Medizinrecht

Krankenhausabrechnung bei Nebendiagnose Nierenversagen

Aktenzeichen  S 7 KR 866/20

Datum:
11.5.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 13547
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB V § 109, § 301
KHEntG § 7, § 9, § 11
KHG § 17b

 

Leitsatz

1. Für Krankenhausabrechnungen werden als Nebendiagnose die Symptome kodiert, welche eigenständige, wichtige Probleme für die medizinische Betreuung darstellen; unberücksichtigt bleiben unmittelbare Folgesymptome, die mit der zugrunde liegenden Krankheit vergesellschaftete sind. (Rn. 39) (redaktioneller Leitsatz)
2. Tritt zur Hauptdiagnose chronisch-obstruktive Atemwegserkrankung ein nachgewiesenes akutes Nierenversagen hinzu, gilt dieses als komplizierende Nebendiagnose, welche durch Triggern des Groupierungsprozesses eine höhere Krankenhausvergütung begründet .  (Rn. 47 und 52 – 56) (redaktioneller Leitsatz)
3. Zum Beweis nebendiagnostizierten Nierenversagens richtet durch dokumentierte Befunde, Parameter und Behandlungsverläufe. (Rn. 47 – 55) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 3.822,25 € nebst Zinsen in Höhe von 4 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 05.10.2020 zu zahlen.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 3.822,25 € festgelegt.

Gründe

Die Kammer konnte ohne mündliche Verhandlung gem. § 124 Abs. 2 SGG entscheiden, weil die Beteiligten ihr Einverständnis hiermit erteilt haben.
Die zulässige Klage hat Erfolg.
Streitgegenstand ist einmal der Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte auf Zahlung der weiteren Vergütung für die vollstationäre Behandlung weiterer Versicherter in Höhe von 3.822,25 €. Diesen Anspruch macht sie zu Recht mit der (echten) Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG geltend. Die Klage eines Krankenhausträgers – wie hier der Klägerin – auf Zahlung der Behandlungskosten eines Versicherten gegen eine Krankenkasse ist ein Beteiligtenstreit im Gleichordnungsverhältnis, in dem eine Regelung durch Verwaltungsakt nicht in Betracht kommt, kein Vorverfahren durchzuführen und keine Klagefrist zu beachten ist (vgl. BSG, Urteil vom 16. Dezember 2008 – Az.: B 1 KN 3/08 KR R m.w.N., nach juris).
Die Klage ist auch begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf Zahlung der noch ausstehenden Vergütung für die Behandlung der weiteren Versicherten in Höhe von insgesamt 3.822,25 €. Rechtsgrundlage des geltend gemachten Vergütungsanspruchs ist § 109 Abs. 4 Satz 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) in Verbindung mit der Pflegesatzvereinbarung für das Jahr 2020. Die Forderung ist in Höhe von 3.822,25 € nicht durch Aufrechnung erloschen.
Der Beklagten steht nämlich auch kein Rückforderungsanspruch aus der Behandlung der Versicherten D. zu.
Zutreffend hat die Klägerin im vorliegenden Fall die DRG E63A der Abrechnung zugrunde gelegt.
Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 KHEntgG werden die allgemeinen Krankenhausleistungen gegenüber den Patienten oder ihren Kostenträgern mit verschiedenen, in den Nummern 1 bis 8 abschließend aufgezählten Entgelten abgerechnet. Hier geht es um die Abrechnung von Fallpauschalen (DRG) nach dem auf Bundesebene vereinbarten Entgeltkatalog (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 9 KHEntgG). Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und der Verband der privaten Krankenversicherung haben nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KHEntgG gemeinsam mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft als „Vertragsparteien auf Bundesebene“ mit Wirkung für die Vertragspartner (§ 11 KHEntgG i.V.m. § 18 Abs. 2 Gesetz zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser und zur Regelung der Krankenhauspflegesätze – Krankenhausfinanzierungsgesetz [KHG]: Krankenhausträger und Sozialleistungsträger) einen Fallpauschalenkatalog einschließlich der Bewertungsrelationen sowie Regelungen zur Grenzverweildauer und der in Abhängigkeit von diesen zusätzlich zu zahlenden Entgelte oder vorzunehmenden Abschläge zu vereinbaren. Die Grundlage dieser Regelungen des KHEntgG findet sich in § 17b KHG, auf den § 9 KHEntgG auch mehrfach Bezug nimmt. Nach § 17b Abs. 1 Satz 1 KHG ist für die Vergütung der allgemeinen Krankenhausleistungen ein durchgängiges, leistungsorientiertes und pauschalierendes Vergütungssystem einzuführen. Dieses hat nach § 17b Abs. 1 Satz 2 KHG Komplexitäten und Comorbitäten abzubilden; sein Differenzierungsgrad soll praktikabel sein. Mit den Entgelten nach Satz 1 werden nach § 17b Abs. 1 Satz 3 KHG die allgemeinen vollstationären und teilstationären Krankenhausleistungen für einen Behandlungsfall vergütet.
Für die Zuordnung eines bestimmten Behandlungsfalls zu einer DRG wird in einem ersten Schritt die Diagnose nach der Internationalen Klassifikation der Krankheiten – dem ICD-10 – in der jeweiligen vom DIMDI im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit herausgegebenen deutschen Fassung verschlüsselt (§ 301 Abs. 2 Satz 1 SGB V). Zur sachgerechten Durchführung der Verschlüsselung („Kodierung“) haben die Vertragspartner auf Bundesebene „Kodierrichtlinien“ beschlossen. In einem zweiten Schritt wird der in den Computer eingegebene Code einer bestimmten DRG zugeordnet, anhand der dann nach Maßgabe des Fallpauschalenkatalogs und der Pflegesatzvereinbarung die von der Krankenkasse zu zahlende Vergütung errechnet wird. Diesem als „Groupierung“ bezeichneten Prozess der DRG-Zuordnung liegt ein festgelegter Groupierungsalgorithmus zugrunde; in diesem vorgegebenen, vom Krankenhaus nicht zu beeinflussenden Algorithmus wird entsprechend dem vom Krankenhaus eingegebenen Code nach dem ICD-10 eine bestimmte DRG angesteuert (vgl. BSG, Urteil vom 18. Juli 2013 – B 3 KR 7/12 R – juris, Rn. 12). Die Verbindlichkeit der in dem jeweiligen Vertragswerk angesprochenen Klassifikationssysteme folgt aus dem Umstand, dass sie in die zertifizierten Grouper einbezogen sind (BSG, Urteil vom 14. Oktober 2014 – B 1 KR 25/13 R – juris, Rn. 12 m.w.N.).
Vergütungsregelungen für die routinemäßige Abwicklung in zahlreichen Behandlungsfällen sind streng nach ihrem Wortlaut und den dazu vereinbarten Anwendungsregeln zu handhaben; dabei gibt es grundsätzlich keinen Raum für weitere Bewertungen und Abwägungen (z.B. BSG, Urteil vom 14. Oktober 2014 – B 1 KR 25/13 R – juris, Rn. 13 m.w.N.). Ergeben sich bei der Abrechnung Wertungswidersprüche und sonstige Ungereimtheiten, haben es die zuständigen Stellen durch Änderung des Fallpauschalenkatalogs in der Hand, für die Zukunft Abhilfe zu schaffen. Eine systematische Interpretation der Vorschriften kann lediglich im Sinne einer Gesamtschau der im inneren Zusammenhang stehenden Bestimmungen des Regelungswerks erfolgen, um mit ihrer Hilfe den Wortlaut der Leistungslegende klarzustellen (BSG, Urteil vom 18. Juli 2013 – B 3 KR 7/12 R – juris, Rn. 13 m.w.N.; Urteil des Senats vom 21. März 2014 – L 4 KR 5233/12 – nicht veröffentlicht).
Streitig ist im vorliegenden Fall alleine die Kodierung der Nebendiagnosen. Die Kodierrichtlinien bestimmen, ob und welche Nebendiagnosen für die Abrechnung zusätzlich zur Hauptdiagnose zu kodieren sind (vgl auch BSGE 109, 236 = SozR 4-5560 § 17b Nr. 2, RdNr. 45 mwN).
Die Hauptdiagnose wird entsprechend der Kodierrichtlinie D002f definiert als:
„Die Diagnose, die nach Analyse als diejenige festgestellt wurde, die hauptsächlich für die Veranlassung des stationären Krankenhausaufenthaltes des Patienten verantwortlich ist.“
Der Begriff „nach Analyse“ bezeichnet die Evaluation der Befunde am Ende des stationären Aufenthaltes, um diejenige Krankheit festzustellen, die hauptsächlich verantwortlich für die Veranlassung des stationären Krankenhausaufenthaltes war. Die dabei evaluierten Befunde können Informationen enthalten, die aus der medizinischen und pflegerischen Anamnese, einer psychiatrischen Untersuchung, Konsultationen von Spezialisten, einer körperlicher Untersuchung, diagnostischen Tests oder Prozeduren, chirurgischen Eingriffen und pathologischen oder radiologischen Untersuchungen gewonnen wurden. Für die Abrechnung relevante Befunde, die nach der Entlassung eingehen, sind für die Kodierung heranzuziehen.
Die Nebendiagnose ist entsprechend der Kodierrichtlinie D003l definiert als:
„Eine Krankheit oder Beschwerde, die entweder gleichzeitig mit der Hauptdiagnose besteht oder sich während des Krankenhausaufenthaltes entwickelt.“
Für Kodierungszwecke müssen Nebendiagnosen als Krankheiten interpretiert werden, die das Patientenmanagement in der Weise beeinflussen, dass irgendeiner der folgenden Faktoren erforderlich ist: – therapeutische Maßnahmen, – diagnostische Maßnahmen, – erhöhter Betreuungs-, Pflege- und/oder Überwachungsaufwand. Krankheiten, die zB durch den Anästhesisten während der präoperativen Beurteilung dokumentiert wurden, werden nur kodiert, wenn sie den oben genannten Kriterien entsprechen. Sofern eine Begleitkrankheit das Standardvorgehen für eine spezielle Prozedur beeinflusst, wird diese Krankheit als Nebendiagnose kodiert. Anamnestische Diagnosen, die das Patientenmanagement gemäß obiger Definition nicht beeinflusst haben, wie z.B. eine ausgeheilte Pneumonie vor 6 Monaten oder ein abgeheiltes Ulkus, werden nicht kodiert. Symptome als Nebendiagnose: Ein Symptom wird nicht kodiert, wenn es im Regelfall als eindeutige und unmittelbare Folge mit der zugrunde liegenden Krankheit vergesellschaftet ist. Stellt ein Symptom jedoch ein eigenständiges, wichtiges Problem für die medizinische Betreuung dar, so wird es als Nebendiagnose kodiert (siehe auch ICD-10-GM Kapitel XVIII). … Abnorme Befunde: Abnorme Labor-, Röntgen-, Pathologie- und andere diagnostische Befunde werden nicht kodiert, es sei denn, sie haben eine klinische Bedeutung im Sinne einer therapeutischen Konsequenz oder einer weiterführenden Diagnostik (nicht allein Kontrolle der abnormen Werte).“
Auch die Nebendiagnosen sind „nach Analyse“ zu kodieren, also nach Evaluation der Befunde am Ende des stationären Aufenthaltes. Hierbei sind vor dem Ende des stationären Aufenthalts erhobene Befunde, deren Auswertung erst später eingeht, einzubeziehen (vgl BSG Urteil vom 21.4.2015 – B 1 KR 9/15 R – RdNr. 19 für SozR 4 vorgesehen). Die Maßgeblichkeit des Erkenntnishorizonts „nach Analyse“ folgt aus dem Zusammenhang der Nebenmit der Hauptdiagnose.
Zur Frage, was unter einem akuten Nierenversagen zu verstehen ist, enthält der ICD10-GM, Version 2019 Im Kapitel XIV (Krankheiten des Urogenitalsystems N00-N99) unter der Überschrift „Niereninsuffizienz“ (N17-N19) nähere Vorgaben.
Nach den KDIGO-Leitlinien (Kidney Disease: Improving Global Outcomes, abgedruckt in Kidney International Supplements (2012) 2, 8-12) liegt ein akutes Nierenversagen vor, wenn mindestens eines der folgenden Kriterien erfüllt ist:
* Anstieg des Serumkreatinins über einen gemessenen Ausgangswert um mindestens 0,3 mg/dl innerhalb von 48 Stunden
* Anstieg des Serumkreatinins von einem gemessenen Ausgangswert oder anzunehmenden Grundwert des Patienten um mindestens 50% innerhalb der vorangehenden 7 Tage
* Abfall der Urinausscheidung auf weniger als 0,5 ml/kg/h über mindestens 6 Stunden Differenziert wird zwischen:
Stadium 1 Anstieg des Serum-Kreatinins um mindestens 50% bis unter 100% gegenüber dem Ausgangswert innerhalb von 7 Tagen oder um mindestens 0,3 mg/dl innerhalb von 48 Stunden oder Abfall der Diurese auf unter 0,5 ml/kg/h über 6 bis unter 12 Stunden Stadium 2 Anstieg des Serum-Kreatinins um mindestens 100% bis unter 200% gegenüber dem Ausgangswert innerhalb von 7 Tagen oder Abfall der Diurese auf unter 0,5 ml/kg/h über mindestens 12 Stunden Stadium 3 Anstieg des Serum-Kreatinins um mindestens 200% gegenüber dem Ausgangswert innerhalb von 7 Tagen oder Anstieg des Serum-Kreatinins auf mindestens 4,0 mg/dl oder Einleitung einer Nierenersatztherapie oder Abfall der glomerulären Filtrationsrate auf unter 35 ml/min/1,73 m² Körperoberfläche bei Patienten bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres oder Abfall der Diurese auf unter 0,3 ml/kg/h über mindestens 24 Stunden oder Vorliegen einer Anurie über mindestens 12 Stunden Für die Anwendung der Kriterien bei Stadium 1 ist ein adäquater, dem klinischen Zustand angepasster Hydratationszustand zum Zeitpunkt der Messungen Voraussetzung, bei Stadium 2 und 3 gilt diese Voraussetzung nicht.
Hinsichtlich der medizinischen Beurteilung der Nierenerkrankung der Versicherten folgt die Kammer dem Sachverständigengutachten von Dr. E. und macht sich dessen Ausführungen zu eigen.
Der Sachverständige führt aus, im vorliegenden Fall sei im Aufnahmebefund eine massive Exsikkose, sehr trockene Haut, starke Müdigkeit und Hypotonie beschrieben worden, alles Symptome eines Flüssigkeitsdefizits. Andererseits wären die bei einer Exsikkose typischerweise pathologischen Laborparameter wie Hämatokrit und Natriumspiegel im Normbereich gewesen. Überlagert worden sei der Gesamtzustand durch eine massive Katexie mit einem Körpergewicht von nur 42kg bei einer Größe von 167cm, wodurch die Abgrenzung einer Exsikkose erschwert werde.
In der Gesamtschau aller von der Klinik dokumentierten Befunde sei somit das Vorliegen eines relevanten Flüssigkeitsmangels nicht mit der erforderlichen Sicherheit auszuschließen, so dass letztlich die von der Klinik verschlüsselte ND N17.91 nicht bestätigt werden könne.
Allerdings habe aus medizinischer Sicht bei Aufnahme eindeutig ein akutes Nierenversagen bestanden, was durch die massiv erhöhten Laborparameter (Serum-Kreatinin, Serum-Harnstoff) und die deutlich erniedrigte GFR von 22,8 ml/min/1,73² Körperoberfläche belegt sei. Da aber ein Stadium hier nicht angegeben werden könne, sei ersatzweise der ICD-Kode N17.99 (Akutes Nierenversagen, nicht näher bezeichnet: Stadium nicht näher bezeichnet) zu verschlüsseln. Dieser Kode im Sinne einer „komplizierenden Diagnose“ triggere in gleicher Weise den Groupierungsprozess wie der strittige Kode.
Bei der Patientin D. lag am Aufnahmetag ein Serum-Kreatinin-Wert von 1,94 mg/dl vor. Bei der letzten Messung betrug der Wert 0,9 mg/dl, nachdem auch der Flüssigkeitshaushalt der Patientin stabilisiert worden war. Nachdem keine früheren Werte der Patientin aus der Zeit vor dem Krankenhausaufenthalt bekannt waren, ist es medizinisch plausibel, auf den Wert bei Entlassung als „angenommenen Ausgangswert“ zurückzugreifen. Der Rückgriff auf ein theoretisches Mittel wäre ungenauer und würde die individuelle Situation bei der Patientin nicht widerspiegeln.
Es ist somit davon auszugehen, dass durch die Störung der Nierenfunktion eine Erhöhung des Serum-Kreatinins von 0,9 mg/dl auf 1,94 mg/dl stattgefunden hat.
Die Kammer geht zudem davon aus, der Anstieg des Serumkreatinins habe bei der Versicherten binnen sieben Tagen stattgefunden.
Nach der ICD-10-Ziff. N 17 setzt ein akutes Nierenversagen nicht nur einen bestimmten Anstieg des Serumkreatinins voraus; vielmehr muss dieser Anstieg auch rasch geschehen, nämlich „innerhalb der vorangehenden 7 Tage“. Ob ein solcher Verlauf vorliegt, lässt sich gut feststellen, wenn der Kreatininwert nahezu täglich gemessen wird. Allerdings finden solch engmaschige Messungen außerhalb einer stationären Behandlung praktisch nicht statt. Messungen beginnen oft erst, wenn der Patient Krankheitssymptome zeigt und der Kreatininwert bereits angestiegen ist. Um diesen Schwierigkeiten zu begegnen, gestattet die ICD-10-Ziff. N 17 einen Rückgriff auf einen anzunehmenden Grundwert – statt auf einen gemessenen Ausgangswert. Diese Möglichkeit wäre indes nutzlos, müsste das Krankenhaus den vollen Beweis dafür erbringen, wie sich vor der ersten Messung der anzunehmende Grundwert Tag für Tag entwickelt hat; denn sofern es an Messwerten fehlt, ist eine zweifelsfreie Aussage hierzu regelmäßig ausgeschlossen. Es genügt daher, wenn ein Anstieg des Serumkreatinins „innerhalb der vorangehenden 7 Tage“ plausibel erscheint – etwa, weil sich der Gesundheitszustand des Patienten in diesem Zeitraum akut verschlechtert hat. Außerdem darf es keine konkreten Anhaltspunkte dafür geben, der Kreatinwert sei schon länger als sieben Tage erhöht gewesen.
So verhält es sich hier: Bei der Versicherten wird eine akute Verschlechterung des Gesundheitszustands beschrieben mit Kreislaufinstabilität und septischem Krankheitsbild. Es bestand Husten und Ruhedyspnoe. Da die Versicherte zwar allein lebte, aber von einem Pflegedienst versorgt wurde, ist angesichts der massiven Symptome praktisch auszuschließen, dass dieser Zustand bereits seit mehr als einer Woche bestanden hatte. Die akute Verschlechterung ihres Gesundheitszustands legt die Vermutung nahe, parallel dazu habe sich auch der Kreatininwert akut verschlechtert – und nicht etwa schleichend über einen Zeitraum von mehr als sieben Tage.
Legt man diese Annahmen zugrunde, würde der oben dargestellte Wert sogar denen eines akuten Nierenversagens Stadium 2 entsprechen (Steigerung um mehr als 100% über einen angenommenen Ausgangswert), so dass es auf einen dem klinischen Zustand angepassten Hydratationszustand nicht ankäme.
Ob die Nierenerkrankung sodann mit der Ziffer N17.92 oder N17.99 zu verschlüsseln wäre, kann dann dahingestellt bleiben, da sich die Vergütung hierdurch nicht ändern würde.
Die Kodierung des Volumenmangels (E86 – „Exsikkose“) schließt eine Kodierung des akuten Nierenversagens im Übrigen nicht aus. Ausgeschlossen wäre eine Kodierung der Ziffer N17.9 nur, wenn die unter dem Oberbegriff „Niereninsuffizienz“ (N17-N19) aufgeführten Exklusiva vorliegen würden. Eine Exsikkose ist hier ausdrücklich nicht aufgeführt. Der Gutachter schildert in seinem Gutachten eindrücklich, dass die bei der Versicherten vorliegenden Messwerte (Serum-Kreatin, Serum-Harnstoff, GFR) dafür sprechen würden, dass der Hydratationszustand nicht die alleinige Ursache des Nierenversagens sein konnte. Vielmehr ist bei der multimorbiden Versicherten von mehreren unabhängig voneinander bestehenden Erkrankungen auszugehen, die sämtlich durch die Klägerin behandelt wurden und daher auch kodiert werden durften.
Im Ergebnis bestand daher ein Anspruch der Klägerin auf Vergütung der DRG E65A.
Der Zinsanspruch ergibt sich aus der geltenden Pflegesatzvereinbarung der Beteiligten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), da weder die Klägerin noch die Beklagte zu den in § 183 SGG genannten Personen gehören und die Beklagte die unterliegende Partei des Rechtsstreits ist.
Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit dem Gerichtskostengesetz (GKG). Da der Klageantrag auf eine bezifferte Geldleistung gerichtet war, ist deren Höhe maßgeblich (§ 52 Abs. 3 GKG).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen


Nach oben