Medizinrecht

Kein substantiiertes Vorbringen einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS)

Aktenzeichen  M 21 K 15.31606

Datum:
22.3.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 129054
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

1 Ein Abschiebungsverbot wegen einer erheblichen konkreten Gefahr aus gesundheitlichen Gründen nach § 60 Abs. 7 AufenthG liegt nur vor bei einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde; eine der medizinischen Versorgung in Deutschland gleichwertige Versorgung im Herkunftsland wird nicht vorausgesetzt. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
2 Angesichts der Unschärfen des Krankheitsbildes einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) sowie seiner vielfältigen Symptomatik gehört zur Substantiierung des Vorbringens einer Erkrankung sowie eines entsprechenden Beweisantrags regelmäßig die Vorlage eines gewissen Mindestanforderungen genügenden fachärztlichen Attests. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässig erhobene Klage ist nicht begründet.
Der Kläger kann im vorliegenden Verfahren gegen die Beklagte keinen Anspruch auf die Feststellung des Vorliegens von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) geltend machen.
1. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der vom Kläger begehrten Verpflichtung der Beklagten ist der Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Gericht am 22. März 2016. Dies ergibt sich aus § 77 Abs. 1 Halbsatz 1 Asylgesetz (AsylG), der mangels weiterer Übergangsregelung gemäß Art. 1, 15 Abs. 1 Asyl-verfahrensbeschleunigungsgesetz vom 20. Oktober 2015 (BGBl I S. 1722) auf für das bereits vor dessen Inkrafttreten am 24. Oktober 2015 anhängig gewordene Asyl(folge) verfahren des Klägers Anwendung findet.
2. Für den im vorliegenden Verfahren geltend gemachten Anspruch des Klägers auf die Feststellung des Vorliegens von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist die vom Kläger geltend gemachte Erkrankung und die behauptete fehlende Behandlungsmöglichkeit dieser Krankheit in Nigeria nicht in ausreichender Weise zur Überzeugung des Gerichts nachgewiesen. Eine weitere Sachaufklärung war auf der Grundlage der im behördlichen und gerichtlichen Verfahren vorgelegten fachärztlichen Atteste nicht geboten.
Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist das Gericht auf die Begründung des Bescheids des Bundesamtes vom 12. November 2015, folgt dieser Begründung und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Ergänzend wird zum Vorbringen im behördlichen und gerichtlichen Verfahren ausgeführt:
a) Ein zielstaats- – hier auf Nigeria – bezogenes Abschiebungshindernis im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG kann sich im Einzelfall daraus ergeben, dass die Gefahr der Verschlimmerung einer Krankheit, unter welcher der Ausländer bereits in Deutschland leidet, besteht.
aa) Dabei bedarf es zwar keines extremen Lebensrisikos, wie es für die Anwendung von § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK gefordert ist. Jedoch muss beim Kläger tatsächlich die Gefahr bestehen, dass sich eine (psychische) Krankheit in seinem Heimatstaat verschlechtern wird. Die Erheblichkeitsschwelle dazu ist nur erreicht, wenn eine Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität zu erwarten ist.
Für die Bestimmung der „Gefahr“ gilt der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, d.h. die drohende Rechtsgutverletzung darf nicht nur im Bereich des Möglichen liegen, sondern muss mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein.
Eine wesentliche Verschlechterung ist nicht schon bei einer befürchteten ungünstigen Entwicklung des Gesundheitszustandes anzunehmen, sondern nur bei einer erheblichen Gesundheitsbeeinträchtigung von besonderer Intensität, d.h. einer wesentlichen oder sogar lebensbedrohlichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes mangels fehlenden Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat (zum Ganzen: BVerwG, B.v. 24.5.2006 – 1 B 118.05 – NVwZ 2007, 345 Rn 4.; NdsOVG, U.v. 10.11.2011 – 8 LB 108/10 – juris Rn. 27).
Erforderlich, aber auch ausreichend für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist danach, dass sich die vorhandene Erkrankung des Ausländers aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib oder Leben führt, d.h. dass eine entsprechende wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht. Eine nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG relevante zielstaatsbezogene Gefahr für Leib und Leben besteht auch dann, wenn die notwendige Behandlung oder Medikation im Herkunftsstaat zwar allgemein zur Verfügung steht, dem betroffenen Ausländer individuell jedoch aus finanziellen Gründen nicht zugänglich ist (BayVGH, U.v. 23.11.2012 – 13a B 12.30061 – juris Rn 18 m. w. Nachw.).
bb) Im Falle einer als Abschiebungshindernis geltend gemachten psychischen Krankheit genügt es nicht, diese lediglich zu behaupten und vorzutragen, hier in Deutschland auf psychiatrische und psychotherapeutische Hilfe, die sich der Betroffene im Herkunftsland nicht leisten könne, angewiesen zu sein. Bei einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS), deren Diagnose für die Person des Klägers durch die Vorlage mehrerer fachärztlicher Aussage geltend gemacht wird, handelt es sich nämlich um ein komplexes psychisches Krankheitsbild, bei dem nicht äußerlich feststellbare objektive Befundtatsachen, sondern innerpsychische Erlebnisse im Mittelpunkt stehen. Es kommt damit entscheidend auf die Glaubhaftigkeit und die Nachvollziehbarkeit des geschilderten Erlebens und der zu Grunde liegenden faktischen äußeren Erlebnistatsachen an.
Aus der Pflicht des Beteiligten, an der Erforschung des Sachverhalts mitzuwirken (§ 86 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 VwGO), die in besonderem Maße für Umstände gilt, die in seine eigene Sphäre fallen, ergeben sich insofern in besonderer Weise Anforderungen an die Substantiierung des Tatsachenvortrags.
Nach der obergerichtlichen Rechtsprechung, der sich das Gericht im Einzelnen anschließt, gehört angesichts der Unschärfen des Krankheitsbildes der PTBS sowie seiner vielfältigen Symptome zur Substantiierung des Sachvortrags regelmäßig die Vorlage eines fachärztlichen Attests im behördlichen oder im gerichtlichen Verfahren, das gewissen Mindestanforderungen genügt. Aus der ärztlichen Stellungnahme muss sich nachvollziehbar ergeben, auf welcher tatsächlichen Grundlage der Facharzt seine Diagnose gestellt hat und wie sich die Krankheit im konkreten Fall darstellt. Dazu gehören etwa Angaben darüber, seit wann und wie häufig sich der Patient in ärztlicher Behandlung befunden hat und ob die von ihm geschilderten Beschwerden durch die erhobenen Befunde bestätigt werden. Des Weiteren sollte das Attest Aufschluss über die Schwere der Krankheit, deren Be handlungsbedürftigkeit sowie den bisherigen Behandlungsverlauf (Medikation und Therapie) geben.
Wird das Vorliegen einer PTBS auf traumatisierende Erlebnisse im Heimatland gestützt und werden die Symptome erst längere Zeit nach der Ausreise aus dem Heimatland vorgetragen, so ist in der Regel auch eine nachvollziehbare Begründung dafür erforderlich, warum die Erkrankung nicht früher geltend gemacht worden ist. Dieser Grundsatz ist – vorliegend -auch für den Fall, dass traumatisierende Ereignisse im Zusammenhang mit der Flucht geltend gemacht werden, anzuwenden, wenn zwischen dem Zeitpunkt der Flucht und dem Vortrag des Flüchtenden zu seiner Erkrankung ein nicht unerheblicher Zeitraum liegt (vgl. zum Vorstehenden: BVerwG, U.v. 11.9.2007 – 10 C 8/07 – BVerwGE 129, 251 Rn 15; BVerwG, U.v 11.9.2007 – 10 C 17/07 – juris Rn. 15; BVerwG, B.v. 26.7.2012 – 10 B 21/12 – juris Rn 7; ebenso BayVGH, B.v. 17.10.2012 – 9 ZB 10.30390 – juris Rn. 7).
b) Diesen in der Rechtsprechung aufgestellten Substantiierungsanforderungen hat der Kläger mit den vorgelegten fachärztlichen Attesten nicht genügt.
aa) In dem vom Kläger vorgelegten fachärztlichen Attesten ist zwar im Einzelnen geschildert, in welchem Umfang sich der Kläger in ärztlicher Behandlung befindet, welche Beschwerden beim Kläger diagnostiziert sind und mit welchen Medikamenten die Symptome behandelt werden. In der mündlichen Verhandlung vom 22. März 2016 hat der den Kläger behandelnde Facharzt die Diagnostik und den Umfang der Behandlung im Einzelnen geschildert und insoweit die grundlegend zu stellenden Anforderungen an den Nachweis einer PTBS-Erkrankung erfüllt.
bb) Allerdings beruhen diese fachärztlichen Aussagen auf einer unzureichenden tatsächlichen Grundlage zur Frage des Vorliegens eines traumatischen Ereignisses.
Der den Kläger behandelnde Facharzt hat ohne weitere Nachfrage in der mündlichen Verhandlung vom 22. März 2016 dargelegt, dass er zur Frage der Wahrheit des klägerischen Vorbringens zu dem das Trauma auslösenden Ereignis keine Erkenntnis hat. Die vom Arzt als behandlungsbedürftig festgestellte (körperliche) Symptomatik ist damit aber nicht einem bestimmten Ereignis im Sinne einer tatsächlich erlebten Situation zuordenbar. Diese fehlende Korrelation wird noch dadurch unterstrichen, dass dem Arzt nach seiner Aussage in der mündlichen Verhandlung vom 22. März 2016 nicht bekannt ist, dass der Kläger die geschilderten Symptome erst nach dem Ablauf von etwa zwei Jahren nach seiner Einreise in das Bundesgebiet, die im Juni 2012 stattgefunden hat, erstmals überhaupt erwähnt hat. Dem behandelnden Arzt ist im Rahmen seiner ab dem Mai 2014 stattfinden Behandlung nicht bekannt gewesen, wann der Kläger in die Bundesrepublik eingereist ist. Die nach den vorstehenden Ausführungen vom Arzt zu beantwortende Frage zum späten Vorbringen des behaupteten krankheitsauslösenden Ereignisses und den Gründen für dieses klägerische Verhalten ist damit für das Gericht nicht nachvollziehbar beantwortet.
Dem Kläger obliegt es zwar nicht, dass er gegenüber dem behandelnden Arzt das behauptete traumatisierende Ereignis objektiv nachweist. Der objektive Erlebnisaspekt ist nämlich nicht Gegenstand der gutachterlichen ärztlichen Untersuchung zu einer PTBS (vgl. BayVGH, B.v. 15.12.2010 – 9 ZB 10.30376 – juris Rn. 3). Allerdings bestehen wegen der fehlenden Erkenntnis des behandelnden Arztes zum Zeitpunkt der erstmaligen Gel tendmachung gesundheitlicher Beeinträchtigungen aufgrund eines in der (weiteren) Vergangenheit liegenden behaupteten traumatischen Erlebnisses für das Gericht durchgreifende Zweifel an der Verwertbarkeit der fachärztlichen Atteste zum Vorliegen einer PTBS.
cc) Hinzu kommt, dass der den Kläger behandelnde Arzt im Attest vom …. Dezember 2015 zur Frage der Behandlungsbedürftigkeit der Erkrankung des Klägers und zu den Folgen eines Abbruchs der Behandlung auf die dem Kläger bei einer Rückkehr in Nigeria drohende Todesgefahr aufgrund einer Verfolgung durch Angehörige eines Voodoo-Kultes abstellt („Fachärztliches Attest zur Vorlage bei Bundesamt für Migration“ vom ….12.2015 – Anlage 3 zum Klageschriftsatz vom ….12.2015; Bl. 32 der Gerichtsakte). Dieses Vorbringen des Klägers ist zur Überzeugung des Gerichts vollkommen unglaubwürdig.
Der Kläger schilderte im Asylverfahren, dass er im Zusammenhang mit dem Tod seines Vaters im Dezember 2010 für kurze Zeit in den Ort, an dem sich die Familie aufgehalten hat, zurückgekehrt ist. Nach dem Tod des Vaters haben ihn die Anhänger des lokalen Kultes bedrängt, die Nachfolge seines Vaters im Rahmen dieses Kultes anzutreten. Er hat dies abgelehnt, ist bedroht worden und hat deshalb seinen Heimatort sofort wieder verlassen und ist nach L… zurückgekehrt. In L… ist er nach seinen Angaben aber durch die „Macht“ der Anhänger des Kultes aufgefunden worden und hat sich dann ohne sein Zutun plötzlich wieder in seinem Heimatort befunden (Niederschrift vom 13.9.2013 – S. 6 f.; Bl. 95 f. der Behördenakte des Asylverfahrens).
Dieses Vorbringen des Klägers hält das Gericht für absolut unglaubwürdig, es widerspricht jeder vernünftigen Lebenserfahrung. Damit fehlt es aber an der tatsächlichen objektiven Grundlage für die vom behandelnden Arzt als vorliegend angesehene Gefahr einer Selbsttötung des Klägers im Falle einer Aufenthaltsbeendigung, da diese Suizidgefahr nach der ärztlichen Einschätzung gerade auf die vom Kläger im Hinblick auf die von ihm behauptete Gefahr der „Verfolgung“ im Herkunftsstaat beruht.
dd) Insgesamt ist das Gericht deshalb davon überzeugt, dass weder die vom Kläger behauptete Todesgefahr bei einer Rückkehr nach Nigeria aufgrund der „Verfolgung“ durch Angehörige eines Voodoo-Kultes dort besteht, noch dass das klägerische Vorbringen zu den behaupteten traumatischen Erlebnissen bei der Überfahrt von Libyen nach Italien geglaubt werden kann. Die vorgelegten ärztlichen Atteste lassen nicht erkennen, dass vor dem Hintergrund des unglaubhaften klägerischen Vortrags zum Verfolgungsschicksal eine weitere sachverständige Aufklärung zur Behandlungsbedürftigkeit der ärztlich diagnostizierten Beschwerden des Klägers notwendig ist. Die ärztliche Diagnose lässt nicht schlüssig und nachvollziehbar erscheinen, dass die vom Kläger vorgetragenen Symptome auf einem tatsächlich stattgefundenen Ereignis beruhen, das Auslöser einer PTBS gewesen ist.
3. Die Klage war damit mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).


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