Medizinrecht

Medizinisch-psychologische Untersuchung, Ärztliches Gutachten, Verwaltungsgerichte, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Medizinisch-psychologisches Gutachten, Widerspruchsverfahren, Kostenentscheidung, Entscheidung durch Gerichtsbescheid, Widerspruchsbescheid, Führen von Kraftfahrzeugen, Rechtsmittelbelehrung, Prozeßbevollmächtigter, Klageabweisung, Compliance, Begutachtungsstelle für Fahreignung, Streitwertbeschlüsse, Streitwertkatalog, Postfachanschrift, Entziehung der Fahrerlaubnis, Landratsamt

Aktenzeichen  B 1 K 19.143

Datum:
24.3.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 45368
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StVG § 3
FeV § 46 Abs. 3 i.V.m. § 11 Abs. 1 und Abs. 3
Nr. 3 der Vorbem. der Anlage 4 zur FeV
FeV § 11 Abs. 8

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Über die Klage kann ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid, der als Urteil wirkt, entschieden werden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (§ 84 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Halbsatz 1 VwGO). Die Beteiligten wurden gemäß § 84 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid gehört.
Die zulässige Anfechtungsklage hat in der Sache keinen Erfolg.
1. Die Entziehung der Fahrerlaubnis des Klägers durch den Bescheid des Landratsamts … vom 18.04.2018 in der Form des Widerspruchsbescheids der Regierung von Oberfranken vom 21.01.2019 erweist sich als rechtmäßig, so dass die dagegen gerichtete Klage abzuweisen ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Das Gericht nimmt zunächst gemäß § 117 Abs. 5 VwGO Bezug auf die Begründung des streitgegenständlichen Bescheids des Landratsamts vom 18.04.2018 sowie des Widerspruchsbescheids vom 21.01.2019 und macht sich diese zu eigen. Ergänzend wird zur Sache und zum Klagevorbringen Folgendes ausgeführt:
a) Der Beklagte hat zu Recht eine medizinisch-psychologische Begutachtung des Klägers gefordert.
Bei vorliegender Medikation mit medizinischem Cannabis stellen sich – wie grundsätzlich bei jeder Dauermedikation – bei der Begutachtung der Fahreignung unterschiedliche Fragen hinsichtlich der Auswirkungen der langfristigen Einnahme von oft hohen Dosen eines psychoaktiv wirksamen Medikaments. Abhängig von der konkreten Vorgeschichte, die der Verordnung zugrunde liegt, wird bei den Personen, die (ohne vorherigen Konsum von Cannabis) vom Arzt die Indikation gestellt erhalten und denen Cannabis als Medikament verordnet wird, die Frage der Aufklärung und Behandlungscompliance im Vordergrund stehen (vgl. hierzu: Schubert/Huetten/Reimann/Graw/Schneider/Stephan, Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung, Kommentar, 3. überarbeitete und erweiterte Auflage 2018, S. 442). Dem Therapieregime durch den behandelnden Arzt kommt dabei eine zentrale Bedeutung zu. In erster Linie ist damit bei einer Dauermedikation mit Cannabis eine Abklärung folgender Fragen veranlasst: die mögliche Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit, die Frage der verlässlichen Mitwirkung bei der Behandlung (Compliance und Adhärenz) sowie die Frage, ob der Patient in der Lage ist, Zustände von Fahrunsicherheit zu erkennen und verantwortlich damit umzugehen. Zu beachten sind zudem Kompensationsmöglichkeiten, die Fähigkeit zur Risikoeinschätzung und auch die Gefahr einer missbräuchlichen Einnahme. Dabei können die Aspekte der Risikowahrnehmung und des Missbrauchs nur in einer MPU abgeklärt werden, da es sich um psychologische Fragestellungen handelt (vgl. Schubert/Huetten/ Reimann/Graw/Schneider/Stephan, a.a.O. S. 443). Eine MPU ist immer auch dann erforderlich, wenn die Eignung nach den Befunden eines eingeholten ärztlichen Gutachtens zwar nicht ausgeschlossen werden konnte, jedoch Zweifel an der Adhärenz und der Fähigkeit oder Bereitschaft zum verantwortlichen Umgang mit negativen Auswirkungen der Medikation und/oder der Grundsymptomatik vorliegen. Solche Zweifel können sich zudem aus Auffälligkeiten in der Vorgeschichte ergeben (vgl. Schubert/Huetten/Reimann/ Graw/Schneider/Stephan, a.a.O., S. 244).
Die Frage, ob beim Kläger aus medizinischer Sicht trotz der bestehenden ADHS-Erkrankung und der Dauermedikation mit Cannabis ein ausreichendes Leistungsvermögen zur Führung eines Kraftfahrzeugs besteht, ist bereits durch das vorliegende ärztliche Gutachten und die psychologische Zusatzuntersuchung, jeweils vom 18.12.2017, ausreichend geklärt. Wie dem ärztlichen Gutachten (S. 13 f.) zu entnehmen ist, besteht hierfür beim Kläger grundsätzlich – unter Beachtung der aufgeführten (Kontroll-)Auflagen – ein ausreichendes Leistungsvermögen.
Weiter kam der ärztliche Gutachter aber aufgrund der durchgeführten persönlichen Begutachtung zu dem Ergebnis, dass beim Kläger Zweifel an der erforderlichen Krankheitseinsicht und krankheitsgemäßen Verhaltenssteuerung (Compliance und Adhärenz) vorliegen. Die daher im ärztlichen Gutachten vom 18.12.2017 ausgesprochene Empfehlung einer MPU ist auch schlüssig und nachvollziehbar. So ergibt sich aus dem Gutachten (vgl. S. 13), dass der letzte persönliche Kontakt zu dem das medizinische Cannabis verordnenden Arzt über ein Jahr zurücklag. Die Empfehlung einer MPU ist daher folgerichtig.
Im Übrigen wird diese Bewertung auch durch den Vorfall vom 20.02.2018 (d.h. während des laufenden Verwaltungsverfahrens) bestätigt, wo der Kläger im fahruntüchtigen Zustand – wohl kurz nach der Einnahme des medizinischen Cannabis – ein Fahrzeug steuerte.
Es ist somit dem Grunde nach nicht zu beanstanden, dass der Beklagte basierend auf der Empfehlung des ärztlichen Gutachtens gemäß § 46 Abs. 3 FeV i.V.m. § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FeV i.V.m. Nr. 3 der Vorbemerkung zur Anlage 4 der FeV eine MPU angeordnet hat.
b) Die Begutachtungsaufforderung vom 16.01.2018 erweist sich – wenn auch nur gerade noch – als hinreichend bestimmt, damit der Kläger als Adressat den dargestellten Zweck der angeordneten MPU in der konkreten Situation erkennen konnte. Dem Kläger lag das ärztliche Gutachten vom 18.12.2017 vor, so dass er diesem die dort geäußerten Zweifel an seiner Compliance und seiner Adhärenz entnehmen konnte und demzufolge auch den Grund dafür erkennen konnte, weshalb vom ärztlichen Gutachter eine MPU empfohlen wurde. Insofern ist es noch ausreichend, dass in der Begutachtungsaufforderung vom 16.01.2018 lediglich festgestellt wurde, dass vom ärztlichen Gutachten eine MPU empfohlen wurde, ohne näher darzustellen, zu welchem Zweck die MPU angeordnet wird.
Auch aus der formulierten Fragestellung „Ist zu erwarten, dass Herr … sein Verhalten so steuert bzw. umstellt, dass (…)“ wird deutlich, dass es bei der MPU nicht mehr um die Auswirkungen einer Erkrankung oder einer Medikation geht, sondern die Frage der Einsichtsfähigkeit des Klägers und seine zu erwartende Verhaltenssteuerung abgeklärt werden soll. Da der Kläger den Zweck der MPU somit – zumindest nach näherem Hinsehen – hätte erkennen können und müssen, zumal er zu diesem Zeitpunkt auch anwaltlich vertreten war, ist es nicht von Belang, dass der Kläger mit Schreiben seines Bevollmächtigten vom 29.01.2018 gegenüber dem Landratsamt erklärt hat, dass (für ihn) nicht erkennbar sei, welche weiteren Erkenntnisse durch die MPU generiert werden sollen.
c) Im Übrigen sind Rechtsfehler der Begutachtungsaufforderung vom 16.01.2018 nicht erkennbar. Zwar steht die Beibringungsaufforderung nach dem Gesetzeswortlaut im behördlichen Ermessen („kann“). Bei ihr handelt es sich jedoch nicht um einen Verwaltungsakt. Daher muss die Behörde in der Beibringungsanordnung nicht begründen, warum sie sich bei bestehenden Eignungszweifeln neben anderen grundsätzlich in Betracht kommenden Gefahrerforschungsmaßnahmen gerade für diejenige der Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens entschieden hat. Denn die Begründungsanforderungen für die Gutachtensaufforderung sind in § 11 Abs. 6 FeV spezialgesetzlich und abschließend geregelt und sehen eine Begründung in dieser Hinsicht gerade nicht vor (vgl. Haus/Krumm/Quarch, Gesamtes Verkehrsrecht, FeV § 11 Rn. 102 i.V.m. Rn. 73 – beck-online).
Die weiteren (formalen) Anforderungen wurden beachtet. Insbesondere waren die erforderlichen Hinweise auf eine Einsichtsmöglichkeit in die der Begutachtungsstelle zu übersendenden Unterlagen (§ 11 Abs. 6 Satz 2 Halbsatz 2 FeV) und die drohende Entziehung bei Nichtvorlage des geforderten Gutachtens (§ 11 Abs. 8 Satz 2 FeV) in der Begutachtungsaufforderung enthalten.
d) Im Ergebnis konnte und musste der Beklagte daher hier auf die Nichteignung des Klägers schließen und ihm die Fahrerlaubnis entziehen, weil der Kläger das rechtmäßig geforderte medizinisch-psychologische Gutachten nicht vorgelegt hat (vgl. BVerwG, U.v. 05.07.2001 – 3 C 13.01). Die Vorschrift des § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV räumt der Behörde kein Ermessen hinsichtlich der Frage ein, ob aus der Nichtvorlage des Gutachtens auf die Fahrungeeignetheit des Betroffenen geschlossen werden kann (BayVGH, B.v. 29.11.2012 – 11 CS 12.2276 – juris, Rn. 13. m.w.N.).
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Als unterliegender Beteiligter hat der Kläger die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO. Der Einräumung einer Abwendungsbefugnis bedurfte es angesichts der – wenn überhaupt anfallenden – jedenfalls geringen, vorläufig vollstreckbaren Aufwendungen des Beklagten nicht, zumal dieser auch die Rückzahlung garantieren kann, sollte in der Sache eine Entscheidung mit anderer Kostentragungspflicht ergehen.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen


Nach oben