Medizinrecht

Kein Anspruch auf Änderung eines Arztbriefes

Aktenzeichen  24 U 2814/19

Datum:
16.7.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 43660
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 280 Abs. 1, § 627, § 630 f Abs. 1 S. 1, § 666, § 823, § 1004
BGB aF § 630
ZPO § 522 Abs. 2
GG Art. 1 Abs. 1
StGB § 203 Abs. 1 Nr. 1
StPO § 53 Abs. 1 Nr. 3

 

Leitsatz

1. Der Arztbrief dient dazu, die durchgeführten Befunderhebungen und Behandlungsmaßnahmen sowie ihre Auswirkungen zu dokumentieren und so etwaigen Nachbehandlern mitzuteilen, wie und mit welchem Ergebnis ein Patient behandelt worden ist. Damit besteht grundsätzlich ein Anspruch des Patienten auf Anfertigung eines Arztbriefes. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Anspruch auf Abänderung oder Korrektur eines Arztbriefes ist dagegen gesetzlich nicht geregelt. § 630 f Abs. 1 S. 2 BGB schränkt den Arzt in der Möglichkeit ein, Berichtigungen und Änderungen der Patientenakte vorzunehmen; diese sind nur zulässig, wenn neben dem ursprünglichen Inhalt erkennbar bleibt, wann sie vorgenommen worden sind. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
3. Zu berücksichtigen ist zudem, dass der Arzt auch im Interesse des Patienten die Anamnese, seine Diagnosen, Untersuchungen und Untersuchungsergebnisse sowie die von ihm durchgeführte Behandlung zutreffend, so wie sie von ihm wahrgenommen worden sind, darzustellen hat. Dazu können auch Umstände gehören, die der Patient über sich und seine Erkrankung nicht geäußert hat oder nicht so darstellen wollte. Könnte der Patient beliebig eine Abänderung verlangen, so wäre die notwendige Information des Nachbehandlers nicht mehr gewährleistet. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

63 O 1516/18 Hei 2019-05-08 Endurteil LGKEMPTEN LG Kempten

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 08.05.2019, Az. 63 O 1516/18 Hei, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
2. Der Senat beabsichtigt, den Streitwert für das Berufungsverfahren wie in 1. Instanz auf 5.360,00 € festzusetzen.
3. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen nach Zustellung dieses Hinweises.

Gründe

Der Senat ist einstimmig der Auffassung, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert. Auch die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung ist nicht geboten.
Die Klägerin wendet sich nicht gegen die Feststellungen des Landgerichts, die bereits in 1. Instanz unstreitig waren und durch die Arztbriefe der Beklagten vom 15.01., 24.01. und 17.04.2018 (Anlage K1, K3 und K4) belegt sind. Auf den festgestellten Sachverhalt hat das Landgericht Memmingen das Recht zutreffend angewandt.
4. Der Arzt oder die behandelnde Klinik ist aufgrund des Behandlungsvertrages verpflichtet, zum Zweck der Dokumentation eine Patientenakte zu führen, § 630 f Abs. 1 S. 1 BGB. In der Patientenakte sind sämtliche aus fachlicher Sicht für die derzeitige und künftige Behandlung wesentlichen Maßnahmen und die Ergebnisse aufzuzeichnen, insbesondere die Anamnese, Diagnosen, Untersuchungen, Untersuchungsergebnisse, Befunde, Therapien und ihre Wirkungen, Eingriffe und ihre Wirkungen, Einwilligungen und Aufklärungen, § 630 f Abs. 2 S. 1 BGB. In diesem Zusammenhang erwähnt § 630 f Abs. 2 S. 2 BGB auch Arztbriefe, die in die Patientenakte aufzunehmen sind.
Der Arztbrief (oder Arztbericht) dient dazu, die durchgeführten Befunderhebungen und Behandlungsmaßnahmen sowie ihre Auswirkungen zu dokumentieren und so etwaigen Nachbehandlern mitzuteilen, wie und mit welchem Ergebnis ein Patient behandelt worden ist. Auf dieser Grundlage können Nachbehandler einschätzen, welch weiterer Behandlungsbedarf gegeben ist und ob beispielsweise konservative Maßnahmen bereits ausgeschöpft worden sind (OLG Koblenz, Beschluss vom 08. Januar 2018 – 5 U 1184/17 -, Rn. 11 bei juris, VersR 2018, 613). Damit besteht grundsätzlich ein Anspruch des Patienten auf Anfertigung eines Arztbriefes.
5. Ein Anspruch auf Abänderung oder Korrektur eines Arztbriefes ist gesetzlich nicht geregelt. § 630 f Abs. 1 S. 2 BGB schränkt den Arzt in der Möglichkeit ein, Berichtigungen und Änderungen der Patientenakte vorzunehmen; diese sind nur zulässig, wenn neben dem ursprünglichen Inhalt erkennbar bleibt, wann sie vorgenommen worden sind. Ein Anspruch auf Berichtigungen und Änderungen der Patientenakte ist dagegen weder gesetzlich in den §§ 630 a ff BGB noch standesrechtlich in § 10 der Berufsordnung für die Ärzte Bayerns (Bekanntmachung vom 09. Januar 2012) geregelt.
6. Ein solcher Anspruch ergibt sich auch nicht aus den anderen Rechtsgrundlagen, die in der Berufungsbegründung der Klägerin vorgebracht werden.
6.1. Zwar unterliegt die Krankenakte und als dessen Teil auch der Arztbrief grundsätzlich dem Schutz des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 1, 2 Abs. 1 GG), da sie Erkenntnisse enthalten, die der Arzt durch seine berufliche Tätigkeit über den Gesundheitszustand des Patienten gewinnt und schriftlich niederlegt. Daraus folgt zunächst nur, dass die Krankenakte dem Zugriff der öffentlichen Gewalt grundsätzlich entzogen ist und eine Beschlagnahme ohne oder gegen den Willen des Patienten in aller Regel eine Verletzung des dem Patienten zustehenden Grundrechts auf Achtung seines privaten Bereichs (Art. 2 Abs. 1 i. V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) darstellt (BVerfG, Beschluss vom 08. 03. 1972 – 2 BvR 28/71, NJW 1972, 1123. Es handelt sich um schutzwürdige Daten aus der Privatsphäre des Patienten, wie durch § 97 Abs. 1 Nr. 2 und 3 i. V. m. § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO auch gesetzlich anerkannt ist.
Für das Verhältnis zwischen dem Arzt und dem Patienten hat dies neben der Schweige- und Geheimhaltungspflicht des Arztes (vgl. § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB) jedoch keine Bedeutung. Insbesondere folgt daraus kein Anspruch auf Abänderung eines Arztbriefes.
6.2. Die Anlehnung des Behandlungsvertrages an den Dienstvertrag hat zwar zur Folge, dass der Behandlungsvertrag als Dienstvertrag über Dienste höherer Art anzusehen ist, den jede Partei gemäß § 627 BGB jederzeit auch ohne Gründe kündigen kann (vgl. BGH, Urteil vom 13.09.2018 – III ZR 294/16; NJW 2018, 3513). Eine entsprechende Anwendung von § 630 BGB auf den Arztbrief kommt jedoch nicht in Betracht, da der Arztbrief eine grundsätzlich andere Funktion erfüllt als ein Dienst- oder Arbeitszeugnis.
a) Das Zeugnis dient dem beruflichen Fortkommen des Dienstpflichtigen. Es ist Bewerbungsunterlage und gleichsam die Visitenkarte eines Arbeitnehmers bei der Stellensuche. Darüber hinaus haben die einstellenden Arbeitgeber ein schutzwürdiges Interesse an einer möglichst wahrheitsgemäßen Unterrichtung über die fachlichen und persönlichen Qualifikationen (MüKoBGB/Henssler, 7. Aufl. 2016, BGB § 630 Rn. 4).
b) Der Arztbrief (oder Arztbericht) dient dazu, die durchgeführten Befunderhebungen und Behandlungsmaßnahmen sowie ihre Auswirkungen zu dokumentieren und so etwaigen Nachbehandlern mitzuteilen, wie und mit welchem Ergebnis ein Patient behandelt worden ist (OLG Koblenz, VersR 2018, 613; vgl. oben 1.). Daraus folgt, dass der Arzt auch im Interesse des Patienten die Anamnese, seine Diagnosen, Untersuchungen und Untersuchungsergebnisse sowie die von ihm durchgeführte Behandlung zutreffend, so wie sie von ihm wahrgenommen worden sind, darzustellen hat. Dazu können – gerade bei psychischen oder psychosomatischen Erkrankungen – auch Umstände gehören, die der Patient über sich und seine Erkrankung nicht geäußert hat oder nicht so darstellen wollte. Könnte der Patient beliebig eine Abänderung verlangen, so wäre die notwendige Information des Nachbehandlers nicht mehr gewährleistet.
6.3. Die von der Klägerin ebenfalls vorgeschlagene Anlehnung an § 666 BGB kommt weder nach dem Inhalt noch nach den Voraussetzungen der Bestimmung in Betracht. Der Behandlungsvertrag ist weder Auftrag noch Geschäftsbesorgungsvertrag. Zudem würde eine Rechenschaftspflicht des Arztes keinen Anspruch auf Abänderung des Arztbriefes begründen, der ja der Information des Nachbehandlers dient, nicht der Rechenschaft des Arztes über seine Behandlung.
6.4. Aus §§ 823 und 1004 BGB kann ein Änderungsanspruch nur dann folgen, wenn und soweit durch den Inhalt der Dokumentation das Allgemeine Persönlichkeitsrecht des Patienten verletzt ist. Dies ist nach dem festgestellten Sachverhalt nicht der Fall (vgl. unten).
6.5. Schließlich geben die Beweislastregeln in § 630 Abs. 3 und 5 BGB für einen Anspruch auf Änderung des Arztbriefes keine Grundlage.
7. In Betracht kommt ein Änderungsanspruch aufgrund des Behandlungsvertrages i. V. m. § 242 BGB nur dann, wenn der Arztbrief unrichtige Tatsachen aus dem Behandlungsverhältnis wiedergibt. Insoweit hat das Landgericht zutreffend zwischen der Wiedergabe der Anamnese auf S. 1 bis 4 oben des Arztbriefes vom 15.01.2018 und dem Krankheitskonzept auf S. 5 Mitte unterschieden.
7.1. Bei der Anamnese handelt es sich regelmäßig um die vom Patienten mitgeteilte Vorgeschichte einer aktuellen Erkrankung (sog. „Eigenanamnese“). Diese wird u. U. ergänzt durch Angaben aus dem familiären Umfeld (sog. „Familienanamnese“). Insbesondere im Bereich der Psychiatrie kann für die Anamnese auch die frühere Lebens- und Krankheitsgeschichte von Bedeutung sein (sog. „biographische Anamnese“) (Laufs/Kern/Rehborn, Handbuch des Arztrechts, § 50 Rn. 1).
a) Da die Eigenanamnese und die biographische Anamnese auf den Angaben des Patienten beruhen, kann er eine Berichtigung grundsätzlich verlangen, wenn von ihm im Anamnesegespräch oder im Rahmen der weiteren Behandlung wiedergegebene Umstände aus seinem Leben im Arztbrief falsch dargestellt werden.
b) Ob ein solcher Fall vorlag, lässt sich aufgrund des Vortrags in der Klageschrift vom 21.09.2018 nicht eindeutig beurteilen. Die Klägerin wendet sich zwar gegen die in Klammer gesetzte Bemerkung nach dem Hinweis auf die „mehreren, teilweise schwierigen Arbeitsplatzwechseln (wegen Gefühl, abgelehnt zu werden)“, weil sie geltend macht, die Arbeitsplatzwechsel seien nicht „wegen dem Gefühl abgelehnt zu werden“ erfolgt, sondern „aufgrund eines Umzugswunsches bei Kinderwunsch“. Sie macht aber nicht geltend, dass sie im Anamnesegespräch sowie im weiteren Verlauf der sechswöchigen stationären Behandlung in der Klinik den letzteren Grund für die Arbeitsplatzwechsel angegeben hätte, sondern nur dass Umzugswunsch und Kinderwunsch die Gründe gewesen seien. Da es sich um einen subjektiven Umstand aus der Erlebniswelt der Patientin handelt, durfte er im Arztbrief so wiedergegeben werden, wie ihn die Patientin ursprünglich geschildert hat.
c) Einer Aufklärung darüber, welchen Grund die Klägerin zunächst für ihre Arbeitsplatzwechsel angegeben hat, bedarf es aber nicht, da die Beklagte auf die Bitte der Klägerin bereits in dem Schreiben vom 24.01.2018 (Anlage K3) die Stelle so korrigiert hat, dass die Arbeitsplatzwechsel „nicht, wie im Abschlussbericht dargestellt, aus einem Gefühl des Abgelehntwerdens oder Falschverstandenwerdens heraus stattgefunden haben“.
Damit ist die betroffene Stelle korrigiert und ein etwaiger Anspruch auf Änderung erfüllt, § 362 Abs. 1 BGB. Einen Anspruch auf Neuformulierung des Arztbriefes unter Berücksichtigung der Korrektur hat die Klägerin nicht, weil jedenfalls nach § 630 f Abs. 1 S. 1 BGB der ursprüngliche Inhalt und der Zeitpunkt der Änderung erkennbar bleiben müssen. Ebenso wenig besteht ein Anspruch darauf, die angeblich fehlerhafte Begründung für die Arbeitswechsel durch eine andere Begründung zu ersetzen.
7.2. Beim Abschnitt „Krankheitskonzept“ auf S. 5 des Arztbriefes vom 15.01.2018 handelt es sich dagegen um die Bewertung des Krankheitsbildes durch die unterzeichnenden Ärzte und die Psychologin der Beklagten. Die Bewertung des Krankheitsbildes stellt – auch wenn hier keine Diagnosen nach dem ICD-10 genannt werden – die Einschätzung des aufgrund der Anamnese, aber auch der testpsychologischen Befunde, des körperlichen Untersuchungsbefunds, der Laboruntersuchungen und der eigenen Beobachtungen gewonnenen Krankheitsbildes. Hier ist das Vermeidungsverhalten als Begründung für frühere Arbeitsplatzwechsel nur ein Aspekt unter mehreren, auf das die Diagnose einer „Disposition im Sinne einer Trait-Angst“ gestützt wird. Ein Anspruch auf Abänderung der ärztlichen Diagnose und ihrer medizinischen Begründung besteht nicht.
8. Schließlich kommt auch der vom Landgericht erwogene Schadensersatzanspruch aus §§ 280 Abs. 1, 630 a, 630 b, 611, 249 ff. BGB nicht in Betracht, weil es bereits an einer Verletzung der vertraglichen Pflichten der Beklagten fehlt (vgl. oben).
Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt das Gericht aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG). Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht Richter am Oberlandesgericht Richter am Oberlandesgericht Augsburg, 16.07.2019 zustellen formlos Oberlandesgericht München


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