Medizinrecht

Leistungen, Bewilligung, Widerspruchsbescheid, Bescheid, Berufung, Versicherungspflicht, Grundschuld, Eintragung, Rentenversicherung, Freibetrag, Revision, Verwaltungsakt, Gutachten, Widerspruch, SGB II, gesetzliche Rentenversicherung, Leistungen nach dem SGB II

Aktenzeichen  L 7 AS 452/19

Datum:
28.9.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 49309
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Bei der Beurteilung, ob vorhandenes Vermögen Leistungen nach dem SGB II ausschließt, darf der Wert einer Immobilie nach Aktenlage geschätzt werden, wenn der Eigentümer bei der Wertermittlung nicht mitwirkt.

Verfahrensgang

S 16 AS 198/17 2019-04-29 SGLANDSHUT SG Landshut

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 29. April 2019 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin (§§ 143,144, 151 SGG) ist unbegründet.
Streitgegenständlich sind die Ablehnungsbescheide vom 25.1.2017 und 2.1.2018 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 23.3.2017 und 12.3.2018, mit denen SGB II-Leistungen in Form eines Zuschusses wegen fehlender Hilfebedürftigkeit infolge von Vermögen abgelehnt wurden. Der streitige Zeitraum ist auf die Zeit vom 1.10.2016 bis 30.9.2018 durch die nachfolgende Antragstellung für die Zeit ab 1.10.2018 begrenzt (vgl. BSG vom 28.10.2009, B 14 AS 62/08 R, Rn 17), welche Gegenstand des am Sozialgericht anhängigen Verfahrens S 11 AS 534/19 ist.
Das Schreiben vom 4.12.2017 enthält keine Regelung i.S.v. § 31 SGB X, sondern enthält ein Angebot zur darlehensweisen Leistungsgewährung unter bestimmtem Bedingungen und kündigt, sofern die Klägerin dieses Angebot nicht annimmt, eine Ablehnung des Leistungsantrages an. Insofern ist das Schreiben als Information zu werten bzw. als Anhörung zur beabsichtigten Ablehnung des Antrages auf Zuschussleistungen, enthält aber selbst keine Einzelfallregelung. Da es sich um keinen Verwaltungsakt handelt, ist eine hierauf gerichtete Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 1 und 4 SGG unzulässig, die Berufung mithin unbegründet.
Für die Zeit vom 1.10.2016 bis 30.9.2018 ist die Klägerin aufgrund des nicht geschützten, verwertbaren Immobilienvermögens nicht hilfebedürftig gemäß § 9 SGB II.
Der Vermögensfreibetrag beträgt nach § 12 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 und 4 SGB II 10.050 € bzw. ab 17.11.2017 10.200 €.
Das Eigenheim ist nicht geschützt nach § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 SGB II, da es nicht angemessen groß ist. Das Eigenheim hat eine Wohnfläche von mindestens 160 qm. Diese Wohnfläche übersteigt bei weitem die Grenze von 90 qm für einen Zweipersonenhaushalt zuzüglich eines Aufschlags von 10% (vgl. BSG vom 30.8.2017, B 14 AS 30/16 R, Rn 18 und 19). Eine Nichtnutzung von Räumlichkeiten ist bei der Feststellung der Wohnfläche unbeachtlich (BSG vom 12.10.2016, B 4 AS 4/16 R, Rn 32). Auf die Größe des Grundstücks kommt es nicht mehr an.
§ 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB II ist nicht erfüllt, da die Klägerin nicht durch die gesetzliche Rentenversicherung von der Versicherungspflicht befreit wurde nach §§ 6, 231, 231a SGB VI. Einen Befreiungsbescheid hat die Klägerin zu keinem Zeitpunkt vorgelegt und ist nicht aktenkundig. Allein der Umstand, dass das Eigenheim der Altersvorsorge dienen soll, reicht anders als im früheren Arbeitslosenhilferecht nicht aus (vgl. BSG vom 18.9.2014, B 14 AS 58/13 R, Rn 32).
§ 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 SGB II ist nicht erfüllt. Danach ist Vermögen nicht zu berücksichtigen, soweit seine Verwertung offensichtlich unwirtschaftlich ist oder für den Betroffenen eine besondere Härte bedeuten würde.
Die Verwertung des Eigenheims ist nicht offensichtlich unwirtschaftlich. Der Senat stützt sich dabei auf das überzeugende und in sich widerspruchsfreie Gutachten der Gerichtssachverständigen S vom 4.4.2021, die ein Architekturbüro im Landkreis unterhält. Sie hat unter umfassender Auswertung der Aktenlage den Verkehrswert zum Stichtag 1.10.2016 378.000 € und zum 1.10.2017 374.000 €, (zu den nichtstreitgegenständlichen Stichtagen 1.10.2018 394.000 € und zum 1.10.2019 405.000 €) zutreffend ermittelt. Konkrete Verwertungshindernisse, die gegen eine Verwertung innerhalb von sechs Monaten sprechen würden, sind nicht ersichtlich. Eine Tendenz zur Wertsteigerung ist festzustellen. Eine absolute Grenze für ein deutliches Missverhältnis zwischen Substanz- und Verkehrswert gibt es nicht. Gewisse Verluste, insbesondere im Hinblick auf veränderte Marktpreise sind hinzunehmen (vgl. BSG vom 18.9.2014, B 14 AS 58/13 R, Rn 27). Der Verkehrswert von 378.000 € weicht von den geschätzten Herstellungskosten von 384.000 € zum 1.10.2016 lediglich um 6.000 € ab. Das sind 1,56 vH. Zum 1.10.2017 weicht der Verkehrswert von 374.000 € vom geschätzten Sachwert von 398.000 € um 24.000 € ab, das sind 6 vH. Eine Abweichung von unter 10 vH sieht der Senat nicht als offensichtlich unwirtschaftlich an, zumal sich tendentiell eine weitere Verkehrswertsteigerung abzeichnet.
Es liegt auch keine unzumutbare Härte vor. Erforderlich für die Annahme einer besonderen Härte sind außergewöhnliche Umstände des Einzelfalls, die dem Betroffenen ein eindeutig größeres Opfer abverlangen als eine einfache Härte und erst recht als die mit der Vermögensverwertung stets verbundenen Einschnitte (vgl. BSG vom 12.10.2016, B 4 AS 4/16 R, Rn 39; BSG vom 30.8.2017, B 14 AS 30/16 R, Rn 29). Besondere Umstände sind vorliegend nicht ersichtlich. Insbesondere lassen sich entgegen der Auffassung der Klägerin mit der Immobilie keine Lücken in der Erwerbsbiographie schließen bzw. kompensieren. Maßgebend ist, dass die Immobilie bis zum Altersrentenbezug im Jahre 2020 nicht abbezahlt ist. Die dinglich abgesicherten Schulden allein für das Haus beliefen sich zum 30.9.2017 auf 95.010,34 € (Bl 46 Bekl). Mit der Rente von rund 770 € sind die Schulden auch dann nicht in absehbarer Zeit abzutragen.
Die dinglich mit der Grundschuld abgesicherten Verbindlichkeiten der Klägerin gegenüber ihrer Schwester belaufen sich nach den nicht überprüfbaren Angaben der Klägerin auf 193.339,37 € zum 1.1.2017, auf 205.034,04 € zum 30.9.2017 und auf 245.113,11 € zum 30.9.2018. Anders als die Klägerin meint, sind Darlehenszahlungen der Schwester nur punktuell aktenkundig und nicht ansatzweise in der von ihr behaupteten Höhe in den Akten festzustellen. Auch vereinzelte Barzahlungen sind nicht belegt. Die Klägerin hat auf die gerichtliche Aufforderung, die Darlehenszahlungen im Detail nachzuweisen, nicht reagiert und sich mit einem pauschalen Verweis auf die Beklagtenakten begnügt. Die Zinsberechnung erscheint somit überwiegend als fiktiv hochgerechnet. Ungeachtet dessen verbleibt nach Abzug der von der Klägerin behaupteten Verbindlichkeiten mindestens noch ein Vermögenswert von 128.886,89 €. Auch unter Berücksichtigung von weiteren Verwertungskosten entsprechend der gutachterlichen Einschätzung von rund 15.000 € übersteigt das Vermögen bei weitem den Vermögensfreibetrag von max. 10.200 €.
Konkrete Verwertungshindernisse sind nicht festzustellen. Der Senat stützt sich hierbei auf das Gutachten der Gerichtssachverständigen. Das konkrete Objekt kann entsprechend der Beurteilung der Gutachterin innerhalb von sechs Monaten verwertet werden.
Soweit die Klägerin pauschal Gegenteiliges behauptet, ist dies nicht nachvollziehbar. Die Klägerin hat bislang keinerlei tatsächliche Verwertungsbemühungen unternommen.
Soweit die Klägerin behauptet, eine Wertsteigerung von 60% gegenüber dem früheren Gutachten zum Stichtag 1.2.2016 sei nicht eingetreten, übersieht diese, dass die Verkehrswertermittlung der Sachverständigen in diesem Verfahren allein auf einer Schätzung beruht und damit die Bewertungsgrundlagen wesentlich von denen des Gutachtens aus dem Jahr 2016 abweichen mit der Folge, dass die erzielten Ergebnisse von vornherein nicht miteinander verglichen werden können. Unabhängig davon verfügt die Klägerin auch unter Zugrundelegung der Verkehrswertermittlung des früheren Gutachters S1 um verwertbares Vermögen, das den Vermögensfreibetrag bei weitem übersteigt (vgl. L 7 AS 144/17). Eine Tendenz der Wertsteigerung ist offensichtlich.
Soweit die Klägerin schließlich einwendet, die Wertermittlung sei im Ergebnis falsch, wendet sie sich gegen die vorgenommene Schätzung nach Aktenlage. Die Klägerin hat selbst durch die Verhinderung einer Augenscheinseinnahme eine Bewertung insbesondere der Baumängel und etwaiger ungünstiger Faktoren der Umgebung auf der Grundlage der tatsächlichen Gegebenheiten unmöglich gemacht. Die Nichterweislichkeit eines niedrigeren Verkehrswerts und damit der Hilfebedürftigkeit geht nach den Grundsätzen der obj. Beweislast zu Lasten der Klägerin, die aus einem behaupteten Vermögen unterhalb des Vermögensfreibetrages zu ihren Gunsten einen Anspruch auf Zuschussleistungen nach dem SGB II ableitet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision i.S.v. § 160 Abs. 2 SGG sind nicht ersichtlich.


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