten, den Bescheid vom 5. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Juli 2009 zurückzunehmen und die Beklagte zu verurteilen, das Ereignis vom 28. Oktober 2008 als Arbeitsunfall anzuerkennen.
Unter dem 12. Juli 2019 haben die Beigeladenen, denen das Urteil am 12. Februar 2019 zugestellt wurde, mitgeteilt, sie unterstützten die vom Kläger eingelegte Berufung. Im Hinblick auf die konkrete Tätigkeit komme es auf die Verwandtschaft zwischen den Beteiligten und auch das zeitliche Ausmaß der Unterstützungsleistung nicht an. Der Kläger sei gegenüber dem Beigeladenen zu 1. weisungsabhängig gewesen. Insgesamt stünde dem Versicherungsschutz auch keine Sonderbeziehung oder ein Gefälligkeitsverhältnis entgegen, denn dem wiederum stünde die Annahme einer gefährlichen Tätigkeit entgegen. Es habe sich um eine Tätigkeit gehandelt, die regelmäßig nur von Fachunternehmen durchgeführt werde.
Die Beigeladenen beantragen ebenfalls,
die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Meiningen vom 4. Februar 2019 sowie des Bescheides vom 5. Dezember 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Juni 2017 zu verpflichten, den Bescheid vom 5. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Juli 2009 zurückzunehmen und die Beklagte zu verurteilen, das Ereignis vom 28. Oktober 2008 als Arbeitsunfall anzuerkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, dass ihre Entscheidung rechtmäßig erfolgte. Die sozialgerichtliche Entscheidung sei nicht zu beanstanden. Zu berücksichtigen sei, dass im Fragebogen zum Unfall ein normales Verhältnis zueinander beschrieben worden sei. Gerade die Kurzfristigkeit der Tätigkeit spreche im Übrigen für eine Gefälligkeit. Gleiches gelte für die kurze Arbeitszeit. Diese ginge nicht über das hinaus, was unter den Verwandten bei lebensnaher Betrachtungsweise als selbstverständlich erwartet werden könne.
Der Senat hat Beweis erhoben durch die Zeugeneinvernahme der Zeugen S A sowie E A. Insoweit wird auf die Sitzungsniederschrift zur mündlichen Verhandlung verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und den beigezogenen Veraltungsvorgang Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die nach §§ 143, 144 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet und deswegen zurückzuweisen. Der Kläger hat am 28. Oktober 2008 keinen Arbeitsunfall erlitten. Die angegriffenen Bescheide der Beklagten verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.
Statthafte Klageart ist die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nach § 54 Abs. 1 und Abs. 4 SGG. Die Anfechtungsklage zielt auf die Aufhebung des Überprüfungsbescheides (Bescheid vom 5. Dezember 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Juni 2017), die Verpflichtungsklage auf die Aufhebung des bestandskräftigen Bescheids vom 5. März 2009, mit dem die Anerkennung eines Arbeitsunfalles abgelehnt worden war (vgl. BSG, Urteil vom 26. April 2016 – B 2 U 14/14 R mit Verweis auf BSG, Urteile vom 13. Februar 2014 – B 4 AS 22/13 R, 19. Dezember 2013 – B 2 U 17/12 R und 11. April 2013 – B 2 U 34/11 R, jeweils nach juris), und die Verurteilung der Beklagten zur Feststellung des Ereignisses vom 28. Oktober 2008 als Arbeitsunfall.
Anspruchsgrundlage für das Begehren des Klägers ist § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X, wonach ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind. Die Beklagte ist von keinem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen (§ 44 Abs. 1 Satz 1 2. Alt SGB X) und hat bei Erlass des Bescheides vom 5. Dezember 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Juni 2017 das Recht richtig angewandt (§ 44 Abs. 1 Satz 1 1. Alt SGB X).
Der angefochtene Verwaltungsakt ist zunächst formell rechtmäßig, denn die Beklagte ist für das geltend gemachte Unfallgeschehen gemäß § 129 Abs. 1 Nr. 3 SGB VII der zuständige Versicherungsträger. Hierfür müssten in Eigenarbeit nicht gewerbsmäßig ausgeführte Bauarbeiten vorliegen, für die nicht mehr als die im Bauhauptgewerbe geltende tarifliche Wochenarbeitszeit (40 Stunden – § 3 BRTV Baugewerbe) tatsächlich aufgewandt wurde. Zur Abgrenzung zwischen nicht gewerbsmäßigen Bauarbeiten, für die die BG Bau zuständig ist, und solchen in Eigenarbeit ausgeführten Bauarbeiten, für die nach § 129 Abs. 1 Nr. 3 SGB VII die kommunalen Unfallversicherungsträger zuständig sind, ist auf den zeitlichen Umfang der Arbeitszeit der nicht gewerbsmäßig tätigen Helfer abzustellen. Die von dem Bauherren selbst geleistete Arbeitszeit bleibt außer Betracht (vgl. BSG, Urteil vom 07. Februar 2006 – B 2 U 4/05 R –, SozR 4-2700 § 129 Nr. 1). Diese Voraussetzung ist erfüllt, weil der Umfang der Helfertätigkeiten im Rahmen der Fassadensanierung nach der Aufstellung des Beigeladenen zu 1. vom 6. November 2008 31 Stunden beträgt.
Der Kläger hat keinen Arbeitsunfall im Sinne des § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII erlitten, als er sich am 28. Oktober 2008 als Helfer beim Gerüstrückbau bei seinem Bruder, dem Beilgeladenen zu 1., verletzte.
Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind nach § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Ein Arbeitsunfall setzt daher voraus, dass der Verletzte durch eine Verrichtung vor dem fraglichen Unfallereignis den gesetzlichen Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt hat und deshalb “Versicherter” ist. Die Verrichtung muss ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis und dadurch einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten objektiv und rechtlich wesentlich verursacht haben (Unfallkausalität und haftungsbegründende Kausalität; vgl. nur BSG, Urteil vom 19. Juni 2018 – B 2 U 32/17 R m.w.N., nach juris).
Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Zwar wurde der Kläger bei der Verrichtung des Gerüstrückbaus durch einen Sprung bzw. Sturz von außen verletzt, in dem er sich eine Tibia-Trümmerfraktur zuzog und damit einen Gesundheitsschaden im Sinne des § 8 Abs. 1 SGB VII erlitt. Er übte im Zeitpunkt der Verrichtung jedoch keine versicherte Tätigkeit im Sinne des § 2 SGB VII aus (hierzu näher BSG, Urteil vom 16. März 2021 – B 2 U 3/19 R, Rn. 15, nach juris). Der Kläger stand beim Gerüstrückbau nicht als Beschäftigter nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII unter dem Schutz der Gesetzlichen Unfallversicherung; er war bei den Beigeladenen nicht als Arbeitnehmer beschäftigt. Er wurde nicht im Rahmen oder in Erfüllung der Pflichten eines Beschäftigungsverhältnisses tätig.
Auch die Voraussetzungen einer sogenannten Wie-Beschäftigung nach § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII lagen nicht vor. Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII sind auch Personen versichert, die wie nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII Versicherte tätig werden. Voraussetzung einer Wie-Beschäftigung nach § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII ist, dass eine einem fremden Unternehmen dienende, dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Unternehmers entsprechende Tätigkeit von wirtschaftlichem Wert erbracht wird, die ihrer Art nach von Personen verrichtet werden könnte, die in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis stehen (vgl. nur BSG, Urteil vom 19. Juni 2018 – B 2 U 32/17 R m.w.N., nach juris). Eine versicherte Wie-Beschäftigung nach § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII setzt deshalb voraus, dass hinsichtlich der Handlung die Merkmale einer abhängigen Beschäftigung anstatt der Merkmale einer unternehmerischen, selbstständigen Tätigkeit überwiegen und keine Sonderbeziehung besteht, die der wesentliche Grund für die Handlung war (BSG, Urteil vom 16. März 2021 – B 2 U 3/19 R, Rn. 17 m.w.N., juris). Der Kläger handelte hier nicht wie ein Beschäftigter in dem Unternehmen seines Bruders bzw. der Beigeladenen. Seine Tätigkeit hatte zwar einen wirtschaftlichen Wert und diente einem fremden Unternehmen sowie dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Unternehmers (dazu unter 1.). Sie wurde auch arbeitnehmerähnlich erbracht (dazu unter 2.). Ein Versicherungsschutz im Sinne einer Wie-Beschäftigung scheidet jedoch wegen des Gepräges einer Sonderbeziehung aus (dazu unter 3.).
1.) Die Tätigkeit, bei der der Kläger den Unfall erlitt, hatte einen wirtschaftlichen Wert, denn die Beigeladenen als Unternehmer sparten Aufwendungen für (andere) bezahlte Hilfskräfte oder einen zu beauftragenden Unternehmer ein. Die unfallbringende Verrichtung des Klägers diente auch einem fremden Unternehmen – dem Haushalt der Beigeladenen – und entsprach ihrem Willen. Unternehmen sind nach der Legaldefinition des § 121 Abs. 1 SGB VII Betriebe, Verwaltungen, Einrichtungen und Tätigkeiten. Ein fremdes Unternehmen erfordert daher nicht zwingend einen selbständigen Gewerbebetrieb, es genügt auch, dass in fremdem Interesse Tätigkeiten für einen fremden Haushalt erbracht werden (vgl. nur BSG, Urteil vom 19. Juni 2018 – B 2 U 32/17 R m.w.N., nach juris). Das abzubauende Gerüst gehörte zum Bauvorhaben der Beigeladenen. Der Abbau des Gerüsts nach Ende der Sanierungsarbeiten diente allein dem Unternehmen der Beigeladenen. Dass der Kläger an dem Erfolg ein eigenes Interesse hatte, ist nicht ersichtlich.
2.) Der Kläger erbrachte die unfallbringende Verrichtung auch arbeitnehmerähnlich und damit „wie ein nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII Versicherter”. Arbeitnehmerähnlichkeit im Sinne des § 2 Abs. 2 SGB VII setzt dabei nicht voraus, dass alle Voraussetzungen eines Beschäftigungsverhältnisses erfüllt sein müssen (vgl. BSG, Urteil vom 17. März 1992 – 2 RU 22/91, nach juris). Das Gesamtbild der Tätigkeit muss nur in einem größeren zeitlichen Zusammenhang eine beschäftigungsähnliche Tätigkeit ergeben (vgl. BSG, Urteil vom 20. März 2018 – B 2 U 16/16 R, nach juris), was im vorliegenden Fall anzunehmen ist. Ausschlaggebend ist, ob nach der erforderlichen Gesamtbetrachtung die Tätigkeit wie von einem Beschäftigten oder wie von einem Unternehmer erbracht wurde. Je mehr Gesichtspunkte der bestimmenden tatsächlichen Verhältnisse für die Arbeitnehmerähnlichkeit sprechen, umso eher ist eine Wie-Beschäftigung im Sinne des § 2 Abs. 2 SGB VII zu bejahen.
Unabhängig davon, dass der Kläger insoweit nicht an Weisungen gebunden war, als er nur dann mithalf, wenn er Zeit hatte, war er dennoch nicht unternehmer- sondern beschäftigtenähnlich tätig (vgl. BSG, Urt. vom 19.Juni 2018, B 2 U 32/17 R., juris). Denn er verrichtete eine Arbeit, die grundsätzlich ihrer Art nach von einem Arbeitnehmer hätte verrichtet werden können und war außerdem in das Unternehmen der Beigeladenen eingegliedert, da der Beigeladene zu 1. die durchzuführenden Arbeiten sowie die Art und Weise der Ausführung vorgab sowie Materialien und Werkzeuge zur Verfügung stellte. Es war dem Kläger gerade nicht wie einem selbständigen Handwerker überlassen, einen konkreten Auftrag eigenständig auszuführen, sondern er leistete dem Beigeladenen, mit dem er ausschließlich gemeinsam arbeitete, bei einfachen Gewerken Hilfestellung, wobei er sich jeweils dem aktuellen Bedarf unterordnete. So schilderten in der mündlichen Verhandlung sowohl der Kläger, als auch der Beigeladene zu 1. übereinstimmend, dass der Beigeladene zu 1. beim Abbau des Gerüsts die Entscheidungen getroffenen und den Abbau insgesamt koordiniert hat. Zweifel an der Glaubhaftigkeit dieser Aussagen hat der Senat nicht. Diese sind auch deswegen schlüssig und nachvollziehbar, weil der Beigeladene zu 1. als Tischlermeister – anders als der Kläger als Bäckermeister – dem Bauhandwerk näher steht und so auch – so die übereinstimmenden Einlassungen in der mündlichen Verhandlung – handwerklich geschickter ist, als der Kläger.
3.) Gegen das Vorliegen eines Versicherungsschutzes im Sinne einer Wie-Beschäftigung spricht jedoch, dass der Kläger als Bruder des Beigeladenen zu 1. zu den Beigeladenen in einer Sonderbeziehung stand, die die Tätigkeit des Klägers maßgeblich prägte.
Das BSG hat in ständiger Rechtsprechung das Vorliegen einer Wie-Beschäftigung nach § 2 Abs. 2 SGB VII verneint, wenn die konkrete Tätigkeit ihr Gepräge durch eine Sonderbeziehung des Handelnden zu dem Unternehmer geprägt war (vgl. hierzu auch BSG vom 20. März 2018 – B 2 U 16/16 R m.w.N., nach juris). Eine solche Sonderbeziehung, die eine arbeitnehmerähnliche Tätigkeit im Sinne des § 2 Abs. 2 SGB VII ausschließt, liegt bei Erfüllung gesellschaftlicher, insbesondere familiärer, freundschaftlicher, nachbarschaftlicher, mitgliedschaftlicher, gesellschaftsrechtlicher oder körperschaftlicher Art vor (vgl. BSG, Urteil vom 19. Juni 2018 – B 2 U 32/17 R m.w.N., nach juris). Entscheidend ist, ob die Tätigkeit als übliche Hilfestellung unter guten Bekannten, Verwandten bzw. Freunden zu bewerten ist. Hierbei sind der zeitliche Umfang der Verrichtung, der Grad der Gefährlichkeit oder eine besondere Fachkompetenz des Handelnden zu berücksichtigen (BSG, Urteil vom 16. März 2021 – B 2 U 3/19 R, Rn. 22 m.w.N., nach juris).
Verrichtungen aufgrund freundschaftlicher oder nachbarschaftlicher Beziehungen schließen eine arbeitnehmerähnliche Tätigkeit eines Verletzten und damit den Versicherungsschutz über § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII dann aus, wenn es sich um einen aufgrund der konkreten sozialen Beziehungen geradezu selbstverständlichen Hilfsdienst handelt oder die zum Unfall führende Verrichtung als Erfüllung gesellschaftlicher (nicht rechtlicher) Verpflichtungen anzusehen ist, die bei besonders engen Beziehungen zwischen Freunden typisch, üblich und deshalb zu erwarten sind (Bieresborn in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VII, 2. Aufl. 2014, § 2 SGB VII, Rn. 435).
Für Hilfeleistungen innerhalb von Familienmitgliedern ist allgemein anerkannt, dass ein weiteres wesentliches Abgrenzungskriterium die Gefährlichkeit der Tätigkeit sein kann. Eine bloße (unversicherte) Gefälligkeitshandlung unter Verwandten liegt dann nicht mehr vor, wenn es sich um eine länger dauernde, anstrengende und zugleich gefährliche Tätigkeit handelt (Bereiter-Hahn/Mehrtens, SGB VII, § 2 Rn. 34.19).
Gemessen an den vorgenannten Maßstäben ist zwischen dem Kläger und den Beigeladenen von einer, die Annahme einer versicherten Wie-Beschäftigung ausschließenden, Sonderbeziehung auszugehen. Für die Annahme einer entsprechenden Sonderbeziehung spricht vorliegend schon das Verwandtschaftsverhältnis. Der Kläger ist Bruder des Beigeladenen zu 1. und Schwager der Beigeladenen zu 2. Dass dieses Verwandtschaftsverhältnis zum Zeitpunkt des Unfallereignisses gestört oder gar zerrüttet war, ergibt sich nicht. Soweit der Kläger zunächst im gerichtlichen Verfahren geltend machte, das Verhältnis sei „nicht das Beste“, ergibt sich hieraus nichts anderes. Diese Darstellung hat er im Rahmen der mündlichen Verhandlung nicht wiederholt. Vielmehr haben er und der Beigeladene zu 1. klargestellt, dass sie ein unter Brüdern übliches Verhältnis pflegten. Aus den Angaben des Klägers und der Beigeladenen in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat – bestätigt durch die Angaben der Zeugen S und E A – ergibt sich, dass im Herbst 2008 die Brüder sich zu den üblichen familiären Anlässen wie zum Beispiel Geburtstagen in der Familie sahen.  Zudem war man wechselseitig bereit, sich gegenseitig zu helfen und zu unterstützen, sofern die eigene berufliche Tätigkeit oder Selbständigkeit dies zuließ. So war die Motivation des Klägers zur Verrichtung der Hilfstätigkeiten, das nahe Verwandtschaftsverhältnis zu pflegen und – wie regelmäßig praktiziert – sich wegen der Verwandtschaft gegenseitig zu helfen. Dieses Verhältnis der Brüder untereinander bestätigten übereinstimmend auch die Zeugen S und E A. Dass die frühere Partnerin des Klägers weniger an Kontakten zu den übrigen Familienangehörigen des Klägers interessiert war, konnte den Senat nicht davon überzeugen, dass insgesamt das familiäre Gefüge erschüttert war. Dem steht bereits entgegen, dass man sich offenbar – so die übereinstimmenden Einlassungen des Klägers und der Beigeladenen – auf einer Geburtstagsfeier des Sohnes der Beigeladenen mit dem Kläger am 19. Oktober 2008 bezüglich der Gerüstrückbauarbeiten abgestimmt hat. Der Zeuge E A hat in seiner Vernehmung ausdrücklich ausgeführt, dass das Verhältnis der Brüder untereinander in Ordnung war. Der Kläger hat auf die Frage des Senats in der mündlichen Verhandlung, warum er dem Beigeladenen zu 1. geholfen habe, wörtlich geantwortet „es ist doch mein Bruder“. Ferner hat er darauf verwiesen, dass der Beigeladene zu 1. im Jahre 2007 bei seinem Umzug die Küche eingebaut hat. Zur Überzeugung des Senats steht daher fest, dass die Motivation des Klägers, dem Beigeladenen zu 1. bei der unfallbringenden Verrichtung zu helfen, darin begründet lag, die verwandtschaftlichen Beziehungen zu den Beigeladenen zu pflegen und das System des gegenseitigen Helfens aufrechtzuerhalten. Für die Annahme der Sonderbeziehung spricht zudem auch das zeitliche Maß der Unterstützungsleistung von 1,75 Stunden, bei dem es sich um einen überschaubaren Umfang handelte. Ein besonderes Maß an zeitlicher Organisation über einen weitergehenden Zeitraum hinaus war hier nicht erforderlich. Es handelte sich vielmehr von vornherein um eine einmalige, das Bauvorhaben abschließende, Unterstützungsleistung. Schließlich steht der Annahme einer Sonderbeziehung auch nicht die Gefährlichkeit der Tätigkeit entgegen. Dass die Tätigkeit im Ergebnis nicht ungefährlich war, steht außer Frage. Es handelte sich jedoch nicht um eine Tätigkeit, die von vornherein besonders gefahrgeneigt war und es sich deswegen nicht mehr um eine unter Verwandten gewöhnlich voneinander zu erwartenden Tätigkeit handelte. Solches kann anzunehmen sein beim Umgang mit besonders schweren und gefährlichen Gerätschaften, der möglicherweise auch eine besondere vorherige Ausbildung erfordert. Anders als der Kläger meint, gilt dies aber nicht per se bei Tätigkeiten, die üblicherweise von Fachunternehmen durchgeführt werden. Beim Abbau eines im Eigenbesitz befindlichen Gerüsts mit einer Höhe von ca. 3 Metern ist eine besondere Gefährlichkeit der Tätigkeit nicht gegeben. Es handelte sich vielmehr insgesamt um eine Hilfestellung in zeitlich begrenztem Rahmen, bei der auch eine besondere Qualifikation nicht gefordert war.
Zum überschaubaren zeitlichen Umfang ergibt sich auch nichts anderes daraus, dass der Kläger entsprechend der Auflistung des Beigeladenen zu 1. auch mit zwei Stunden bei der Anbringung der Dämmung mit Hilfestellungen tätig war. Bei einem Gesamtbauumfang von ca. 100 Stunden (davon ca. 70 Stunden Eigenleistung durch den Beigeladenen zu 1. und 31 Helferstunden) ist eine Hilfestellung durch einen Bruder von insgesamt 3,5 Stunden bzw. 3,75 Stunden jedenfalls noch als absolut üblich und erwartbar anzusehen. Zudem ordnet sich der Arbeitsumfang des Klägers in quantitativer und qualitativer Hinsicht absolut dem Gesamtarbeiten unter.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 SGG liegen nicht vor.


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