Medizinrecht

Keine Vergleichbarkeit eines Oralchirurgen mit anderen Vertragsärzten im Rahmen einer Wirtschaftlichkeitsprüfung

Aktenzeichen  S 38 KA 5077/17, S 38 KA 5078/17, S 38 KA 5042/18, S 38 KA 5043/18, S 38 KA 5044/18

Datum:
28.3.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 10690
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB V § 87, § 106 Abs. 2

 

Leitsatz

1. Eine oralchirurgische Fachzahnarztpraxis unterscheidet sich, was die Tätigkeit und das Patientenklientel betrifft, i.d.R. nicht unerheblich von einer konservativ ausgerichteten Zahnarztpraxis (oralchirurgische Ausrichtung und Tätigwerden aufgrund von Überweisungen anderer Ärzte und Zahnärzte). Es besteht daher grundsätzlich keine Vergleichbarkeit. (Rn. 20)
2. Der Umstand, dass eine Wirtschaftlichkeitsprüfung anhand statistischer Zahlen für Oralchirurgen nicht möglich ist, da es kein statistisches Zahlenmaterial gibt, kann nicht bedeuten, den Kläger in seiner Eigenschaft als Oralchirurg einer Gruppe zuzuordnen, deren Tätigkeit und Patientenklientel nur partiell identisch ist, nur, um überhaupt eine Wirtschaftlichkeitsprüfung vornehmen zu können. (Rn. 20)
3. Die Prüfmethode der Relationsprüfung bei Leistungen nach der Bema-Nr. 25 als Begleitleistungen zu den Leistungen nach den Bema-Nr. 13a ff. ist nicht statthaft (vgl. SG München, Urteil vom 26.11.2015, Az S 21 KA 5121/13). Den Wirtschaftlichkeitsprüfungsgremien ist aber nicht verwehrt, im Rahmen der zu fordernden intellektuellen Prüfung, z.B. bei der Festlegung der Grenze zum offensichtlichen Missverhältnis zu untersuchen, in welcher Relation die Begleitleistung der Bema-Nr. 25 zu den Füllungsleistungen als Bezugsleistungen steht. (Rn. 24)
4. Wird eine statistische Vergleichsprüfung bei Einzelwerten durchgeführt und wird das offensichtliche Missverhältnis so deutlich unter dem Wert von 100 % Überschreitung festgelegt, bedarf es einer sehr fundierten und äußerst ausführlichen Begründung (vgl. BSG, Urteil vom 30.11.2016, Az B 6 KA 29/15 R). (Rn. 25)

Tenor

I. Die Bescheide der Beklagten vom 06.06.2017 (Quartalsabrechnungen 4/14 und) und vom 26.06.2018 (Quartalsabrechnungen 2/15, 3/15 und 4/15) werden aufgehoben.
Der Beklagte wird verpflichtet, über die Widersprüche des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
II. Die Beklagte trägt die Kosten der Verfahren.

Gründe

Die zum Sozialgericht München eingelegten Klagen sind zulässig und erweisen sich auch als begründet. Die Bescheide des Beklagten sind als rechtswidrig anzusehen.
Im Rahmen der vom Beklagten vorgenommenen Wirtschaftlichkeitsprüfungen wurden statistische Durchschnittsprüfungen einzelner Gebührenordnungspositionen (Bema-Nrn. 25, 181, 10 und 40) durchgeführt. Rechtsgrundlage für die statistische Durchschnittsprüfung ist § 106 Abs. 2 SGB V in Verbindung mit § 20 Prüfvereinbarung (Anlage 4a zum GV-Z). Dabei werden die Abrechnungswerte des geprüften Vertragszahnarztes mit den Abrechnungswerten der bayerischen Zahnärzte (Landesdurchschnitt) verglichen. Dem liegt die Annahme zu Grunde, dass die Vergleichsgruppe im Durchschnitt wirtschaftlich handelt. Voraussetzung ist allerdings, dass eine Vergleichbarkeit gegeben ist. Weicht die Struktur der Praxis des geprüften Arztes sowohl hinsichtlich der Zusammensetzung des Patientenklientels, als auch hinsichtlich des ärztlichen Diagnose- und Behandlungsangebots von der Typik beim Durchschnitt der Fachgruppe signifikant ab (vgl. BSG SozR 3-2500 § 106 Nr. 50 S. 264; Nr. 57 S 319ff; BSG SozR 4-2500 § 106 Nr. 1 RdNr. 11), dann liegt eine Unvergleichbarkeit vor, die zur Bildung einer engeren Vergleichsgruppe veranlassen würde. Grundsätzlich ist aber bei der Gruppe der Zahnärzte von einer hohen Homogenität auszugehen, so dass ein Spezialvergleich nicht anzustellen ist.
Der Kläger betreibt eine oralchirurgische Fachzahnarztpraxis und unterscheidet sich daher, was seine Tätigkeit betrifft und sein Patientenklientel betrifft, nicht unerheblich von einer konservativ ausgerichteten Zahnarztpraxis. Er wird – wie er unbestritten vorträgt – zu 70% bis 80% auf Überweisung durch andere Vertragszahnärzte/Vertragsärzte tätig. Vor diesem Hintergrund erscheint es problematisch, ihn mit der Gruppe der Zahnärzte zu vergleichen. Ferner unterliegen Leistungen aufgrund von Überweisungen zu einer nach Art und Umfang festgelegten Behandlung nicht der Wirtschaftlichkeitsprüfung, soweit der Vertragszahnarzt den Inhalt der Überweisung nachweist (§ 20 Abs. 9 der Anlage 4a zum GV-Z = Prüfvereinbarung). Hierzu hat der Kläger im Vorverfahren zwar nicht detailliert vorgetragen, wurde dazu aber auch nicht von den Prüfungsgremien aufgefordert. Der Umstand, dass eine Wirtschaftlichkeitsprüfung anhand statistischer Zahlen für Oralchirurgen nicht möglich ist, da es kein statistisches Zahlenmaterial gibt, kann nicht bedeuten, den Kläger in seiner Eigenschaft als Oralchirurg einer Gruppe zuzuordnen, deren Tätigkeit und Patientenklientel nur partiell identisch ist, nur, um überhaupt eine Wirtschaftlichkeitsprüfung vornehmen zu können. Dass auch der Beklagte Schwierigkeiten bei der Findung der geeigneten Vergleichsgruppe hat, ist daraus ersichtlich, dass z.B. bei den Leistungen nach der Bema-Nr. 25 ein Vergleich mit den Vertragszahnärzten, bei den Leistungen nach der Bema-Nr. 181 letztendlich ein Spezialvergleich mit den MKG-Chirurgen angestellt wird.
Das Gericht verkennt nicht die Schwierigkeit, dass – folgt man der Auffassung, dass keine Vergleichbarkeit besteht – dann eine wirtschaftliche Behandlungsweise eines Fachzahnarztes für Oralchirurgie schwierig zu prüfen ist. Ein Fachzahnarzt für Oralchirurgie ist nicht ohne weiteres mit den Vertragszahnärzten oder den MKG-Chirurgen zu vergleichen. Die Prüfungsgremien sind aber nicht auf die Durchschnittsprüfung nach § 20 der Anlage 4b zum GV-Z beschränkt. Ihnen verbleiben auf jeden Fall die übrigen in § 18 Abs. 1 und 2 der Anlage 4a zum GV-Z vorgesehenen Prüfmethoden, so z.B. auch die Einzelfallprüfung oder beispielhafte Einzelfallprüfung mit Hochrechnung, die zugegebenermaßen deutlich aufwändiger, aber in vielen Fällen auch sachgerechter sind. Nachdem die Grenzen zwischen Vergleichbarkeit und Unvergleichbarkeit gerade bei Fachzahnärzten für Oralchirurgie je nach Behandlungsschwerpunkt fließend sind, sind – findet trotzdem ein statistischer Vergleich mit den Zahnärzten oder MKG-Chirurgen statt – in besonderem Maße Abweichungen beim Behandlungsspektrum im Rahmen von Praxisbesonderheiten großzügig und angemessen zu berücksichtigen.
In Umsetzung dieser grundsätzlichen Überlegungen ist das Gericht der Auffassung, dass bei dem konkreten Tätigkeitsschwerpunkt des Klägers (oralchirurgische Ausrichtung mit einem hohen Anteil an von Vertragszahnärzten/Vertragsärzten überwiesenen Fällen) eine Vergleichbarkeit nicht gegeben ist, so dass eine Wirtschaftlichkeitsprüfung auf der Basis der statistischen Vergleichsmethode nicht zulässig ist. Der Beklagte hätte allerdings die Möglichkeit gehabt, die wirtschaftliche Behandlungsweise des Klägers anhand anderer Prüfmethoden zu überprüfen, was jedoch nicht geschehen ist.
Selbst wenn von einer Vergleichbarkeit mit der Gruppe der Vertragszahnärzte auszugehen wäre, ist zunächst festzustellen, dass der Kläger bei Anwendung der statistischen Prüfmethode im Vergleich zur Vergleichsgruppe der Vertragszahnärzte bei den Leistungen nach der Bema-Nr. 25 in zwei Quartalen deutlich unter 100% liegt, in zwei Quartalen geringfügig darüber und nur in einem Quartal deutlich darüber (Quartal 4/14: + 65%; Quartal 1/15: + 110%; Quartal 2/15: + 70%; Quartal 3/15: + 135%; Quartal 4/15: 102%). Wird dagegen eine Relation zu den Leistungen nach der Bema-Nr. 13 a ff. hergestellt, liegen die Überschreitungen im Quartal 4/14 mit 131%, im Quartal 1/15 mit 144%, im Quartal 2/15 mit 149%, im Quartal 3/15 mit 152% und im Quartal 4/15 mit 150% deutlich über den vorgenannten Werten.
Soweit die Klägerseite in diesem Zusammenhang geltend macht, die Kürzung der Bema-Nr. 25 nach der Prüfmethode der Relationsprüfung (Leistungen nach der Bema-Nr. 25 als Bezugsleistungen wird in Relation zu den Leistungen nach der Bema-Nr. 13d gesetzt) sei nicht statthaft, schließt sich die 38. Kammer des Sozialgerichts München der Auffassung der 21. Kammer des Sozialgerichts München (vgl. SG München, Urteil vom 26.11.2015, Az. S 21 KA 5121/13) grundsätzlich an, wonach eine solche Prüfmethode weder eine Rechtsgrundlage in der Prüfvereinbarung, noch in der Rechtsprechung findet und deshalb als unzulässig anzusehen ist. Den Wirtschaftlichkeitsprüfungsgremien ist aber nicht verwehrt, im Rahmen der zu fordernden intellektuellen Prüfung, z.B. bei der Festlegung der Grenze zum offensichtlichen Missverhältnis zu untersuchen, in welcher Relation die Begleitleistung der Bema-Nr. 25 zu den Füllungsleistungen als Bezugsleistungen steht.
Nach Auffassung des Gerichts ergibt sich die Unwirtschaftlichkeit jedenfalls zum Teil erst aufgrund der Herstellung der Relation zu den Bezugsleistungen. Damit findet de facto eine nach Auffassung des Gerichts unzulässige Relationsprüfung statt. Dies ergibt sich auch aus den von dem Beklagten angegebenen Werten, betreffend Überschreitungen zur Landesrelation nach Vergütungsberichtigung (Quartal 4/14: 71% und 47% beim Landesdurchschnittswert; Quartal 1/15: 75% und 24% beim Landesdurchschnittswert; Quartal 2/15: 52,7% und 74% beim Landesdurchschnittswert; Quartal 3/15: 76% und 65% beim Landesdurchschnittswert; Quartal 4/15: 75% und 41% beim Landesdurchschnittswert). Somit liegt der Landesdurchschnittswert in allen Quartalen deutlich unter 100%, in drei Quartalen sogar unter 50%. Die gefestigte Rechtsprechung geht von einem offensichtlichen Missverhältnis bei Einzelleistungen bei etwa 100% Überschreitung aus, was nicht bedeutet, dass auch das offensichtliche Missverhältnis bei Einzelleistungen prozentual unter 100% liegen kann. Hier werden dem Kläger aber Restüberschreitungen beim Landesdurchschnittswert belassen, die bei einem Spartenvergleich oder einem Gesamtfallwertvergleich rechtlich nicht zu beanstanden wären. Wird jedoch eine statistische Vergleichsprüfung bei Einzelwerten durchgeführt und wird das offensichtliche Missverhältnis so deutlich unter dem Wert von 100% Überschreitung festgelegt, bedarf es einer sehr fundierten und äußerst ausführlichen Begründung, die durch den Beklagten nicht erfolgt ist (vgl. BSG, Urteil vom 30.11.2016, Az. B 6 KA 29/15 R). Somit liegt zumindest hierin ein Verstoß gegen die Begründungspflicht aus § 35 SGB X vor. In einem Quartal, nämlich im Quartal 2/15 wurde überhaupt keine Grenze zum offensichtlichen Missverhältnis angegeben. Vor dem Hintergrund einer nicht adäquaten Vergleichsgruppe wäre es nach Auffassung des Gerichts sogar angezeigt gewesen, die Grenze zum offensichtlichen Missverhältnis auf weit über 100% anzuheben.
Praxisbesonderheiten sind aus der Zusammensetzung der Patienten herrührende Umstände, die sich auf das Behandlungsverhalten des Arztes auswirken und in den Praxen der Vergleichsgruppe nicht in entsprechender Weise anzutreffen sind (vgl. BSG, Urteil vom 06.09.2000, Az. B 6 KA 24/99 R).
Der Kläger führt mehrere verschiedene Umstände an, die er als Praxisbesonderheiten gewertet haben möchte. Dies sind vor allem die vom Durchschnitt der Zahnärzte abweichende Patientenverteilung innerhalb der Praxis, sein oralchirurgischer Schwerpunkt und die erhöhte Anzahl an PAR-Leistungen.
Der Kläger wurde bei der Wirtschaftlichkeitsprüfung im Zusammenhang mit den Leistungen nach der Bema-Nr. 25 mit der Vergleichsgruppe der Vertragszahnärzte verglichen. Bei der Bema-Nr. 25 handelt es sich um „die indirekte Überkappung zur Erhaltung der gefährdeten Pulpa, ggf. einschließlich des provisorischen oder temporären Verschlusses der Kavität“. Die Gebührenordnungsziffer ist auch mehrmals abrechenbar je Zahn bei getrennten Kavitäten und auch mehrmals in einer Kavität (in Ausnahmefällen). Die Kammer hält es nicht für ausgeschlossen, dass der Kläger in seiner Eigenschaft als Oralchirurg ein vom Durchschnitt der Vergleichsgruppe der Zahnärzte abweichendes schwereres Patientengut zu behandeln hat und sich deshalb Mehrfachansätze und die Überschreitungswerte erklären lassen. Inwieweit die vom Durchschnitt der Vertragszahnärzte abweichende Patientenverteilung (deutlich weniger Rentner-Versicherte, mehr Mitgliederversicherte und mehr Familienversicherte; z.B. Quartal 4/14: – 41% Rentner-Versicherte; + 15% Mitglieder-Versicherte; + 4% Familienversicherte) zu einem erhöhten Bedarf an Leistungen nach der Bema-Nr. 25 führen soll, kann das Gericht in dieser Pauschalität nicht nachvollziehen. Hier hätte es einer konkreteren Darstellung durch den Kläger bedurft, um die abweichende Patientenverteilung als Praxisbesonderheit anzuerkennen. Dies gilt auch für den klägerischen Vortrag, wonach der Kläger in seiner Praxis deutlich mehr PAR-Leistungen erbringt. Zwar sind nach der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche vertragszahnärztliche Versorgung (Behandlungsrichtlinie) je nach Indikation vor oder im zeitlichen Zusammenhang mit der Parodontitistherapie konservierend-chirurgische Maßnahmen durchzuführen. Es ist nicht gänzlich auszuschließen, dass damit auch ein „Mehr“ an Leistungen der Bema-Nr. 25 einhergeht. Auch hier wäre eine ausführlichere Darstellung durch den Kläger zu erwarten gewesen.
Bei der Wirtschaftlichkeitsprüfung nach der statistischen Vergleichsmethode ist auch zu prüfen, ob kausal-kompensatorische Einsparungen vorliegen, die die Überschreitungswerte bei den Leistungen nach der Bema-Nr. 25 rechtfertigen könnten. Als solche Einsparungen gibt der Kläger einen unterdurchschnittlichen Ansatz bei den Leistungen nach der Bema-Nr. 28 und keinerlei Ansätze bei den Leistungen nach den Bema-Nrn. 27 und 29 an. Dem Gericht erschließt sich nicht automatisch, dass es sich hierbei um kompensatorische Leistungen handeln soll, die kausal zu den Leistungen nach der Bema-Nr. 25 stehen. Eine indirekte Überkappung der Pulpa (Bema-Nr. 25) ist dann angezeigt, wenn die Devitalisierung oder gar Extraktion eines tiefkariösen Zahnes vermieden werden soll. Die Leistung nach der Bema-Nr. 28, die vom Kläger unterdurchschnittlich angesetzt wird, wird dann durchgeführt, wenn zwar der Zahn, nicht jedoch die Pulpa erhaltungswürdig ist. Die Amputation und Versorgung der vitalen Pulpa einschließlich des temporären Verschlusses der Kavität (Bema-Nr. 27) findet kaum Anwendung, da der Ausbreitungszustand einer Pulpitis klinisch kaum beurteilbar ist. Mit der Bema-Nr. 29 wird das „Devitalisieren einer Pulpa einschließlich des Verschlusses der Kavität“ vergütet. Alle Leistungen beziehen sich zwar auf die Pulpa, jedoch liegen den Behandlungen unterschiedliche Indikationsstellungen zu Grunde.
Ferner fällt auf, dass die Vergleichswerte, betreffend die endodontischen Leistungen nach den Bema-Nrn. 28, 29, 31, 32, 34 und 35 in den streitgegenständlichen Quartalen kein in etwa einheitliches Abrechnungsbild zeigen, nicht nur, dass die Überschreitungswerte zum Teil erheblich voneinander abweichen, sondern sich Überschreitungen mit Unterschreitungen abwechseln. Dies mag eventuell auf den hohen Überweisungsanteil bei oralchirurgischen Zahnarztpraxen und so auch beim Kläger zurückzuführen sein. Jedoch allein angesichts dieser Abrechnungswerte können die vom Kläger erbrachten endodontischen Leistungen keine kausal-kompensatorischen Einsparungen darstellen. Abgesehen davon wäre es Aufgabe des Klägers gewesen, darzustellen, warum zwischen der Leistung nach der Bema-Nr. 25 und den endodontischen Leistungen ein kausal-kompensatorischer Zusammenhang bestehen sollte. Gerade in den Fällen, in denen sich ein solcher kausal-kompensatorischer Zusammenhang nicht aufdrängt, ist es Aufgabe des Vertrags-(zahn) arztes, im Rahmen der ihm obliegenden Darlegungs- und Feststellungslast in geeigneter Weise vorzutragen (vgl. BSG, Urteil vom 11.12.2002, B 6 KA 1/02R; LSG NRW, Urteil vom 09.02.2011, L 22 KA 38/09).
Schließlich sind die belassenen Restüberschreitungen und die prozentualen Kürzungshöhen im Hinblick auf die Problematik der Vergleichbarkeit der klägerischen Praxis und die Festlegung des offensichtlichen Missverhältnisses rechtlich zu beanstanden. Insofern wird auf die obigen Ausführungen verwiesen. Hinzu kommt, dass die Argumentation des Beklagten, was die belassenen Restüberschreitungen betrifft, dahin geht, dass mit den belassenen Restüberschreitungen den Praxisumständen angemessen Rechnung getragen worden sei. Nach der Rechtsprechung (vgl. BayLSG, Urteil vom 04.02.2009, Az. L 12 KA 27/08; a.A. LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 01.10.1996, Az. L 11 Ka 24/96) ist es nicht zulässig, „der Ermittlung und Quantifizierung möglicherweise vorhandener Praxisbesonderheiten durch einen „Rabatt“ bei der Kürzungsentscheidung aus dem Wege zu gehen. Ob die belassene Restüberschreitung wirklich großzügig bemessen ist, kann der Beklagte erst dann beantworten, wenn er unter Ausübung seines Beurteilungsspielraums die Frage nach dem Bestehen von Praxisbesonderheiten und der Höhe des als wirtschaftlich anzuerkennenden Mehraufwandes geprüft hat, weil danach auf der ersten Stufe der Durchschnittswertprüfung die Überschreitung entsprechend zu bereinigen ist und möglicherweise dann wegen Nichterreichens des offensichtlichen Missverhältnisses eine Kürzung nicht mehr stattfinden darf“. Dieser Auffassung schließt sich grundsätzlich auch die 38. Kammer des Sozialgerichts München an.
Andererseits weist der Sachverhalt in dem oben genannten Verfahren zwar wesentliche Unterschiede zu den streitgegenständlichen Verfahren auf. Denn dort wurde in der Leistungsgruppe Sonderleistungen (08) gekürzt. In den streitgegenständlichen Verfahren ist dagegen Gegenstand eine statistische Prüfung einzelner Leistungen, hier der Bema-Nr. 25.
Nachdem die Grenze zum offensichtlichen Missverhältnis nach Auffassung des Gerichts viel zu niedrig und unterschiedlich ist sowie ohne Berücksichtigung des Umstandes, dass der Kläger in seiner Eigenschaft als Oralchirurg nur in engen Grenzen mit der Vergleichsgruppe der Zahnärzte vergleichbar ist, festgesetzt wurde, hält das Gericht die Kürzungshöhen und die belassenen Restüberschreitungen für nicht nachvollziehbar. Ferner ist nicht erkennbar, dass und wie der Beklagte überhaupt von seinem Ermessen Gebrauch gemacht hat. So ist es unzureichend, wenn im Bescheid ausgeführt wird, der Beklagte habe eine Vergütungsberichtigung in einer gewissen Höhe beschlossen und dem Kläger werde eine bestimmte Restüberschreitung belassen. Denn diese Ausführungen reichen nicht einmal an die von der Rechtsprechung der Sozialgerichte mehrfach beanstandete Argumentation der Prüfungsgremien heran, mit den belassenen Restüberschreitungen sei den Praxisbesonderheiten angemessen Rechnung getragen worden.
Was die Wirtschaftlichkeitsprüfung der Bema-Nr. 181 (konsiliarische Erörterung mit Ärzten und Zahnärzten) betrifft, die in allen streitgegenständlichen Quartalen stattfand und zu Kürzungen führte, hat der Beklagte ebenfalls eine statistische Prüfung vorgenommen. Der Vergleich mit der Vergleichsgruppe der Vertragszahnärzte ergab hohe Überschreitungen im mittleren vierstelligen Bereich. Der Beklagte brachte zum Ausdruck, dass aufgrund der fachärztlichen oralchirurgischen Ausrichtung der Praxis mit einem hohen Überweisungsanteil zur Vergleichsbeurteilung nicht die Gruppe der Vertragszahnärzte, sondern der Landesdurchschnitt der Mund-, Kieferund Gesichtschirurgen zu Grunde gelegt werde. Auch dabei ergaben sich jedoch hohe Überschreitungswerte, allerdings nicht mehr im mittleren vierstelligen Bereich, sondern im dreistelligen Bereich. Zwar hat der Beklagte zu Recht erkannt, dass ein Vergleich mit der Vergleichsgruppe der Vertragszahnärzte aufgrund der oralchirurgischen Ausrichtung der klägerischen Praxis nicht möglich ist, übersieht jedoch, dass auch ein Vergleich mit der Gruppe der MKG-Chirurgen, wenn überhaupt, nur bedingt möglich ist. Denn MKG-Chirurgen besitzen in der Regel eine Doppelzulassung als Arzt und als Zahnarzt. Dies führt dazu, dass nicht nur gegenüber der Kassenzahnärztlichen Vereinigung, sondern auch gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung abgerechnet wird. Eine Aufspaltung eines einheitlichen Behandlungsfalls ist jedoch nicht zulässig (BSG, Urteil vom 04.05.2016, Az. B 6 KA 16/15 R). Zudem erscheint dem Gericht die Einlassung des Klägers plausibel, wonach MKG-Chirurgen in der Regel die Behandlung abschließen und deshalb entweder überhaupt kein Konsil oder nur in einer geringen Anzahl durchführen. Wie bereits im Zusammenhang mit der Wirtschaftlichkeitsprüfung der Bema-Nr. 25 aufgezeigt, ist eine Wirtschaftlichkeitsprüfung anhand statistischer Zahlen für Oralchirurgen nicht möglich ist, da es kein statistisches Zahlenmaterial gibt. Das Fehlen von geeignetem Zahlenmaterial erlaubt es nicht, den Kläger im Rahmen einer statistischen Prüfung nach Durchschnittswerten mit der Fachgruppe der MKG-Chirurgen zu vergleichen, deren Tätigkeit und Patientenklientel nur partiell identisch ist.
Selbst wenn man es als zulässig erachten würde, den Kläger mit den MKG-Chirurgen zu vergleichen, wäre die lediglich partielle Vergleichbarkeit bei dann anzuerkennenden Praxisbesonderheiten angemessen und großzügig zu berücksichtigen. Eine solche Berücksichtigung von Praxisbesonderheiten hat jedoch nicht stattgefunden. Nicht ausreichend ist auch der pauschale Hinweis des Beklagten, die Kammer erkenne zwar an, dass „in einzelnen Fällen möglicherweise ein Konsilium mehrfach stattfinden müsse“, jedoch es erfahrungsgemäß auch eine Anzahl von Überweisungsfällen gebe, bei denen eine solche Leistung nicht anfalle.
Vor diesem Hintergrund lassen sich die Kürzungen bei der Bema-Nr. 181 nicht aufrechterhalten.
Im Quartal 1/15 wurden zusätzlich die Leistungen nach der Bema-Nr. 40 (Infiltrationsanästhesie) gekürzt. Durchgeführt wurde eine statistische Vergleichsprüfung, die zu einer Abweichung in Höhe von 203% zum Landesdurchschnitt der Allgemeinzahnärzte führte. Praxisbesonderheiten wurden offensichtlich nicht anerkannt. Der Beklagte stellte vielmehr fest, Füllungen würden unterdurchschnittlich abgerechnet, endodontische Leistungen lediglich bei der Bema-Nr. 35 minimal überdurchschnittlich (+23%), systematische PAR-Behandlungen bezogen auf die Praxisgröße lediglich 54% über dem Landesdurchschnitt und die FEZ nach 1.1 und 1.2 mit 21% unter dem Landesdurchschnitt. Abgesehen davon, dass auch bezüglich der Kürzungen der Bema-Nr. 40 die Vergleichbarkeit mit der der Gruppe der Vertragszahnärzte äußerst problematisch erscheint, ist zwar ein Bemühen des Beschwerdeausschusses festzustellen, sich mit der Argumentation des Klägers auseinanderzusetzen, indem Überschreitungswerte/Unterschreitungsfälle bei den vom Kläger geltend gemachten Praxisbesonderheiten angegeben werden. Zu einer Anerkennung dieser Praxisbesonderheiten führt dies offensichtlich nicht, obwohl Überschreitungswerte von 23% bei der Bema-Nr. 35 und erst recht bei den systematischen PAR-Leistungen von 54% anders als der Beklagte meint, nicht als „minimal überdurchschnittlich“ bezeichnet werden können.
Für die Kürzungshöhe (20%) und die belassene Restüberschreitung gelten die Ausführungen zu den Kürzungen der Bema-Nrn. 25 und 181. Insbesondere kann der Beklagte nicht unter Hinweis auf die belassene Restüberschreitung (142%) einer Quantifizierung von Praxisbesonderheiten aus dem Weg gehen.
Im Quartal 4/2015 bezog sich der Wirtschaftlichkeitsprüfung auch auf die Leistungen nach der Bema-Nr. 10 (Behandlung überempfindlicher Zähne). Angewandt wurde die statistische Prüfmethode, die im Vergleich zu der Gruppe der Vertragszahnärzte zu einer Überschreitung in Höhe von 374% führte. Auch wenn die Feststellung des Beschwerdeausschusses zur Patientenverteilung (27% weniger R-Versicherte als der Landesdurchschnitt) sowie der Umstand, dass anders als von Klägerseite ausgeführt, PAR-Leistungen unterdurchschnittlich erbracht wurden (Bema-Nrn. P 200 und P 201) für die Annahme spricht, es müssten an sich nicht mehr, sondern weniger Leistungen nach der Bema-Nr. 10 notwendig sein, stellt sich auch hier das Problem der mangelnden Vergleichbarkeit. Unzureichend ist auch der Hinweis des Beklagten, „der Beschwerdeausschuss könne die abgerechneten Leistungen nicht mehr vollständig anerkennen und setze das offensichtliche Missverhältnis bezogen auf das vorhandene Patientenklientel und Praxisgröße bei ca. 150% fest.
Aus den genannten Gründen war zu entscheiden, wie geschehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO.


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