Medizinrecht

Keine erhebliche und konkrete Gefahr für Leib oder Leben bei Rückkehr nach Mazedonien

Aktenzeichen  M 24 K 14.30353

Datum:
18.2.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

In Mazedonien existiert ein funktionierendes Gesundheitssystem, dass auch finanzschwachen Bürgern und Rückkehrern die notwendigen Behandlungen für die meisten Erkrankungen ermöglicht. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

1. Das Gericht konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 18. Februar 2016 entscheiden, obwohl weder die Kläger noch ein Vertreter der Beklagten zur mündlichen Verhandlung erschienen war. Denn in dem jeweiligen Ladungsschreiben vom 18. Januar 2016, das dem Bevollmächtigten der Kläger am 21. Januar 2016 und der Beklagten am 19. Januar 2016 jeweils gegen Empfangsbekenntnis zugestellt wurde, war darauf hingewiesen worden, dass bei Nichterscheinen eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO).
2. Das Verwaltungsgericht München ist zur Entscheidung über die Klage örtlich zuständig, weil die Kläger im maßgeblichen Zeitpunkt des Eintritts der Rechtshängigkeit ihren Aufenthalt nach dem Asylgesetz im Regierungsbezirk Oberbayern (Landkreis Fürstenfeldbruck) und damit im Gerichtsbezirk zu nehmen hatten (§ 52 Nr. 2 Satz 3 VwGO). Aufgrund des Kammerbeschlusses vom 8. Dezember 2015 ist der Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung über die Klage berufen (§ 76 Abs. 1 AsylG).
3. Die zulässige Klage ist unbegründet und war daher abzuweisen. Der Bescheid der Beklagten vom … Januar 2014 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten; die Kläger haben keinen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich der Ehemaligen Jugoslawischen Republik Mazedonien.
3.1. Gegenstand des vorliegenden Verwaltungsstreitverfahrens ist entsprechend dem Klageantrag vom 19. Februar 2014 allein die Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bei den Klägern zu 1) bis 4) hinsichtlich der Ehemaligen Jugoslawischen Republik Mazedonien unter entsprechender Aufhebung der Ziffern 4. und 5. des Bundesamtsbescheides vom … Januar 2014.
3.2. Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Dabei ist die Gefahr, dass sich die Erkrankung eines Ausländers aufgrund der Verhältnisse im Abschiebestaat verschlimmert, in der Regel als individuelle Gefahr einzustufen, die am Maßstab von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in direkter Anwendung zu prüfen ist. Erforderlich, aber auch ausreichend ist in derartigen Fällen, dass sich die vorhandene Erkrankung des Ausländers aufgrund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib oder Leben führt, das heißt, dass eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht (BVerwG, B. v. 17.08.2011 – 10 B 13/11 – juris Rn. 3 mit Verweis auf BVerwG, U. v. 17.10.2006 – 1 C 18/05 – juris Rn. 15).
Von einem solchen medizinischen Sachverhalt kann vorliegend jedoch nicht ausgegangen werden.
Im Hinblick auf den Kläger zu 1) und den Kläger zu 4) ergibt sich bereits aus deren Vortrag nicht das Vorliegen einer solchen Gefahr. Für den Kläger zu 1) wurden lediglich Herzprobleme angeführt, wegen der er sich jedoch noch nicht einmal in ärztliche Behandlung begeben hat, für den Kläger zu 4) wurde lediglich vorgetragen, dass er unter Schlafproblemen leide. Eine konkrete Gefahr für Leib oder Leben im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bei einer Rückkehr nach Mazedonien ist diesem Vorbringen nicht einmal ansatzweise zu entnehmen.
Im Hinblick auf die Klägerin zu 3) wurden zwei Berichte der Praxisklinik für Mund-, Kiefer- und plastische Gesichtschirurgie der … Klinken vom … September 2014 und vom … April 2015 über vorgenommene Operationen zur Behandlung deren Lippen-Kiefer-Gaumenspalte vorgelegt. Auch wenn in beiden Berichten erwähnt wird, dass im weiteren Verlauf (ggf.) weitere Operationen indiziert sind, ergibt sich daraus nicht, dass ohne diese – in keiner Weise näher spezifizierten – Operationen eine konkrete Gefahr für Leib oder Leben in Mazedonien für die Klägerin zu 3) bestehen würde. Im Übrigen wurde ausweislich des erwähnten Berichts vom … September 2014 und dem Vorbringen des Klägerbevollmächtigten im Schriftsatz vom 5. März 2014 die Klägerin zu 3) in früher Kindheit in Mazedonien bereits dreimal an Gaumen und Lippen operiert. Insoweit ist für das Gericht nicht ersichtlich, dass die Klägerin zu 3) an einer schweren Erkrankung leidet, die nur in Deutschland behandelt werden könnte und die sich bei einer Rückkehr in ihr Heimatland unmittelbar verschlimmern würde.
Gleiches gilt für die depressive Erkrankung der Klägerin zu 2).
Nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnisquellen können in Mazedonien nämlich, abgesehen von einigen schweren oder seltenen Krankheiten (beispielsweise im kardiologischen Bereich oder bei speziellen Augenoperationen), die meisten Krankheiten therapiert werden. Dies gilt auch für psychiatrische Erkrankungen aller Art inklusive posttraumatischer Belastungsstörungen, die in Mazedonien sowohl stationär als auch ambulant behandelt werden können. So gibt es in Skopje neben dem Universitätsklinikum „Klinisches Zentrum“ mit einer psychiatrischen Abteilung ein weiteres Krankenhaus für Psychiatrie sowie Privatkliniken zur stationären Behandlung. Im Land gibt es insgesamt drei staatliche Psychiatrien, die jeweils für eine Region des Landes zuständig sind. Daneben bieten die Allgemeinkrankenhäuser in Mazedonien stationäre sowie ambulante Behandlungen an (Ad-hoc-Teil-Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien, v.a. bzgl. der Situation der Roma sowie zur medizinischen Versorgung, Stand: Januar 2011, vom 19.01.2011 – Lagebericht 2011 – unter II.2.1. (Medizinische Versorgung, Überblick), S. 7/8).
Den Klägern zu 1) und 2) stehen angesichts ihrer Registrierung, wovon aufgrund ihrer mazedonischen Reisepässe ausgegangen werden kann, auch die Leistungen des Mazedonischen Sozial- und insbesondere des Krankenversicherungssystems im Falle einer Rückkehr zur Verfügung. Die Kinder, also auch die Klägerin zu 3), sind über ihre Eltern mitversichert. Zwar können in Fällen, in denen vor der Ausreise Sozialhilfe bezogen worden sein sollte, Sozialhilfeansprüche unterbrochen werden, wenn der nach mazedonischem Recht vorgesehenen gesetzlichen Pflicht zur monatlichen Meldung beim dortigen Arbeitsamt nicht entsprochen wurde, so dass ein Neuantrag auf Sozialhilfe erst nach einer Wartezeit von sechs Monaten gestellt werden kann (Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Ehemaligen Jugoslawischen Republik Mazedonien, Stand: August 2015, vom 12. August 2015 – Lagebericht 2015 – unter IV. 1 und IV.3, S. 10 und 11 ebenso wie die vorhergehenden Lageberichte Stand: Oktober 2013, Dezember 2012 und Januar 2011). Die Rückkehr in das öffentliche Gesundheitssystem ist aber unabhängig davon problemlos möglich; es gibt insoweit keine Wartefristen für die Wiedereingliederung nach längerer Abwesenheit. Weder im Bereich der Sozialhilfe noch im Gesundheitssystem gibt es diskriminierende Sonderbestimmungen für rückkehrende Asyl-Antragsteller (vgl. Lagebericht 2015 unter IV. 4., S. 12).
Die Versicherungsbedingungen für Arbeitslose wurden im vergangenen Jahr vereinfacht, um mehr Personen den Zugang zur Krankenversicherung zu ermöglichen. Demnach kann ein Arbeitsloser, gleich ob er früher gearbeitet hat oder nicht, sich gegen Vorlage einer Bescheinigung des für seinen Wohnsitz zuständigen Arbeitsamtes über seine fehlenden Einkünfte versichern lassen. Diese Möglichkeit steht auch mittellosen Rückkehrern offen. Für diese ist das Arbeitsamt am Ort der Niederlassung nach Rückkehr zuständig. Bis vor einigen Jahren war es für Arbeitslose deutlich schwieriger, sich krankenversichern zu lassen. Für eine offizielle Registrierung als Arbeitsloser hatte der Betreffende mindestens einen Grundschulabschluss vorweisen müssen. Familienangehörige (nicht erwerbstätige Ehepartner und Kinder) werden über den Hauptversicherer mitversichert.
Das Grundleistungspaket der Krankenversorgung ist sehr breit gefächert und umfasst fast alle medizinischen Leistungen, abgesehen von einigen Ausnahmen wie z. B. schönheitschirurgische Eingriffe oder homöopathische Medizin. Es deckt sowohl ambulante als auch stationäre Behandlungen ab. Eingeschlossen sind auch Reha- und physiotherapeutische Maßnahmen (siehe hierzu Lagebericht 2011 – unter II.2.2. (Medizinische Versorgung, Krankenversicherungsschutz durch den nationalen Gesundheitsfonds und Versicherungsleistungen), S. 8-10).
Soweit vom Bevollmächtigen der Kläger vorgetragen wurde, dass die Kläger die zu erbringenden Eigenanteilleistungen von durchschnittlich 11% der Behandlungs-kosten nicht würden tragen können, ist hierzu auszuführen, dass nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnisquellen die Höhe der Eigenanteilszahlungen für medizinische Leistungen pro Jahr auf maximal 70% eines monatlichen Durchschnittslohns beschränkt ist. Dieser beträgt laut Lagebericht 2011 rund 300 € bzw. laut Lagebericht 2015 im Dezember 2014 ca. 367 €. Hierfür müssen lediglich die entsprechenden Belege gesammelt werden. Bei Langzeiterkrankungen, wie z. B. Krebs oder Dialysebehandlungen, gibt es Ausnahmeregelungen hinsichtlich der Höhe des Eigenanteils, damit auch diese Behandlungen für alle Versicherten zugänglich sind. Für Kinder entfallen die Eigenanteile. Wenn das Monatseinkommen unter dem Durchschnittslohn liegt, gibt es eine prozentuale Reduzierung der Eigenanteile. Rentnern und Arbeitslose zahlen einen sehr geringen Eigenanteil in einer Größenordnung von rund 1 € pro Behandlung (Lagebericht 2011 – unter II.2.4. (Medizinische Versorgung, Zuzahlungen), S. 10).
Vor diesem Hintergrund geht das Gericht davon aus, dass auch trotz der dargelegten Erkrankungen insbesondere der Klägerinnen zu 2) und 3) und etwaiger erforderlicher Eigenanteilszahlungen eine Rückkehr nach Mazedonien nicht zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib oder Leben im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bei den Klägern führt.
Soweit die in den Attesten vom … Mai 2014, … Oktober 2014 und … Mai 2015 geäußerte Einschätzung der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, dass die Drohung der Klägerin zu 2), sich im Falle der Abschiebung der Familie nach Mazedonien zu suizidieren, unbedingt ernst zu nehmen ist, handelt es sich hierbei um kein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis, sondern um ein inlands-bezogenes Vollstreckungshindernis, das allenfalls von der Ausländerbehörde im Rahmen der Rückführung berücksichtigt werden kann (vgl. VG München, U. v.05.02.2015 – M 17 K 14.31233 – juris Rn. 26 m. w. N.).
3.3. Die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung im Bescheid vom … Januar 2014 entspricht den gesetzlichen Vorschriften.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
5. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff der Zivilprozessordnung (ZPO).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen


Nach oben