Medizinrecht

Hundehaltungs- und -betreuungsverbot, wiederholte Zuwiderhandlungen, länger anhaltende Leiden, Duldung der Vermittlung des Hundes (fehlende Begründung, Ermessensausfall)

Aktenzeichen  AN 10 S 20.02312

Datum:
30.11.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 47524
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
TierSchG § 16a Abs. 1 S. 2 Nr. 3

 

Leitsatz

Tenor

1. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen Ziffer 2 des Bescheides vom 19. Oktober 2020 wird wiederhergestellt. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt 2/3, der Antragsgegner 1/3 der Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gegen ein für sofort vollziehbar erklärtes Hundehaltungs- und -betreuungsverbot sowie die Duldung der Vermittlung seines im Tierheim untergebrachten Hundes.
Nach Aktenlage ist der Antragsteller seit 12. April 2018 unter der Anschrift „…“ gemeldet.
Bei einer tierschutzrechtlichen Kontrolle der Hundehaltung des Antragstellers am 22. April 2020 stellte die Amtsveterinärin des Antragsgegners u.a. fest (s. Stellungnahme vom 24. April 2020), dass bei der Dogge des Antragstellers ein Nickhautvorfall beidseits, der stark gerötet ist, auffällig sei. Der Antragsteller habe angegeben, vor ca. 10 Tagen in der Praxis des Dr. …gewesen zu sein und dort Augensalbe erhalten zu haben, die er seitdem fünfmal täglich verabreiche. Sollte es nicht besser werden, müssten die Augen operiert werden. Die Amtsveterinärin habe zu einem Termin bei einem Augentierarzt geraten. Die Praxis Dr. … habe nach telefonischer Rücksprache mitgeteilt, dass die Dogge „…“ am 6. April 2020 mit dem Befund „Cherry Eye“ vorgestellt worden sei. Es sei Augensalbe abgegeben worden, die in der Regel für 7 Tage bei einer Behandlung fünf Mal am Tag ausreiche, und darauf hingewiesen worden, dass der Hund operiert werden müsse, wenn der Befund nicht besser werde. Der Hund sollte nach sieben, spätestens zehn Tagen noch einmal vorgestellt werden, sei jedoch nicht zur Nachkontrolle erschienen. Nach der Stellungnahme der Amtsveterinärin vom 24. April 2020 handelt es sich bei einem „Cherry Eye“ um einen Nickhautdrüsenvorfall, bei dem sich rotes Gebilde am inneren Auge des Tieres bildet. Im Zuge der Entzündung schwillt die Drüse der Nickhaut weiter und gleicht in der Form einer Kirsche. Während des Nickhautdrüsenvorfalls sieht der Hund nur eingeschränkt und produziert anfangs viel, im späteren Verlauf zu wenig Tränenflüssigkeit. Dies kann bei Nichtbehandlung auch chronisch werden und zu trockenen Augen führen.
Daraufhin wurde der Antragsteller mit Bescheid vom 24. April 2020 verpflichtet, die Dogge „…“ zur Nachkontrolle der Augen einem Tierarzt vorzustellen, die Diagnose sowie das Behandlungskonzept des Tierarztes bis 8. Mai 2020 dem Veterinäramt zu übermitteln und das Behandlungskonzept des Tierarztes einzuhalten. Zudem wurde dem Antragsteller die Hundehaltung im Zwinger auf dem Grundstück der Anwesen … und … untersagt, bis der Zwinger den Bestimmungen der Tierschutz-Hundeverordnung entspricht. Der Zwinger ist für die Hundehaltung nach dessen tierschutzgerechter Fertigstellung vom Veterinäramt freizugeben. Bei Nichteinhaltung der Verpflichtungen wurde jeweils Zwangsgeld angedroht.
Da die Übermittlung der Diagnose und des Behandlungskonzeptes des Tierarztes nach Aktenlage nicht bis 8. Mai 2020 erfolgte, wurde das angedrohte Zwangsgeld in Höhe von 100,00 EUR mit Schreiben vom 12. Mai 2020 fällig gestellt sowie mit Bescheid vom gleichen Tag erneut Zwangsgeld in Höhe von 150,00 EUR angedroht, wenn der im Bescheid vom 24. April 2020 angeordneten Verpflichtung nicht bis 20. Mai 2020 nachgekommen wird. Der Bescheid wurde ausweislich der Postzustellungsurkunde unter der Anschrift „…“ am 13. Mai 2020 zugestellt.
Nachdem der Antragsteller die Diagnose und das Behandlungskonzept nicht bis 20. Mai 2020 vorgelegt hatte, stellte der Antragsgegner mit Schreiben vom 25. Mai 2020 das Zwangsgeld in Höhe von 150,00 EUR fällig und drohte mit Bescheid vom gleichen Tag, zugestellt unter der Anschrift „…“ am 27. Mai 2020, für den Fall der Nichtvorlage der Diagnose und des Behandlungskonzeptes bis 4. Juni 2020 ein erneutes Zwangsgeld in Höhe von 200,00 EUR an.
Bei einem Telefonat des Antragsgegners mit der Praxis des behandelnden Tierarztes Dr. …. am 27. Mai 2020 gab die Praxis an, dass sich der Antragsteller am 27. April 2020 ohne Dogge erneut Augenarzneimittel abgeholt habe und darauf hingewiesen worden sei, dass der Hund dringend vorgestellt werden sollte.
Daraufhin wurde mit Schreiben vom 27. Mai 2020 das angedrohte Zwangsgeld in Höhe von 100,00 EUR fällig gestellt. Der Antragsteller habe den Hund dem behandelnden Tierarzt nicht unverzüglich zur Nachkontrolle der Augen vorgestellt. Zudem wurde mit Bescheid vom 27. Mai 2020 erneut Zwangsgeld in Höhe von 150,00 EUR angedroht, wenn der Antragsteller der genannten Verpflichtung aus dem Bescheid vom 24. April 2020 nicht bis 4. Juni 2020 nachkommt. Die Zustellung erfolgte unter der Anschrift „…“ am 29. Mai 2020.
Mit Schreiben vom 8. Juni 2020, zugestellt unter der Anschrift „…“ am 10. Juni 2020, wurde weiteres Zwangsgeld in Höhe von 350,00 EUR fällig gestellt. Der Antragsteller habe das Behandlungskonzept weiterhin nicht vorgelegt. Zudem habe am 8. Juni 2020 eine Nachfrage beim behandelnden Tierarzt Dr. …. ergeben, dass der Antragteller seit dem 27. April 2020 nicht mehr in der Praxis vorgesprochen habe. Es liege deshalb ein Verstoß gegen die Anordnung im Bescheid vom 24. April 2020 vor. Zudem wurde mit Bescheid vom gleichen Tag erneut Zwangsgeld in Höhe von 200,00 EUR für den Fall, dass der Hund nicht bis 15. Juni 2020 einem Tierarzt zur Nachkontrolle vorgestellt wird bzw. in Höhe von 250,00 EUR für den Fall, dass nicht bis 18. Juni 2020 ein Behandlungskonzept vorgelegt wird, angedroht.
Weiterhin wurde mit Schreiben vom 23. Juni 2020 Zwangsgeld in Höhe von insgesamt 450,00 EUR fällig gestellt. Eine Nachfrage beim behandelnden Tierarzt am 23. Juni 2020 habe ergeben, dass der Antragsteller nicht mit dem Hund in der Praxis vorgesprochen habe. Mit Bescheid vom gleichen Tag wurde erneut Zwangsgeld in Höhe von 250,00 EUR bzw. 300,00 EUR angedroht, wenn den mit Bescheid vom 24. April angeordneten Verpflichtungen nicht bis 15. Juli 2020 (Vorstellung bei Tierarzt) bzw. 22. Juli 2020 (Übermittlung des Behandlungskonzeptes) nachgekommen wird. Die Zustellung erfolgte ausweislich der Postzustellungsurkunde unter der Anschrift „…“ am 25. Juni 2020.
Mit E-Mail vom 13. Juli 2020 des Tierschutzvereins … vom 13. Juli 2020 wurde dem Antragsgegner mitgeteilt, dass der Hund in seinem Zwinger verkümmere und unter Vorlage eines Fotos vom 10. Juli 2020 ausgeführt, dass die Augen von einem Tierarzt kontrolliert werden müssten.
Daraufhin wurde dem Antragsteller mit Schreiben vom 14. Juli 2020 Gelegenheit gegeben, zur beabsichtigten Verbringung des Hundes zum Tierarzt, Behandlung auf Kosten des Antragstellers und anschließende anderweitige Unterbringung im Wege der Ersatzvornahme bis 23. Juli 2020 Stellung zu nehmen.
Mit Bescheid vom 24. Juli 2020, unter der Anschrift „…“ am 25. Juli 2020 zugestellt, wurde der Antragsteller verpflichtet, die Wegnahme der Dogge „…“ zur Behandlung der Augen bei einem Tierarzt durch das Veterinäramt im Zuge der Ersatzvornahme zu dulden. Zudem verpflichtete der Antragsgegner den Antragsteller, die anderweitige Unterbringung der Dogge „…“ bis zum Abschluss der notwendigen tierärztlichen Behandlung zu dulden und die Kosten der Wegnahme, der anderweitigen Unterbringung sowie der tierärztlichen Versorgung des Hundes zu tragen. Die sofortige Vollziehung wurde angeordnet.
Nach einer erneuten Beanstandung der Hundehaltung des Antragstellers mit E-Mail vom 14. September 2020 führte die Amtsveterinärin am 17. September eine Kontrolle durch. Es erfolgte die Wegnahme des Hundes mit Amtshilfe der Polizeiinspektion …, die mit einem Bolzenschneider das Schloss zum Zwinger durchgeschnitten hat, und anschließender Übergabe des Hundes an das Tierheim … Der Hund wurde im Zwinger im Hinterhof in Abwesenheit des Antragstellers angetroffen. Der Zwinger sei erneut baulich verändert worden, so dass dem Hund der gesamte Hof, auf dem sich viele verletzungsgefährliche Gegenstände befinden würden, als Auflauf zur Verfügung stehe. Für den Hund bestehe keine Sicht mehr nach draußen, da der Hof durch ein Holztor verschlossen worden sei. Der Hund habe während der Kontrolle durch die Lücken versucht, Kontakt zu den Personen auf der Straße aufzunehmen. Auffällig bei dem Hund sei der erhebliche Nickhautvorfall beidseits, der stark gerötet und entzündet ist. Der Hund zeige zudem Verhaltensauffälligkeiten. Sobald die Dogge aus dem Zwinger geführt worden sei, habe er deutliches Angstverhalten gezeigt.
In der Stellungnahme vom 22. September 2020 führt die Amtsveterinärin aus, dass die Pflegeverpflichtung aus § 2 TierSchG erneut nicht eingehalten worden sei, da der Hund trotz auffälligen Augenbefundes nicht erneut beim Tierarzt vorgestellt worden sei. Es seien bereits 5,5 Monate seit der Feststellung der Diagnose vergangen und der Nickhautvorfall habe sich deutlich verschlechtert. Zudem seien verletzungsgefährliche Strukturen im Aufenthaltsbereich des Hundes gewesen. Es werde eine tierärztliche Behandlung bei einem Augentierarzt durchgeführt. Dieser stellte nach Übersendung von Bildern fest, dass eine Operation der Augen unerlässlich sei, da das Gesichtsfeld des Hundes eingeschränkt sei. Wenn sich der Hund in diesem stark durchbluteten Bereich verletzt, entstünden erhebliche Schmerzen. Aufgrund des Verhaltens des Hundes zeige sich, dass der Antragsteller den Hund wenig ausführe. Er sei fremde Umweltreize nicht gewohnt und zeige deutliches Angstverhalten in für ihn augenscheinlich unbekannter Umgebung. Das Anpassungsvermögen des Hundes sei deutlich überlastet. Es fehle an der Adaption/Gewöhnung an Umweltreize während der zweiten sensiblen Phase in der Pubertät zwischen 14 bis 16 Monaten. Es resultiere Leiden im Sinne des § 1 TierSchG in Form von erheblichem Angstverhalten. Aufgrund der wiederholten Verstöße gegen das TierSchG bei „…“ und „…“ sei es erforderlich, ein Hundehaltungsverbot anzuordnen.
Mit Schreiben vom 22. September 2020 wurde der Antragsteller zum beabsichtigten Hundehaltungs- und -betreuungsverbot angehört.
Der Hund wurde am 22. September 2020 von Mitarbeitern des Tierheims … bei der Tierärztlichen Praxis für Augenheilkunde Dr. …. und Dr. …. vorgestellt. Es wurde ein zeitnaher Operationstermin zur Exzision der Knorpel und Nickhautdrüsenreposition vereinbart. In der Rücküberweisung an das Tierheim … des Dr. …. vom 22. September 2020 heißt es, dass abgesehen von der Visuseinschränkung die chronische Bindehautentzündung zumindest unangenehm sei und ein erhöhtes Risiko bestehe, Fremdkörper hinter die Nickhaut einzufangen.
Die Bevollmächtigte des Antragstellers teilte mit Schreiben vom 23. September 2020 als ladungsfähige Anschrift des Antragstellers „…“ mit. Zudem wurde mitgeteilt, dass der Antragsteller für den 28. September 2020 einen Termin bei seinem Tierarzt Dr. …. für die Augenoperation seiner Dogge vereinbart habe. Der Antragsgegner wurde aufgefordert, den Hund an den Antragsteller herauszugeben.
Daraufhin teilte der Antragsgegner mit Schreiben vom 23. September 2020 mit, dass für den Hund des Antragstellers bereits ein OP-Termin in einer Fachklinik vereinbart worden sei. Eine Herausgabe des Hundes sei – unter Bezugnahme auf den bestandskräftigen Bescheid vom 24. Juli 2020 – derzeit nicht möglich. Zudem wurde um Mitteilung gebeten, wann der Antragsteller in die … umgezogen sei.
Am 2. Oktober 2020 wurde die Dogge „…“ in der Tierärztlichen Praxis für Augenheilkunde durch Dr. …. operiert.
Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 19. Oktober 2020 untersagte der Antragsgegner dem Antragsteller ab 26. Oktober 2020 die Haltung und das Betreuen von Hunden (Ziffer 1) und verpflichtete den Antragsteller, ab dem 26. Oktober 2020 die Vermittlung des aufgrund des Bescheides vom 24. Juli 2020 im Tierheim … untergebrachten Hundes „…“ zu dulden (Ziffer 2). Die mit Bescheid vom 24. Juli 2020 angeordnete Übernahme der Kosten für die Unterbringung und tierärztliche Behandlung des Hundes „…“ durch den Antragsteller wurde bis 25. Oktober 2020 begrenzt (Ziffer 3). Die sofortige Vollziehung der Ziffern 1 bis 3 wurde angeordnet (Ziffer 4). Diese Entscheidung wurde im Wesentlichen damit begründet, dass mehrfach und absichtlich gegen die Pflegeverpflichtung des § 2 TierSchG verstoßen worden sei. Obwohl jedem Tierhalter auch ohne Anordnung des Landratsamtes klar gewesen sei, dass der Hund behandlungsbedürftig sei, habe der Antragsteller dies monatelang ignoriert und dem Hund dadurch langanhaltende Leiden zugefügt. Um künftig eine weitere tierschutzwidrige Hundehaltung zu verhindern, erscheine es unumgänglich, dem Antragsteller zumindest das Halten von Hunden zu untersagen.
Dagegen erhob der Antragteller mit Schreiben seiner Bevollmächtigten vom 29. Oktober 2020 Klage mit dem Antrag, den Bescheid in Ziffern 1, 2, 4 und 5 aufzuheben sowie den Antragsgegner zu verpflichten, die Dogge „…“ unverzüglich an den Antragsteller herauszugeben. Zudem ließ der Antragsteller einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO stellen. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass sich der Antragsteller stets intensiv und liebevoll um den Hund gekümmert und ihn bei entsprechenden Beschwerden dem Tierarzt vorgestellt habe. Insbesondere sei … wegen der „cherry eyes“ in Behandlung gewesen. Der Tierarzt Dr. …. habe ihm zunächst eine medikamentöse Behandlung geraten. Nachdem die verschriebene Salbe nicht den gewünschten Erfolg gezeigt habe, sei nur eine operative Korrektur der Augen geblieben. Eine solche Operation sei bereits terminlich für den 28. September 2020 vereinbart gewesen. Dennoch habe das Landratsamt auf der Ersatzvornahme durch einen von dort beauftragten Arzt beharrt. Die Diagnose „cherry eyes“ könne furchterregend aussehen, der Hund habe aber keine Schmerzen und leide daher nicht. Es gebe verschiedene Heilmethoden, die dem jeweiligen Krankheitsbild angepasst werden müssen. Bei einem chirurgischen Eingriff als letzte Option gebe es zwei Methoden. Bei unterschiedlichen möglichen Behandlungsmethoden müsse der Antragsteller das Recht zur Wahl behalten. Der Antragsgegner habe die Interessen des Antragstellers und des Hundes bei der Abwägung nicht mit der erforderlichen Sorgfalt berücksichtigt. Insbesondere sei nicht berücksichtigt worden, dass der plötzliche Entzug der Bezugsperson des Hundes, seine Wegnahme aus der vertrauten Umgebung und aus der Familie des Antragstellers den Hund schwer beeinträchtigt habe. … halte sich nur manchmal im Zwinger auf, in der Regel sei er im Haus. Aus den vorgelegten Bildern ergebe sich, dass … ein glücklicher Hund sei, seine besonderen Schlaf- und Spielplätze im Haus habe, artgerechtes Futter erhalte, spazierengeführt werde und die uneingeschränkte Zuwendung und Aufmerksamkeit der Familie genieße.
Der Antragsteller beantragt,
Die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage wird wiederhergestellt.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Mit Schreiben vom 9. November 2020 wurde mitgeteilt, dass noch zusätzliche Sachverhaltsermittlungen durchgeführt werden. Mit weiterem Schreiben vom 23. November 2020 führte der Antragsgegner zur Begründung aus, dass es der Antragsteller monatelang versäumt habe, bei dem Hund die notwendige Operation vornehmen zu lassen. Eine am 23. November 2020 erfolgte telefonische Rücksprache mit Dr. …. habe bestätigt, dass der Antragsteller den Hund seit April 2020 nicht mehr in die Praxis gebracht habe. Dadurch seien dem Hund langanhaltende Leiden zugefügt worden. Diesbezüglich werde auf den rechtskräftigen Bußgeldbescheid vom 25. August 2020 verwiesen. Es sei unmöglich, dass dem Antragsteller alle ihm gesandten 14 Bescheide unter der Hausnummer … nicht zugestellt worden seien. Die Anhörung des Antragstellers im Ordnungswidrigkeitenverfahren nach dem Meldegesetz unter der angegebenen Wohnanschrift „…“ sei als unzustellbar zurück gekommen. Die Probleme mit der Zustellung der Post sei ein Versuch der Verschleierung der tatsächlichen Wohnverhältnisse. Der Antragsteller habe Kenntnis vom Inhalt der Bescheide gehabt. Selbst wenn dies nicht der Fall gewesen sein sollte, hätte er als verantwortungsvoller Tierhalter nicht monatelang zugewartet und täglich die nicht besser werdenden Augen des Hundes ignoriert, ohne beim Tierarzt erneut vorzusprechen. Erst als der Antragsgegner tätig geworden sei, habe er alibihalber einen OP-Termin vereinbart. Mit Schreiben vom 25. November 2020 übersandte der Antragsgegner noch eine Stellungnahme des Arztes, der die Operation durchgeführt hat.
Wegen weiterer Einzelheiten wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die vorgelegte Behördenakte und die Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
Der Antragsteller begehrt nach Auslegung (§§ 122 Abs. 1, 88 VwGO) die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen Ziffer 1 und 2 des Bescheides vom 19. Oktober 2020. Dagegen richtet sich die Anfechtungsklage nicht gegen Ziffer 3 des streitgegenständlichen Bescheides, so dass sich auch der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO nicht darauf bezieht.
Der so verstandene Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist zwar zulässig, aber nur hinsichtlich Ziffer 2 des Bescheides betreffend die Duldung der Vermittlung des im Tierheim untergebrachten Hundes „…“ begründet.
I.
Die Begründung des Sofortvollzugs im streitgegenständlichen Bescheid vom 19. Oktober 2020 entspricht hinsichtlich des angeordneten Haltungs- und Betreuungsverbotes von Hunden den formellen Voraussetzungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO, da das besondere öffentliche Interesse am Sofortvollzug insoweit in ausreichender Form begründet wurde. Es ist nicht zu beanstanden, wenn der Antragsgegner ausführt, dass sich das öffentliche Interesse an der Anordnung der sofortigen Vollziehung aus der Notwendigkeit ergibt, zukünftig zu verhindern, dass Hunden unnötigerweise Leiden zugefügt werden und ein länger andauerndes Rechtsmittelverfahren nicht abgewartet werden könne. Damit kommt das von dem Antragsgegner dargelegte besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung zum Ausdruck. Es überzeugt, dass das öffentliche Interesse an der Durchsetzung des Tierschutzes die privaten Interessen an der Fortsetzung einer Hundehaltung überwiegen und die Untersagung der Hundehaltung ungeeigneter Halter unverzüglich zu erfolgen hat, um Schmerzen, Leiden und Schäden der Hunde zu vermeiden. An der Verhinderung vermeidbarer Leiden der geschützten Tiere besteht ein besonderes öffentliches Interesse, das über das allgemeine öffentliche Interesse an der Durchsetzung tierschutzrechtlicher Verfügungen hinausgeht (vgl. auch VG Schleswig-Holstein, B.v. 8.6.2017 – 1 B 24/17 – juris). Die sofortige Vollziehung ist daher erforderlich, um den Hunden auch für die Zeit eines möglichen Rechtsbehelfsverfahrens weitere Leiden angesichts der wiederkehrenden tierschutzrechtlichen Verfehlungen zu ersparen. Zudem ergibt sich das besondere Vollzugsinteresse jedenfalls in Fällen einer konkreten Gefährdung der Tiere regelmäßig aus der Grundverfügung (vgl. BayVGH, B.v. 5.10.2016 – 9 CS 16.1257 – juris Rn. 16).
Der Antragsgegner hat dagegen im streitgegenständlichen Bescheid vom 19. Oktober 2020 den Sofortvollzug hinsichtlich der Duldung der Vermittlung des Hundes nicht im Sinne von § 80 Abs. 3 VwGO begründet. § 80 Abs. 3 VwGO verlangt von der Verwaltungsbehörde, dass sie das besondere Interesse an der Anordnung der sofortigen Vollziehung schriftlich begründet. Diese Begründung hat nach allgemeiner Auffassung erstens die Funktion, dass sich die Behörde den Ausnahmecharakter des Sofortvollzugs vor dessen Erlass bewusst machen soll, zweitens soll der Betroffene über die maßgeblichen Gründe der Entscheidung informiert werden und drittens soll dem Verwaltungsgericht auf der Grundlage dieser Begründung die Rechtmäßigkeitskontrolle ermöglicht werden (BayVGH, B.v. 8.11.2016 – 20 CS 16.1193 – juris Rn. 20).
Die Begründung der Ziffer 4 des Bescheides beschränkt sich im Wesentlichen in der Aussage, das öffentliche Interesse an der Anordnung der sofortigen Vollziehung ergebe sich aus der Notwendigkeit, zukünftig zu verhindern, dass Hunden unnötigerweise Leiden zugefügt werden und ein länger andauerndes Rechtsmittelverfahren nicht abgewartet werden könne. Damit betrifft die Begründung ausdrücklich lediglich das Hundehaltungs- und -betreuungsverbot. Es findet sich jedoch keinerlei auf den konkreten Einzelfall abstellende Aussage, warum die Duldung der Vermittlung des im Tierheim untergebrachten Hundes „…“ unverzüglich stattfinden muss. Dem Ziel der Vermeidung künftiger unnötiger Leiden wurde bereits vor Bescheiderlass durch die anderweitige pflegliche Unterbringung im Tierheim begegnet. Der Begründung des Sofortvollzugs lässt sich nicht entnehmen, dass sich die Behörde des Ausnahmecharakters in Bezug auf die Vermittlungsanordnung bewusst war. II. Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheides ist im Übrigen (materiell) rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten. Ziffer 2 des Bescheides ist dagegen rechtswidrig und verletzt den Antragsteller in seinen Rechten.
Im vorliegenden Fall eines Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO stellt das Gericht in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehbarkeit angeordnet worden ist, die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs ganz oder teilweise dann wieder her, wenn das Interesse des Antragstellers an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung das öffentliche Interesse am Sofortvollzug überwiegt. Im Rahmen dieser Interessenabwägung haben die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache erhebliche Bedeutung. Bleibt dieser Rechtsbehelf mit hoher Wahrscheinlichkeit erfolglos, wird die Abwägung in der Regel zum Nachteil des Betroffenen ausfallen, da dann das von der Behörde geltend gemachte besondere Interesse am Sofortvollzug regelmäßig überwiegt.
1. Nach der in diesem Verfahren gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Überprüfung der Sach- und Rechtslage erweist sich das gegenüber dem Antragsteller in Ziffer 1 des Bescheides vom 19. Oktober 2020 verfügte Hundehaltungs- und -betreuungsverbot gem. § 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 TierSchG voraussichtlich als rechtmäßig.
Gemäß § 16a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Satz 2 Nr. 3 TierSchG kann die zuständige Behörde demjenigen, der den Vorschriften des § 2 TierSchG, einer Anordnung nach Nr. 1 oder einer Rechtsverordnung nach § 2a TierSchG wiederholt oder grob zuwiderhandelt und dadurch den von ihm gehaltenen oder betreuten Tieren erhebliche oder länger anhaltende Schmerzen oder Leiden oder erhebliche Schäden zufügt, das Halten oder Betreuen von Tieren einer bestimmten oder jeder Art untersagen oder es von der Erlangung eines entsprechenden Sachkundenachweises abhängig machen. Dies steht unter der Voraussetzung, dass Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Halter oder Betreuer weiterhin derartige Zuwiderhandlungen begehen wird, § 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 2. Halbs. TierSchG.
Entscheidungserheblich ist dabei auf den Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung, mithin den 19. Oktober 2020, abzustellen. Denn, obwohl es sich bei dem sog. Tierhaltungsverbot um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung handelt, ist das Verfahren nach der Regelung des § 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 TierSchG so gestaltet, dass es in zwei Verfahren aufgeteilt wird, nämlich in ein Untersagungsverfahren einerseits und ein mögliches Wiedergestattungsverfahren andererseits. Dies hat zur Folge, dass der Antragsteller eine nachhaltige Verbesserung in der Sach- und Rechtslage zu seinen Gunsten in einem nachfolgenden Wiedergestattungsverfahren geltend zu machen hätte (vgl. hierzu OVG Lüneburg, U.v. 20.4.2016 – 11 LB 29/15 – juris, mit Verweis auf gewerberechtliche Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes).
a. Der Antragsteller hat zum Zeitpunkt des Erlasses des streitgegenständlichen Bescheides den Vorschriften des § 2 TierSchG wiederholt zuwidergehandelt.
Nach § 2 TierSchG muss jemand, der ein Tier hält, betreut oder zu betreuen hat, das Tier seiner Art und seinen Bedürfnissen entsprechend angemessen ernähren, pflegen und verhaltens-gerecht unterbringen (§ 2 Nr. 1 TierSchG). Er darf die Möglichkeiten des Tieres zu artgerechter Bewegung nicht so einschränken, dass ihm Schmerzen oder vermeidbare Leiden oder Schäden zugefügt werden (§ 2 Nr. 2 TierSchG) und muss über die für eine angemessene Ernährung, Pflege und verhaltensgerechte Unterbringung des Tieres erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten verfügen (§ 2 Nr. 3 TierSchG). Dabei umfasst das Pflegegebot in § 2 Nr. 1 TierSchG alle Maßnahmen, die das Wohlbefinden des Tieres herbeiführen und erhalten. Pflege schließt neben der Ermöglichung der Eigenkörperpflege und der regelmäßigen Überwachung all das ein, was unter einer guten Behandlung zu verstehen ist. Dazu zählt unter anderem die Gesundheitsvorsorge und -fürsorge und insbesondere die Vorstellung bei einem Tierarzt im Fall des Krankheitsverdachts (vgl. Hirt/Maisack/Moritz, TierSchG, 3. Aufl. 2016, § 2 Rn. 24, 27; VG Oldenburg, U.v. 19.5.2003 – 7 A 2832/01 – juris).
Dass der Antragsteller diesen Anforderungen nicht gerecht wurde, steht zur Überzeugung des Gerichts auf Grund der vorgelegten Behördenakte einschließlich der Stellungnahmen der Amtsveterinärin vom 24. April 2020 und insbesondere vom 22. September 2020 einschließlich mehrerer Lichtbilder fest. Den Ausführungen der Amtsveterinärin ist zu entnehmen, dass bei der Dogge „…“ bereits im April 2020 ein „cherry eye“ diagnostiziert wurde. Der Antragsteller wurde bereits mit bestandskräftigem Bescheid vom 24. April 2020 aufgefordert, die Dogge zur Nachkontrolle der Augen vorzustellen. Dieser Verpflichtung kam der Antragsteller nach Aktenlage jedoch bislang nicht nach. Bei der Kontrolle am 17. September 2020 war der erhebliche Nickhautvorfall beidseits noch immer vorhanden und stark gerötet und entzündet. Der Nickhautvorfall hat sich seit der Diagnose nicht gebessert, sondern deutlich verschlechtert (s. Stellungnahme der Amtsveterinärin vom 22. September 2020).
Soweit der Antragsteller vorträgt, er habe sich liebevoll um den Hund gekümmert und ihn bei entsprechenden Beschwerden stets einem Tierarzt vorgestellt, ist dem entgegenzuhalten, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (vgl. BayVGH, B.v. 6.11.2017 – 9 ZB 15.2608, B.v. 10.8.2017 – 9 C 17.1134, B.v. 21.10.2016 – 9 C 16.526 – jeweils juris) den beamteten Tierärzten bei der Frage, ob die Anforderungen des § 2 TierSchG und sonstige tierschutzrechtliche Vorschriften eingehalten sind, eine vorrangige Beurteilungskompetenz eingeräumt ist. Denn das Gutachten von beamteten Tierärzten erachtet der Gesetzgeber gemäß §§ 15 Abs. 2, 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 TierSchG grundsätzlich als ausreichend und maßgeblich dafür, einen Verstoß gegen Grundpflichten zur artgerechten Tierhaltung nach § 2 TierSchG nachzuweisen (vgl. BVerwG, B.v. 2.4.2014 – 3 B 62.13, juris). Die Amtstierärzte sind als gesetzlich vorgesehene Sachverständige gemäß § 15 Abs. 2 TierSchG für diese Aufgaben eigens bestellt. Schlichtes Bestreiten vermag die Aussagekraft einer amtstierärztlichen Beurteilung nicht zu entkräften, dasselbe gilt für unsubstantiierte, pauschale Behauptungen (VG Schleswig-Holstein, U.v. 2.7.2018 – 1 A 52/16 – juris Rn. 82 mit Verweis auf VG Würzburg, B.v. 22.11.2011 – W 5 S 11.849 – juris Rn. 38; VG Würzburg, B.v. 19.4.2011 – W 5 S 11.242 – juris Rn. 47).
Nach diesem Maßstab ist die Vorlage verschiedener Lichtbilder und eines bestätigten Operationstermins durch den behandelnden Tierarzt nicht geeignet, die Stellungnahme der Amtsveterinärin zu entkräften. Anlass, an der Richtigkeit der Feststellungen der Amtsveterinärin zu zweifeln, besteht nicht. Vielmehr ist das Gericht – auch auf Grund der in der Behördenakte befindlichen Bilder vom Zustand des Hundes – davon überzeugt, dass die Amtsveterinärin von zutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgegangen ist und zu Recht festgestellt hat, dass der Antragsteller die Gesundheitsfürsorge der Dogge monatelang vernachlässigt hat. Im Übrigen ergibt sich aus der vorgelegten Behördenakte, dass eine mehrmalige telefonische Rücksprache mit dem vom Antragsteller gewählten behandelnden Tierarzt erfolgt ist, dessen Praxis jeweils bestätigte, dass eine Nachkontrolle der Augen nicht erfolgt ist. Wegen des in der vorgelegten Behördenakte dokumentierten Verhaltens des Antragtellers ist in diesem Zusammenhang dessen Vortrag unerheblich, er habe nunmehr einen Operationstermin für den 28. September 2020 vereinbart. Es erschließt sich nicht, warum nicht bereits vor der Wegnahme des Hundes am 17. September 2020 eine Behandlung der Augen erfolgt ist, obwohl die Erkrankung auch für Laien durch ein rötliches Gebilde im inneren Hundeauge mit bloßem Auge erkennbar war und der Antragsteller durch den behandelnden Tierarzt sowie den Antragsgegner positiv wusste, dass eine Nachkontrolle und ggf. eine Operation durchgeführt werden muss. Dass die Behandlung mit der Augensalbe nicht den gewünschten Erfolg erzielte und deshalb eine anderweitige Therapiemöglichkeit in Betracht zu ziehen war, war auch für Laien aufgrund der eindeutig sichbaren „cherry eyes“ erkennbar. Zudem wurde der Antragsteller hierauf ausdrücklich hingewiesen.
Der Antragteller hat die Verstöße auch wiederholt begangen. Hierbei ist davon auszugehen, dass ein wiederholter Verstoß bereits dann anzunehmen ist, wenn mindestens zwei solcher Verstöße vorliegen. Dies ist vorliegend der Fall. Eine tierärztliche Nachkontrolle erfolgte wiederholt nicht. Dies folgt bereits allein aufgrund des Umstandes, dass eine Behandlung der „cherry eyes“ über fünf Monate lang nicht erfolgt ist, und den zahlreichen fällig gestellten Zwangsgeldern und erneuten Zwangsgeldandrohungen. Da der Antragsteller die Dogge über Monate hinweg keinem Tierarzt zur Nachkontrolle der Augen vorgestellt hat, hat er wiederholt gegen die Anordnung im Bescheid vom 24. April 2020 verstoßen. Der Antragsteller hat auch insoweit wiederholt den Anordnungen im Bescheid vom 24. April 2020 zuwidergehandelt, als er das Behandlungskonzept trotz mehrfacher erneuter Zwangsgeldandrohungen nicht vorgelegt hat. Soweit die Bevollmächtigte des Antragstellers vorträgt, er habe die zahlreichen Bescheide nicht erhalten, weil der Antragsteller unter der Adresse „…“ wohnt, kann er nicht durchdringen. Der Antragsteller ist ausweislich der Behördenakte seit 12. April 2018 unter der Anschrift „…“ gemeldet. Dort wurden die Bescheide auch ausweislich der Postzustellungsurkunden zugestellt.
Das geschilderte Unterlassen der Vorstellung des Hundes bei einem fachkundigen Tierarzt zur Durchführung der erforderlichen Behandlung bzw. Operation der Nickhautdrüsen hat nach Auffassung des Gerichts auch zu länger anhaltenden Leiden bei der Dogge geführt.
Die Kammer geht nach summarischer Prüfung davon aus, dass der Dogge jedenfalls länger anhaltende Leiden zugefügt wurden. Bei dem Begriff des Leidens handelt es sich um einen eigenständigen Begriff des Tierschutzrechts. Leiden sind alle vom Begriff des Schmerzes nicht erfassten Beeinträchtigungen im Wohlbefinden, die über ein schlichtes Unbehagen hinausgehen und eine nicht ganz unwesentliche Zeitspanne fortdauern (BVerwG, U.v. 18.1.2000 – 3 C 12/99 – juris Rn. 17 unter Bezugnahme auf BGH, U.v. 18.2.1987 – 2 StR 159/86 – NJW, 1987, 1833, 1834; Metzger, in: Erbs/Kohlhaas, 232. EL August 2020, TierSchG, § 1 Rn. 21). Nach den Erkenntnissen der Tierpsychologie und Verhaltensforschung werden Leiden in diesem Sinne durch Beeinträchtigungen des Wohlbefindens verursacht, die der Wesensart des Tieres zuwiderlaufen, instinktwidrig sind, vom Tier gegenüber seinem Selbst- oder Arterhaltungstrieb als lebensfeindlich empfunden werden und die Verhaltensstörungen und Verhaltensanomalien zur Folge haben. Der gesetzliche Auftrag des § 1 Satz 1 TierSchG, bereits das Wohlbefinden des Tieres zu schützen, schließt es aus, an das Vorhandensein von Leiden höhere Anforderungen zu stellen als eine hinreichend erhebliche Beeinträchtigung dieses Wohlbefindens (OVG Rheinland-Pfalz, U.v. 28.5.1998 – 12 A 10020/96 – juris Rn. 29; VGH Baden-Württemberg, U.v. 15.12.1992 – 10 S 3230/91 – juris Rn. 23). Nach den Ausführungen der Amtsveterinärin (Stellungnahme vom 24. April 2020, Blatt 87 ff. der Behördenakte) handelt es sich bei den „cherry eyes“ um einen Nickhautdrüsenvorfall, bei dem sich ein rotes Gebilde am inneren Auge des Tieres bildet. Die Nickhaut ist das dritte Augenlid, das die Funktion wahrnimmt, das Auge zu schützen. Zudem befindet sich in der Nickhaut eine Tränendrüse, die das Auge befeuchtet. Während des Nickhautvorfalls sieht der Hund nur eingeschränkt und produziert anfangs viel, im späteren Verlauf aber zu wenig Tränenflüssigkeit, was bei Nichtbehandlung auch chronisch werden und zu trockenen Augen führen kann. In der Rücküberweisung des Dr. …. an das Tierheim vom 22. September 2020 heißt es vorberichtlich, dass die Drüse gerötet ist, die Dogge jedoch gut klar kommt. Nach Vorstellung des Hundes gibt Dr. …. als Behandlung an, dass die Augen gespült und feucht gehalten werden sollen. Ein zeitnaher Operationstermin wurde vereinbart. Abgesehen von der Visuseinschränkung ist die chronische Bindehautentzündung zumindest unangenehm und es besteht ein erhöhtes Risiko, Fremdkörper hinter der Nickhaut einzufangen.
Unter Berücksichtigung dieser Ausführung und angesichts der auf den Lichtbildern zu erkennenden enormen Größe der bereits gebildeten „cherry eyes“ ist davon auszugehen, dass der Lidschluss immens behindert wird und das Sehvermögen des Hundes gestört ist. Zudem zeigt die Anweisung des Dr. …., die Augen zu spülen und feucht zu halten, dass die Dogge unter trockenen Augen litt. Die Kammer geht nach summarischer Prüfung davon aus, dass die über Monate andauernde beträchtliche Einschränkung des Sehvermögens und die chronische Bindehautentzündung über ein bloßes Unbehagen hinaus gingen und das Wohlbefinden des Hundes erheblich beeinträchtigt war. Dies ergibt sich auch aus der erfolgten Weiterbehandlung des Dr. ….. Nach seiner Einschätzung war eine zeitnahe Operation zur Behebung des Zustandes der Nickhautdrüsen unumgänglich. Da eine Operation nur bei medizinischer Indikation angezeigt ist und durchgeführt wird, wird davon ausgegangen, dass ohne die dringend erforderliche Operation Leiden des Hundes vorliegen. Denn die hinnehmbaren störenden Einwirkungen auf das Wohlbefinden des Hundes dürfen mit Blick auf den in § 1 TierSchG zum Ausdruck gebrachten Gesetzeszweck nicht zu großzügig gesehen werden. Aufgrund des zeitlichen Umfangs der dem Hund verweigerten erforderlichen Behandlung von mehr als fünf Monaten handelt es sich auch um länger anhaltenden Leiden.
Soweit der Antragsteller bestreitet, dass der Hund bei einem Nickhautvorfall Schmerzen leidet, kann er nicht durchdringen. Zwar kann die Kammer nach summarischer Prüfung nicht mit der erforderlichen Sicherheit feststellen, dass der Dogge des Antragstellers durch die unterlassene Behandlung erhebliche oder länger anhaltende Schmerzen zugefügt wurden. Schmerz wird dabei definiert als unangenehme sensorische und gefühlsmäßige Erfahrung, die mit akuter oder potentieller Gewebeschädigung einhergeht oder in Form solcher Schädigungen beschrieben wird (vgl. Hirt/Maisack/Moritz, 3. Aufl. 2016, TierSchG, § 1 Rn. 12 m.w.N.) bzw. als eine von einem Unlustgefühl begleitete, vermittels eines besonderen, zentral orientierten Nervenapparats hervorgebrachte Erregung von Sinnesnerven, sei es als Reaktion auf körperliche Reize, sei es in der Form nicht lokalisierbarer pathologischer Zustände (OVG Rheinland-Pfalz, U.v. 28.5.1998 – 12 A 10020/96 – juris Rn. 28 m.w.N.). Dies ist jedoch unerheblich, da nach dem Tatbestand des § 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 TierSchG länger anhaltende Leiden ausreichend sind und die Kammer wie dargelegt nach summarischer Prüfung davon ausgeht, dass dem Hund Leiden im Sinne des § 1 TierSchG zugefügt wurden.
b. Es liegen auch Tatsachen vor, die die Annahme rechtfertigen, dass der Antragsteller weiterhin derartige Zuwiderhandlungen begehen wird (§ 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 2. Halbs. TierSchG). Der Antragsteller hat sich zu der Frage der bisherigen oder insbesondere auch einer möglichen weiteren Haltung von Hunden nicht im Einzelnen geäußert. Da der Antragsteller eine tierärztliche Behandlung trotz Kenntnis der Behandlungsbedürftigkeit und ausdrücklicher Anweisungen zur tierärztlichen Nachkontrolle seitens der Amtstierärztin unterließ, ist davon auszugehen, dass eine Verhaltensänderung des Antragstellers jedenfalls nach aktuellem Sach- und Streitstand nicht eingetreten ist. Allein die unterlassene tierärztliche Nachkontrolle trotz deutlicher Krankheitsanzeichen zeigt, dass der Antragsteller dem Wohlbefinden des Hundes gleichgültig gegenübersteht. Aufgrund der dadurch zum Ausdruck kommenden Einstellung und der wiederholten und langanhaltenden Verstöße gegen das Tierschutzrecht ist davon auszugehen, dass der Antragsteller weiterhin Zuwiderhandlungen begehen wird. Eine nachhaltige Verbesserung der Hundehaltung des Antragstellers ist nicht zu erwarten. Auch der Umstand, dass der Antragsteller nunmehr einen Operationstermin vereinbart und diesen Termin nach erfolgter Wegnahme des Hundes dem Antragsgegner mitgeteilt hat, führt zu keinem anderen Ergebnis. Denn obwohl die Erkrankung und die Behandlungsbedürftigkeit bereits seit April 2020 bekannt war, hat er über Monate hinweg keine entsprechende Behandlung in die Wege geleitet. Selbst die mit Bescheid vom 24. Juli 2020 erfolgte Anordnung, die Wegnahme der Dogge zur Behandlung der Augen zu dulden, hat den Antragsteller nicht zu einer Änderung seines Verhaltens veranlasst. Der Antragsteller verhielt sich monatelang uneinsichtig und zeigte keinerlei Empathie gegenüber seiner Dogge. Ein Einstellungswandel ist durch die Vereinbarung des Operationstermins unter dem Druck des Verfahrens nicht ersichtlich. Es besteht daher die Gefahr, dass er einem Hund wiederum die erforderliche Behandlung verweigert. Die Prognose fällt deshalb zu Lasten des Antragstellers aus.
c. Anhaltspunkte für Ermessensfehler der Behörde sind nicht erkennbar. Der Antragsgegner hat das ihm eingeräumte Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt und insbesondere den verfassungsrechtlich gebotenen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit von Zweck und Mittel in ausreichendem Maß berücksichtigt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Antragsgegner kein absolutes Tierhaltungs- und -betreuungsverbot verhängt, sondern das Haltungsverbot auf Hunde begrenzt hat. Angesichts des tierschutzwidrigen Zustands der Hundehaltung des Antragstellers stellt das Tierhaltungsverbot im Hinblick auf den verfassungsrechtlich verankerten Tierschutz (Art. 20a GG) eine geeignete, erforderliche und angemessene Maßnahme dar. Die Anordnung ist geeignet, die tierschutzrechtlichen Missstände, d.h. den Verstoß gegen das Pflegegebot und die darin inbegriffene Gesundheitsfürsorge, zu beheben. Auch steht – wie die Vergangenheit zeigt – kein anderes Mittel zur Verfügung, den Antragsteller zur Einhaltung der gebotenen Haltungsanforderungen anzuhalten. Der Antragsteller hat seine Dogge trotz bescheidsmäßiger Verpflichtung und zahlreichen fällig gestellten Zwangsgeldern nicht einem Tierarzt zur Nachkontrolle der Augen vorgestellt. Er hat sich trotz behördlicher Anweisung nicht zu einer Änderung seiner Hundehaltung bewegen lassen, so dass auch das Kriterium der Erforderlichkeit zu bejahen ist. Bei einer weiteren Hundehaltung drohen weitere Verstöße und andere, wenig in die Rechte des Antragstellers einschneidende Maßnahmen zum Schutz der von ihm gehaltenen oder betreuten Hunde erscheinen nicht effektiv genug. Die angeordnete Untersagung ist auch verhältnismäßig. Dieser gravierende Eingriff ist angesichts der lang andauernden Verstöße, der monatelang unterlassenen tierärztlichen Nachkontrolle, letztlich unumgänglich, um die gesetzlich vorgegebenen Ziele des Tierschutzes durchsetzen zu können. Daher hat das Interesse des Antragstellers, weiterhin Hunde halten zu dürfen, hinter dem Interesse des Staates am Schutz dieser Tiere zurückzutreten. Dieses Ermessen hat der Antragsgegner in seinem Bescheiden vom 19. Oktober 2020 knapp, aber gerade noch ausreichend dargelegt.
Daher erweist sich das gegenüber dem Antragsteller verhängte Haltungs- und Betreuungsverbot von Hunden als rechtmäßig.
2. Dagegen erweist sich Ziffer 2 des Bescheides vom 19. Oktober 2020 als (materiell) rechtswidrig. Es ist schon unklar, aufgrund welcher Rechtsgrundlage die Behörde die Anordnung der Duldung der Vermittlung des im Tierheim untergebrachten Hundes getroffen hat. Der Antragsgegner verhält sich in der Begründung des Bescheides hierzu überhaupt nicht. Selbst wenn man die Duldung der Vermittlung auf § 16a Satz 2 Nr. 2 Halbs. 2 TierSchG stützt, führt dies mangels Ermessensausübung nicht zur Rechtmäßigkeit der Vermittlungsanordnung. Gemäß § 16a Satz 2 Nr. 2 Halbs. 2 TierSchG kann die zuständige Behörde ein – fortgenommenes – Tier veräußern, wenn eine anderweitige Unterbringung des Tieres nicht möglich oder nach Fristsetzung durch die zuständige Behörde eine den Anforderungen des § 2 TierSchG entsprechende Haltung durch den Halter nicht sicherzustellen ist. Unabhängig davon, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 16a Satz 2 Nr. 2 Halbs. 2 TierSchG vorliegen, fehlt es jedenfalls an einer Ermessensausübung des Antragsgegners. Es liegt deshalb ein Ermessensfehler in Form des Ermessensausfalls vor.
III.
Nach alledem ist die aufschiebende Wirkung der Klage gegen Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheides wiederherzustellen, der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO im Übrigen abzulehnen.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 155 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertentscheidung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG, § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Ziffer 1.5 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung des Jahres 2013.


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